96 IV 64
Urteilskopf
96 IV 64
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Mai 1970 i.S. Bosshard gegen Generalprokurator des Kantons Bern.
Regeste
1. Art. 269 Abs. 1 BStP.
Der Angeschuldigte, der einer strafbaren Handlung schuldig erklärt, aber von Strafe befreit wird, kann den Schuldspruch, der Bestandteil des Urteils ist, mit der Nichtigkeitsbeschwerde anfechten (Erw. 1; Änderung der Rechtsprechung).
2. Art. 204 Ziff. 1 StGB.
a) Die Vorführung eines Films in einem Kinotheater fällt unter den Begriff der öffentlichen Ausstellung (Abs. 1). Öffentlich ist die Vorführung auch, wenn nur Personen über 18 Jahren zugelassen und die Besucher vor gewagten Szenen gewarnt werden (Erw. 2).
b) Der Film "Ich bin neugierig" in der Fassung, die in Biel gezeigt wurde, ist nicht unzüchtig (Erw. 3 und 4).
A.- Der vom schwedischen Filmregisseur Vilgot Sjöman gedrehte Film "Ich bin neugierig" (gelbe Fassung) hat Politik und Sexualität zum Gegenstand und will die Verhältnisse in der schwedischen Wohlfahrtgesellschaft kritisch beleuchten. Der Hauptteil des Filmes besteht in einer unzusammenhängenden Folge von Reportagen, in denen eine junge Schwedin, Lena Nyman, den Mann auf der Strasse, Gewerkschaftsfunktionäre, Politiker usw. aufprovozierende Fragen über Krieg und Gewaltlosigkeit, Diktatur und Monarchie, Rassenhass und Sozialpolitik antworten lässt, ferner in Bildszenen mit Meinungsäusserungen amerikanischer Negerführer, russischer Dichter und Demonstrationen gegen die Atombombe, die Politik der USA usw. Zwischenhinein wird die Neugier des jungen Mädchens auf sexuellem Gebiet gezeigt, das sich mit Börje Ahlstedt intim einlässt und den Geschlechtsakt zum Teil auf ausgefallenen Schauplätzen vollzieht.
Der Film ist von der schwedischen Zensurbehörde trotz gewissen Bedenken, die hauptsächlich den politischen Teil betrafen, ungekürzt freigegeben worden, während er in Norwegen verboten und in Deutschland sowie Frankreich nach Vornahme verschiedener Kürzungen öffentlich vorgeführt wurde.
B.- Beat Bosshard zeigte den Film "Ich bin neugierig" vom 15. Mai 1968 an in dem von ihm geleiteten Kino "Studio" in Biel. Zuvor waren von der schweizerischen Verleihfirma im sozialkritischen Teil wie auch in Sexualszenen des Filmes einige Kürzungen vorgenommen worden. Bosshard schnitt eine weitere Beischlafsszene heraus und setzte auf den Rat des Gerichtspräsidenten und des Untersuchungsrichters, die er zu einer Vorbesichtigung eingeladen hatte, die Altersgrenze der Kinobesucher auf 18 Jahre fest. In der Presse und auf Anschlägen vor dem Kino warnte er ausserdem unreife und empfindliche Personen vor dem Besuch des Films, der schockieren wolle und gewagte Szenen zeige.
Am 17. Juni 1968 wurde der Film auf Weisung des stellvertretenden Generalprokurators des Kantons Bern beschlagnahmt und gegen Bosshard eine Strafuntersuchung wegen unzüchtiger Veröffentlichung (Art. 204 StGB) eingeleitet.
C.- Der Gerichtspräsident II von Biel sprach Bosshard am 14. März 1969 von der Anschuldigung frei und hob die Beschlagnahme des Films auf.
Gegen diesen Freispruch appellierte der Generalprokurator. Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern erklärte daraufhin Bosshard am 16. September 1969 der unzüchtigen Veröffentlichung schuldig, nahm jedoch wegen Rechtsirrtums (Art. 20 StGB) von einer Bestrafung Umgang. Ferner verfügte das Obergericht, dass die als unzüchtig betrachteten Darstellungen des Geschlechtsaktes beim Königsschloss, im Teich und auf dem Baum herauszuschneiden und zu vernichten seien, sofern für die unverzügliche Rücksendung der Filmkopie an den schwedischen Verleiher keine Gewähr bestehe.
