BGE 99 IV 253
 
60. Urteil des Kassationshofes vom 24. Oktober 1973 i.S. Schneider gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg
 
Regeste
1. Art. 125 Abs. 1 und 126 StGB. Die durch einen Streifschuss zugefügte Verletzung kann, wenn sie geringfügig ist, Tätlichkeit sein (Erw. 1).
 
Sachverhalt


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A.- Am frühen Morgen des 28. März 1970 wilderten Charles Delabays und Emil Ropraz in der Gegend von Ins. Auf eine Meldung des Wildhüters fuhr Polizist Adolf Schneider in Zivilkleidung in einem VW-Personenwagen in das fragliche Gebiet und nahm dort die Verfolgung der Wilderer auf, die sich in einem Dreiradauto auf der Strasse Ins-Murten davonmachten. Ein erstes Mal wurden sie ausgangs Ins durch Schneider angehalten, der dabei seine Dienstpistole zog und sich durch Vorzeigen der Dienstmarke als Polizist auswies. Die Wilderer ergriffen jedoch die Flucht und versuchten durch Zick-Zack-Fahren den

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nachfolgenden Polizisten am Überholen zu hindern. Kurz nach der Kreuzung Sugiez-Murten gelang es Schneider, das Dreiradauto an den rechten Strassenrand abzudrängen und zum Anhalten zu zwingen. Als er ausstieg, gelang es Delabays, sein Fahrzeug wieder in Gang zu setzen und den Polizisten links zu umfahren, wobei dieser einen Sprung zur Seite machen musste, um vom Fahrzeug nicht erfasst zu werden. Schneider gab hierauf aus seiner Pistole drei Schüsse auf das rechte Hinterrad des Fluchtwagens ab. Ein Geschoss blieb im rechten Hinterrad und ein zweites in der rechten Wagentüre stecken, während das dritte Ropraz unter der rechten Achselhöhle verletzte. Die beiden Wilderer konnten wenig später gestellt werden.
B.- Auf Strafanzeige von Ropraz wurde gegen Schneider eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Körperverletzung, eventuell einfacher Körperverletzung durchgeführt.
Am 9. Februar 1973 sprach das Zuchtgericht des Seebezirks den Beschuldigten von der Anklage frei.
Auf Kassationsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hob der Strafkassationshof des Kantons Freiburg das freisprechende Urteil auf. Er erklärte Schneider der fahrlässigen Körperverletzung nach Art. 125 Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von fr. 150.--.
C.- Schneider führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kassationshofes sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz hat zu diesem Einwand, den der Beschwerdeführer bereits in der Untersuchung vorgebracht hatte, nicht Stellung genommen. Sie führt bloss aus, Ropraz habe unbestreitbar eine körperliche Schädigung erlitten, die nach den Zeugnissen der Ärzte Flury und Schmid nicht schwer gewesen sei. Der

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Beschwerdeführer habe zudem die Verletzung nicht vorsätzlich zugefügt. Es sei daher Art. 125 Abs. 1, nicht Absatz 2, anzuwenden.
Im Arztzeugnis von Dr. Flury wird erklärt, es handle sich bei der Schädigung um eine oberflächliche, leichte Verletzung, die keine Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt habe. Anschliessend wird festgestellt: "La balle a été extraite par le médecin de la région où l'accident était arrivé." Musste tatsächlich ein Steckschuss operativ entfernt werden, so liegt offensichtlich eine Körperverletzung im Sinne von Art. 125 vor, nicht bloss eine Tätlichkeit. Dem widerspricht aber das Zeugnis von Dr. Schmid, der Ropraz unmittelbar nach dem Vorfall untersucht hatte. Dieser Arzt bescheinigt, dass mit der Sonde kein Schusskanal zu finden gewesen sei und dass auch die Durchleuchtung völlig normale Verhältnisse ergeben habe, weshalb ein Steckschuss mit Sicherheit auszuschliessen sei. Nach dem weitern Befund dieses Arztes war die unterhalb der rechten Achselhöhle festgestellte Hautschwellung in der Grösse eines Zweifrankenstückes, deren Zentrum eine 4 x 4 mm messende Erosion aufwies, die Folge eines oberflächlichen Streifschusses, durch den lediglich die oberste Hautschicht angeritzt worden sei. Ist auf diese Darstellung abzustellen, muss die geschilderte Ritzung und Schwellung der Haut, auch wenn sie anfänglich etwelche Schmerzen verursachte, nach ihrer Art und Grösse mit einer geringfügigen Schürfwunde verglichen und damit lediglich als Tätlichkeit bewertet werden.
Auf Grund der vorinstanzlichen Erwägungen, die sich mit dem zum Teil widersprüchlichen Inhalt der Arztzeugnisse nicht befassen und sich zur Art und Tragweite der Körperverletzung nicht näher aussprechen, kann somit die Rechtsanwendung nicht überprüft werden. Das angefochtene Urteil ist daher gemäss Art. 277 BStP aufzuheben und die Sache zur Feststellung der wirklichen Tatfolgen und zur neuen rechtlichen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
a) Die Vorinstanz ist nach eingehender Prüfung der Vorschriften des bernischen und freiburgischen Dienstreglements für Polizisten, die im wesentlichen übereinstimmen, zum Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer zum Gebrauch der Schusswaffe

