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Urteilskopf

89 IV 113


23. Urteil des Kassationshofes vom 1. Mai 1963 i.S. Lischer und Mühlemann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.

Regeste

Art. 2 Abs. 2 StGB.
Der Satz vom mildern Recht ist auf Widerhandlungen gegen Verkehrsvorschriften nicht anwendbar. Es beurteilt sich ausschliesslich nach altem Recht, ob ein Motorfahrzeugführer eine Verkehrsregel des seit 1. Januar 1963 vollständig aufgehobenen Bundesgesetzes über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr verletzt hat und, wenn ja, wie er dafür zu bestrafen ist.
Eine Ausnahme bildet die Bestimmung des Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG, die für Fälle, wo die Störung des Verkehrs auf einer Verletzung von Verkehrsregeln beruht, an die Stelle von Art. 237 StGB getreten ist.

Sachverhalt ab Seite 113

BGE 89 IV 113 S. 113

A.- Lischer fuhr am 5. Juni 1962, gegen 7.30 Uhr, am Steuer seines Personenwagens VW von Malters gegen
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Werthenstein. Als er auf der geraden Strecke, die ausgangs des Dorfes Schachen beginnt, aus einer Entfernung von ungefähr 80 m eine für ihn am linken Strassenrand gelegene Tankstelle erblickte, entschloss er sich, anzuhalten und Benzin zu tanken. Gleichzeitig sah er durch den Rückspiegel, dass ihm ein Personenwagen, der von Mühlemann gesteuert war, mit grösserer Geschwindigkeit folgte. Lischer verlangsamte seine Fahrt, stellte den Richtungsanzeiger und hielt gegen die Strassenmitte. Als er auf der Höhe der Tankstelle nach links abzuschwenken begann, prallte der Wagen Mühlemanns, der noch zu stoppen versucht hatte, gegen das Heck seines Fahrzeuges. Es entstand beträchtlicher Sachschaden.

B.- Am 15. Januar 1963 büsste das Amtsgericht Entlebuch Lischer wegen Verletzung von Art. 25 Abs. 1 MFG mit Fr. 20.-, Mühlemann wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2 StGB) mit Fr. 40.-. Es warf Lischer vor, vor dem Abschwenken nach links nicht angehalten zu haben, um den vortrittsberechtigten Mühlemann vorbeizulassen. Mühlemann legte es Missachtung von Art. 25 und 26 Abs. 4 MFG zur Last. Er habe zu nahe aufgeschlossen und deshalb sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten können, als Lischer nach links abschwenkte. Ausserdem habe er sein Fahrzeug nicht beherrscht. Durch seine mangelnde Rücksichtnahme auf den andern Strassenbenützer habe er sich der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs schuldig gemacht.

C.- Lischer und Mühlemann führen Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragen, das Urteil des Amtsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde Lischers sei abzuweisen; mit Bezug auf Mühlemann sei die Sache zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

I. Das Amtsgericht hat die Beschwerdeführer nach den Bestimmungen des MFG bzw. nach Art. 237 Ziff. 2 StGB verurteilt, ohne zu prüfen, ob Art. 2 Abs. 2 StGB für Widerhandlungen gegen Verkehrsvorschriften ebenfalls gelte und, wenn ja, ob das neue Recht für sie milder sei.