D.- Der Generalprokurator und der Angeschuldigte Bosshard führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des obergerichtlichen Urteils. Der Generalprokurator verlangt die Bestrafung des Angeschuldigten, dieser seine Freisprechung und die Freigabe des beschlagnahmten Films.
Jeder der Beschwerdeführer beantragt die Abweisung der Beschwerde des andern.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes hat der Schuldspruch, durch den ein Angeklagter einer strafbaren Handlung schuldig erklärt wird, keine selbständige Bedeutung, sondern ist lediglich Begründung für die im Urteilsspruch ausgesprochenen Rechtsfolgen (Strafen, Massnahmen) und deshalb der Rechtskraft nicht fähig. Dementsprechend wurde dem Angeklagten, der vom kantonalen Richter schuldig gesprochen, aber von Strafe befreit wird, die Berechtigung, mit der Nichtigkeitsbeschwerde einen Freispruch zu verlangen, abgesprochen, einerseits unter Hinweis darauf, dass der Schuldspruch als blosser Urteilsgrund für sich allein nicht anfechtbar sei, anderseits mit der Begründung, dass ein Angeschuldigter, dem gegenüber keine Sanktion ausgesprochen wird, durch das Urteil nicht beschwert werde (BGE 70 IV 50, BGE 73 IV 262, BGE 79 IV 89, BGE 80 IV 276, BGE 81 IV 76, BGE 91 IV 172 und dort zitierte weitere Entscheidungen). An dieser Rechtsprechung ist, soweit sie den Urteilscharakter des Schuldspruches verneint und die Nichtigkeitsbeschwerde in den Fällen der Strafbefreiung ausschliesst, nicht festzuhalten.
Der Zweck des Strafverfahrens besteht nicht allein darin, über Gutheissung oder Abweisung des von der Anklage gestellten Begehrens um Ausfällung einer Strafe oder Verhängung einer Massnahme zu entscheiden. Der Strafrichter hat - im Gegensatz zum Zivilrichter - vielmehr auch die klagebegründenden Tatsachen zu prüfen und von Amtes wegen festzustellen, ob die eingeklagte Tat den Tatbestand einer der im Gesetz abschliessend umschriebenen strafbaren Handlungen objektiv und subjektiv erfülle oder nicht. Mit der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes und der Feststellung, dass der Angeklagte eines bestimmten Deliktes schuldig ist oder nicht, wird ein für die Frage der Freisprechung oder Verurteilung des Angeklagten und damit für den Ausgang des Verfahrens bestimmender Vorentscheid getroffen, der nicht, wie in unzulässiger Analogie zum Zivilrecht angenommen wurde (BGE 70 IV 51), blosse Urteilserwägung ist, sondern im Rahmen der Urteilsfindung selbständige Bedeutung hat (SCHULTZ, ZStR 1956 S. 290 Anmerkung 3). Der Schuldspruch ist daher unabhängig davon, ob er nach kantonalem Prozessrecht in die Urteilsformel aufgenommen oder nur in den Erwägungen festgehalten wird, unerlässlicher und wesentlicher Bestandteil des Strafurteils und nimmt als solcher auch an dessen Rechtskraft teil (WAIBLINGER, Der rechtliche Charakter und die Bedeutung der Schuldigerklärung im Strafprozess, in Festschrift für Pfenninger S. 162; PFENNINGER, Eidg. Strafrecht und kantonales Strafprozessrecht, in SJZ 1955 S. 204 ff.).
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nach ständiger Rechtsprechung nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert wird und ein rechtliches Interesse an ihrer Aufhebung oder Abänderung hat. Diese Voraussetzung ist entgegen der früheren Annahme auch dann erfüllt, wenn der Richter den Angeklagten nach der Schuldigerklärung von Strafe befreit oder von Strafe Umgang nimmt (nicht hieher gehören die Fälle, in denen das Gesetz selber wie z.B. in Art. 33 Abs. 2 StGB ein Verhalten als straflos erklärt und deshalb richtigerweise auf Freisprechung zu erkennen ist). Die bisher vertretene Auffassung, dass der Angeklagte bei einer Schuldigerklärung, die ohne Strafsanktion bleibt, nicht schlechter gestellt sei als im Falle der Freisprechung (BGE 80 IV 277), verkennt die Tragweite des Schuldspruches, der feststellt, dass der Angeschuldigte eine strafbare Handlung begangen hat.
