94 IV 128
Urteilskopf
94 IV 128
34. Urteil des Kassationshofes vom 6. Dezember 1968 i.S. Scheuber gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
Regeste
Art. 37 Abs. 2 SVG, Art. 1 Abs. 3 und 36 Abs. 3 VRV.
Pflicht des Motorfahrzeugführers, Pannen auf Autostrassen ausserhalb der Fahrbahn zu beheben.
A.- Walter Scheuber steuerte am 21. Februar 1967 gegen 19 Uhr einen Personenwagen "Opel-Rekord" auf der Autostrasse von Lyss in Richtung Biel. Die Strasse ist etwa 9 m breit, in drei Fahrspuren eingeteilt und am Anfang mit dem Signal Nr. 303 versehen. Die mittlere Spur ist nach der Bodenmarkierung bald dem Verkehr in Richtung Biel, bald dem Gegenverkehr vorbehalten.
In der Gegend von Busswil merkte Scheuber, dass ein Reifen seines Wagens die Luft verlor. Er fuhr daraufhin noch etwa 300 m weiter. In einer langgezogenen Linksbiegung, wo die Strasse für den Verkehr in seiner Fahrrichtung zwei Spuren aufwies, hielt er das Fahrzeug am rechten Strassenrand an, liess 110 m rückwärts das Pannendreieck aufstellen und wechselte dann zusammen mit seinem Mitfahrer das defekte Rad aus. Unterdessen brannten am Wagen die Markierlichter; der Kofferraum war offen und beleuchtet.
Während der Mitfahrer das Pannensignal holen ging und Scheuber die Werkzeuge versorgte, nahten von Lyss her zwei nah aufgeschlossene Personenwagen mit grosser Geschwindigkeit. Der erste bog rechtzeitig auf die mittlere Spur aus und fuhr links am Wagen Scheubers vorbei. Der Führer des zweiten Wagens, Eduard Schnetzer, sah das Pannenfahrzeug dagegen zu spät und prallte heftig mit ihm zusammen, wobei er leicht verletzt und beide Wagen schwer beschädigt wurden. Scheuber konnte der Gefahr im letzten Augenblick entgehen.
B.- Der Gerichtspräsident von Büren und auf Appellation hin am 9. Juli 1968 auch das Obergericht des Kantons Bern büssten Scheuber wegen Verletzung von Art. 36 Abs. 3 VRV mit 80, Schnetzer wegen Übertretung von Art. 32 Abs. 1 SVG mit 50 Franken.
C.- Scheuber führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 SVG dürfen Fahrzeuge dort nicht angehalten oder aufgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder gefährden könnten. Welche Stellen damit vor allem gemeint sind, erhellt aus den in Art. 18 und 19 VRV enthaltenen Ausführungsbestimmungen über das Halten und Parkieren. Die allgemeine wie die besondern Vorschriften haben ihren Grund darin, dass ein auf der Fahrbahn haltendes oder abgestelltes Fahrzeug für den übrigen Verkehr unter Umständen nicht nur ein erhebliches Hindernis bildet, sondern auch eine erhöhte Gefahr bedeutet, die trotz der den anderen Fahrzeugführern zuzumutenden Aufmerksamkeit leicht zu Unfällen führen kann (vgl.BGE 77 IV 120).
Dies gilt ganz besonders für Strassen, die für regen Verkehr angelegt oder ausschliesslich bestimmten Arten von Motorfahrzeugen vorbehalten sind. Das hat den Gesetzgeber denn auch bewogen, das Parkieren auf Hauptstrassen ausserorts überhaupt zu untersagen und es innerorts nur unter der Voraussetzung zuzulassen, dass für das Kreuzen von zwei Motorwagen noch genügend Raum bleibt ( Art. 19 Abs. 2 lit. b und c VRV ). Noch strenger ist die Regelung für Autobahnen und Autostrassen ausgefallen, weil auf diesen das Anhalten von Fahrzeugen, wie die Erfahrung zeigt, fast unvermeidlich zu schweren Unfällen führt. Auf ihrer Fahrbahn ist deshalb jedes
BGE 94 IV 128 S. 130
freiwillige Halten, also auch das Parkieren, schlechthin verboten, mag es Tag oder Nacht, auf einer geraden oder unübersichtlichen Strecke sein. Das ergibt sich aus Art. 36 Abs. 3 VRV, der bestimmt, dass der Fahrzeugführer auf Autobahnen und Autostrassen für Nothalte die Seitenstreifen zu benützen hat und sonst nur auf gekennzeichneten Parkplätzen halten darf; auch dürfen die Fahrzeuginsassen die Fahrbahn nicht betreten.