I.1. Art. 2 Abs. 2 StGB bestimmt: "Hat jemand ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes verübt, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für den Täter das mildere ist." Nach Art. 102 Ziff. 1 Abs. 1 SVG finden die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches, zu denen auch Art. 2 gehört, auf die im Strassenverkehrsgesetz mit Strafe bedrohten Handlungen insoweit Anwendung, als dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält. Dasselbe folgt nicht nur für dieses, sondern für alle Nebenstrafgesetze des Bundes aus Art. 102 und 333 Abs. 1 StGB. Das Strassenverkehrsgesetz kennt keine von Art. 2 Abs. 2 StGB abweichende Norm, so dass nach den Verweisungen angenommen werden müsste, der Grundsatz des mildern Rechts gelte auch für Widerhandlungen gegen das seit 1. Januar 1963 vollständig aufgehobene Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr sowie seine Vollziehungsverordnung, soweit die Widerhandlungen erst nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur gerichtlichen Beurteilung gelangen. Fragen kann sich nur, ob dies dem Wortlaut, vor allem aber dem Sinn der Norm und den ihr zugrunde liegenden Wertungen wirklich entspricht.
Der Kassationshof hat im nicht veröffentlichten Urteil vom 9. Mai 1951 i.S. Demierre die Auffassung vertreten, ein nur für die Dauer bestimmter tatsächlicher Verhältnisse erlassenes Gesetz (sog. Zeitgesetz) sei auf die unter seiner Herrschaft begangenen Taten auch nachher noch anzuwenden. In einem solchen Falle entfielen nur die
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Voraussetzungen für die Anwendung der Strafnorm, an der Rechtsanschauung über die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens ändere sich nichts. In andern Entscheiden, so namentlich im nicht veröffentlichten Urteil vom 3. Juni 1955 i.S. Bourquin, hat sich der Kassationshof dagegen auf den Standpunkt gestellt, mit der blossen Überlegung, das Zeitgesetz falle nicht wegen einer Änderung der Anschauungen über die Strafwürdigkeit dahin, sondern lediglich wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, für die es erlassen wurde, könne das Anwendungsgebiet des Art. 2 Abs. 2 StGB nicht beschränkt werden. Es bedürfe hiezu ausdrücklicher Ausnahmen, wie sie denn auch öfters zu finden seien, wenn ein für bestimmte Zeitverhältnisse aufgestellter gesetzlicher Erlass aufgehoben oder abgeändert werde (s. z.B. Art. 3 Abs. 3 BRB über die Abänderung der Preiszuschläge aufFuttermittel, vom 30. Dezember 1952, AS 1952 1125; Art. 48 Abs. 1 Vo über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung des Kündigungsrechts, vom 30. Dezember 1953, AS 1953 1286). Mangels einer abweichenden Bestimmung der Nebenstrafgesetzgebung komme Art. 2 Abs. 2 StGB dem Beschuldigten unabhängig davon zugute, aus welchem Grunde die übertretene Norm im Zeitpunkt der gerichtlichen Beurteilung der Tat nicht mehr in Kraft ist. Von dieser Auffassung ist der Kassationshof stillschweigend auch in einigen Urteilen ausgegangen, die keine Zeitgesetze betrafen (vgl.BGE 76 IV 52Erw. 5), in jüngster Zeit insbesondere bei der Anwendung von Erlassen auf dem Gebiete des Strassenverkehrs (BGE 89 IV 35 Erw. I). Diese Rechtsprechung vermag indes nicht zu befriedigen.
a) Dem Art. 2 Abs. 2 StGB liegt der Gedanke zugrunde, dass nicht mehr oder milder bestraft werden soll, weil die Tat zufolge Änderung der Rechtsanschauung nicht mehr bzw. weniger strafwürdig erscheint. Das trifft auf Zeitgesetze oft schon der Natur der Sache nach nicht zu. Zeitgesetze zeichnen sich dadurch aus, dass sie zum vornherein nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden oder
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dass sie nach Inhalt und Zweck nur für die Dauer von Ausnahmeverhältnissen gelten wollen. Ihre Aufhebung beruht daher, wie schon im Falle Demierre hervorgehoben wurde, in der Regel nicht aufgeänderter Rechtsanschauung, sondern auf geänderten tatsächlichen Verhältnissen. Das kann ohne ausdrückliche Vorschrift nicht zur Folge haben, dass die strafrechtliche Ahndung der während der Geltungsdauer des Gesetzes begangenen, aber erst nach dessen Aufhebung abzuurteilenden Widerhandlungen unterbleibe, Art. 2 Abs. 2 StGB also Anwendung finde. Dies müsste namentlich von all denen, die sich einer Ausnahmeregelung willig unterzogen haben, als stossend empfunden werden. Abgesehen hievon könnte der Täter vor allem bei kurzfristigen Regelungen, wie sie z.B. der Bundesratsbeschluss vom 16. November 1956 betreffend Sonntagsfahrverbot und andere Sparmassnahmen im Verbrauch flüssiger Treibstoffe (AS 1956 1273) darstellte, welcher schon am 15. Dezember 1956 aufgehoben wurde (AS 1956 1481), seine Bestrafung leicht durch Verzögerung des Verfahrens vereiteln. Zeitgesetze wären dann oft illusorisch oder liefen jedenfalls gegen Ende ihrer Geltungsdauer Gefahr, immer weniger beachtet zu werden. Dass das nicht der Sinn und Zweck eines Gesetzes sein kann, liegt auf der Hand.
Soweit man der Frage überhaupt Beachtung geschenkt hat, ist übrigens auch vom schweizerischen Schrifttum anerkannt worden, dass Zeitgesetze bei sinngemässer Auslegung des Art. 2 Abs. 2 StGB von der Norm auszunehmen sind (s. insbes. Komm. THORMANN/VON OVERBECK, Art. 2 N. 17; HALTER, Das zeitliche Geltungsgebiet des StGB, S. 61; GLETTIG, Das schweiz. Clearingstrafrecht, S. 43; vgl. ferner ZÜRCHER, ZStR 27 268; HAFTER, ebenda 253; VON OVERBECK ZStR 56 363; ZBJV 56 285). Bis zur Einfügung einer Sondervorschrift für Zeitgesetze (§ 2a Abs. 3) in das deutsche Strafgesetzbuch im Jahre 1935 ist in der vorherrschenden Lehre und Rechtsprechung Deutschlands ebenfalls die Meinung vertreten worden, dass bei Änderung oder Aufhebung solcher Gesetze der Satz vom
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mildern Recht grundsätzlich keine Anwendung finden könne (vgl. z.B. RGSt 57 384, 416, 59 197, 61 223; FRANK, Das StGB für das Deutsche Reich, 18. Auflage, § 2 V 2; V. HIPPEL, Lehrbuch des Strafrechts, Berlin 1932, S. 78; MEZGER, Strafrecht, München 1931, S. 71; ALLFELD, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 8. Auflage, S. 78).
