12. Urteil des Kassationshofes vom 1. April 1971 i.S. Bolzan gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
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Regeste
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Art. 100 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 SVG. Strafbarkeit auf Lernfahrten.
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Sachverhalt
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BGE 97 IV 39 (39):
A.- Edda Pellizzola erwarb am 18. August 1967 den Lernfahrausweis. Anfänglich fuhr sie nur wenige Male im Opel ihres Verlobten und ab Mai 1968 Ehemannes Ferruccio Bolzan unter BGE 97 IV 39 (40):
dessen Aufsicht. Anfangs 1969 liess sie den Ausweis verlängern und nahm insgesamt 22 Fahrstunden auf einem Volkswagen bei einem patentierten Fahrlehrer. Dieser meldete sie zur Prüfung an.
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Im Mai 1969 musste der Ehemann Bolzan seinen Mustang reparieren lassen. Er erhielt einen VW als Ersatzwagen. Am 27. Mai 1969 schlug er seiner Frau vor, gemeinsam zu einem Besuch von ihrem Wohnort Nussbaumen nach Zurzach zu fahren, wobei sie sich im Lenken des VW üben könne.
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Das Ehepaar fuhr gegen 19 Uhr von zuhause weg. Nach Würenlingen überholten sie auf dem sog. Ruckfeld den mit ca. 75 bis 80 km/h fahrenden Wagen des Rudolf Rittmüller und fuhren dann vor diesem im gleichmässigen Tempo von etwa 80 km/h weiter. Die Strasse war trocken und übersichtlich, doch herrschte böiger Seitenwind. Vermutlich durch einen Windstoss wurde der VW nach rechts getrieben und geriet mit beiden rechten Rädern ca. 50 cm über den Rand des Hartbelages auf die Grasnarbe. Ferruccio Bolzan griff seiner Frau ins Steuer und lenkte brüsk nach links. Der VW geriet ins Schleudern, überschlug sich mehrfach und blieb schliesslich links der Strasse im Acker liegen. Beide Insassen wurden hinausgeschleudert. Der Ehemann geriet unter den VW und fand den Tod. Seine Frau erlitt schwere Verletzungen.
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B.- Das Bezirksgericht Zurzach sprach am 16. September 1970 Frau Bolzan von der Anklage der fahrlässigen Tötung frei. Es verurteilte sie wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeuges nach Art. 31 Abs. 1 SVG zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 40.-.
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Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die Berufung der Staatsanwaltschaft gut und wies die Anschlussberufung der Verurteilten, womit gänzliche Freisprechung verlangt worden war, ab. Mit Urteil vom 21. Dezember 1970 fand es die Angeklagte der fahrlässigen Tötung, begangen durch Widerhandlung gegen Art. 31 Abs. 1 SVG, schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 200.--.
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C.- Edda Bolzan führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
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Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
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BGE 97 IV 39 (41): Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Die Vorinstanz hält es für möglich, dass der Volkswagen durch einen seitlichen Windstoss nach rechts abgetrieben worden ist. Ob die Beschwerdeführerin hierfür verantwortlich zu machen sei, ist eine vom Kassationshof zu überprüfende Rechtsfrage.
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Wie das Obergericht feststellt, besass die Beschwerdeführerin als Fahrschülerin mit 22 Fahrstunden zu wenig Erfahrung, um Seitenwind durch Gegensteuer richtig zu begegnen. Dann aber trifft sie in dieser Hinsicht kein Verschulden. Gemäss Art. 100 Ziff. 3 Abs. 2 SVG (wie schon nach Art. 18 Abs. 3 StGB, ferner nach allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts: vgl. BGE 91 IV 149 Nr. 40 E 1) war sie als Fahrschülerin nur für Fehler strafrechtlich verantwortlich, die sie nach dem Stande ihrer Ausbildung hätte vermeiden können. Einer Fahrschülerin, die die Einwirkung des Seitenwindes auf die Steuerung zumal eines windempfindlichen Wagens nicht kennt und nicht weiss, wie ihr zu begegnen ist, kann kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie unversehens vom Wind über den Strassenrand gedrängt wird.
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Andere Ursachen des Rechtsabweichens, die der Beschwerdeführerin zum Verschulden anzurechnen wären, hält die Vorinstanz allerdings ebenfalls für möglich; das genügt jedoch nicht, um eine Schuld der Beschwerdeführerin als gegeben anzunehmen. Es fehlt an der konkreten Feststellung eines Verhaltens, das als schuldhaft zu gelten hätte.
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Ein Vorwurf trifft höchstens den als Begleitperson wirkenden Ehemann. Nach Art. 100 Ziff. 3 Abs. 1 SVG ist der Begleiter verantwortlich, wenn er die Pflichten verletzt, die ihm als Folge der Übernahme der Begleitung obliegen. Pflicht des Begleiters ist es gemäss Art. 15 Abs. 2 SVG, dafür zu sorgen, dass die Lernfahrt gefahrlos durchgeführt wird und der Fahrschüler die Verkehrsvorschriften nicht verletzt. Die Verantwortlichkeit liegt zu Beginn der Ausbildung ausschliesslich beim Begleiter und geht mit fortschreitender Ausbildung mehr und mehr auf den Fahrschüler über; sie entfällt für den Begleiter indessen erst mit bestandener Prüfung; der Grad seiner Verantwortlichkeit lässt sich nur im einzelnen Fall bestimmen (Botschaft S. 65; SCHULTZ, Die Strafbestimmungen des SVG S. 63, 68; nicht veröffentlichtes Urteil vom 9. Januar 1967 i.S. Wenger). Nach dem Gesagten hätte der begleitende Ehemann sich im Gespräch mit seiner Frau darüber vergewissern müssen, dass sie den Seitenwind wahrgenommen BGE 97 IV 39 (42):
hatte, seine Gefahren kannte und ihnen entgegenzuwirken wusste. Traf dies nicht zu, so hätte er sie darauf aufmerksam machen müssen, dass sie bei ihrer Unerfahrenheit die Geschwindigkeit herabsetzen solle, dass die Steuerung besonderer Aufmerksamkeit bedürfe, dass man jederzeit vor Kursabweichungen auf der Hut sein und sofort sorgfältig korrigieren müsse. Weshalb Ferruccio Bolzan das unterlassen hat, steht nicht fest und ist nicht zu untersuchen.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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