88 IV 33
Urteilskopf
88 IV 33
10. Urteil des Kassationshofes vom 16. April 1962 i.S. Herrmann gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
Regeste
Art. 110 Ziff. 5 und Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB .
Rechnungen enthalten ihrem Wesen nach blosse Behauptungen.
Wer eine inhaltlich unwahre Rechnung ausstellt, macht sich daher nicht der Falschbeurkundung schuldig.
A.- Im August 1959 wurde von der Trinkerfürsorgestelle des Amtes Trachselwald dem durch Trunksucht gesundheitlich geschädigten und inzwischen verstorbenen Morgenthaler auf eigenes Begehren ein "Beistand" bestellt, der sich seiner fürsorgerisch annahm, ihm den Lohn verwaltete und seine finanziellen Angelegenheiten besorgte. Morgenthaler war damals Kostgänger in dem von den Eheleuten Herrmann-Hänni betriebenen Restaurant "Ochsen" in Huttwil. Auf seinen Wunsch liess ihn der Fürsorger weiterhin in dieser Gaststätte statt in einem alkoholfreien Restaurant die Kost einnehmen. Er sprach jedoch bei der Wirtin vor und bat sie, Morgenthaler nur mässig Alkohol auszuschenken.
Am 28. November 1959 stellte Frau Herrmann auf den Namen Morgenthalers eine Kostgeldrechnung über 27 Mittagessen im Gesamtbetrage von Fr. 75.60 aus, während Morgenthaler bloss 16 Mahlzeiten eingenommen hatte. Der für weitere 11 Mittagessen in Rechnung gestellte Betrag von Fr. 30.80 betraf in Wirklichkeit Tranksame und Rauchwaren, die Morgenthaler über einen besonders fakturierten Betrag von Fr. 55.80 hinaus im November bezogen hatte. Morgenthaler hatte die Wirtin veranlasst,
BGE 88 IV 33 S. 34
die Rechnung in dieser Weise auszustellen, um vor dem Fürsorger den Mehrkonsum an Alkohol zu verbergen und strengere Massnahmen, insbesondere seine Versetzung in ein alkoholfreies Restaurant, zu verhindern.
B.- Am 6. Juni 1961 sprach das Obergericht des Kantons Bern Frau Herrmann der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie unter Annahme eines besonders leichten Falles nach Art. 251 Ziff. 3 StGB zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 50.-.
C.- Frau Herrmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie bestreitet den Urkundencharakter der von ihr ausgestellten Rechnung und macht geltend, auch das Tatbestandsmerkmal des erstrebten unrechtmässigen Vorteils sei nicht gegeben.
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB macht sich der Urkundenfälschung unter anderem schuldig, wer eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet. Wie der Kassationshof schon wiederholt festgestellt hat, ist nicht jede schriftliche Lüge eine Falschbeurkundung im Sinne dieser Bestimmung. Sie ist es nur dann, wenn die Schrift entsprechend der Begriffsumschreibung des Art. 110 Ziff. 5 StGB dazu bestimmt oder geeignet ist, gerade die erlogene Tatsache aufzunehmen und festzustellen, mit andern Worten, sie zu beweisen (BGE 72 IV 72/3, 139;BGE 73 IV 50, 110;BGE 75 IV 168;BGE 79 IV 163).
Diese Eignung fehlt der von der Beschwerdeführerin ausgestellten Kostgeldrechnung. Frau Herrmann behauptete darin lediglich, dass sie Morgenthaler 27 Mittagessen verabreicht und deswegen Fr. 75.60 zugute habe. Dass die Leistungen, aus denen sie ihren Anspruch herleitete, auch
BGE 88 IV 33 S. 35
tatsächlich erbracht wurden und dass demzufolge ihre in der Rechnung abgegebene Erklärung der Wahrheit entspreche, wurde mit dieser Schrift in keiner Weise bewiesen und konnte damit auch nicht bewiesen werden. Denn Rechnungen enthalten wie Hotelanmeldescheine (BGE 73 IV 50) oder Wochenrapporte eines Reisenden (BGE 88 IV 29) ihrem Wesen nach blosse Behauptungen. Behauptungen aber sind, mögen sie auch schriftlich niedergelegt sein, keine beweismässigen Feststellungen. Der Schrift, deren Inhalt sie bilden, fehlt insoweit der Charakter einer Urkunde.Die Vorinstanz hat infolgedessen zu Unrecht angenommen, die Beschwerdeführerin habe mit der Ausstellung der inhaltlich unwahren Rechnung eine Falschbeurkundung im Sinne des Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB begangen. Dass die Rechnung nicht von Morgenthaler, sondern von seinem "Beistand" bezahlt wurde, für den sie nicht leicht überprüfbar war, ändert nichts. Ob eine Schrift im Sinne des Gesetzes Beweisurkunde sei, hängt nicht von der mehr oder weniger leichten Überprüfbarkeit ihres Inhalts ab. Auch erlangte die Kostgeldrechnung der Beschwerdeführerin nicht dadurch Beweiswert, dass der Fürsorger Morgenthalers sich auf die darin gemachten Angaben verliess. Wenn er dies tat, so einzig deswegen, weil er keinen Anlass hatte, an der guten Treue der Wirtin zu zweifeln, und nicht, weil diese mit der Rechnung die Wahrheit ihrer Behauptungen bewiesen hätte. Eine Schrift, die, wie die Kostgeldrechnung der Beschwerdeführerin, der Sache nach blosse Behauptungen enthält, kann, unbekümmert um die beabsichtigte Verwendung im Rechtsverkehr, nie Falschbeurkundung sein. Möglich ist einzig eine materielle Urkundenfälschung. Insofern, als die Rechnung die vom Aussteller gegenüber dem Rechnungsadressaten abgegebenen Erklärungen ein für allemal festhält, also Beweis dafür schafft, dass jener für eine bestimmte Leistung in einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Betrag Rechnung gestellt hat, ist sie Urkunde im Sinne
BGE 88 IV 33 S. 36
von Art. 110 Ziff. 5 StGB (vgl.BGE 72 IV 139;BGE 73 IV 50, 110; BGE 88 IV 30). Wer daher z.B. eine Rechnung, die in einem Prozess als Beweismittel verwendet wird, nachträglich abändert, um zu verheimlichen, wann, wofür oder in welcher betragsmässigen Höhe Rechnung gestellt wurde, macht sich der materiellen Urkundenfälschung schuldig. Dagegen verstösst nicht gegen Art. 251 Ziff. 1 StGB, wer zum vorneherein in einer Rechnung lügt und dadurch Dritte täuscht.
2. Ist aber das angefochtene Urteil schon aus den angeführten Gründen aufzuheben, so erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob der von der Beschwerdeführerin mit der inhaltlich unwahren Urkunde erstrebte Vorteil ein unrechtmässiger gewesen sei oder nicht.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 6. Juni 1961 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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