b) Eine Beschränkung des Art. 2 Abs. 2 StGB auf Gesetzesänderungen, denen ein Wandel strafrechtlicher Anschauungen zugrunde liegt, drängt sich auch auf bei Verwaltungsgesetzen, die nicht bloss für eine bestimmte Zeit oder für die Dauer von Ausnahmeverhältnissen erlassen werden, sondern grundsätzliche Regelungen treffen und daher auf die Dauer angelegt sind. Hier wie dort kann sich der Grundsatz des mildern Rechts von vorneherein nur auf die Strafbestimmungen beziehen, denn bloss diese können "milder" sein. Verhaltensnormen, wie z.B. die Verkehrsregeln, können zweckmässig oder unzweckmässig, so oder anders, aber nicht strenger oder milder sein. Dasselbe gilt von einem Inbegriff von Verhaltensnormen, die auf einander abgestimmt sind und zusammen eine bestimmte Ordnung ausmachen. Das Strassenverkehrsgesetz als Kernstück der Verkehrsgesetzgebung hält die Verkehrsregeln und die Strafbestimmungen denn auch deutlich auseinander, womit allerdings nicht gesagt werden will, die Systematik des Gesetzes sei für die Trennung der beiden Arten von Bestimmungen schlechthin massgebend. Dass sich der Satz vom mildern Recht nur auf die Strafbestimmungen beziehen kann, erhellt auch aus Art. 101 SVG. Im sog. stellvertretenden Strafrecht sind schweizerische Strafbestimmungen anzuwenden, aber auf die Verletzung der am Orte der Widerhandlung und zur Zeit der Begehung für den Täter geltenden Verkehrsregeln des Auslands. Ein Führer, der in England rechts fährt und dadurch einen Unfall verursacht, müsste in der Schweiz freigesprochen werden, wenn die Anwendung "schweizerischer Strafbestimmungen" auch die schweizerischen Verkehrsregeln mitumfassen würde.
Werden sowohl ausserstrafrechtliche Verhaltensnormen
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wie Strafbestimmungen geändert, so heisst das nicht notwendig, dass eine weniger strenge Anschauung über Verstösse gegen die Ordnung Platz gegriffen hätte. Davon kann jedenfalls bei der Ablösung des MFG durch das Strassenverkehrsgesetz nicht die Rede sein. Diese Ablösung erfolgte, weil sich die alte Ordnung namentlich zufolge der stürmischen Entwicklung des Motorfahrzeugverkehrs mehr und mehr als unzulänglich erwiesen hatte. Die Verkehrsregeln sollten indes nicht umgestürzt, sondern nur auf den Stand der neuen Bedürfnisse weiterentwickelt und ausgebaut werden. Entsprechend sollten die Strafbestimmungen nur ergänzt werden. An der Anschauung über die Strafwürdigkeit von Widerhandlungen gegen Verkehrsvorschriften hat sich dagegen nichts geändert, zumindest nicht in dem Sinne, dass solche Widerhandlungen nunmehr weniger strafwürdig erschienen. Das Gegenteil dürfte eher zutreffen; jedenfalls sind sie nach wie vor mit der gleichen Strenge zu ahnden (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II 1, insbes. 5 ff.).
Eine Ausnahme bildet die Bestimmung des Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG, die für Fälle, wo die Störung des Verkehrs auf einer Verletzung von Verkehrsregeln beruht, an die Stelle von Art. 237 StGB getreten ist (ob auch für vorsätzliche Verkehrsstörungen oder nur für fahrlässige, wie DUBS in der Festgabe für Max Gerwig, Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 55, S. 10, annimmt, steht dabei noch offen). Hier betrifft die Gesetzesänderung eine Strafbestimmung des StGB, die von den kantonalen Gerichten sehr unterschiedlich gehandhabt wurde und deshalb einer Neuregelung rief. Es verhält sich dabei unter dem Gesichtspunkt des Art. 2 Abs. 2 StGB nicht anders, als wenn z.B. die Bestimmung über die fahrlässige Tötung, Art. 117, oder diejenige über die fahrlässige Körperverletzung, Art. 125, geändert worden wäre. Demgemäss ist Art. 2 Abs. 2 StGB auch anwendbar auf das Verhältnis von Art. 237 StGB zu Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG.
Die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 StGB auf blosse
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Widerhandlungen gegen Verkehrsvorschriften entbehrt dagegen aus den angeführten Gründen der Rechtfertigung. Der Satz vom mildern Recht will den viel wichtigeren Grundsatz, wonach ein Strafgesetz auf alle während seiner Herrschaft verübten strafbaren Handlungen anzuwenden ist, nicht schlechthin ausschalten. Er will nur Härten beseitigen, die sich aus der uneingeschränkten Anwendung dieses Grundsatzes ergeben könnten. Eine sinnvolle und zweckentsprechende Beschränkung des Art. 2 Abs. 2 StGB bedeutet deshalb keine Abschwächung, sondern eine Aufwertung der Norm. Diese dem Täter einzig nach dem Wortlaut der generellen Verweisungen und unbekümmert um eine geänderte Rechtsanschauung zugute kommen zu lassen, wäre in den Auswirkungen unhaltbar, vor allem aber aus kriminalpolitischen Überlegungen nicht zu rechtfertigen, dies umsomehr als der Satz vom mildern Recht überhaupt umstritten und voller Problematik ist (vgl. z.B. HAFTER, Festgabe zum schweiz. Juristentag 1928, S. 109 ff., insbes. V).
Freilich hat es der Gesetzgeber bei Zeitgesetzen wie bei andern Verwaltungsgesetzen in der Hand, durch Übergangsbestimmungen nicht nur die Rückwirkung eines Gesetzes und damit Art. 2 Abs. 2 StGB auszuschliessen, sondern in das neue Recht Vorbehalte zugunsten des alten aufzunehmen. Er hat von dieser Möglichkeit auch in neuerer Zeit noch Gebrauch gemacht (vgl. z.B. Art 41 Abs. 5 BG über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge, vom 30. September 1955, AS 1956 85; Art. 11 Abs. 4 BB über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland, vom 28 September 1956, AS 1956 1553; Art. 68 Abs. 4 des Getreidegesetzes, vom 20. März 1959, AS 1959 995). Unterlässt er es, so entbindet dies den Richter nicht der Pflicht, anhand der dem Art. 2 Abs. 2 StGB innewohnenden Wertungen und dessen Zweckgedankens zu prüfen, ob die Anwendung der Norm auf Verstösse gegen ein Verwaltungsgesetz, wie hier, eine sachlich richtige Lösung darstelle.

