98 IV 168
Urteilskopf
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34. Urteil des Kassationshofes vom 4. September 1972 i.S. Zinsli gegen Staatsanwaltschaft von Graubünden.
Regeste
1. Fahrlässigkeit eines Skilager- bzw. Skitourenleiters im Hochgebirge (Erw. 4).
2. Rechtserheblicher Kausalzusammenhang zwischen Tat und Erfolg (Erw. 3).
A.- 1. - Walter Zinsli, geb. 1925, ist seit 1947 in der Sektion Bachtel des Schweizerischen Alpenclubs (SAC) Leiter der Jugendorganisation (JO), seit 1958 JO-Chef, der über den Leitern steht. 1952 erwarb er das Hochgebirgsabzeichen der Armee. 1954, 1968 und 1969 absolvierte er Leiterkurse mit Spezialausbildung an der Eidgenössischen Turn- und Sportschule Magglingen. Im SAC besuchte er 1964, 1966 und 1967 Rettungskurse, 1968 und 1969 Spezialkurse für Lawinen und Fels, 1967 einen internationalen Rettungskurs.
2.- Zinsli führte die JO während zwölf Jahren unfallfrei. Er organisierte zahlreiche Ski- und Klettertouren sowie Tourenlager mit Mitgliedern der JO, meist jungen Leuten von 16-20 Jahren. Wie es in der Sektion üblich war, wählte er sich jeweils selbst geeignete JO-Leiter als ihm unterstellte Hilfsleiter oder selbständige Tourenleiter aus, die er meist von gemeinsamen Touren und Kursen kannte.
Teilweise wurden die Tourenlager als (subventionierte) Wahlfachkurse des militärischen Vorunterrichts (VU) für die im entsprechenden Alter stehenden Jünglinge unter den Teilnehmern durchgeführt. Zinsli reichte der zuständigen Militärdirektion Zürich eine entsprechende Anmeldung mit den vorgeschriebenen Unterlagen ein. Dadurch unterstellte er das Lager und dessen Leiter den Ausführungsvorschriften des Eidgenössischen Militärdepartements über den VU.
3.- Am Karfreitag, den 27. März 1970 begann in Avers-Juf ein Osterskilager der JO Bachtel. VU-Teilnehmer waren zehn Burschen von 18-20 Jahren; dazu kamen als weitere Teilnehmer fünf Mädchen der JO, worunter die Tochter von Walter Zinsli. Die Gesamtleitung hatte Zinsli. Unter ihm wirkten mit die Leiter Markus Glückler, Hans-Rudolf Kägi, Hans Trafelet und Martin Welter.
Markus Glückler, geb. 1940, absolvierte 1963 einen Tourenleiterkurs, 1967 bis 1969 Zentralkurse für Skilauf des SAC, 1965 bis 1969 Sommer- und Lawinenrettungskurse. Er war seit 1968 JO-Leiter und wirkte als solcher 1968 bis 1970 an zehn Touren mit, davon viermal unter Zinsli, mit dem er auch private Touren unternahm.
Hans Trafelet, geb. 1942, wurde 1964 JO-Leiter. 1966 erwarb er das Hochgebirgsabzeichen der Armee, 1965 bis 1969 besuchte er einen Kurs als JO-Leiter und zwei Rettungskurse. Als JO-Leiter wirkte er 1964 bis 1970 an zehn Touren mit; sechsmal unter Walter Zinsli.
Alle vier Leiter waren erfahrene Skiläufer und Berggänger, technisch Zinsli teilweise überlegen. Der Präsident der Sektion Bachtel beurteilte Zinsli und seine Unterleiter charakterlich und technisch sehr gut.
4.- Am 27. März 1970 unternahmen die Kursteilnehmer nach ihrer Ankunft am Standort eine kleine Angewöhnungstour. Am 28. März brachen alle 20 Teilnehmer um 8 Uhr bei scharfer Kälte und beissendem Wind zur Tour auf den Piz Piot auf. Zunächst marschierten alle gemeinsam von Juf gegen den Talhintergrund. Als die Steigung gegen den Piz Piot begann, übernahm JO-Leiter Hans-Rudolf Kägi die Führung und spurte abwechselnd mit zwei Teilnehmern. Zinslis Tochter Susanne hatte beim Aufstieg Mühe, weshalb Zinsli mit ihr bei Punkt 2770 zurückblieb, während alle anderen noch bis Punkt 2822 aufstiegen. Die schwächeren Teilnehmer, hauptsächlich die Mädchen, blieben auf dieser Höhe. JO-Leiter Trafelet stieg mit zwei Teilnehmern gegen die Scharte östlich von Punkt 2959 und erreichte den Gipfel. Einige andere Teilnehmer waren von Punkt 2822 zu Fuss noch ein Stück weit über den verschneiten Fels gegen den Gipfel des Piot aufgestiegen, kehrten dann aber um. Darauf wurden wieder die Skier angezogen und bis zu Punkt 2822 abgefahren, wo gleichzeitig auch die Gruppe Trafelet eintraf. Die bei Punkt 2822 zurückgebliebenen schwächeren
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Leute waren bereits abgefahren. Sie trafen bei Punkt 2770 auf Zinsli und dessen Tochter und fuhren gemeinsam mit diesen nach Juf ab. Zinsli traf mit der ersten Gruppe von insgesamt acht Personen etwa um 13.30 Uhr in Juf ein und begab sich in die Unterkunft. Die übrigen zwölf Teilnehmer folgten grüppchenweise und hatten keine Verbindung mehr zur ersten Gruppe. In der Gegend von Bleis entschlossen sich VU-Leiter Glückler und JO-Leiter Trafelet, einen Abstecher gegen das Wengenhorn zu machen. Die VU-Teilnehmer Sauter und Arbenz schlossen sich ihnen an; die übrigen setzten den Weg Richtung Juf fort. Es war zwischen 13 und 13.15 Uhr, als sich diese Leute trennten. Bei der Ankunft in Juf meldete Hans-Rudolf Kägi von sich aus dem Lagerleiter Zinsli, Glückler habe mit drei weiteren Teilnehmern noch einen Abstecher gemacht. Zinsli nahm die Meldung kommentarlos entgegen.Glückler, Trafelet, Arbenz und Sauter stiegen in einer bestehenden Aufstiegspur auf der linken Talseite in den kahlen, nach Nordost geneigten Hang ein, der zum Mugmol führt, einen dem Wengenhorn vorgelagerten, von diesem aber deutlich getrennten Bergkopf. Da die von der Gruppe benützte Spur auf der Höhe von etwa 2400 m nach links weiterführte, bogen die vier Skifahrer nach rechts ab und begannen den Hang zu durchqueren. Sie gingen in einem Abstand von zwei Metern hintereinander, als weiter oben im Hang hinter ihnen der Schnee abzurutschen begann. Schliesslich geriet der ganze Hang in Bewegung. Die vier Burschen wurden in die Tiefe gerissen und unter den Schneemassen begraben.
