BGE 89 IV 14
 
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1963 i.S. St. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
 
Regeste
Art. 198 Abs. 1 StGB. Kuppelei eines Apartmenthausbesitzers; Gewinnsucht.
2. Aus Gewinnsucht handelt, wer gegen Entgelt ein Absteigequartier gewährt, aber auch, wer zwar sowohl zu Wohnzwecken wie zur beliebigen Vornahme unzüchtiger Handlungen Räume vermietet, den Mietpreis jedoch mit Rücksicht auf den begünstigten Unzuchtsbetrieb hinaufschraubt, oder wer überhaupt nur im Hinblick auf solchen Betrieb vermieten kann (Erw. 2 lit. a und b).
3. Gewinnsucht setzt nicht voraus, dass dem Streben tatsächlich Erfolg beschieden sei (Erw. 2 lit. c).
4. Das Ausbeuten ist nicht Tatbestandsmerkmal der Kuppelei (Erw. 2 lit. d und e).
 
Sachverhalt


BGE 89 IV 14 (15):

A.- St. ist Eigentümer der Liegenschaft Rennweg 30 in Zürich. Im Erdgeschoss und ersten Stock des Hauses ist ein Sportgeschäft untergebracht. Die Räume des zweiten bis fünften Stockwerkes liess St. im Jahre 1953 nach Art eines Apartmenthauses in 22 Einzelzimmer umbauen, die seither möbliert vermietet wurden. Sie unterstehen laut Entscheid der Eidgenössischen Mietzinsrekurskommission vom 9. September 1958 nicht der Preiskontrolle.
Vom 1. Januar 1956 bis zu seiner Verhaftung vom 16. Februar 1960 vermietete St. diese Zimmer, insbesondere diejenigen der drei mittleren Stockwerke, fast ausschliesslich an Dirnen, die der gewerbsmässigen Unzucht oblagen. Die Zimmer galten in eingeweihten Kreisen als "sturmfrei", weil St., der vom Unzuchtsbetrieb in seinem Hause Kenntnis hatte, den Mieterinnen wissentlich alle Freiheiten gewährte. Er liess sie ungehindert Freier, die sie dirnenmässig auftrieben, auf ihr Zimmer nehmen und verwehrte auch Männern den Zutritt nicht, die auf der Suche nach einer Gelegenheit zur Unzucht bei der einen oder andern Dirne anklopften, um zu erfahren, ob sie gerade frei sei. Dagegen versuchte er wiederholt, Kontrollen der Sittenpolizei zu vereiteln, bestärkte Dirnen in ihrer Einstellung, die Polizei zu hintergehen, liess sich über polizeiliche Überwachungen und Nachforschungen laufend durch Dirnen unterrichten und ging schon 1956 darauf aus, belastendes Material gegen Funktionäre der Sittenpolizei zu sammeln, um sich ihrer Kontrolle erwehren zu können. St. forderte hohe Zimmerpreise, die von seriösen Mietern nicht oder nur ausnahmsweise entrichtet worden wären. Diese Mietzinse

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wurden von den Dirnen nur hingenommen und bezahlt, weil sie ihr unsittliches Gewerbe im Hause des St. ungehindert ausüben konnten.
B.- In wesentlicher Bestätigung eines Urteils des Bezirksgerichtes Zürich vom 29. November 1960 erklärte das Obergericht des Kantons Zürich St. am 22. Mai 1962 der gewerbsmässigen Kuppelei im Sinne von Art. 198 Abs. 1 und 199 Abs. 1 StGB schuldig, verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von einem Jahr und Fr. 5000. - Busse, setzte ihm drei Jahre Probezeit und stellte ihn für ein Jahr in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
C.- St. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, das Obergericht habe Art. 198 StGB verletzt. St. führt ausserdem staatsrechtliche Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
a) Der deutsche Gesetzestext verwendet den Ausdruck Gewinnsucht in Art. 198 wie in Art. 48 Ziff. 1 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 1 StGB. Der französische Text gibt den Ausdruck in den allgemeinen Bestimmungen mit "cupidité", in der besonderen dagegen mit "dessein de lucre" wieder, während der italienische Text in allen drei Bestimmungen die Wendung "fine di lucro" gebraucht. Würde man bei