I.2. Bleibt es somit in bezug auf Widerhandlungen
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gegen Verkehrsvorschriften bei der Regel, dass das zur Zeit der Tat geltende Gesetz anzuwenden ist, so stellt sich die Frage, ob das neue Gesetz für den Täter allenfalls milder sei, nicht mehr.

II.1. Nach dem angefochtenen Urteil hat es Lischer an der gebotenen Vorsicht fehlen lassen, die einem Führer obliegt, wenn er ausserhalb einer Strassenverzweigung nach links abbiegen will (BGE 83 IV 165).
Das Amtsgericht wirft ihm nicht vor, dass er die beabsichtigte Richtungsänderung nicht rechtzeitig angezeigt oder dass er den Lauf zu spät gemässigt hätte, sondern nur, dass er hätte anhalten sollen, um Mühlemann links überholen zu lassen. Der Beschwerdeführer wendet ein, dass er hiezu keinen Anlass hatte, weil er noch nicht nach links abgeschwenkt habe. Der Einwand scheitert indes an den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts, wonach Lischer nach links abzubiegen im Begriffe war und Mühlemann nicht mehr anzuhalten vermochte, als er das Abbiegemanöver feststellte. Diese Feststellungen betreffen tatsächliche Verhältnisse und binden daher den Kassationshof. Dieser hat als Tatsache hinzunehmen, dass Lischer nach links abzubiegen begonnen hatte. Bevor er dies tat, hätte der Beschwerdeführer sich aber vergewissern sollen, dass er ein nachfolgendes Fahrzeug, das ihn überholen könnte, nicht gefährde. Zu dieser Vorsicht hatte er umsomehr Anlass, als er wusste, dass ihm ein Personenwagen mit grösserer Geschwindigkeit folgte. Indem Lischer diese Vorsichtsmassnahme unterliess, verstiess er gegen Art. 25 Abs. 1 MFG.