Eine Unbekannte hatte den Schneerutsch, der etwa um 14.15 Uhr niedergegangen war, beobachtet und in Juf Meldung erstattet. Walter Zinsli erhielt ungefähr um 14.40 Uhr Nachricht vom Unglück. Nachdem die Rettungskolonne alarmiert war, begaben sich die Teilnehmer des JO-Lagers sofort auf die Unfallstelle und nahmen die Sucharbeiten unverzüglich auf. Jakob Sauter konnte nach kurzer Zeit lebend geborgen werden. Die später aufgefundenen Arbenz und Trafelet wurden per Helikopter ins Kantonsspital Chur geflogen; die Wiederbelebungsversuche blieben jedoch erfolglos. Glückler wurde als letzter am Abend tot aufgefunden.
5.- a) Zinsli hatte das Lawinenbulletin vom 26. für den 27. März abgehört, das wie folgt lautete:
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"26. März 1970: Bei zur Zeit noch verhältnismässig hohen Temperaturen macht die Durchnässung der Schneedecke grosse Fortschritte. Bis in Höhen von rund 2200 m, an Steilhängen mit starker Einstrahlung sogar bis gegen 2400 m werden weiterhin zahlreiche Nasschneelawinen abgleiten. Aus umfangreichen Einzugsgebieten mit bedeutenden Schneemengen können nun auch grössere und bis in die Talsohlen vordringende Grundlawinen auftreten. Auf Hochtouren besteht für den Skifahrer oberhalb rund 2200 m weiterhin eine mässige Schneebrettgefahr, vor allem an Hängen, die in östlicher oder nördlicher Richtung abfallen. Dagegen sind die Gletscher dieses Jahr im allgemeinen stark zugeschneit, so dass die Spaltengefahr als verhältnismässig gering beurteilt werden darf."
Dagegen hat er das für den 28. März gültige Bulletin vom 27. März nicht abgehört. Es lautete:
"27. März 1970: Die eingetretene Abkühlung mit Schneefällen bis gegen 1000 m hinunter hat eine wesentliche Umgestaltung der Lawinensituation zur Folge. Die Gefahr des Abgleitens von Nasschneerutschen und Grundlawinen ist stark zurückgegangen, und bei einem weiteren Absinken der Temperaturen sind solche Niedergänge nicht mehr zu erwarten.
Dagegen ist die Lawinengefahr für den Skitouristen nicht zurückgegangen. Sie besteht in Form einer lokalen Schneebrettgefahr oberhalb rund 2000 m weiter und ist vor allem an nördlich und östlich abfallenden Hängen zu beachten. Sollten die heute Freitagmorgen noch andauernden Schneefälle bei starken Nordwestwinden grösseres Ausmass annehmen, würde sich diese Gefahr rasch erhöhen und auch in tiefer liegenden Zonen auftreten."
Er hat sich auch nicht erkundigt, ob einer der ihm untergebenen Hilfsleiter dieses Lawinenbulletin kannte. Tatsächlich war das nicht der Fall.
Zwischen dem 26. und 27. März hatten neue Schneefälle und starker Wind die Lawinengefahr in der Tat verschärft.
b) Zinsli hat sich auch nicht in anderer Weise über die allgemeinen oder konkreten Lawinenverhältnisse in der Gegend erkundigt, abgesehen von einem beiläufigen Gespräch mit einem Gastwirt, wobei dieser erwähnt haben soll, an welchen Stellen in den letzten Jahren Lawinen niedergegangen seien.
