100 IV 167
Urteilskopf
100 IV 167
41. Urteil des Kassationshofes vom 23. April 1974 i.S. Brunner gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste
Art. 148 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 StGB .
1. Voraussetzungen, unter denen die Erfindung eines Arbeitnehmers dem Arbeitgeber gehört (Erw. 1).
2. Vermögensschädigung durch Abschluss eines Patentlizenzvertrages. Verbindlichkeit der Vertragsunterzeichnung durch Verwaltungsratsmitglieder von Aktiengesellschaften (Erw. 2).
3. Ungetreue Geschäftsführung, begangen durch ein Verwaltungsratsmitglied einer Aktiengesellschaft (Erw. 3).
A.- Othmar Brunner war seit 1964 Verwaltungsrat und Direktor der Bank Anker AG in Luzern und ab Januar 1966 auch Vizepräsident der 1963 gegründeten Neurit AG in Kriens. Diese Gesellschaft befasste sich mit der Herstellung und dem Verkauf von synthetischen Bauelementen, insbesondere des durchsichtigen Neuritbausteins, einer patentierten Erfindung von Robert Wyss, der seit 1963 technischer Leiter und Mitglied des Verwaltungsrates der Neurit AG war.
Anfang 1966 gelang Wyss eine weitere Erfindung, die den rahmenlosen Einbau von Glastüren und Glasfenstern in eine Glaswand betraf. Brunner liess die neue Erfindung auf den Namen der Bank Anker AG als Patent anmelden, wobei er
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vorgab, die Rechte an der Erfindung seien gestützt auf einen Anstellungsvertrag auf die Bank übergegangen. Gleichzeitig veranlasste er Wyss sowie Fräulein Loebes, die er als Miterfinderin vorschob, auf ihre Namensnennung als Erfinder zu verzichten. Mit Schreiben vom 27. Mai 1966 bot die Bank Anker AG der Neurit AG die Lizenz zur Verwertung des neuen Patentes an. In der Verwaltungsratssitzung der Neurit AG vom 10. Juni 1966 behauptete Brunner wahrheitswidrig, das Patent sei durch zwei junge Erfinder aus der Glasindustrie entwickelt worden. Weitere Auskünfte über die Erfinder verweigerte er unter Berufung auf das Bankgeheimnis. Ferner gab er an, Wyss sei lediglich Begutachter der Erfindung gewesen. Auf Grund dieser Täuschungsmanöver beschloss der Verwaltungsrat einstimmig die Annahme des Angebots. Am 6. Juli 1966 schlossen die Bank Anker AG und die Neurit AG einen schriftlichen Lizenzvertrag, durch den sich diese u.a. verpflichtete, der Bank Anker AG eine Lizenzgebühr von Fr. 70 000.-- sowie 10% der Verkaufserlöse zu bezahlen.In Sommer 1969 erstattete die Neurit AG gegen Brunner Strafanzeige wegen Betruges usw.
B.- Das Obergericht des Kantons Luzern (II. Strafkammer) erklärte Brunner am 20. November 1973 des vollendeten Betrugsversuchs (Art. 148 Abs. 1 und 22 Abs. 1 StGB) und des vollendeten Versuchs der ungetreuen Geschäftsführung (Art. 159 Abs. 1 und 22 Abs. 1) schuldig und verurteilte ihn zu zehn Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug.
C.- Brunner führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur Freisprechung, eventuell nur zur Verurteilung wegen unvollendeten Betrugsversuches, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Beschwerdeführer macht geltend, eine Vermögensschädigung der Neurit AG habe zum vorneherein nicht eintreten können, weil die neue Erfindung, die Gegenstand des Lizenzvertrages bildete, Wyss gehört habe, nicht der Neurit AG. Diese habe keinen Anspruch auf allfällige Erfindungen ausbedungen, weshalb nicht erwiesen sei, dass Wyss im Sinne des zur Tatzeit geltenden Art. 343 OR dienstvertraglich zur Erfindertätigkeit verpflichtet gewesen sei.
