BGE 91 IV 171 |
46. Urteil des Kassationshofes vom 9. Juli 1965 i.S. Bachmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. |
Regeste |
Art. 269 Abs. 1 BStP. |
Bestätigung der Rechtsprechung, nach der die Schuldigerklärung für sich allein mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann. |
Sachverhalt |
A.- Das Obergericht des Kantons Aargau sprach Bachmann am 8. März 1965 der fortgesetzten vorsätzlichen Widerhandlungen gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 des Bundesgesetzes über den Gewässerschutz schuldig, nahm jedoch wegen unverschuldeten Rechtsirrtums des Angeklagten in Anwendung von Art. 20 StGB von einer Bestrafung Umgang. |
B.- Bachmann führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung mit der Begründung, dass die eingeklagten Widerhandlungen objektiv nicht gegeben seien.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
1. Die Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP bezweckt die Herbeiführung einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung, was voraussetzt, dass er durch die angefochtene Entscheidung rechtlich beschwert wird. Das trifft nur zu, wenn er durch die im Urteilsspruch (Dispositiv) ausgesprochenen Rechtsfolgen (Bestrafung, Verhängung von Massnahmen, Strafloserklärung, Freisprechung) in seinen Rechten betroffen ist (BGE 80 IV 276). Nach ständiger Rechtsprechung ist deshalb auf eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, wenn sie nur auf eine Änderung der Urteilsgründe, nicht auch der Rechtsfolgen abzielt, wie sie anderseits abzuweisen ist, wenn der angefochtene Entscheid nur in der Begründung unrichtig ist, in den ausgesprochenen Rechtsfolgen aber vor dem Gesetze standhält (BGE 69 IV 113, 150,BGE 72 IV 188,BGE 79 IV 90). Das Gleiche gilt, wenn mit der Nichtigkeitsbeschwerde ausschliesslich die Schuldigerklärung beanstandet wird oder wenn der Schuldspruch zwar unrichtig ist, der Fehler sich aber auf die ausgesprochenen Rechtsfolgen nicht ausgewirkt hat. Auch die Schuldigerklärung ist nämlich Bestandteil der Begründung, und zwar auch dann, wenn das Ergebnis der Erwägungen über die Schuldfrage, wie es in verschiedenen Kantonen geschieht, in einem zusammenfassenden Schuldspruch in das Urteilsdispositiv aufgenommen wird (BGE 70 IV 50,BGE 75 IV 180,BGE 77 IV 61, BGE 80 IV 277, BGE 81 IV 76, BGE 85 IV 135, BGE 87 IV 20). Demzufolge kann auf die Nichtigkeitsbeschwerde eines Angeschuldigten, der seine Freisprechung verlangt, auch nicht eingetreten werden, wenn er zunächst einer strafbaren Handlung schuldig gesprochen, dann aber straflos erklärt oder von Strafe befreit worden ist (BGE 73 IV 262,BGE 79 IV 90, BGE 80 IV 276) oder wenn der kantonale Richter von Strafe Umgang genommen hat (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 5. November 1963 i.S. Weiss). Da in allen diesen Fällen an die Schuldigerklärung keine Strafsanktion oder eine andere auf Bundesrecht beruhende Rechtsfolge geknüpft wird, die den Beschuldigten in seinen Rechten trifft, kommt eine solche Strafloserklärung im Ergebnis einem auf Freisprechung lautenden Urteilsspruch gleich. |
Die Auffassung, der Schuldspruch sei blosser Urteilsgrund, verkennt keineswegs, dass der Strafrichter bei der Urteilsfindung in erster Linie festzustellen hat, ob die eingeklagte Tat die Merkmale einer im Strafgesetz umschriebenen strafbaren Handlung erfüllt oder nicht, und dass die Bejahung der Schuldfrage eine notwendige Voraussetzung für den Strafausspruch ist. Der Kassationshof hat nie erklärt, der kantonale Richter sei uneingeschränkt frei, bei der Feststellung des Tatbestandes und dessen rechtlicher Würdigung bloss von wahlweisen Annahmen auszugehen oder die rechtliche Qualifikation offen zu lassen, sobald feststehe, dass der Angeschuldigte sowohl bei dieser wie jener tatbeständlichen Annahme oder rechtlichen Qualifikation der Tat die nämliche Strafe verwirkt hätte. Aus den veröffentlichten Entscheidungen des Kassationshofes ergibt sich denn auch, dass solche Wahlfeststellungen oder wahlweise Qualifikationen kantonaler Gerichte Ausnahmen sind, wie auch keine zunehmende Tendenz erkennbar ist, die kantonalen Urteile gegen eine bundesgerichtliche Überprüfung und Aufhebung durch die Feststellung zu sichern, dass die verwirkte Strafe auch bei anderer rechtlicher Würdigung ausgefällt worden wäre. Davon abgesehen hindern derartige Feststellungen das Bundesgericht keinesfalls an der Aufhebung des angefochtenen Urteils, sei es wegen mangelhafter Feststellung des Sachverhalts, sei es wegen unrichtiger Gesetzesanwendung oder wegen Ermessensüberschreitung bei der Strafzumessung. Von einer Gefahr, wonach der Strafrichter als Folge der Praxis des Kassationshofes die verwirkte Strafe als das einzig Wesentliche betrachten könnte, weshalb er die Tatbestandsfeststellung und die rechtliche Würdigung immer mehr vernachlässige und strafbare Handlungen, welche die Höhe der Strafe nicht beeinflussen, unbeurteilt lasse, kann im Ernste nicht die Rede sein. |