Zinsli verfügte über einen Skiroutenführer, der für vereinzelte Stellen die Lawinengefahr erwähnt. Die von den Lagerteilnehmern befahrene Route und der Unglückshang wurden in diesem Führer nicht näher erörtert.
c) Vor der Tour wurde weder eine einlässliche Vorbesprechung unter Berücksichtigung der Lawinengefahr noch eine
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Gruppeneinteilung vorgenommen. Zinsli verliess sich auf die ihm als tüchtig bekannten Unterführer und die spontane Zusammenarbeit, die sich schon wiederholt bewährt hatte. Tatsächlich übernahmen seine Unterführer ohne besondere Weisung jeweils die sich bildenden Gruppen und Grüppchen von Teilnehmern.d) Auch für die Rückfahrtsroute traf Zinsli keine Anordnungen, obwohl er als erster mit der schwächsten Gruppe abfuhr, und zwar wegen aufziehenden Nebels früher als vorgesehen. Er verliess sich darauf, dass die Unterleiter die restlichen Teilnehmer wohlbehalten zurückführen würden.
e) Ein vom Leiter des Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung eingeholtes Gutachten äussert sich u.a. wie folgt:
"Die Gefahr am NE-Hang des Mugmol muss aufgrund des skizzierten Wetterablaufes und der damit begründeten Schneedeckenentwicklung als für den Skifahrer ausgeprägt beurteilt werden. Es herrschte dort eine heimtückische lokale Schneebrettgefahr.
a) Für den Lagerleiter gab es keine Möglichkeit, die Lawinengefahr am Unfallhang zuverlässigzubeurteilen oder sogar zu erkennen. Insbesondere konnten auf der gleichentags ausgeführten Tour auf den Piz Piot keine Beobachtungen gewonnen werden, die auf eine solche Gefahr hingewiesen und damit eine ev. Warnung an die einzelnen Tourenleiter ermöglicht hätten.
b) Auch für die Unfallgruppe war die Gefahr aus den obenerwähnten Gründen nicht zu erkennen."
B.- Der Kantonsgerichtsausschuss Graubünden verurteilte am 18. Februar 1972 Walter Zinsli wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) zu einer Busse von Fr. 500.-- mit bedingter Löschung des Eintrags bei Wohlverhalten während eines Jahres.
C.- Zinsli führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Freisprechung.
Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Der fahrlässigen Tötung macht sich gemäss Art. 117 StGB schuldig, wer eine für den Tod eines Menschen kausale Handlung begeht, von der er bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte voraussehen können, dass sie geeignet war, diesen Erfolg herbeizuführen. In gleicher Weise macht sich strafbar, wer in Verletzung einer Rechtspflicht eine Handlung unterlässt und bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte voraussehen
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können, dass die unterlassene Handlung geeignet war, den Tod eines Menschen abzuwenden (BGE 96 IV 174 a, BGE 86 IV 220, BGE 83 IV 13,BGE 79 IV 145; SCHWANDER, Strafgesetzbuch, 2. Aufl. Nr. 156 ff.).Der Beschwerdeführer bestreitet sowohl, dass die ihm vorgeworfenen Unterlassungen rechtserheblich kausal für den Tod der drei Skifahrer gewesen seien, wie auch, dass er sich fahrlässig verhalten habe.
2. Das angefochtene Urteil bejaht die natürliche Kausalität. Zinsli hätte am Unglückstag für eine geordnete Rückfahrt sorgen und Extratouren untersagen können. Indem er dies unterliess, setzte er eine unerlässliche Ursache des tödlichen Unfalles. Auch der Umstand, dass er nicht das Lawinenbulletin abhörte und mit den Unterführern gestützt darauf die Lawinenlage genau erörterte, war eine wesentliche natürliche Ursache des Unfalls. Hätte Zinsli diese Vorsichtsmassnahmen getroffen, dann würden die beiden verunfallten Führer auf den Abstecher verzichtet haben.
Diese Feststellungen sind tatsächlicher Natur und können mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerügt werden (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Der Beschwerdeführer hat dies mit Recht auch nicht versucht.
3. Ob eine natürliche Ursache rechtserheblich sei, ist eine Rechtsfrage. Adäquate Kausalität ist gegeben, wenn eine Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, einen solchen Erfolg herbeizuführen oder zu begünstigen (BGE 91 IV 120, 187 mit Verweisungen). Rechtserhebliche Kausalität ist zu verneinen, wenn die natürliche Verursachung soweit ausserhalb der normalen Lebenserfahrung liegt, dass die Folge nicht zu erwarten war.
a) Als völlige Verkennung des Begriffs des rechtlich erheblichen Kausalzusammenhangs rügt die Nichtigkeitsbeschwerde die Ausführungen des Urteils, wonach beim Vorliegen des natürlichen Kausalzusammenhangs die Adäquanz äusserst selten verneint werden könne, was auch im vorliegenden Fall zutreffe. Die Beschwerde erblickt darin eine ungeprüfte Vorwegnahme des vom Gericht anscheinend gewollten Ergebnisses.
Der Einwand geht fehl. Ob das Ergebnis einer einlässlichen Prüfung im Urteilstext an die Spitze oder an das Ende der entsprechenden Erwägungen gesetzt wird, hat nur redaktionelle Bedeutung. Entscheidend ist einzig, ob die festgestellten
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Tatsachen den rechtlichen Schluss erlauben oder ob die hiefür vorgebrachten Erwägungen rechtsverletzend sind.Nichts bestätigt die Vermutung des Beschwerdeführers, die zitierte Erwägung nehme das Ergebnis einer noch gar nicht durchgeführten Prüfung vorweg, weil das Gericht gerade dieses Ergebnis anstrebe. Aus dem Zusammenhang ergibt sich im Gegenteil, dass damit lediglich die ausführliche Begründung eingeleitet werden sollte, indem vorweg deren Ergebnis bekanntgegeben wurde.
