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Urteilskopf

96 IV 30


7. Urteil des Kassationshofes vom 13. April 1970 i.S. Schweiz. Bundesanwaltschaft gegen Rey.

Regeste

Art. 360 lit. b StGB. Eintragung in das Strafregister.
Die Ermächtigung des Bundesrates zur Bezeichnung der eintragungspflichtigen Übertretungen ist auf Tatbestände beschränkt, die ihrer Strafdrohung nach der Umschreibung in Art. 101 StGB entsprechen (Erw. 1).
Bei der Einreihung einer strafbaren Handlung in eine der in Art. 9 und 101 StGB genannten Deliktskategorien ist die auf den betreffenden Tatbestand angedrohte Höchststrafe massgebend (Erw. 2).
Art. 320 Abs. 1 BStP. Prozesskostenvergütung durch den Bund.
Unter die im Gesetz aufgezählten Ausnahmen von der Kostentragung durch den Bund fallen auch Gerichtsgebühren (Erw. 4).
Eine durch Entscheid des kantonalen Richters vorgenommene Kostenauflage an den Bund verstösst nicht gegen Bundesrecht (Erw. 5).

Sachverhalt ab Seite 31

BGE 96 IV 30 S. 31

A.- Am 19. Dezember 1969 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau Vinzenz Rey wegen Zollübertretung (Art. 74 Ziff. 11, 75 Abs. 2 und 82 Ziff. 2 ZG) und Hinterziehung der Warenumsatzsteuer (Art. 52 Abs. 1 und 3 WUStB) zu einer Busse von Fr. 800.--. Es ordnete an, dass der Eintrag der Verurteilung zu einer Busse im Strafregister zu löschen sei, wenn sich Rey bis zum Ablauf einer einjährigen Probezeit bewähre, und erkannte schliesslich, dass die obergerichtlichen Verfahrenskosten, bestehend aus einer Staatsgebühr von Fr. 200.--, einer Kanzleigebühr sowie den Auslagen von Fr. 86.- vom Angeklagten und vom Bund je zur Hälfte mit Fr. 143.-- zu bezahlen seien.

B.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei insoweit aufzuheben, als damit die bedingt vorzeitige Löschung der Busse vorgesehen und dem Bund Kosten auferlegt worden seien, und es sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Einleitung des administrativen Verfahrens betreffend die Kostenvergütung durch den Bund.

Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 360 StGB sind u.a. in die Strafregister aufzunehmen:
a) die Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen;
b) die Verurteilungen wegen der durch Verordnung des Bundesrates zu bezeichnenden Übertretungen dieses oder eines andern Bundesgesetzes.
Indem diese Bestimmung Strafurteile nicht schlechthin als eintragungspflichtig erklärt, sondern darauf Rücksicht nimmt, ob es sich um Verurteilungen wegen Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen handelt, schliesst sie unmittelbar an die in den Art. 9 und 101 StGB getroffene Unterscheidung der Deliktskategorien nach der Art der Strafdrohung an; umschreibt ein Gesetz in seinem allgemeinen Teil bestimmte Begriffe, so spricht
BGE 96 IV 30 S. 32
die Vermutung dafür, dass es sie auch in den Vorschriften der übrigen Abschnitte mit dem gleichen Sinngehalt verwendet. Tatsächlich liegt denn auch nichts vor, was darauf schliessen liesse, der Gesetzgeber habe die Begriffe des Verbrechens, des Vergehens und der Übertretung in Art. 360 StGB anders verstanden als in den Art. 9 und 101 StGB. Vielmehr weist der Umstand, dass Art. 360 sich im dritten Teil des StGB findet, der von der "Einführung und Anwendung des Gesetzes" handelt, auf die inhaltliche Übereinstimmung der genannten Begriffe hin. Das Gesagte wird endlich durch die Tatsache bestätigt, dass Buchstabe b des Art. 360 StGB ausdrücklich die Verurteilungen wegen Übertretungen dieses oder eines andern Bundesgesetzes erwähnt.
Ist dem aber so, kann keinem Zweifel unterliegen, dass auch die in Art. 360 lit. b StGB enthaltene Ermächtigung des Bundesrates zur Bezeichnung der eintragungspflichtigen "Übertretungen" auf Tatbestände beschränkt ist, die nach ihrer Strafdrohung der Umschreibung in Art. 101 StGB entsprechen.

