33. Urteil des Kassationshofes vom 2. Oktober 1970 i.S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Sturzenegger.
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Regeste
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1. Art. 14 Abs. 5 VRV.
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2. Art. 34 Abs. 3 SVG.
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Weist eine Strasse eine bestimmte Anzahl Fahrspuren auf, die nacheiner unmarkierten Teilstrecke beibehalten werden, so wechselt ein Fahrzeugführer die Richtung nicht, wenn er vor und nach dem unmarkierten Teilstück - und zwar ohne Rücksicht auf dessen Verlauf - die gleiche Spur benützt (Erw. 2).
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Sachverhalt
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BGE 96 IV 124 (125):
A.- 1.) In Zürich wird der einerseits über die Europabrücke und anderseits durch die tiefer angelegte, jedoch schliesslich bis zur Höhe jener Brücke ansteigende Luggwegstrasse südwärts strömende Verkehr vor dessen Kreuzung mit der Baslerstrasse bei der dortigen Signalanlage mit Stopbalken in drei Fahrstreifen aufgeteilt. Während der rechte Fahrstreifen mit rechtsgerichteten und der mittlere nur mit geradeaus weisenden Pfeilen versehen sind, ist der linke Streifen mit einem Doppelpfeil markiert, dessen einer Arm geradeaus, der andere nach links weist. Entsprechend dienen denn auch der rechte Fahrstreifen den nach rechts in die Baslerstrasse abbiegenden, der als reine Geradeausspur markierte Mittelstreifen den die Baslerstrasse querenden und ihre Fahrt in der Luggwegstrasse forsetzenden Strassenbenützern, während der linke Streifen vom Geradeausverkehr wie den Linksabbiegern benutzt werden kann. Der nach der genannten Kreuzung der Luggwegstrasse folgende Geradeausverkehr erfährt nach einer nichtmarkierten Strecke von ca. 100 m weiter südlich vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Badenerstrasse eine erneute Aufteilung in drei Fahrstreifen, BGE 96 IV 124 (126):
von denen der rechte durch entsprechende Markierung mit Pfeilen den Rechtsabbiegern, der mittlere den Geradeausfahrern und der linke den Linksabbiegern vorbehalten ist. Da die Strecke zwischen der Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse und derjenigen der Luggwegstrasse mit der Badenerstrasse eine leichte Linksbiegung beschreibt, liegt die Geradeausspur der zweiten Kreuzung nicht in der geometrischen Geraden der reinen Geradeausspur der ersten Kreuzung, sondern eher in derjenigen der mit dem Doppelpfeil versehenen ersten Linksspur. Der Fahrzeugführer, der aus der reinen Geradeausspur der Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse sich in die Geradeausspur vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Badenerstrasse einfügen will, muss deshalb ungefähr um eine Fahrspurbreite von seiner geraden Fahrlinie nach links abweichen.
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2.) Am 25. Juli 1968, um 18.50 Uhr, führte Sturzenegger seinen Wagen von der Europabrücke her gegen die Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse. Er wählte die reine Geradeausspur und konnte, da das Signal bei der Kreuzung auf Grün stand, ohne anzuhalten die Baslerstrasse überqueren und seine Fahrt jenseits der Kreuzung auf der Luggwegstrasse fortsetzen. Auf der 100 m langen, nichtmarkierten Strecke zwischen den beiden Kreuzungen stellte er den linken Blinker und hielt leicht nach links, um vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Badenerstrasse in die mittlere Geradeausspur einzufahren. Während er wegen einiger in diesem Fahrstreifen befindlicher Fahrzeuge leicht bremste, um ohne Halt seine Fahrt über die genannte Kreuzung fortsetzen zu können, wurde er durch den von Frei gesteuerten Wagen von hinten gerammt. Frei war hinter drei Fahrzeugen aus der linken, mit einem Doppelpfeil versehenen Spur vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse aus dem Halt herausgefahren und hatte in der Folge vor der Kreuzung Luggwestrasse/Badenerstrasse seinen Wagen hinter Sturzenegger in die mittlere Fahrspur gelenkt.
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B.- Der Polizeirichter der Stadt Zürich bestrafte Sturzenegger am 11. Oktober 1968 wegen Übertretung von Art. 34 Abs. 3 SVG mit einer Busse von Fr. 20.-. Der Gebüsste verlangte gerichtliche Beurteilung.