Zu Unrecht wird auch eingewendet, dass der Schuldspruch wichtiger sei als der Strafausspruch; das Gegenteil trifft zu. Das Strafverfahren dient der Verwirklichung des materiellen Strafrechts, zielt also unter der Voraussetzung, dass der Angeschuldigte der eingeklagten Tat schuldig ist, auf die Verhängung der gesetzlich vorgesehenen Sanktion (Strafe, Massnahme) ab. Entscheidend ist daher sowohl prozess- wie materiellrechtlich der Strafausspruch, durch den erst über die Art und das Mass des staatlichen Strafanspruches entschieden und ein den Strafprozess beendigendes Urteil gefällt wird, wogegen die vorausgehende Schuldigerklärung nur Voraussetzung und Grund für die Ausfällung einer Sanktion ist. Der Schuldspruch ist deshalb dem Strafausspruch untergeordnet und hat neben diesem keine selbständige Bedeutung. Das erhellt auch daraus, dass das Bundesrecht die Aufnahme der Schuldigerklärung in das Urteilsdispositiv nicht vorschreibt, sondern die Beantwortung der Schuldfrage in den Urteilserwägungen genügen lässt. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 270 Abs. 2 BStP. Diese Bestimmung erklärt die Hinterbliebenen zur Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt, damit sie anstelle des verstorbenen Angeklagten die gleichen Rechte ausüben können, die diesem zu seinen Lebzeiten zugestanden wären. Der Gesetzgeber wollte den Hinterbliebenen vor allem die Möglichkeit geben, die Verurteilung des Verstorbenen um seines Andenkens willen anfechten zu können. Die diffamierenden Folgen der Verurteilung aber können nur durch Aufhebung des Strafausspruches beseitigt werden, da der Tod des Verurteilten nur die Vollstreckbarkeit der ausgefällten Strafe aufhebt, die Tatsache seiner Verurteilung dagegen nicht ungeschehen macht. Die Nichtigkeitsbeschwerde hat sich daher auch in diesem Falle gegen den Strafausspruch, nicht bloss gegen die Schuldigerklärung zu richten. Dass der Schuldspruch nicht Urteilscharakter und somit keine selbständige Bedeutung hat, zeigt sich insbesondere dann, wenn trotz Schuldigerklärung von Strafe Umgang genommen oder der Angeschuldigte von Strafe befreit oder straflos erklärt wird. Der Schuldspruch ist in diesen Fällen ohne Belang, da überall, wo das Gesetz eine Tat zwingend straflos erklärt (z.B. Art. 33 Abs. 2, 175 Abs. 2, 196 Abs. 2 StGB), schon aus objektiven Gründen keine strafbare Handlung vorliegt und in den andern Fällen (z.B. bei unverschuldetem Rechtsirrtum gemäss Art. 20 StGB) der Richter mit der Strafloserklärung abschliessend und damit massgeblich feststellt, dass der Angeschuldigte strafrechtlich ohne Schuld gehandelt hat, was nichts anderes heisst, als dass ihm keine strafbare Handlung zur Last gelegt wird. Der straflos erklärte Angeschuldigte wird folglich auch durch den vorausgehenden Schuldspruch, wenn dessen wahre Bedeutung nicht verkannt wird, rechtlich nicht belastet. Dass er nicht formell, sondern nur tatsächlich freigesprochen wird, ist unerheblich. Er wird dadurch nicht beschwert, so wenig einen rechtlichen Nachteil erleidet, wer nur aus subjektiven, nicht aus objektiven Gründen freigesprochen wird oder wer als Angeschuldigter mit seinem Antrag auf Freisprechung unterliegt, weil das Verfahren z.B. wegen Verjährung oder Rückzuges des Strafantrages gegen ihn eingestellt wird. Einem Angeschuldigten, der durch den Urteilsspruch nicht in seinen Rechten verletzt wird, wegen möglicher Nachteile moralischer Art Genugtuung zu verschaffen, ist nicht Aufgabe der Nichtigkeitsbeschwerde. Sonst müsste das Rechtsmittel schon zugelassen werden, sobald sich jemand durch Entscheidungsgründe irgendwie betroffen fühlt, was zu sachlich ungerechtfertigten Verfahren, wenn nicht zu einem Missbrauch der Nichtigkeitsbeschwerde führen müsste. |
Wenn der Kassationshof auf eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein zweitinstanzliches kantonales Urteil, das sich zufolge Beschränkung des kantonalen Rechtsmittels nur noch mit der Strafzumessung zu befassen hatte, im Schuldpunkt nicht eintritt, so liegt darin kein Widerspruch zur Auffassung vom Schuldspruch als blossem Urteilsgrund. Im Schuldpunkt wird auf die Beschwerde nur deswegen nicht eingetreten, weil es den Kantonen auf Grund des ihnen zustehenden kantonalen Prozessrechtes anheim gestellt ist, dem erstinstanzlichen Schuldspruch in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Urteilscharakter beizumessen, ihn also mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen zu lassen, und eine dahingehende Feststellung das Bundesgericht bindet (nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 28. November 1958 i.S. Walser, vom 5. Dezember 1958 i.S. Ryffel und vom 15. Mai 1959 i.S. Hartmann). |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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