Urteilskopf
94 IV 54
15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. Mai 1968 i.S. Uehli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden.
Regeste
Art. 68 Ziff. 2 StGB.
Eine Zusatzstrafe ist nur auszufällen, wenn der Täter die noch nicht beurteilte Tat schon begangen hat, bevor er wegen einer andern erstinstanzlich verurteilt wurde.
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er den Diebstahl vom 23. November 1966 zwar nach der wegen andern strafbaren Handlungen ergangenen erstinstanzlichen Verurteilung vom 28. September 1966, aber vor dem 12. Dezember 1966, als dieses Urteil zufolge Abweisung der Berufung rechtskräftig wurde, begangen habe, so dass für den Diebstahl nicht eine selbständige Strafe, sondern nur eine Zusatzstrafe zu der am 28. September 1966 ausgesprochenen Gefängnisstrafe hätte ausgefällt werden dürfen.
Dieser Einwand hält nicht stand. Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes gilt der Täter im Sinne von Art. 68 Ziff. 2 StGB als wegen einer andern Tat verurteilt, sobald das erstinstanzliche Urteil eröffnet ist, ohne Rücksicht darauf, ob es weitergezogen und wann es rechtskräftig wird (BGE 69 IV 59, BGE 73 IV 162). Daran ist festzuhalten. Art. 68 Ziff. 2 bezweckt nur, dass der in Ziff. 1 niedergelegte Grundsatz, nach welchem die für mehrere strafbare Handlungen auszufällende Gesamtstrafe
BGE 94 IV 54 S. 55
nach dem Schärfungsprinzip zu bestimmen ist, auch dann Anwendung findet, wenn eine der konkurrierenden Handlungen erst beurteilt wird, nachdem der Täter für die andern bereits verurteilt worden ist. Die Bestimmung schreibt deshalb vor, dass die für die nicht beurteilte Tat zu verhängende Zusatzstrafe so zu bemessen ist, dass der Täter durch sie und die frühere Strafe zusammen nicht schwerer bestraft wird, als wenn alle strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären. Daraus ergibt sich, dass von retrospektiver Realkonkurrenz nur die Rede sein kann, wenn es an sich möglich gewesen wäre, die noch nicht beurteilte Tat zusammen mit den bereits beurteilten Handlungen gleichzeitig zu beurteilen und für alle eine Gesamtstrafe auszufällen. Das setzt notwendig voraus, dass auch die noch nicht beurteilte Tat vor der erstinstanzlichen Verurteilung begangen worden ist. Erst nach diesem Zeitpunkt verübte Handlungen könnten andernfalls erst vom zweitinstanzlichen Richter in die gemeinsame Beurteilung miteinbezogen werden. Im allgemeinen kann aber der zweitinstanzliche Richter, der als Rechtsmittelinstanz urteilt, nicht gleichzeitig Tatbestände beurteilen, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils waren. Die Voraussetzung, die nach Art. 68 Ziff. 2 gegeben sein müsste, damit für eine zwischen der erst- und zweitinstanzlichen Beurteilung begangene Tat nachträglich eine Zusatzstrafe ausgefällt werden könnte, wäre also in den meisten Kantonen nicht erfüllt, so dass jedenfalls die einheitliche Anwendung des Art. 68 Ziff. 2 in Frage gestellt wäre.Würde nicht auf die Ausfällung, sondern auf die Vollstreckbarkeit oder den Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils abgestellt, hinge die Anwendbarkeit des Art. 68 Ziff. 2 auch noch von weiteren Zufälligkeiten ab, so von den kantonal unterschiedlich geregelten Vorschriften über die Rechtsmittelfristen, von der Einlegung eines Rechtsmittels und der Dauer des Rechtsmittelverfahrens. Eine solche Ordnung wäre zugleich auch unbillig, könnten doch gerade diejenigen Rechtsbrecher, die trotz der erstinstanzlichen Verurteilung ihre strafbare Tätigkeit fortsetzen, aus der Ergreifung von Rechtsmitteln unverdientermassen Nutzen ziehen, während der Täter, der sich dem erstinstanzlichen Urteil unterzieht und demzufolge für eine später begangene Tat eine selbständige Strafe erlitte, demgegenüber benachteiligt wäre. Solche Unzukömmlichkeiten können nicht im Sinne des Strafgesetzes liegen.