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Am 1. April 1969 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich Sturzenegger erneut der Übertretung von Art. 34 Abs. 3 SVG schuldig und verfällte ihn in eine Busse von Fr. 20.-. In der Begründung nahm er indessen einen BGE 96 IV 124 (127):
Verstoss gegen Art. 44 Abs. 1 und 2 SVG an und lehnte die Anwendung von Art. 34 Abs. 3 SVG ab, weil die Kollision sich im nichtmarkierten Raum der Luggwegstrasse ereignet habe. Im übrigen stützte er seinen Entscheid auf ein unveröffentlichtes Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 9. September 1968 i.S. Bill, mit welchem das genannte Gericht auf das geometrische Verhältnis der verschiedenen Spuren vor den zwei Kreuzungen abgestellt und bezüglich der Geradeausspur vor der zweiten Kreuzung die Benützer der Linksspur mit Doppelpfeil vor der ersten Kreuzung im Verhältnis zu den Benützern der ersten reinen Geradeausspur als vortrittsberechtigt bezeichnet hatte. Der Einzelrichter hielt es daher aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsgleichheit für geboten, Sturzenegger in gleicher Weise zu verurteilen wie Bill.
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Mit Urteil vom 17. März 1970 sprach indessen das Obergericht des Kantons Zürich Sturzenegger von der eingeklagten Übertretung frei, wobei es auf Grund eines Augenscheins auf seine frühere Rechtsprechung zurückkam, die "rein geometrische Betrachtungsweise" aufgab, den Fall nach Art. 14 Abs. 5 VRV würdigte und zum Schluss kam, Sturzenegger habe mit dem Blinken vor dem Sicheinfügen in die mittlere Fahrspur das Notwendige, in seinen Kräften Stehende für die Klärung der Verkehrslage und damit für die Verständigung getan.
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C.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Bestrafung Sturzeneggers wegen Übertretung von Art. 34 Abs. 3 SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Nach Art. 14 Abs. 5 VRV haben die Fahrzeugführer "in nicht geregelten Fällen", z.B. wenn auf einer Verzweigung zugleich aus allen Richtungen Fahrzeuge eintreffen, besonders vorsichtig zu fahren und sich über den Vortritt zu verständigen. Mit dem Hinweis auf die nicht geregelten Fälle sind nicht irgendwelche im Gesetz oder in der Verordnung nicht besonders berücksichtigte Verkehrslagen, sondern bloss die nicht BGE 96 IV 124 (128):
geordneten Fälle des Vortritts gemeint. Das erhellt schon aus dem Wortlaut der Bestimmung, die ausdrücklich eine Verständigung über den Vortritt verlangt, ergibt sich aber auch aus dem Randtitel der Vorschrift (Ausübung des Vortritts) sowie aus dem Umstand, dass Art. 14 VRV eine Ausführungsbestimmung zu Art. 36 SVG ist, der in den Absätzen 2-4 den Vortritt auf Strassenverzweigungen, beim Linksabbiegen und beim Einfügen, Wenden oder Rückwärtsfahren ordnet. Die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 5 VRV auf den vorliegenden Fall hängt somit davon ab, ob in casu überhaupt ein Vortrittsrecht in Frage steht.
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Geht man von dem durch die Vorinstanz verbindlich festgestellten Sachverhalt aus, so können entsprechend der Spurenmarkierung vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse Fahrzeuge aus der reinen Geradeausspur, aber auch aus dem linken, mit dem Doppelpfeil versehenen Fahrstreifen ihre Fahrt in gerader Richtung fortsetzen, also in parallelen Kolonnen die nichtmarkierte Strecke zwischen jener Kreuzung und der Spurenmarkierung vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Badenerstrasse durchfahren. Vor der Spurenmarkierung dieser zweiten Kreuzung müssen sich je nach der beabsichtigten Fahrrichtung die beiden Kolonnen auf drei Spuren aufteilen. Soweit Fahrzeugführer beider Kolonnen die mittlere Geradeausspur wählen, kann dies gleich wie im Falle der Verengung einer bisher zweispurigen Fahrbahnhälfte zu einer einspurigen nur durch eine Verflechtung der zwei Kolonnen zu einer einzigen geschehen. Dabei wäre denkbar, dass man einer Kolonne gegenüber der andern den Vortritt einräumen würde, indem etwa gemäss der Regelung bei Strassenverzweigungen (Art. 36 Abs. 2 SVG) der rechten Kolonne ein Vortrittsrecht gegenüber der linken zugestanden oder entsprechend der Bestimmung des Art. 44 SVG diejenige Kolonne als vortrittsberechtigt angesehen würde, die ihre Fahrt im bisherigen Fahrstreifen fortsetzen kann, ohne zum Einfahren in die eine Geradeausspur von der bisherigen Geraden nach links oder nach rechts abweichen zu müssen.