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Art. 198 StGB auf den erheblich schwächeren Ausdruck der romanischen Gesetzestexte "dessein de lucre" bzw. "fine di lucro" abstellen, also schon Gewinnabsicht genügen lassen, so müsste jeder Vermieter eines "sturmfreien" Zimmers Gefahr laufen, wegen Kuppelei verfolgt und bestraft zu werden. Das ginge offensichtlich zu weit und kann umsoweniger der Sinn des Gesetzes sein, als weder die einfache noch die gewerbsmässige Unzucht zwischen Mann und Frau strafbar ist. Der Auslegung des Art. 198 StGB ist daher der deutsche Gesetzestext als der zutreffende, folglich Gewinnsucht, nicht bloss Gewinnabsicht, zugrunde zu legen.
Nach der Rechtsprechung ist unter Gewinnsucht ein hemmungsloses oder besonders ausgeprägtes, zur Sucht gewordenes Streben nach Gewinn zu verstehen (BGE 74 IV 142, BGE 79 IV 118). Gewinnsucht ist weder gleichbedeutend mit Vorteils- oder Bereicherungsabsicht, die weniger weit gehen, noch bedeutet sie dasselbe wie Eigennutz. Dieser steigert sich dann zu Gewinnsucht, wenn der Täter in besonders intensiver Weise auf geldwerte Vorteile bedacht ist, namentlich wenn er sich um des Geldes willen gewohnheitsmässig oder ohne Bedenken über die durch Gesetz, Anstand oder gute Sitte gezogenen Schranken hinwegsetzt, also auch vor verpöntem Gewinn nicht Halt macht. Nicht aus Gewinnsucht handelt daher, wer einer Dirne ein Zimmer vermietet, ohne von ihr im Hinblick darauf, dass sie es nicht nur zum Wohnen, sondern auch zur Ausübung ihres Gewerbes zu benützen gedenkt, mehr zu verlangen, als er sonst tat oder sonst tun würde. Aus diesem besonderen Beweggrund handelt dagegen, wer nicht zum Wohnen, sondern zu Unzuchtszwecken ein Zimmer (Absteigequartier) gewährt und sich für seine Gunst bezahlen lässt, aber auch, wer zwar sowohl zu Wohnzwecken wie zur beliebigen Vornahme unzüchtiger Handlungen Räume vermietet, den Mietpreis jedoch mit Rücksicht auf den begünstigten Unzuchtsbetrieb hinaufschraubt, oder wer überhaupt nur im Hinblick auf solchen Betrieb vermieten kann (vgl.

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nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 28. Oktober 1949 i.S. Bolliger Erw. 1; ferner HAFTER, Bes. Teil II S. 141; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, S. 316 Nr. 648). Diese Betrachtungsweise findet in den Gesetzesmaterialien insofern eine Stütze, als der Gesetzgeber nicht schon denjenigen als Kuppler bestraft wissen will, der eine Wohnung oder ein Zimmer an eine Dirne vermietet, sich aber mit dem üblichen Mietzins begnügt (ZÜRCHER, Erläuterungen zum Vorentwurf von April 1908, S. 237; Prot. 2. Exp. Komm., Bd. 3 S. 217 und 129, Voten Gautier und Studer).
b) Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, nicht auf das quartierübliche, sondern auf das ortsübliche Mass der Mietzinse abgestellt zu haben.
Darauf kommt jedoch nichts an. Der Beschwerdeführer ist nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts stets darauf ausgegangen, aus seiner Liegenschaft möglichst viel herauszuwirtschaften. Er habe die Zimmer zu Preisen vermietet, die von seriösen Mietern nicht oder nur ausnahmsweise entrichtet worden wären, und die Dirnen hätten die hohen Mietzinse nur hingenommen und bezahlt, weil ihnen der Vermieter bewusst alle Freiheiten gewährte. Diese und ähnliche Feststellungen haben den Sinn, dass der Beschwerdeführer zu den hohen Preisen nur vermieten konnte, wenn er die Zimmer an Dirnen abgab und deren Betrieb in Kauf nahm. Dadurch offenbarte er Gewinnsucht, und zwar unbekümmert darum, in welchem Verhältnis die Zimmerpreise zu den ortsüblichen und quartierüblichen standen. Wer Mietzinse so hoch ansetzt, dass er auf Dirnen angewiesen ist und diese gewähren lassen muss, bekundet ein ebenso verwerfliches Streben nach Gewinn wie derjenige, der den Mietzins erst im Hinblick auf solchen Betrieb erhöht.
Dass der Beschwerdeführer sich aus Gewinnsucht vergangen hat, erhellt insbesondere aus der Weisung an seinen Geschäftsführer, die Zimmerpreise trotz der Schwierigkeit, seriöse Mieter zu finden, so zu belassen, wie er sie festgesetzt