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Die Erfindertätigkeit braucht indessen im Dienstvertrag nicht ausdrücklich als dienstliche Obliegenheit des Arbeitnehmers genannt zu werden; eine dahin gehende vertragliche Verpflichtung kann sich auch aus den Umständen ergeben (BGE 57 II 310). Wyss war der Erfinder des 1962 patentierten Neuritsteins und hatte durch Einlagevertrag vom 11. Juni 1963 der in Gründung begriffenen Neurit AG nicht nur sämtliche Ansprüche aus diesem Patent, sondern auch die ausschliessliche Nutzung aller mittels dieses Patents herstellbaren weitern Artikel käuflich abgetreten. Der Vertrag bestimmte ferner, dass die für die Abtretung bezogene Entschädigung von 100 Neuritaktien zum Nennwert von je Fr. 500.-- auch Weiterentwicklungen des Neuritsteins auf andern als den bisher bekannten Gebieten erfasse. Diese Vertragsbestimmungen hatten den Sinn, dass Wyss auch die Aufgabe oblag, das Verfahren zur Herstellung des Neuritsteins fortzuentwickeln und dessen Anwendungsmöglichkeiten zu erweitern, ohne dass er für Neuentwicklungen eine besondere Vergütung beanspruchen konnte. Dementsprechend verpflichtete er sich, seine Kräfte ausschliesslich in den Dienst der Neurit AG zu stellen und seine Kenntnisse sowie Erfahrungen weder Drittpersonen bekanntzumachen, noch im In- oder Ausland ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen. Dass die Erfindertätigkeit zu den dienstlichen Obliegenheiten von Wyss gehörte, ist auch aus dem Geschäftszweck der Neurit AG zu schliessen, der ausser der Herstellung und dem Verkauf von synthetischen Bauelementen, namentlich des von Wyss eingebrachten Neuritsteins, ausdrücklich die damit zusammenhängende Entwicklung und Verwertung von (weitern) Patenten nennt.
Wyss war von Anfang an der technische Leiter der Neurit AG und wurde sogleich zum Verwaltungsrat auf Lebenszeit ernannt. Er hatte somit entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers eine führende Stellung im Unternehmen. Es ist deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt zu vermuten, es habe zu seinem Pflichtenkreis gehört, seine frühere Erfindertätigkeit fortzusetzen (BGE 72 II 274). Zwischen seinem ersten Patent und der neuen Erfindung, welche die Erstellung von rahmenlosen Neuritbausteinfenstern und -türen ermöglichte, bestand denn auch ein enger Zusammenhang, so dass die neue Erfindung als Weiterentwicklung des früheren Patents im Sinne des Einlagevertrages erscheint.
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Das Obergericht geht daher zutreffend davon aus, dass die neue Erfindung von Wyss im Rahmen seiner dienstlichen Obliegenheiten lag und demzufolge der Neurit AG gehörte, ohne dass sie dafür eine besondere Vergütung schuldete. Dessen war sich der Beschwerdeführer nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz zum vorneherein bewusst.
2. Eine Schädigung der Neurit AG ist bereits mit dem allfälligen Zustandekommen des Lizenzvertrages eingetreten, nicht erst mit der Erbringung der darin versprochenen Leistungen. Denn schon der Vertragsabschluss belastete das Vermögen der Neurit AG, die sich zur Bezahlung von Lizenzvergütungen für eine Erfindung verpflichtete, die in Wirklichkeit ihr, nicht der Bank Anker AG gehörte. Dass der Vertrag für die Neurit AG wegen absichtlicher Täuschung unverbindlich war (Art. 28 OR), ändert am Eintritt des Schadens nichts (BGE 74 IV 153). Es ist daher zu prüfen, ob der Lizenzvertrag verbindlich geworden ist.
a) Patentlizenzverträge sind formlos gültig (Art. 11 Abs. 1 OR, Art. 34 PatG). Im vorliegenden Fall wurde in der Verwaltungsratssitzung der Neurit AG vom 10. Juni 1966 die Ausarbeitung eines schriftlichen Vertrages in Aussicht genommen, und in der Sitzung vom 6. Juli 1966 lag auch ein von der Bank Anker AG verfasster Vertragsentwurf vor. Es ist daher zu vermuten, dass die Parteien vor Unterzeichnung des Vertrages nicht verpflichtet sein wollten (Art. 16 Abs. 1 OR).
b) Laut Protokoll der Sitzung vom 6. Juli wurde der vorgelegte Lizenzvertrag von allen Verwaltungsräten der Neurit AG mit Ausnahme ihres Präsidenten Dr. Gut genehmigt und unterzeichnet. Der Vertragstext trägt handschriftlich das Datum des 6. Juli 1966, und namens der Neurit AG unterzeichneten die Verwaltungsratsmitglieder de Trey, Auf der Maur, Knüsel und Wyss, wogegen Brunner die Unterzeichnung für die Bank Anker AG vornahm.