Ob wirklich behauptet werden kann, einer festgestellten natürlichen Kausalität entspreche meist auch eine adäquate Verursachung, erscheint zweifelhaft, kann aber dahingestellt bleiben. Die Aussage ist ohne Wirkung auf die rechtliche Schlussfolgerung im vorliegenden Fall.
b) Das angefochtene Urteil erblickt eine adäquate Ursache des tödlichen Unfalls in dem Umstand, dass Zinsli das Lawinenbulletin vom 27. März nicht abhörte und daher mit seinen Leitern auch nicht besprach. Die Nichtigkeitsbeschwerde macht geltend, das Bulletin vom 27. März habe entgegen der aktenwidrigen Darstellung des Urteils gegenüber dem Bulletin des Vortages, das von Zinsli abgehört worden war, keine Verschärfung der Lage gemeldet. Zinsli habe mit seinen Leitern im übrigen zweimal über die Schneebrettgefahr gesprochen, er habe Rettungsmaterial mitnehmen lassen und sich auf seine erfahrenen Leiter verlassen dürfen. Das Lawinenbulletin sei ein zwar gutes generelles Hilfsmittel, erlaube aber keine Schlüsse auf die Gefährlichkeit eines bestimmten Hanges. Aus dem Gutachten des Eidg. Schnee- und Lawinenforschungsinstituts ergebe sich, dass am Unglückshang weder Zinsli noch seine Unterführer eine Gefahr hätten entdecken können. Der Umstand, dass Zinsli das Bulletin nicht abhörte, sei daher nicht adäquat kausal für den Unfall gewesen.
Das Argument des Beschwerdeführers, das Lawinenbulletin vom 27. März habe gegenüber demjenigen vom 26. März keine Verschärfung gebracht, trifft nicht zu. Aus dem zweiten Bulletin ergab sich, dass die Lawinengefahr an nördlichen und östlichen Hängen fortbestand und bei Schneefall und Nordwestwinden rasch zunehmen konnte. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat es zwischen der Ausgabe des Lawinenbulletins und der Unglückstour weiter geschneit und es waren starke Winde aufgetreten. Die Lawinengefahr konnte gemäss Bulletin also
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wesentlich angestiegen sein. Das angefochtene Urteil folgert daraus, Zinsli hätte bei Kenntnis des neuen Bulletins die Lawinenlage mit seinen Unterführern besprochen und diese hätten den in besonders gefährlicher Lage befindlichen Unfallhang meiden müssen. Diese Erwägung zur adäquaten Kausalität hält stand. Der Einwand, Zinsli habe mit seinen Leitern über die Schneebrettgefahr gesprochen, hilft nichts. Er widerspricht den Feststellungen der Vorinstanz, die mit staatsrechtlicher Beschwerde erfolglos angefochten wurden. Zudem hätten einige allgemein gehaltene Betrachtungen über die Möglichkeit einer Schneebrettgefahr nicht dieselbe Wirkung haben können wie eine Lagebesprechung, die sich auf das für den betreffenden Tag gültige Lawinenbulletin gestützt hätte. Der Umstand, dass Rettungsmaterial mitgenommen wurde (wie das für alle Vorunterrichtstouren vorgeschrieben ist) und dass der Beschwerdeführer sich auf seine Unterführer glaubte verlassen zu können, hebt den adäquaten Kausalzusammenhang nicht auf. Nachdem schon für den Vortag gewisse Gefahren gemeldet worden waren, hätte erst recht Anlass bestanden, den neuesten Bericht abzuhören und mit dem Kader zu besprechen. Daran änderte weder das Rettungsmaterial noch die Qualität der Unterführer das geringste. Tatsächlich wussten diese nicht ebensogut, sondern ebensoschlecht über die Lawinensituation Bescheid wie Zinsli.Der Beschwerdeführer kritisiert die Würdigung des Lawinenbulletins im Verhältnis zum Gutachten des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung. Damit macht er nicht mehr eine Verletzung der Rechtsnormen über die adäquate Kausalität geltend, sondern er setzt sich mit der Beweiswürdigung der Vorinstanz auseinander. Nach seiner Auffassung bedeutet das Gutachten, dass auch ein in Kenntnis des Lawinenbulletins handelnder Tourenleiter den Unglückshang traversiert hätte, weil ihm die Gefahr entgangen wäre. Demgegenüber erklärt die Vorinstanz, das Gutachten basiere auf der Voraussetzung, dass der Tourenleiter das Lawinenbulletin nicht kannte; diesem Bulletin wird daher eine besondere rechtserhebliche Bedeutung zugemessen. Die Anfechtung dieser Beweiswürdigung mit der Nichtigkeitsbeschwerde ist unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
c) Die Beschwerdeschrift beschäftigt sich ausführlich mit dem Vorwurf an Zinsli, er habe keinen geordneten Rückmarsch anbefohlen. Tatsächlich sei auch ohne ausdrücklichen Befehl
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eine freiwillige Gruppendisziplin eingehalten worden. Der Abstecher auf den Mugmol sei von zwei erfahrenen Leitern beschlossen und geführt worden.Auch diese Rüge ist unbehelflich. Zunächst geht es hier nicht um die Prüfung eines Vorwurfs (d.h. um das Verschulden des Beschwerdeführers), sondern um die rechtserhebliche Verursachung. Hiezu stellt die Vorinstanz ausdrücklich fest, dass nicht die mangelnde Gruppeneinteilung als solche ins Gewicht fällt, sondern die allgemein mangelhafte Ordnung und lockere Disziplin. Mangelhaft war der Rückmarsch nicht in erster Linie deshalb, weil Zinsli keine Gruppeneinteilung vorgeschrieben hatte, haben sich doch die Unterführer spontan der einzelnen Gruppen angenommen. Rechtserheblich kausal für den Unfall war indessen der Umstand, dass Zinsli keine genauen Anweisungen für den Rückmarsch und insbesondere über die einzuschlagende Route erteilt hatte. Dass bei Unterlassung solcher Anweisungen und bei allgemein laxer Disziplin Abstecher einzelner Teilnehmer oder Teilnehmergruppen zu erwarten waren und dass solche Abstecher von der Hauptgruppe leicht in gefährliche Regionen führen konnten, über die man sich vorher gar nicht besprochen hatte, entspricht allgemeiner Lebenserfahrung. Die Wahrscheinlichkeit solcher unkontrollierter Abstecher war umso grösser, als Zinsli mit der Hauptgruppe bereits zu Tal gefahren war.
