BGE 92 IV 143 |
36. Urteil des Kassationshofes vom 30. September 1966 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Hürlimann |
Regeste |
Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG ist nur auf rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend regelwidriges Verhalten anwendbar. |
Sachverhalt |
A.- Als Hürlimann am 10. Februar 1965, ca. 13.50 Uhr, mit seinem neuerworbenen Personenwagen Chevrolet-Corvair, auf nasser Strasse, durch das Sihltal Richtung Langnau fuhr, kam er in der sog. Risletenkurve ins Schleudern und geriet über die Sicherheitslinie hinaus. Er kollidierte mit dem korrekt aus der Gegenrichtung kommenden Anhängerzug des Willi Möckli, wodurch beide Fahrzeuge beschädigt wurden. |
B.- Am 9. Mai 1966 erklärte das Obergericht des Kantons Zürich Hürlimann des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs (Art. 29 SVG), des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 SVG), des Nichtanpassens der Geschwindigkeit (Art. 32 Abs. 1 SVG) und der Verletzung des Gebots des Rechtsfahrens (Art. 34 Abs. 1 und 2 SVG) schuldig und verurteilte ihn in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse von Fr. 200.--.
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Das Urteil erachtet das Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs objektiv als schwerwiegende Verfehlung; doch könne Hürlimann subjektiv nicht der Vorwurf der Rücksichtslosigkeit gemacht werden, denn er habe nicht gewusst dass der linke hintere Pneu auf der Innenseite abgenützt war. Als Fahrlässigkeit falle ihm daher einzig zur Last, dass er den von seinem Einkäufer gekauften Wagen vor der ersten Fahrt nicht gründlich auf den Zustand der Pneus untersuchte. Auch seine Geschwindigkeit von 70-80 km/h zeige keine Rücksichtslosigkeit, sei sie doch nicht an sich zu hoch gewesen, sondern nur darum, weil Hürlimann (unbekannterweise) mit mangelhaftem Pneu und (bewusst) mit einem ihm noch unvertrauten, hecklastigen und mit automatischem Getriebe versehenen Wagen gefahren sei. Daher liege weder direkt- oder eventualvorsätzliche noch grobfahrlässige Verletzung von Verkehrsregeln vor, weshalb eine Bestrafung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG nicht in Frage komme. Das Verhalten Hürlimanns entspringe bloss leichter Fahrlässigkeit, sodass Ziff. 1 von Art. 90 SVG anzuwenden sei. |
C.- Gegen diesen Entscheid führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die Sache zur Beurteilung gemäss Ziff. 2 von Art. 90 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, diese Bestimmung sei auch bei fahrlässiger Begehung stets anzuwenden, wenn ein objektiv schwerwiegender Sachverhalt gegeben, eine erhebliche Gefährdung Dritter gesetzt worden sei, unbekümmert darum, ob die Fahrlässigkeit grob oder leicht war.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung: |
Erwägung II |
2. Es ist unangefochten, dass Hürlimann gegen die Verkehrsregeln der Art. 29, 31 Abs. 1, 32 Abs. 1 sowie 34 Abs. 1 und 2 SVG verstossen hat. Die Gefahr, die er dadurch für Leib und Gesundheit anderer hervorrief, war eine ernstliche, zwang er doch den Anhängerzugführer Möckli zu brüskem Bremsen und stiess er frontal mit dessen Fahrzeug zusammen. |