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Indessen sieht das Gesetz für die Verkehrslage, wie sie sich im vorliegenden Fall darbietet, eine solche Regelung weder ausdrücklich noch sinngemäss vor. Die Vereinigung von zwei auf gleicher Fahrbahn nebeneinander bestehenden Geradeausspuren zu einer in gleicher Richtung sich fortsetzenden BGE 96 IV 124 (129):
Spur kann nicht einer Strassenverzweigung gleichgestellt werden, und was Art. 44 SVG anbelangt, so betrifft er den Wechsel von Fahrstreifen bzw. Fahrspuren. Sturzenegger hat nicht von einer sich weiter fortsetzenden Geradeausspur in eine andere parallel dazu verlaufende Spur hinübergewechselt. Vielmehr verhielt es sich so, dass zwei bisherige Fahrspuren sich zu einer einzigen verschmolzen, also vor der neuen Markierung die alten Spuren zu bestehen aufhörten und Sturzenegger deswegen leicht nach links halten musste, um den Weg in die eine neue Geradeausspur zu finden. Angesichts der Besonderheit dieser Verkehrslage sind die Fahrzeuge in beiden Streifen bzw. Spuren als gleichberechtigt anzusehen und ein Vortrittsrecht der einen Kolonne gegenüber der andern ist zu verneinen. Das gilt auch dann, wenn ein Fahrzeug der einen Spur gegenüber den Wagen der andern Spur einen gewissen Vorsprung hat; an der Tatsache der Mehrspurigkeit des Verkehrs ändert dieser Umstand nichts. Somit ist Art. 14 Abs. 5 VRV, der eine allgemeine Bestimmung für nicht geregelte Fälle des Vortritts betrifft, auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
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Die Vorinstanz gibt in ihrem Entscheid den im genannten Urteil eingenommenen Standpunkt auf mit der Begründung, das geometrisch geradlinige Einteilen der Fahrspuren zur Beurteilung, wer im nichtmarkierten Strassenstück zwischen den zwei ersten Kreuzungen welche Spur innehabe, sei ungeeignet und verfehlt. Auf Grund des Augenscheines ergebe sich vielmehr, dass die drei Fahrspuren der Luggwegstrasse die Fortsetzung der drei Spuren der Europabrücke darstellten. In der Tat ist nicht entscheidend, ob und welche Spuren ungeachtet des Strassenverlaufs sich geometrisch in einer angenommenen Geraden von der Europabrücke zur Luggwegstrasse fortsetzen, BGE 96 IV 124 (130):
sondern ausschlaggebend ist der Umstand, dass die Fahrspuren dem natürlichen Verlauf der Strasse zu folgen haben. Daraus ergibt sich, dass sich alle drei Fahrspuren der Europabrücke nach der ersten Kreuzung - bedingt durch die Biegung der Strasse - auf dem nichtmarkierten Abschnitt nach links verschieben. Somit nimmt der die mittlere reine Geradeausspur benützende Fahrzeugführer keine Richtungsänderung, insbesondere keinen Fahrspurwechsel vor, wenn er in die mittlere Geradeausspur der Luggwegstrasse einfährt. Gerade so verhielt es sich aber im vorliegenden Fall. Sturzenegger führte seinen Wagen von der mittleren Geradeausspur der Europabrücke über die Baslerstrasse in die mittlere Geradeausspur der Luggwegstrasse. Wenn er auf der nichtmarkierten Strecke zwischen den beiden Kreuzungen leicht nach links hielt, so entsprach das dem natürlichen Verlauf der an dieser Stelle eine Biegung beschreibenden Strasse und Sturzenegger vollzog keine Richtungsänderung. Anders wäre es gewesen, wenn der Beschwerdegegner seinen Wagen vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Badenerstrasse in die linke oder rechte Spur gelenkt hätte. In diesem Fall wäre er nicht mehr dem Strassenverlauf gefolgt, sondern hätte den Fahrstreifen gewechselt und damit eine Richtungsänderung vorgenommen. Es ändert übrigens nichts, dass er die ausgeführte Fahrbewegung nach links mittels des linken Blinkers anzeigte. Nachdem er die Fahrrichtung nicht geändert hatte, war er dazu ohnehin nicht verpflichtet. Von einer Verletzung der Art. 34 Abs. 3 oder 44 SVG kann demnach nicht die Rede sein, und Sturzenegger hat sich keiner Verkehrsregelverletzung schuldig gemacht. Insbesondere musste er nicht damit rechnen, dass der drei Wagenlängen hinter ihm aus der linken Spur vor der Kreuzung Luggwegstrasse/Baslerstrasse herausfahrende Frei in der mittleren Spur stark beschleunigen werde und nicht mehr rechtzeitig hinter Sturzeneggers Wagen anhalten könne.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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