2. Was die Einreihung einer strafbaren Handlung in eine der drei genannten Deliktskategorien anbelangt, so ist die auf den betreffenden Tatbestand angedrohte Höchststrafe massgebend, ohne Rücksicht auf die nach den Grundsätzen der Strafzumessung (Art. 63 ff. StGB) im gegebenen Fall verwirkte Sanktion (BGE 74 IV 16,BGE 72 IV 51E. 2). Bei qualifizierten Tatbeständen ist zudem von der auf diese angedrohten Höchststrafe auszugehen, nicht von der Strafandrohung des Grundtatbestandes (BGE 74 IV 78E. 2).

3. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdegegner wegen Zollübertretung nach Art. 74 Ziff. 11 und 82 Ziff. 2 ZG verurteilt worden. Da es sich hiebei um einen qualifizierten Tatbestand handelt, für welchen Art. 75 Abs. 2 ZG als Höchststrafe Gefängnis bis zu 6 Monaten vorsieht, hat man es mit einer nach Art. 360 lit. a StGB eintragungspflichtigen Verurteilung wegen eines Vergehens zu tun. Die im angefochtenen Urteil für den Fall des Wohlverhaltens des Beschwerdegegners bedingt angeordnete vorzeitige Löschung der Busse ist demnach gerechtfertigt und verstösst nicht gegen Art. 49 Ziff. 4 StGB.
Dem hält die Bundesanwaltschaft allerdings entgegen, Art. 13 Ziff. 4 der vom Bundesrat erlassenen Verordnung über das Strafregister schliesse die wegen Übertragung fiskalischer Bundesgesetze ausgesprochenen Bussen vom Eintrag ins Strafregister
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aus. Dabei sei der Ausdruck der Übertretung nicht im Sinne des Art. 101 StGB zu verstehen, sondern als Widerhandlung schlechthin aufzufassen.
Die Möglichkeit, dass der Bundesrat bei Erlass dieser Bestimmung von einem andern Begriff der Übertretung ausgegangen ist, als er dem Art. 360 lit. b StGB zu Grunde liegt, lässt sich tatsächlich nicht ohne weiteres von der Hand weisen, wird doch der Ausdruck der Übertretung auf dem Gebiete des Fiskalstrafrechtes nicht selten auch zur Bezeichnung von Vergehen verwendet (siehe beispielsweise den Ausdruck der "Zollübertretung" in den vorgenannten Bestimmungen des ZG sowie Art. 281 Abs. 1, 292 Abs. 1 und 317 BStP). Für den Fall, dass der Bundesrat mit Art. 13 Ziff. 4 der Strafregisterverordnung auf dem Umweg eines solcherweise erweiterten Übertretungsbegriffes Bussenurteile wegen fiskalrechtlicher Vergehen vom Eintrag ins Strafregister hätte ausschliessen wollen, müsste die genannte Verordnungsvorschrift als gesetzwidrig erachtet werden, weil sie insoweit den Rahmen der Delegationsnorm des Art. 360 lit. b StGB überschritte. Dann aber läge auch im Umstand, dass das angefochtene Urteil Art. 13 Ziff. 4 der genannten Verordnung widerspräche, keine Verletzung von Bundesrecht.