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habe, weil "einfach so und soviel aus dem Haus heraus" müsse. Von Gewinnsucht zeugt aber auch sein Verhalten gegenüber den Dirnen. Weder die Pflicht zur Rücksichtnahme auf seriöse Mieter, noch Ermahnungen oder Warnungen Dritter, noch der Ruf seines Hauses hielten ihn davon ab, immer wieder, ja immer mehr Zimmer an Dirnen abzugeben, einzig um die Zimmerpreise nicht herabsetzen zu müssen und Einbussen zu vermeiden. Dass z.B. die Dirne Amoos andernorts wohnte und das Zimmer am Rennweg 30 ausschliesslich zum Absteigen benutzte, er also von dieser "Mieterin" in Wahrheit nicht Mietzins, sondern Kupplerlohn einkassierte, kümmerte ihn nicht. In seiner bewusst nachsichtigen und entgegenkommenden Haltung gegenüber den Dirnen, die ihrerseits aus ihrer Tätigkeit kein Hehl machten, erblickte er gegenteils die Gewähr dafür, dass sie das nötige Geld für die Miete aufbringen und diese bezahlen würden. Die hohen Zimmerpreise sind denn auch von vielen Dirnen als Preis für die vom Hauseigentümer gewährte Freiheit, unbehelligt gewerbsmässige Unzucht treiben zu dürfen, ausgelegt worden. Dem Gebaren der Mieterinnen gebot er selbst dann nicht Einhalt, als der Dirnenbetrieb bordellmässige Formen annahm. Um des Gewinnes willen war er bereit, auch das in Kauf zu nehmen. Wer sich während Jahren so bedenkenlos über Anstand und gute Sitte hinwegsetzt, wie es der Beschwerdeführer getan hat, um hohe Zimmerpreise aufrechterhalten oder gar weiter steigern zu können, legt Eigenschaften an den Tag, die für den Begriff der Gewinnsucht charakteristisch sind.
c) Darüber hilft auch der Einwand nicht hinweg, dass der Beschwerdeführer wegen der hohen Betriebskosten der Liegenschaft lediglich eine Nettorendite von 1,98 bis 3,03% erzielt habe. Der Begriff der Gewinnsucht setzt überhaupt nicht voraus, dass dem Streben tatsächlich Erfolg beschieden sei. Selbst wer Verluste einstecken muss, weil er z.B. falsch spekulierte, kann aus Gewinnsucht handeln. Entscheidend ist einzig, dass der Täter geldwerte Interessen

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verfolgt und dass dies, wie hier, in einer Art und Weise geschieht, die als gewinnsüchtig bezeichnet werden muss.
d) Dem Vorwurf der Gewinnsucht versucht der Beschwerdeführer ferner mit dem Einwand zu entgehen, dass den Apartmenthausbesitzern nach zutreffender Auffassung des deutschen Reichsgerichts ein sogenannter Unbequemlichkeitszuschlag für die mit der Vermietung an Dirnen verbundenen Unannehmlichkeiten und ein Gefahrensatz für Mietausfälle zufolge herabgesetzter Zahlungsmoral solcher Mieterinnen zugestanden werden müssten (RGSt Bd. 62 S. 348 ff.; Bd. 63 S. 166).
Damit lässt sich jedoch seine Gewinnsucht nicht verneinen. Der Beschwerdeführer verkennt, dass sich die angerufene Rechtsprechung des Reichsgerichts auf den Begriff des Ausbeutens bezieht, der dem Kuppeleitatbestand des § 180 Abs. 3 DStGB zugrunde liegt, aber nicht zum Tatbestand des Art. 198 StGB gehört. Dass der Begriff im Randtitel zu den Art. 198 bis 202 StGB enthalten ist, hilft darüber nicht hinweg. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist eine Gesetzesbestimmung in erster Linie aus ihrem Wortlaut selbst auszulegen, nicht aus der Überschrift, unter die sie eingereiht ist; diese vermag den Anwendungsbereich der Bestimmung nicht einzuschränken (BGE 74 IV 208, BGE 76 IV 55, BGE 78 IV 176, BGE 81 IV 219 Erw. 2). Abgesehen hievon umfasst der fragliche Randtitel zwei Arten von Tatbeständen, nämlich solche, die in einer Begünstigung, und solche, die in einer Ausbeutung der Unzucht bestehen. Die in Art. 198 bis 200 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen gehören nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur ersten Kategorie (vgl. Prot. 2. Exp. Komm. Bd. 3 S. 220, Votum Lang). Der der deutschen Rechtsprechung entlehnte Einwand geht daher fehl. Er steht übrigens im Widerspruch zu Ausführungen in der staatsrechtlichen Beschwerde vom 23. August 1962, wonach der Beschwerdeführer immer noch bestreitet, bewusst Dirnen eingemietet zu haben.
e) Da das Ausbeuten nicht Tatbestandsmerkmal der Kuppelei im Sinne von Art. 198 f. StGB ist, setzt diese

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entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht voraus, dass zwischen den Leistungen des Vermieters und dem von ihm geforderten Mietpreis ein krasses Missverhältnis bestehen müsse. Hätte der Gesetzgeber die Strafbarkeit der Kuppelei von einem solchen Verhältnis zwischen den Leistungen abhängig machen wollen, dann hätte er dies, wie z.B. in Art. 157 StGB, in der Bestimmung zum Ausdruck gebracht. Das tat er nicht. Es ist deshalb nicht angängig, es auf dem Umweg über eine einschränkende Auslegung des Begriffes Gewinnsucht in die Bestimmung aufzunehmen.
Art. 198 StGB so auslegen, heisst keineswegs, alle Vermieter von "sturmfreien" Zimmern der Strafverfolgung wegen Kuppelei aussetzen, wie der Beschwerdeführer behauptet. Mögen solche Zimmer im allgemeinen auch teurer vermietet werden, so bleibt es doch dabei, dass wegen Kuppelei erst strafbar ist, wer mit Rücksicht auf die begünstigte Unzucht einen höheren Mietzins verlangt, als er sonst verlangen würde.