BGE 96 IV 64 S. 68
Dieser Vorwurf, zumal in einer Gerichtsurkunde festgehalten, kann nicht nur den Ruf des Angeschuldigten schädigen, sondern auch rechtliche Nachteile nach sich ziehen und für den Betroffenen unter Umständen ebenso belastend wirken wie eine Bestrafung. Er hat daher ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Aufhebung des Schuldspruches und ist zur Nichtigkeitsbeschwerde zuzulassen, um geltend machen zu können, dass er freizusprechen sei (ebenso nach der Rechtsprechung des Eidg. Militärkassationsgerichts: Entscheid vom 23. Februar 1954, abgedruckt in ZS 1954 S. 280; auf dem gleichen Boden steht die deutsche Praxis: LÖWE-ROSENBERG, Kommentar zur deutschen Strafprozessordnung, § 296, Anm. 4, S. 1186).
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten, den die Vorinstanz der unzüchtigen Veröffentlichung nach Art. 204 Ziff. 1 StGB schuldig erklärte, jedoch gestützt auf Art. 20 StGB wegen Rechtsirrtums von Strafe befreite, ist somit einzutreten.
2. Nach Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3 StGB wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer Schriften, Bilder, Filme oder andere Gegenstände, die im Sinne von Abs. 1 unzüchtig sind, öffentlich oder geheim verkauft, verbreitet, öffentlich ausstellt oder gewerbsmässig ausleiht.
Die hier allein in Frage kommende Vorführung eines Films in einem Kinotheater fällt unter den Begriff der öffentlichen Ausstellung (LOGOZ, Art. 204 StGB, Ziff. 3, S. 355; Botschaft des Bundesrates vom 25. November 1924 in BBl 1924 III 1027). Öffentlich ist die Vorführung, wenn die Wahrnehmung der Filmbilder einem unbestimmten Personenkreis zugänglich gemacht wird (BGE 89 IV 134), eine Voraussetzung, die im vorliegenden Falle erfüllt ist. Das Merkmal der Öffentlichkeit entfällt nicht schon durch die Anordnung irgendeiner Begrenzung des Zuschauerkreises, sondern erst, wenn dieser eindeutig umschrieben und überprüfbar wird (vgl. BGE 87 IV 84). Es genügte daher nicht, dass nur Personen über 18 Jahren zugelassen wurden und unter diesen, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, bloss solche, die einen Film von der Art des gezeigten ansehen wollten, indem das Publikum in der Reklame und in Anschlägen vor den gewagten Szenen gewarnt wurde. Durch Massnahmen solcher Art wird der Kreis der Besucher entgegen der Meinung des Beschwerdeführers Bosshard nicht bestimmbar und die Vorstellung nicht zur geschlossenen.
3. Als unzüchtig im Sinne von Art. 204 StGB gilt nach
BGE 96 IV 64 S. 69
der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Gegenstand, wenn er in nicht leicht zu nehmender Weise gegen das Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlichen Dingen verstösst. Diese allgemeine Umschreibung wurde in verschiedenen Einzelentscheidungen dahin verdeutlicht, dass eine sexualbezogene Darstellung nicht notwendig eine geschlechtlich aufreizende Wirkung haben müsse, sondern den geschlechtlichen Anstand auch verletzen könne, wenn sie bloss Abscheu oder Widerwillen errege (BGE 86 IV 19), ferner dass bei der Beantwortung der Frage, ob die Grenzen dieses Anstandes überschritten seien, weniger auf Einzelheiten - bestimmte Bilder, Szenen oder Textstellen - als vielmehr auf den Gesamteindruck des zu beurteilenden Gegenstandes, das Werk als ganzes, abzustellen sei und dass es nicht auf die Absichten ankomme, die der Hersteller oder Verbreiter mit der Veröffentlichung verfolgte, sondern allein darauf, welche Wirkung objektiv von ihr ausgehe (BGE 86 IV 20, BGE 87 IV 74, BGE 89 IV 198).Den Entscheidungen des Kassationshofes liegt im allgemeinen die Auffassung zugrunde, dass für die Grenzziehung zwischen unzüchtigen Gegenständen und solchen, die gewagt, aber noch erlaubt sind, das Sittlichkeits- und Schamgefühl des normal empfindenden Bürgers, der weder besonders empfindsam noch sittlich verdorben ist, massgebend sei (BGE 83 IV 24, BGE 86 IV 19, BGE 87 IV 74 und 83, BGE 