d) Mit Recht hat sich die Vorinstanz nicht darauf beschränkt, jedes einzelne Element zu würdigen, dessen adäquate Kausalität von ihr bejaht und von der Verteidigung bestritten wird. Sie hat zutreffend den Gesamtverlauf der Dinge überblickt und ist zum Schluss gekommen, dass die kumulierten Unterlassungen Zinslis rechtserhebliche Ursachen des Unfalls waren. Die allgemein wenig straffe Kursführung, die Unterlassung einer genauen auf das neueste Lawinenbulletin gestützten Lagebesprechung, der Verzicht auf bestimmte Weisungen für die Rückfahrt, insbesondere auf ein Verbot nicht vorbesprochener Abstecher, und schliesslich die Rückfahrt Zinslis mit der ersten Gruppe, unbekümmert um die andern Teilnehmer, waren durchaus geeignet, zu Einzel- oder Gruppenfahrten abseits der Hauptroute Anlass zu geben und die Teilnehmer in eine schwere Gefahrensituation zu führen. Mit Recht stellt die Vorinstanz fest, dass auch das Fehlverhalten der Hilfsleiter im Unglückshang nicht ausserhalb normaler Lebenserfahrung liegt.
Die adäquate Kausalität der Unterlassungen für den Tod der drei Skifahrer ist ohne Verletzung von Bundesrecht durch die Vorinstanz bejaht worden.
4. Die Nichtigkeitsbeschwerde macht geltend, das angefochtene Urteil verletze Art. 18 Abs. 3 StGB. Es stellt sich somit die Rechtsfrage, ob Zinsli der Vorwurf gemacht werden kann, sich pflichtwidrig unvorsichtig verhalten zu haben, indem er die Massnahmen unterliess, die an sich geeignet gewesen wären, den Unfall zu verhindern. Sein Verhalten war pflichtwidrig, wenn er die Vorsicht nicht beachtete, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet war.
Die Voraussehbarkeit der Folgen eigenen Verhaltens hängt ausser von den Umständen des Einzelfalles auch von den persönlichen Verhältnissen des Täters ab. Die geistigen Anlagen, die besonderen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem fraglichen Sachgebiet können einen Täter befähigen, die Möglichkeit einer Gefahr und deren Verwirklichung auch unter Umständen zu erkennen, die nach gewöhnlicher Lebenserfahrung noch nicht als gefährlich erscheinen würden. Dementsprechend übersteigt die Vorsichtspflicht eines solchen Täters diejenige eines andern, dem ähnliche Fähigkeiten und Fachkenntnisse abgehen (BGE 97 IV 172 mit zahlreichen Verweisungen).
a) Zinsli verfügt über aussergewöhnliche, in vielen Kursen und Lagern erworbene und erprobte Berg- und Skierfahrung. Er hat auch einen besonderen Lawinenrettungskurs absolviert. Dieser besondern Qualifikation entspricht eine gegenüber einem gewöhnlichen Skitouristen wesentlich gesteigerte Sorgfaltspflicht.
Anklage und Vorinstanz heben mit Recht die besondere Vertrauensstellung des Beschwerdeführers im allgemeinen und beim konkreten Skitourenlager hervor. Zinsli war langjähriger Chef der JO seiner SAC-Sektion. Er war die oberste Autorität für alle Fragen der Durchführung von Berg- und Skitourenlagen. Dank seiner langjährigen umfassenden Kenntnisse, dank der auch in der Armee bewährten bergsteigerischen Fähigkeiten, vertrauten ihm Eltern und Klubkameraden die minderjährigen Kinder an, die Mitglieder der JO waren. Er war auch der verantwortliche Chef der ihm unterstellten JO-Leiter, und zwar auch derjenigen, die ihm an technischem und skifahrerischem Können nicht nachstanden. Diese Umstände, unter denen er
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die Tour organisierte und führte, verpflichteten ihn zu allen denkbaren Vorsichtsmassnahmen. Seine Sorgfaltspflicht überstieg bei weitem das, was von einem Skifahrer gefordert werden kann, der lediglich einen Klubkameraden oder Familienangehörige führt. Er musste alles tun, um allfällige Gefahren zu erkennen oder nicht erkennbare Gefahren möglichst zu vermeiden.Da das fragliche Lager wie schon in früheren Fällen zugleich als Wahlfach des militärischen VU durchgeführt wurde, hatte Zinsli auch die folgenden, für solche Kurse geltenden Sicherheitsvorschriften (Ausführungsvorschriften des EMD über den turnerisch-sportlichen Vorunterricht vom 18.9.1959, Anhang 3) einzuhalten:
"Es sind leichte Routen zu wählen, die möglichst frei von objektiven Gefahren sind...".