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nicht berechtigt gewesen sei. Zur Begründung wird ausgeführt, die beiden Wilderer hätten den Beschwerdeführer weder gefährlich angegriffen noch mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht. Auch habe kein Grund bestanden, die Wilderer durch Waffengebrauch an der Flucht zu hindern, da sie sich keines schweren Delikts schuldig oder verdächtig gemacht hätten, wie in den Dienstvorschriften vorausgesetzt werde. Ausserdem habe der Beschwerdeführer entgegen den Vorschriften unterlassen, die dem Gebrauch der Schusswaffe vorauszugehende Warnung abzugeben, auf die nur im Fall einer unmittelbar drohenden schweren Gefahr verzichtet werden dürfe. Diese Feststellungen beruhen auf der Auslegung und Anwendung kantonalen Verwaltungsrechts und können daher vom Kassationshof auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht überprüft werden (Art. 269 Abs. 1 BStP, BGE 94 IV 8 oben).
b) Die Auffassung der Vorinstanz, dass das Vorgehen des Beschwerdeführers durch die polizeilichen Dienstvorschriften nicht gedeckt werde, ist auch unter dem Gesichtspunkt des bundesrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismässigkeit des Eingriffes begründet. Wie verbindlich feststeht, war sich der Beschwerdeführer von Anfang an bewusst, dass er es bei Delabays und Ropraz mit Wilderern zu tun hatte, nicht mit Verbrechern, die schwerwiegender Straftaten beschuldigt oder verdächtigt werden. Unter diesen Umständen war gegen den Gebrauch der Schusswaffe zum vorneherein grösste Zurückhaltung geboten (BGE 94 IV 9) und durfte der Einsatz dieses gefährlichsten Zwangsmittels nur in Betracht gezogen werden, wenn aus anderen wichtigen Gründen dazu Veranlassung bestand. Ein solcher Sachverhalt war nicht schon gegeben, als die Wilderer sich zweimal der polizeilichen Anhaltung durch Flucht entzogen und sich dadurch der Hinderung einer Amtshandlung im Sinne von Art. 286 StGB schuldig machten. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers lagen auch keine hinreichenden Gründe vor, die ihn berechtigten, allgemein aufeine besondere Gefährlichkeit der Wilderer zu schliessen. Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich, dass die Wilderer den Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt mit einem unmittelbaren Angriff bedrohten, sondern einzig bestrebt waren, den Zugriff der Polizei durch Flucht zu vereiteln. Darüber konnte sich auch der Beschwerdeführer Rechenschaft ablegen, nachdem er die Wilderer während längerer Zeit verfolgt hatte. Er anerkennt denn auch, dass er sich

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zum Waffengebrauch nur entschlossen habe, weil er beim zweiten Fluchtversuch durch das wegfahrende Fahrzeug der Wilderer gefährdet worden sei. Allein diese Gefährdung, auch wenn sie ernstlich gewesen ist, vermag die dreifache Schussabgabe auf den Wagen der fliehenden Wilderer nicht zu entschuldigen, gleichgültig, ob die Gefährdung vorsätzlich begangen wurde oder nicht. Denn zunächst steht fest, dass der Beschwerdeführer erst zu schiessen begann, als sich das Fahrzeug bereits entfernt hatte; er war also im Zeitpunkt der Schussabgabe keiner Gefahr.mehr ausgesetzt, so dass von einer Notwehrmassnahme (Art. 33 StGB) nicht die Rede sein kann. Sodann ist zu berücksichtigen, dass zur gewaltsamen Verhinderung der Flucht überhaupt kein zwingender Grund bestand, da der Beschwerdeführer den Namen des Fahrzeuglenkers bereits gekannt hat und zudem auch auf Grund des Fahrzeugkontrollschildes die Möglichkeit hatte, die beiden Wilderer durch die zuständige Ortspolizei anhalten zu lassen. Der Gebrauch der Schusswaffe erweist sich somit im Verhältnis zum verfolgten Zweck, der durch ungefährlichere Mittel hätte erreicht werden können, als unangemessen, weshalb die Vorinstanz die Anwendung von Art. 32 StGB zu Recht abgelehnt hat.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Strafkassationshofes des Kantons Freiburg vom 14. Mai 1973 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.