BGE 98 IV 143 |
27. Entscheid der Anklagekammer vom 9. Juni 1972 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Land. |
Regeste |
Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4, 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. |
2. Liegt ein Strafantrag vor, so sind Diebstähle zum Nachteil von Angehörigen bei der Bestimmung des Gerichtsstandes in gleicher Weise zu berücksichtigen wie von Amtes wegen zu verfolgende (Erw. 2). |
Sachverhalt |
Am 20. März 1972 reichte sein Vater bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen ihn Strafanzeige ein und verlangte seine Bestrafung mit der Begründung, der Beschuldigte habe ihm vom 12. bis 19. März 1972 in Basel unter vier Malen Fr. 600.-- gestohlen und ausserdem einen Brief mit Fr. 50.- Inhalt, den er hätte zur Post tragen sollen, sowie einen Personenwagen im Werte von Fr. 1'500.--, den ihm der Vater für einen Tag zum Gebrauch überlassen habe, veruntreut.
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Eine weitere Strafanzeige gegen Huber ging am 23. März 1972 bei der Polizei des Kantons Basel-Land ein. Sie wirft dem Beschuldigten vor, er sei in der Nacht vom 12./13. Februar 1972 in Muttenz durch ein halb offenes Oberlichtfenster in das Fabrikgebäude seiner Arbeitgeberin Mislin AG eingestiegen und habe aus der unverschlossenen Pultschublade des Verkaufsbüros Fr. 370.-- gestohlen. In der Anzeige wird beigefügt, der Täter habe sich am 14. Februar 1972 zum Geschäftsinhaber Mislin begeben, die Tat gestanden, um Entschuldigung gebeten und den entwendeten Betrag zurückbezahlt. Die Mislin AG habe zunächst von einer Anzeige abgesehen und Huber weiterhin beschäftigt, um ihm eine Chance zu geben. Mitte März habe sie ihn aber fristlos entlassen, weil er zwei Tage lang unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei.
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B.- Am 28. März 1972 ersuchte der Untersuchungsrichter des Bezirkes Arlesheim die Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt um Stellungnahme zur Gerichtsstandsfrage. Die ersuchte Behörde vertrat hierauf in einem Schreiben an den Generalprokurator des Kantons Bern die Auffassung, Basel-Land sei zuständig. Der Generalprokurator des Kantons Bern wandte sich an die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Land, worauf ihm diese antwortete, sie halte Basel-Stadt für zuständig. In einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt vom 2. Mai 1972 vertrat der Generalprokurator des Kantons Bern die gleiche Auffassung. Hierauf folgte ein Briefwechsel zwischen den Staatsanwaltschaften von Basel-Stadt und Basel-Land vom 26. und 29. Mai 1972. Jede hielt die Behörden des anderen Kantons für zuständig. |
Basel-Stadt schrieb den Beschuldigten am 28. März 1972 zur Verhaftung aus. Er befindet sich seit 5. Juni 1972 in Basel in Sicherheitshaft.
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C.- Mit Eingabe vom 6./8. Juni 1972 beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden von Basel-Land zur Verfolgung und Beurteilung aller dem Beschuldigten zur Last gelegten strafbaren Handlungen zuständig zu erklären.
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Die Anklagekammer zieht in Erwägung: |
1. Die Auffassung der Gesuchstellerin, der Diebstahl von Muttenz falle unter Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB und sei daher nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (BGE 71 IV 165,BGE 75 IV 95) mit schwererer Strafe bedroht als die Diebstähle von Basel, leuchtet nicht ein. Diese Bestimmung trifft nur zu, wenn die Tat einen besonderen Grad der Gefährlichkeit des Täters offenbart, d.h. wenn die Art des Vorgehens desselben Charaktereigenschaften aufdeckt, die in einem Masse auf eine asoziale Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit schliessen lassen, dass befürchtet werden muss, er werde auch bei anderen Gelegenheiten vor gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht zurückschrecken (BGE 88 IV 60 f.). Beim Entscheid hierüber sind auch die der Tat vorausgehenden und ihr nachfolgenden Umstände zu berücksichtigen (BGE 87 IV 115 Erw. c, BGE 88 II 61, BGE 95 IV 165 Erw. 1). Mit der Charakterisierung der Tat als Einschleichediebstahl ist es daher im vorliegenden Falle nicht getan. Der Beschuldigte ist nicht irgendwo hemmungslos eingeschlichen, so dass in besonderem Masse zu befürchten wäre, er werde sich auch bei anderen Gelegenheiten in ähnlicher Weise vergehen. Er beging die Tat im Gebäude seines Arbeitgebers, in dem er sich gut auskannte. Erleichtert wurde sie durch das offen gebliebene Oberlichtfenster eines Abortes und dadurch, dass die Pultschublade nicht verschlossen war. Entscheidend ist sodann, dass Huber, nachdem er die Tat in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag begangen hatte, sich schon am Montag beim Bestohlenen meldete, um Entschuldigung bat und ihm den gestohlenen Betrag zurückzahlte. Darin kann allenfalls eine Betätigung aufrichtiger Reue gesehen werden. Dieser Umstand schliesst jedenfalls aus, die Tat besonderer Asozialität und Hemmungslosigkeit des Täters zuzuschreiben. Huber ist denn auch weder vorbestraft, noch hat er sich für weitere Einschleiche- oder Einbruchsdiebstähle zu verantworten. |
Ob die Möglichkeit der Strafmilderung wegen Betätigung aufrichtiger Reue (Art. 64 StGB) die Tat zu einer im Sinne des Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB mit geringerer Strafe bedrohten macht als die anderen Diebstähle, kann offen bleiben. Bemerkt sei nur, dass die Anklagekammer es z.B. abgelehnt hat, bei der Bestimmung des Gerichtsstandes auf den Strafschärfungsgrund des Rückfalles Rücksicht zu nehmen (BGE 69 IV 37).
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Darauf kommt nichts an. Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB berücksichtigt nur die Strafandrohung. Diese wird durch den Umstand, dass Diebstähle zum Nachteil von Angehörigen nur auf Antrag verfolgt werden, nicht beeinflusst. Der Strafantrag ist blosse Prozessvoraussetzung (BGE 69 IV 72Erw. 5,BGE 73 IV 97, BGE 81 IV 92 Erw. 3). Im vorliegenden Falle ist sie erfüllt und fallen daher die in Basel ausgeführten Diebstähle für die Bestimmung des Gerichtsstandes in gleicher Weise in Betracht wie der von Amtes wegen zu verfolgende Diebstahl von Muttenz. Dass der Strafantrag zurückgezogen werden kann und im Falle des Rückzuges die prozessuale Voraussetzung der Verfolgung dahinfallen würde, ändert nichts. Der Gerichtsstand hängt von den strafbaren Handlungen ab, deretwegen gegenwärtig eine Strafverfolgung stattfindet (BGE 69 IV 40Erw. 3 am Ende), nicht von einer theoretisch möglichen künftigen Änderung der prozessualen Lage. Der Vergleich mit den Fällen blosser Versuche hält nicht stand. Auf eine versuchte strafbare Handlung ist weniger schwere Strafe angedroht als auf die vollendete, denn die Art. 22 und 23 in Verbindung mit Art. 65 und 66 StGB erlauben, die Strafe zu mildern (BGE 75 IV 95).
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Demnach erkennt die Anklagekammer:
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