Eine andere Auslegung ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht auf die Natur der verletzten Verkehrsregel abgestellt werden, etwa darauf, ob es sich um eine grundlegende Vorschrift über das Verhalten im Strassenverkehr handle. Eine solche Interpretation findet in dem in dieser Hinsicht klaren Wortlaut des Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG keine Stütze. Danach kann dieser Strafnorm vielmehr die Verletzung irgendeiner Verkehrsregel zugrundeliegen. Hingegen muss der Verstoss im konkreten Fall besonders schwer gewesen sein (ebenso SCHULTZ, Strafbestimmungen des SVG S. 162 f.). Je nach den Umständen und damit dem Verschulden kann etwa unerlaubtes Parkieren ein schwerer Verstoss, anderseits das Überfahren einer Sicherheitslinie eine leichte Regelwidrigkeit sein. Einer zu weiten Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Ziff. 2 des Art. 90 SVG steht das zusätzliche Erfordernis der ernstlichen Gefährdung der Sicherheit anderer entgegen. So können unnötige und übermässige Warnsignale zur Nachtzeit eine schwere Widerhandlung gegen Art. 40 SVG darstellen. Sie fallen indessen nur dann unter Ziff. 2 von Art. 90, wenn durch sie eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer geschaffen wurde. |
Die Beschwerdeführerin wendet ein, wenn schon Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 SVG bei fahrlässiger Begehung anwendbar sei, so sei nicht einzusehen, weshalb das nur bei grober Fahrlässigkeit möglich sein sollte. Es sei der zu einer bestimmten Subsumierung führende objektive Tatbestand streng vom Grad des Verschuldens zu trennen. Eine fahrlässige Tötung z.B. sei als solche zu bestrafen, wenn überhaupt ein Verschulden und der Kausalzusammenhang zum Tod gegeben seien, gleichgültig ob das Verschulden ein schweres oder nur ein ganz leichtes war.
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Das hätte zur Folge, dass sich die Ziff. 2 des Art. 90 SVG von der Ziff. 1 nur noch durch den Erfolg, die ernstliche Gefährdung anderer, unterscheiden würde. Damit wird übersehen, dass in Art. 90 Ziff. 2 SVG, im Gegensatz zur Ziff. 1 wie zum Tatbestand der fahrlässigen Tötung des Art. 117 StGB, das deliktische Verhalten qualifiziert umschrieben, eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln gefordert wird. Dieses Tatbestandserfordernis kann nicht einfach ausser Acht gelassen werden. Wenn leichte Fahrlässigkeit genügte, würde Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1 in bezug auf die Qualifikation dem Formaldelikt angenähert. Mit dem Ausdruck grobe Verletzung verlangt das Gesetz somit eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht.
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4. Dazu, dass Hürlimann in der Kurve nicht rechts, namentlich nicht rechts der Sicherheitslinie gefahren und deshalb mit Möckli zusammengestossen ist, kam es nach den Feststellungen der Vorinstanz einerseits, weil er ein wegen eines abgefahrenen Pneus nicht betriebssicheres Fahrzeug führte. Dieser Mangel war ihm indes nicht bekannt. Wie das Obergericht zutreffend ausführt, fällt ihm in diesem Punkt als Fahrlässigkeit lediglich zur Last, dass er vor der ersten Fahrt mit dem Wagen diesen nicht gründlich auf den Zustand der Pneus untersucht hatte. Diese Unterlassung wiegt insofern nicht schwer, als Hürlimann den Wagen kurz zuvor von seinem Einkäufer übernommen hatte, der ihn gekauft und gefahren hatte. Anderseits trifft den Beschwerdegegner der Vorwurf, dass er entgegen Art. 32 Abs. 1 SVG die Geschwindigkeit nicht den Umständen anpasste, nämlich an seine Unvertrautheit mit dem Wagen und an dessen Besonderheiten der Hecklastigkeit und des automatischen Getriebes. Seine Geschwindigkeit von 70-80 km/h war jedoch, wie sich aus den obergerichtlichen Feststellungen ergibt, nicht in hohem Masse unangepasst. Sein Verschulden wiegt somit nicht schwer. Es fällt ihm nicht grobe, sondern lediglich leichte Fahrlässigkeit zur Last. Das strafbare Verhalten des Beschwerdegegners ist deshalb mitRecht nach Art. 90 Ziff. 1 SVG geahndet worden, und die Nichtigkeitsbeschwerde ist abzuweisen. |
Demnach erkennt der Kassationshof:
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