II.2. Nach der Rechtsprechung darf der Führer auch ausserhalb von Strassenverzweigungen vor dem Linksabbiegen gegen die Strassenmitte einspuren, vorausgesetzt, dass die Strasse breit genug ist, um den hinter ihm folgenden Fahrzeugen das Überholen rechts zu ermöglichen; denn nur unter dieser Voraussetzung kann das Einspuren seinen
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Zweck, die Sicherheit und die Flüssigkeit des modernen Verkehrs zu fördern, erfüllen (BGE 83 IV 169, nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1959 i.S. Dumont).
Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Kantonsstrasse Luzern-Bern ist an der Unfallstelle bloss 6.50 m, jede Fahrbahn also nur 3.25 m breit. Mühlemann verblieb daher nicht genügend Raum, um Lischer rechts zu überholen, als dieser gegen die Leitlinie hielt. Lischer hätte daher nicht einspuren dürfen, sondern sich gemäss Art. 26 Abs. 1 MFG an den rechten Strassenrand halten und das Linksabschwenken bis nach der Durchfahrt Mühlemanns aufschieben müssen.

III. Die Vorinstanz verkennt nicht, dass Mühlemann das Vortrittsrecht zustand. Sie sagt auch nicht, dass dieser nicht hätte überholen dürfen, weil Gegenverkehr geherrscht hätte. Sie wirft ihm nur vor, er habe zu nahe aufgeschlossen und deshalb nicht rechtzeitig anhalten können.
Ein Fahrzeug kann indes ein anderes nicht überholen, ohne zunächst zu diesem aufzuschliessen. Da das Amtsgericht nicht behauptet, Mühlemann habe Art. 46 Abs. 1 MFV verletzt, ist der Vorwurf, zu nahe aufgeschlossen zu haben, nicht verständlich. Gewiss stiess der Wagen Mühlemanns gegen das Heck des Volkswagens, aber nicht weil Mühlemann Art. 46 Abs. 1 MFV missachtet hätte, sondern weil er auf das Überholmanöver verzichtete und nach rechts auszuweichen versuchte, als Lischer nach links abzuschwenken begann und ihm dadurch die Fahrbahn abschnitt.
Das will jedoch nicht heissen, Mühlemann treffe keine Schuld. Das Amtsgericht scheint einleitend anzunehmen, Lischer habe, wie behauptet, den Richtungsanzeiger schon 80 m vor der Tankstelle gestellt. Es wirft Mühlemann aber nicht vor, dies wegen mangelnder Aufmerksamkeit zu spät bemerkt zu haben, offenbar weil es die Behauptung
BGE 89 IV 113 S. 123
Lischers nicht für genügend bewiesen hielt. Dagegen steht fest, dass Lischer die Fahrt ständig verlangsamte und, statt gegen den rechten Strassenrand, gegen die Leitlinie hielt. Dies ist Mühlemann denn auch nicht entgangen; er will sich über die Absicht Lischers zunächst nur nicht klar geworden sein. Diese Ungewissheit hätte ihn veranlassen müssen, die Geschwindigkeit zu mässigen oder doch zumindest die Lage durch ein Warnsignal zu klären. Die Sicherheit des Verkehrs gebot es (Art. 20 MFG).
Durch sein pflichtwidriges Verhalten hatMühlemann die Insassen des Volkswagens konkret gefährdet. Dass er nach Art. 90 Ziff. 2 SVG milder zu bestrafen wäre, macht er nicht geltend und ist bei einer Busse von Fr. 40.- auch nicht anzunehmen. Er ist deshalb zu Recht nach Art. 237 Ziff. 2 StGB bestraft worden.

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen.

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Sachverhalt

Dispositiv

Referenzen

BGE: 89 IV 35, 83 IV 165, 83 IV 169

Artikel: Art. 2 Abs. 2 StGB, Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG, Art. 237 StGB, Art. 237 Ziff. 2 StGB mehr...