"Jede Teilstrecke einer Tour ist vor der Begehung auf Schwierigkeit, Zeitaufwand, subjektive und objektive Gefahren zu beurteilen...".
"Bei Lawinengefahr dürfen keine Touren abseits gesicherter Routen durchgeführt werden, Lawinenhänge sind wenn irgend möglich zu umgehen.".
"Sämtliche Sicherheits- und Rettungsmassnahmen müssen mit dem Ausbildungskader gründlich vorbesprochen und vorbereitet werden."
Schon hieraus ergibt sich zwingend, dass Zinsli individuelle Abstecher hätte untersagen müssen, auch wenn sie von gut ausgewiesenen Hilfsleitern geführt wurden, denn er war dafür verantworlich, dass sämtliche Teilstrecken einer Tour auf subjektive und objektive Gefahren beurteilt worden waren. Dazu war er naturgemäss nicht in der Lage, wenn vorher nicht besprochene Sonderfahrten unternommen wurden.
b) Selbst wenn man von dieser besondern Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers als JO-Chef und VU-Führer absieht, traf ihn jedenfalls die einem jeden Tourenführer obliegende Sorgfaltspflicht, stand doch die ganze Tour unter seiner Oberaufsicht. Rechtsprechung und Literatur betonen übereinstimmend die hohen Ansprüche, welche an die Sorgfaltspflicht von Kurs- und Tourenleitern, Ski- und Bergführern, Reitlehrern und andern Autoritätspersonen gestellt werden, denen weniger erfahrene, insbesondere jugendliche Personen anvertraut sind (BGE 83 IV 15, BGE 91 IV 127, 183, auch BGE 97 IV 171, BGE 98 IV 7; KLEPPE, Die Haftung bei Skiunfällen in den Alpenländern,
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S. 121, 129; PICHLER, Pisten, Paragraphen, Skiunfälle, S. 148, 153, 162 f.). Zinsli hat auch nicht etwa auf dem Rückweg einen Teil der Leitung und Verantwortung ausdrücklich an einen qualifizierten Hilfsleiter delegiert. Das hätte beispielsweise geschehen können, wenn er im aufziehenden Nebel eine Gefahr für die schwächeren Fahrer gesehen und deshalb mit ihnen sofort die Rückfahrt angetreten hätte, ohne eine Verzögerung bis zur Ankunft der übrigen Teilnehmer in Kauf zu nehmen. Hätte er in einer solchen Notlage gleichzeitig einem oder mehreren seiner Hilfsleiter genaue Anweisungen für die Rückführung der übrigen Teilnehmer gegeben, so wäre sein Verschulden möglicherweise anders zu beurteilen. Obwohl der Beschwerdeführer die Möglichkeit zu solchen Weisungen gehabt hätte, liess er einen Hilfsführer zurück, ohne ihn zu instruieren. Unter diesen Umständen trifft ihn die volle Verantwortung auch für die Rückfahrt derjenigen Teilnehmer, die erst nach seiner Abfahrt eintrafen und über die er daher keine persönliche Kontrolle mehr ausüben konnte.c) Der Beschwerdeführer hat nichts vorgebracht, was die Annahme entkräften könnte, es habe ihn nach seinen persönlichen Verhältnissen und den Umständen des Tourenlagers eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Hingegen macht er geltend, er habe alles ihm Zumutbare vorgekehrt und seine Sorgfaltspflicht damit erfüllt.
Richtig ist, dass Zinsli das Tourenlager organisatorisch umsichtig geplant hat. Es wird ihm denn auch nicht etwa vorgeworfen, allgemein leichtfertig gehandelt zu haben. Dass er, wie die Beschwerde betont, gut ausgewiesene Leiter als Hilfsführer beigezogen hat, dass er am 26. März das Lawinenbulletin abhörte, dass er in richtigem Entschluss auf die Besteigung der Forcellina verzichtete und die Tour auf den Piz Piot führte, ist unbestritten. Es war auch richtig, den ihm unterstellten Leitern eine gewisse eigene Initiative einzuräumen. Dagegen fragt sich, ob der Beschwerdeführer damit wirklich alle Vorsichtsmassnahmen ergriffen hat, die ihm zuzumuten waren. Insbesondere ist zu prüfen, ob die als adäquate Ursachen des Unfalls erkannten Unterlassungen (oben Ziff. 3) auf pflichtwidrige Unvorsichtigkeit des Beschwerdeführers zurückzuführen sind.
d) Zinsli war verpflichtet, vor Antritt der Tour die Lawinensituation mit aller Sorgfalt zu überprüfen. Wie er selbst wiederholt
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geltend macht und aus vertiefter Kenntnis der Verumständungen weiss, fällt es auch dem erfahrenen Tourenleiter schwer, die Lawinengefahr an Ort und Stelle zu erkennen. Wer von einer Lawine mitgerissen wird, ist auch dann sehr stark gefährdet, wenn er gut trainiert und ausgebildet ist und rasch Hilfe von aussen erhält. Die Gefahr tödlicher Unfälle ist erheblich grösser als diejenige schwerer Folgen von Knochenbrüchen und Zerrungen, wie sie bei Skifahrten immer wieder vorkommen können.Nach dem Gutachten war die Lawinengefahr im konkreten Gebiet örtlich kaum erkennbar, jedenfalls weder für den Beschwerdeführer noch für seine Leiter. Zinsli selbst beruft sich immer wieder auf diese Schlussfolgerungen.