89 IV 200). Wiederholt hat der Kassationshof, namentlich bei Werken der Kunst und Literatur, aber darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung des Charakters einer Veröffentlichung auch die gesamten Begleitumstände wie der Ort und die Art der Veröffentlichung sowie der Kreis der Personen, für den sie bestimmt ist, zu berücksichtigen seien. So wurde bereits in einem nicht veröffentlichten Urteil vom 9. Oktober 1953 i.S. Spillmann erklärt, dass es auf die Anschauungen der Kreise, denen das Werk angeboten oder vorgeführt wird, ankomme. In dem in BGE 86 IV 21 veröffentlichten Entscheid hat sodann der Kassationshof anerkannt, dass es nicht das gleiche sei, ob ein Aktbild in einem allgemein zugänglichen Schaufenster eines Verkaufsladens oder in einer Kunstgalerie für Kunstinteressenten ausgestellt wird. In einer weiteren Entscheidung vom 14. Juli 1961 wurde von der Auffassung ausgegangen, dass erotische Werke der Literatur, die das Schamgefühl des Durchschnittsbürgers verletzen können, unter Umständen dann nicht unter das Verbot des Art. 204 StGB fallen, wenn
BGE 96 IV 64 S. 70
dafür gesorgt wird, dass die Veröffentlichung nur an bestimmte Personen, z.B. an Künstler, Wissenschafter, reifere Menschen, abgegeben wird, von denen angenommen werden kann, dass sie am Inhalt des Werkes keinen Anstoss nehmen und es nicht an Unberufene weitergeben (BGE 87 IV 84).Filmvorführungen in Kinotheatern unterscheiden sich von Druckerzeugnissen, Skulpturen u. dgl. schon dadurch, dass die Gefahr der Weiterverbreitung der Bilder an Unbefugte nicht besteht. Zudem stellt sich die Frage des Jugendschutzes immer dann nicht, wenn zur Vorführung nur Personen im Alter von mindestens 18 Jahren zugelassen werden und die Einhaltung dieser Begrenzung einer Kontrolle unterzogen wird. Im Gegensatz zu allgemein zugänglichen Schriften und Bildern entfällt bei Filmvorführungen auch weitgehend die Gefahr, dass das Publikum gegen seinen Willen mit Darstellungen sexuellen Inhalts konfrontiert wird, namentlich wenn die Kinobesucher durch entsprechende Anzeigen zum voraus auf Gegenstand und Charakter des Filmes aufmerksam gemacht werden. Erwachsene Personen, die unter solchen Voraussetzungen wissentlich der Vorführung eines Filmes mit gewagten Szenen beiwohnen, finden sich in der Regel damit ab oder nehmen doch keinen Anstoss daran und sind infolgedessen auch weniger schutzbedürftig, so dass in derartigen Fällen die Toleranzgrenze weitergezogen werden darf als bei Veröffentlichungen, bei denen Möglichkeiten der Sicherung und Kontrolle fehlen.
In Betracht zu ziehen ist auch die Tatsache, dass die zeitbedingten Anschauungen der Allgemeinheit über Moral und Sitte sich in der jüngsten Vergangenheit geändert haben. Abgesehen davon, dass Sexualität in ständig steigendem Masse in den Dienst der Werbung, Anregung und Unterhaltung einbezogen wird und sexuell betonte Darstellungen nicht mehr als ungewöhnlich empfunden werden, ist unverkennbar, dass auf dem Gebiete der Sexualmoral, wie Meinungsäusserungen von Moraltheologen, Pädagogen, Sexualforschern usw. zeigen, eine Neubesinnung im Gange ist, die sich darin auswirkt, dass geschlechtliche Vorgänge offen und frei erörtert werden und in Sexualfragen eine versachlichte und natürliche Betrachtungsweise Platz gegriffen hat. Diesem allgemeinen Wandel in der Einstellung zur Sexualität und der damit verbundenen Herabsetzung der Empfindlichkeit kann sich auch die Rechtsprechung nicht verschliessen. Der Strafrichter hat demnach in Fällen, die nicht
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unter die eigentliche Pornographie fallen, Art. 204 Ziff. 1 StGB mit Zurückhaltung und erst anzuwenden, wenn die Darstellung geschlechtlicher Vorgänge eindeutig den von der überwiegenden Mehrheit des Volkes getragenen sittlichen Vorstellungen zuwiderläuft und somit als Störung oder Belästigung der sozialen Ordnung angesehen werden muss.