2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die neue Strasse Lyss-Biel sei wohl als Autostrasse signalisiert, nicht aber als solche ausgebaut. Sie sei insbesondere nicht, wie die Sonderbestimmung über das Anhalten auf Autobahnen und Autostrassen das voraussetze, mit einem genügend ausgebauten Seitenstreifen versehen, auf dem Fahrzeuge notfalls abgestellt werden könnten; ihre Fahrbahn sei zudem bloss 9 m breit. Unter diesen Umständen könne die strenge Vorschrift des Art. 36 Abs. 3 VRV auf ihn aber keine Anwendung finden.
Er irrt. Unter Autobahnen und Autostrassen sind gemäss Art. 1 Abs. 3 VRV die dem Motorfahrzeugverkehr vorbehaltenen Strassen zu verstehen. Dass nicht nur die Autobahnen (vgl. Art 5 BG über die Nationalstrassen, AS 1960 S. 525), sondern auch die Autostrassen in baulicher wie verkehrstechnischer Hinsicht hohen Anforderungen zu genügen haben, versteht sich von selbst. Welche sachlichen Voraussetzungen eine Strasse im einzelnen erfüllen muss, um als Autostrasse zu gelten, ist der gesetzlichen Umschreibung des Begriffes jedoch nicht zu entnehmen. Der Entscheid darüber ist den Behörden anheimgestellt, die für die Einteilung der Strassen in die vom Gesetz vorgesehenen Kategorien zuständig sind. Die geltende Ordnung schreibt bloss vor, dass Autostrassen am Anfang und Ende als solche signalisiert sein müssen (Art. 32 lit. b SSV), und dass auf ihnen nur Motorfahrzeuge zugelassen sind, die eine Geschwindigkeit von mindestens 60 km/Std erreichen können und dürfen (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 VRV). Dagegen wird nirgends bestimmt, die Fahrbahn einer Autostrasse müsse mindestens 10,5 m breit und auf der ganzen Länge mit asphaltierten Seitenstreifen versehen sein, wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint.
Wie es sich damit genau verhält, braucht im vorliegenden Fall indes nicht untersucht zu werden, da der Beschwerdeführer der Strafe so oder anders nicht entgeht. Nach den bei den Akten liegenden Fotografien, auf die das Obergericht verweist, ist der
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Strassenkörper an der Unfallstelle beidseits mehrere hundert Meter weit mit einem 3-4 m breiten Grasstreifen versehen. Unter diesen Umständen konnte aber dem Beschwerdeführer zugemutet werden, die Panne ausserhalb der Fahrbahn zu beheben. Die Sicherheit des Verkehrs gebot, dass er mit dem Wagen nach rechts auf den Grasstreifen auswich und die rechte Spur nachfolgenden Fahrzeugen freigab. Dass er absichtlich davon absah, weil er befürchtet haben will, sein Wagen könnte zufolge der vorausgegangenen Regenfälle auf dem Grasstreifen einsinken, befreit ihn nicht. Der Beschwerdeführer übersieht, dass die Sicherheit des Verkehrs der Bequemlichkeit und anderen Interessen des Einzelnen vorgeht (BGE 81 IV 179, BGE 90 IV 30). Durch langsames Ausschwenken hätte er sich übrigens davon überzeugen können, dass seine Befürchtungen unbegründet waren. Die Vorinstanz hält ihm zudem mit Grund entgegen, dass er jedenfalls 25 m vor der Unfallstelle, wo eine Brücke über die Autostrasse führt, mit harter Unterlage hätte rechnen können. Seine Verurteilung wegen Missachtung von Art. 36 Abs. 3 VRV ist daher nicht zu beanstanden.Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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