Gerade weil aber eine sichere Beurteilung der Lawinengefahr im Gelände oft äusserst schwierig ist, kommt dem Lawinenbulletin eine entscheidende Bedeutung zu. Die Verteidigung betont in der Beschwerdeschrift selbst, dass das Eidg. Schnee- und Lawinenforschungsinstitut Weissfluhjoch-Davos zur internationalen Spitze der Fachleute auf diesem Gebiet gehört. Die vom Institut ausgehenden Lawinenbulletins geniessen den Ruf grosser Zuverlässigkeit. Dementsprechend verlangen Literatur und Praxis schon vom privaten Ski- und Tourenleiter, dass er vor Beginn einer Tour sich Kenntnis vom neuesten Lawinenbulletin verschaffe (BGE 91 IV 123; PICHLER, Pisten, Paragraphen, Skiunfälle, S. 149; WASTL MARINER, Schach dem Lawinentod, in "Sicherung vor Berggefahren", S. 136; KLEPPE, Die Rechtspflicht der Skilehrer, der Skiführer und der Skischulen, SJZ 1968 S. 329 ff.; MEN ZINSLER, Die polizeilichen Erhebungen bei alpinen Unfällen, Kriminalistik 1970 S. 99). Zinsli hat die Tour angetreten, ohne das für den Tag geltende Bulletin abzuhören und mit seinen Leitern zu besprechen. Diese Unterlassung ist um so unverständlicher, als das von ihm beigezogene Bulletin des Vortages bereits Schneebrettgefahr für Ost- und Nordhänge gemeldet und sich die Lage seither durch neue Schneefälle und starken Wind jedenfalls nicht gebessert hatte. Zinsli hätte also allen Anlass gehabt, das neue Bulletin abzuhören, was ihm ohne jeden Aufwand telefonisch möglich gewesen wäre. Die Unterlassung war sogar unter dem Gesichtspunkt der von Zinsli selbst mit seinen Unterführern und den Jugendlichen unternommenen Tour ein schwerer Fehler, der sich dann aber insbesondere im Zusammenwirken
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mit den weiteren Unterlassungen des Beschwerdeführers verhängnisvoll ausgewirkt hat.e) Den Beschwerdeführer trifft der Vorwurf, bei der Vorbereitung des Tourenlagers und insbesondere der Tour vom 28. März ungenügend auf mögliche Lawinengefahren Rücksicht genommen zu haben.
Ob schon die Vorbereitung des Lagers ungenügend war wie die Staatsanwaltschaft in der Beschwerdeantwort geltend macht, kann dahingestellt bleiben. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, eine zuverlässige Abklärung der allgemeinen Lawinenlage für das fragliche Gebiet sei ohnehin erst im Ausgangslager möglich, so dass vorher keine besonderen Anstrengungen in dieser Richtung unternommen werden müssten. Spätestens nach der Ankunft in Juf, und zwar vor Antritt der "Aufwärmtour" zum Stallenberg, wohin Zinsli die Kursteilnehmer nicht begleitete, hätte er aber die Lage sorgfältig überprüfen müssen. Dazu genügte es nicht, sich auf die offensichtlich ganz summarischen Angaben im Skitourenführer und die beschränkten persönlichen Erfahrungen des JO-Leiters Welter zu verlassen. Auch ein allgemeines Gespräch mit dem Gastwirt Luzzi über Lawinenniedergänge der letzten Jahre konnte keine einwandfreie Information bringen.
Am 28. März hat Zinsli nicht nur auf das Abhören des Lawinenbulletins verzichtet, sondern auch sonst keine weiteren Abklärungen über die Lawinengefahr herbeigeführt. Auf die Besteigung der Forcellina verzichtete er vor allem wegen des strengen Aufstiegs. Dass sein Unterführer Welter zufälligerweise den Forcellinahang als schneebrettgefährlich kannte und darauf aufmerksam machte, ist nicht auf die Erfüllung einer Sorgfaltspflicht durch Zinsli zurückzuführen. Diese Mitteilung musste Zinsli immerhin klar machen, dass gewisse Hänge in der betreffenden Gegend lawinengefährlich waren, selbst dort, wo normalerweise Skitouren unternommen wurden. Das hätte ihn veranlassen müssen, alles vorzukehren, damit keine Abstecher abseits der als sicher erachteten Piot-Tour unternommen würden. In dieser Hinsicht hat er seine Vorsichtspflicht offensichtlich verletzt.