4. Die im Film "Ich bin neugierig" vorgeführten Beischlafsszenen unterscheiden sich von solchen in andern Filmen durch die realistische, freie und unbeschönigende Art der Darstellung und dadurch, dass vereinzelt der ganze Körper beider Partner nackt gezeigt wird. Diese ungewöhnlich freimütige Schaustellung sexueller Belange erscheint, auch wenn beim Geschlechtsverkehr die Genitalien unsichtbar bleiben, zum mindesten sehr gewagt. Der Verzicht auf raffinierte technische Kunstgriffe und andere die Phantasie anregende Andeutungen sowie die nüchterne Sachlichkeit der Darstellung tragen indessen dazu bei, den anstössigen Charakter der Liebesszenen in einem Masse abzuschwächen, dass von einer aufdringlich erotisierenden oder sexuell aufreizenden Wirkung auf erwachsene Beschauer kaum gesprochen werden kann. Das gilt in verstärktem Masse für die Szene im Teich, die, gemessen an dem, was sichtbar wird, eher harmlos wirkt und entgegen der Auffassuug der Vorinstanz nicht als unzüchtig zu bezeichnen ist. Weniger eindeutig trifft dies bei den Liebesszenen auf dem Baum und namentlich auf der Balustrade vor dem Königsschloss zu, die wegen der in der Wahl der Örtlichkeiten liegenden Geschmacklosigkeit geeignet sind, Widerwillen oder Abscheu zu erregen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass beide Szenen nur kurze Zeit dauern und dass die auf der alten Eiche vorgeführte Akrobatik und das im zweiten Fall eingeblendete Minenspiel eines Wachtsoldaten, der das Paar beobachtet, den Darstellungen eine humoristische Note geben, wodurch deren abstossende Wirkung gemildert wird. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich zudem, dass die Balustradenszene vor allem als Verulkung der Monarchie aufzufassen ist, also neben dem sexuellen auch politischen Charakter hat.
Die Vorinstanz, die zutreffend davon ausgeht, dass die Vorführung von Beischlafsszenen in Filmen nicht zum vorneherein unerlaubt ist, erachtet die beanstandeten Szenen hauptsächlich deswegen als gegen das sittliche Empfinden verstossend, weil sie sich in der freien Natur abspielen und nach unserer Rechtsauffassung
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als öffentliche unzüchtige Handlungen strafbar wären. Diesem letztern Gesichtspunkt kann jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, zumal dem Publikum bekannt ist, dass in dieser Beziehung in nordischen Ländern andere Anschauungen als hierzulande vorherrschen. Wäre die Vorführung von Sexualszenen, die an sich nicht unzüchtig sind, bereits unerlaubt, weil sie, wenn sie sich in der Wirklichkeit zutrügen, nach Art. 203 StGB strafbar wären, so müssten sämtliche Filme, in denen sich ein Mord, Raub oder dergleichen ereignet, verboten werden.Wird der Film in der Bieler Fassung, in dem der gesellschaftskritische Teil trotz gewissen Kürzungen immer noch überwiegt, nach den in Ziff. 3 dargelegten Überlegungen beurteilt und dem Wandel der allgemeinen Anschauungen wie auch den Wirkungen der getroffenen Sicherungsvorkehren Rechnung getragen, so führt die Gesamtwürdigung zum Schluss, dass die eingeklagten Vorführungen den in geschlechtlichen Dingen zu wahrenden Anstand nicht in grober Weise verletzen und infolgedessen nicht als unzüchtig zu bewerten sind. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und der Angeschuldigte von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichung freizusprechen mit der Folge, dass der beschlagnahmte Film freizugeben ist.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Beat Bosshard wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 16. September 1969 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Angeschuldigten und zur Freigabe des beschlagnahmten Films an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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