4. Nach Art. 320 Abs. 1 BStP vergütet die Bundeskasse in Fiskalstrafsachen dem Kanton die Prozess- und Vollzugskosten, zu denen der Beschuldigte nicht verurteilt worden ist oder die der Verurteilte nicht bezahlen kann. Besoldungen und Taggelder von Beamten sowie Gebühren und Stempel sind ausgenommen. Absatz 2 der genannten Vorschrift bestimmt des weitern, dass Anstände zwischen dem Bund und einem Kanton über die Vergütung der Kosten die Anklagekammer des Bundesgerichts entscheidet.
a) Zuständig zur Erledigung des vorliegenden Anstandes wäre somit grundsätzlich die Anklagekammer. Da indessen die Kostenfrage zusammen mit einer solchen des materiellen Strafrechtes zur Entscheidung gestellt wurde, das Schwergewicht auf der letztern liegt und diese in die Zuständigkeit des Kassationshofes fällt, ist auch der Anstand über die Verteilung der Kosten von dieser Abteilung des Bundesgerichts zu entscheiden (Art. 9 Abs. 1 des Reglementes für das Schweizerische Bundesgericht).
b) Die Bundesanwaltschaft macht mit Recht geltend, dass
BGE 96 IV 30 S. 34
nach Art. 320 Abs. 1 BStP Gerichtsgebühren nicht auf den Bund überwälzt werden können. Zwar spricht Satz 1 der genannten Bestimmung allgemein von den Prozesskosten, zu denen Art. 245 des gleichen Gesetzes ausser den Barauslagen auch die Gerichtsgebühr und die Kanzleigebühren rechnet. Indessen sieht Satz 2 des Art. 320 Abs. 1 BStP ausdrücklich eine Ausnahme von der Regel vor, indem Gebühren vom Bund nicht zu vergüten sind. Dass darunter auch die Gerichtsgebühren fallen, erhellt zweifelsfrei aus der Entwicklungsgeschichte dieser Bestimmung. Während nämlich der Bundesrat in seinem Entwurf eines Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 10. September 1929 nicht alle Gebühren, sondern nur die Stempelgebühren von der Kostentragung durch den Bund ausnehmen wollte (BBl 1929 II 633, 721), beantragte die Kommission des Nationalrates dem Parlament, den Art. 322 des Entwurfes (entspricht dem späteren Art. 320) dahin abzuändern, dass sämtliche Gerichtsgebühren von der Vergütung ausgeschlossen werden (Prot. Kom. NatR 25. - 28. August 1930 S. 26 in Verbindung mit S. 5). Die diesem Antrag entsprechende Fassung wurde in der Folge zum Gesetz erhoben.
Ziffer 3 des Dispositivs des angefochtenen Urteils widerspricht infolgedessen der Vorschrift des Art. 320 Abs. 1 BStP, soweit darin der Bund mit einer Gerichtsgebühr belastet wurde.

5. Die Bundesanwaltschaft macht schliesslich geltend, der angefochtene Entscheid verletze auch insofern Bundesrecht, als die Frage der Kostenvergütung durch den Bund durch Urteilsspruch und nicht gemäss bisheriger Praxis auf administrativem Wege erledigt worden sei. Damit übersieht jedoch die Beschwerdeführerin, dass Art. 320 BStP den kantonalen Richter nicht hindert, die Kostenaufteilung in seinem Entscheid vorzunehmen. Zwar ist zur Erledigung allfälliger Anstände über die Kostenvergütung grundsätzlich die Anklagekammer zuständig. Unter der Herrschaft des Art. 156 OG vom 22. März 1893, der für Strafprozesse, welche vom Bundesrat an die kantonalen Gerichte gewiesen wurden, eine dem Art. 320 Abs. 1 BStP ähnliche Regelung vorsah, waren Anstände der genannten Art mit der staatsrechtlichen Beschwerde vor das Bundesgericht zu tragen, was in jedem Fall einen kantonalen Endentscheid voraussetzte (sieheBGE 54 I 68, 183 E. 2). Indem der Staatsgerichtshof als letzte Instanz zur Beurteilung von Kostenverlegungskonflikten in Art. 320 Abs. 2 BStP durch die Anklagekammer
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ersetzt wurde, wollte einzig das Verfahren vereinfacht werden (BBl 1929 II 633). Damit war jedoch nur das Verfahren vor Bundesgericht gemeint. Hätte der Gesetzgeber insoweit auch das kantonale Verfahren regeln wollen, so hätte er dies ebenso ausdrücklich tun müssen, wie er den übrigen kantonalen Verfahrensgang in Fiskalstrafsachen in den Art. 300 ff. BStP geordnet hat. Da dies nicht geschehen ist, bleibt es dem kantonalen Gesetzgeber anheimgestellt, zu bestimmen, in welcher verfahrensrechtlichen Form die Kostenverlegung auf den Bund zu geschehen hat.

Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 19. Dezember 1969 insoweit aufgehoben, als es in Ziff. 3 des Dispositivs den Bund mit einer Gerichtsgebühr von Fr. 200.-- belastet. Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4 5

Dispositiv

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