In erster Linie ist zu beanstanden, dass Zinsli seinen Leitern und den übrigen Teilnehmern keine Anweisungen über die einzuschlagende Route und die Gruppenbildung erteilte. Gewiss war es richtig, den Unterführern die Möglichkeit zu eigenen
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Entschlüssen und zur Bewährung ihrer Führungsqualitäten zu geben. Der Beschwerdeführer durfte sich auch auf die ihm bekannten guten Kenntnisse seines Kaders verlassen. Beides fand aber seine Grenzen dort, wo Unfallgefahren auftauchen konnten, und wo Zinsli selbst die Oberaufsicht nicht mehr auszuüben vermochte. Da er nicht genau über die konkrete Lawinengefahr Bescheid wusste, aber schon aufgrund der Angaben Welters mit solchen Gefahren abseits der Hauptroute rechnete, musste er verhindern, dass diese Route verlassen würde. Er konnte dies wie beim Aufstieg in der Weise tun, dass er in Ruf- und Sichtweite der verschiedenen Gruppen blieb, um sofort einzugreifen, wenn jemand von der Route abwich. Wollte er den einzelnen Gruppen eine grössere Bewegungsfreiheit und örtliche Selbständigkeit einräumen, so musste er darüber hinaus die Teilnehmer, besonders aber sein Kader, genau instruieren.Schlechterdings unverständlich ist, dass Zinsli mit der schwächsten Gruppe bei Wetterverschlechterung vorzeitig zu Tal fuhr, ohne den übrigen Teilnehmern und Leitern Weisungen für die Rückfahrt zu hinterlassen oder sich auch nur über ihre Absichten zu unterrichten. Damit gab er die Führung und Kontrolle völlig aus der Hand, und zwar unter Verhältnissen, die ihm einerseits selbst nicht als harmlos erschienen (Änderung der ursprünglich vorgesehenen Tour, vorzeitige Talfahrt wegen Nebels) und über die anderseits weder er selbst noch seine Unterführer sich genügend Klarheit verschafft hatten. In dieser Lage wäre er ohne jeden Zweifel verpflichtet gewesen, darüber zu wachen, dass alle Teilnehmer und Unterführer innert nützlicher Frist auf der als ungefährlich erkundeten Route zurückfahren würden. Nachdem er schon beim Aufstieg hatte beobachten können, dass seine Unterführer mit einzelnen Gruppen nach Gutdünken auf verschiedenen Routen teils zu Fuss, teils zu Ski verschieden weit zum Gipfel aufstiegen, hätte er erst recht mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sich auch auf der Abfahrt Sonderzüglein bilden würden. Er hatte keine Möglichkeit mehr, diese Abstecher zu überwachen. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sich nicht nur eine, sondern wie beim Aufstieg mehrere Gruppen von der Hauptroute entfernten, wobei aber nur ein Mann mit Lawinenrettungsmaterial ausgerüstet war und keine Gewähr bestand, dass die Gruppen unter sich in Sichtverbindung blieben.
f) Die Beschwerde vermag diese Vorwürfe nicht zu entkräften. Der Einwand, die allgemeine Situation sei genügend abgeklärt worden bzw. die Gefahr habe ohnehin nicht erkannt werden können, wurde bereits widerlegt.
Aber auch die Behauptung, Zinsli habe sich auf seine Unterführer verlassen dürfen und keinen Anlass zu weitergehenden Anordnungen gehabt, hält nicht stand. Gewiss verfügten die JO-Leiter über erhebliches bergsteigerisches und skifahrerisches Können und hatten sich auch bei früheren Touren bewährt. Trotz der zwischen Zinsli und seinem Kader bestehenden Kameradschaft konnte ihm nicht entgehen, dass er selber älter, reifer und bedächtiger war als sie und dass sie sich auf seine Führung verliessen, was sich zwangsläufig auch dort auswirken musste, wo er selbst ein schlechtes Beispiel gab (BGE 91 IV 185). Indem er den Leitern beim Aufstieg weitgehende Freiheit liess und sich auf der Rückfahrt mit seiner Gruppe vorweg von den übrigen Teilnehmern entfernte, musste er bei den Unterführern den Eindruck erwecken, er sehe die Situation als so ungefährlich an, dass er ihnen freie Hand bei der Wahl der Abfahrtsroute lasse.
Die Beschwerde beanstandet, dass die Vorinstanz die individuelle Ausgestaltung des Aufstiegs als zulässig erklärt, den Leitern für die Rückfahrt aber nicht dieselbe Entscheidungsbefugnis zubilligen will, obwohl der Mugmol und der Piot gleiche Verhältnisse aufgewiesen hätten. Wie bereits dargetan, bestand der entscheidende Unterschied darin, dass Zinsli beim Aufstieg die Gruppe stets vor Augen hatte und jederzeit eingreifen konnte, während er bei der Rückfahrt Führung und Kontrolle gänzlich aus der Hand gab, obwohl sich die Sichtverhältnisse verschlechterten. Er hat übrigens bei der Einvernahme durch den ortskundigen Untersuchungsrichter zugeben müssen, dass die Abrutschgefahr auf dem glatten Hang des Mugmol grösser war als beim Piot, wo zerklüfteter Fels die Schneedecke festhielt. Im übrigen kannte der Beschwerdeführer weder den einen noch den andern Hang. Selbst wenn er gewusst hätte, dass die Unterführer einen Abstecher zum Mugmol unternehmen würden, hätte er also nicht damit rechnen dürfen, dass dieser gefahrlos verlaufen werde.
Schliesslich hilft es Zinsli auch nicht, dass in seinem Fall gewisse gravierende Umstände fehlen, die zur Verurteilung im
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Falle Bogner (BGE 91 IV 118) geführt haben. Gewiss erscheint das Verschulden des Beschwerdeführers an sich geringer als dasjenige von Bogner, der drei eindeutige Warnungen missachtet hat. Anderseits führte Bogner eine aus erwachsenen Skifahrern der Weltklasse zusammengesetzte Gruppe, während Zinsli die Verantwortung für zehn minderjährige Burschen und fünf Mädchen zu tragen hatte, die ihm von Eltern und Behörden im Rahmen eines JO- und VU-Lagers anvertraut waren. Auch für die Unterführer trug er als Chef und Klubkamerad eine besondere Verantwortung. Seiner daraus erwachsenen besondern Sorgfaltspflicht hat der Beschwerdeführer nicht genügt.Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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