In der Beschwerde wird eingewendet, der Vertrag sei nicht rechtsgültig unterzeichnet worden und deshalb nicht zustandegekommen. Zeichnungsberechtigt für die Neurit AG waren der Präsident oder Vizepräsident mit einem andern Verwaltungsratsmitglied zusammen. Brunner hat als Vizepräsident der Neurit AG offensichtlich deswegen nicht namens dieser Gesellschaft unterzeichnet, weil er zugleich die Bank Anker AG vertrat und sich nicht dem Vorwurf des Handelns in Doppelstellung
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aussetzen wollte. Seine Doppelstellung wäre freilich kein Hinderungsgrund gewesen, für die Neurit AG rechtsgültig zu unterzeichnen, sofern die Mehrheit ihres Verwaltungsrates der Unterzeichnung zugestimmt hätte (LEMP, Vertragsabschluss durch Organe in Doppelstellung, in Festgabe für W. Schönenberger). Für das Zustandekommen des Vertrages war aber nicht erforderlich, dass auch Brunner namens der Neurit AG mitunterzeichnete. Auch das Fehlen der Unterschrift des Präsidenten der Neurit AG stand der Verbindlichkeit des Vertrages nicht im Wege. Dr. Gut hatte in der Sitzung vom 10. Juni der Annahme des Angebots der Bank Anker AG zugestimmt und nahm an der Sitzung vom 6. Juli wegen Landesabwesenheit nicht teil. Aktiengesellschaften können sich jedoch nicht nur durch die im Handelsregister als zeichnungsberechtigt eingetragenen Personen vertreten lassen, sondern auch Dritte zu ihrer Vertretung ermächtigen. Wenn daher Dr. Gut die Unterzeichnung des Vertrages den andern Mitgliedern des Verwaltungsrates überliess, so ist die Neurit AG durch die Unterschrift der erwähnten vier Verwaltungsräte rechtsgültig verpflichtet worden.Ohne Bedeutung ist, dass in der Verwaltungsratssitzung vom 6. Juli vorbehalten wurde, die in § 13 des Vertragsentwurfes vorgesehenen Jahresumsätze um ein Jahr zurückzustellen. Denn aus der Tatsache, dass die vier Verwaltungsräte den Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung gleichwohl unterzeichneten, ist zu schliessen, dass der Vorbehalt einen Nebenpunkt betraf, der die Verbindlichkeit des Vertrages nicht hindern sollte (Art. 2 Abs. 1 OR).
Brunner hat den Lizenzvertrag für die Bank Anker AG allein unterzeichnet, obschon er nur zur Kollektivunterschrift berechtigt war. Auf das Fehlen einer zweiten Unterschrift hätte sich aber nur allenfalls die Bank Anker AG berufen können, nicht auch die Neurit AG. Die Bank konnte übrigens den von ihr mangelhaft unterzeichneten Vertrag jederzeit ausdrücklich oder stillschweigend genehmigen, falls sie nicht Brunner zum voraus ermächtigt haben sollte, allein zu unterzeichnen.
c) Der Vertrag ist daher zustandegekommen. Der Bank Anker AG war es möglich, die Neurit AG bei den eingegangenen Verpflichtungen zu behaften. Damit ist der Schaden eingetreten und der Betrug vollendet worden. Da die Staatsanwaltschaft nicht Beschwerde führt, muss es jedoch bei der
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Verurteilung wegen vollendeten Betrugsversuches sein Bewenden haben.
3. Nach Art. 159 Abs. 1 StGB macht sich der ungetreuen Geschäftsführung schuldig, wer jemanden am Vermögen schädigt, für das er infolge einer gesetzlich oder vertraglich übernommenen Pflicht zu sorgen hat.
a) Der Beschwerdeführer gehörte dem Verwaltungsrat der Neurit AG, dem die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft oblag, als Mitglied und Vizepräsident an. Er war daher von Gesetzes wegen (Art. 722 OR) der Gesellschaft gegenüber zu besonderer Treue verpflichtet und hatte ihre Interessen zu wahren und für ihr Vermögen zu sorgen (vgl. BGE 97 IV 13 /14).
Wie das Kriminalgericht ausgeführt hat, befand sich das Geschäftsdomizil der Neurit AG beim Beschwerdeführer, der auch die Geschäftsakten aufbewahrte, die Buchhaltung besorgte, der Gesellschaft weitere Geldgeber zuführte und die Firma reorganisierte. Das Kriminalgericht stellte sodann auf Grund von Zeugenaussagen und den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Strafuntersuchung fest, dass Brunner in der Firma eine beherrschende Rolle spielte und der eigentliche Leiter des Betriebes war. Das Obergericht ist entgegen der Beschwerde von keinem andern Sachverhalt ausgegangen; es verweist einleitend ausdrücklich auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, womit es zum Ausdruck brachte, dass es diese übernommen hat. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer, jedenfalls im kaufmännischen Bereich, tatsächlicher Leiter der Neurit AG gewesen ist und in dieser Eigenschaft über die Betriebsmittel der Gesellschaft selbständig verfügen konnte. Es kam ihm somit die Stellung eines Geschäftsführers zu, wie Art. 159 StGB voraussetzt (BGE 81 IV 279, BGE 95 IV 66, BGE 97 IV 15).
Dass der Beschwerdeführer zum Abschluss des Lizenzvertrages mit der Bank Anker AG nicht allein befugt war und dass er bei der Vertragsunterzeichnung einzig im Namen der Bank mitgewirkt hat, bedeutet nicht, dass er bei diesem Geschäft nicht als Geschäftsführer der Neurit AG gehandelt habe. Als Geschäftsführer im Sinne von Art. 159 StGB gilt nicht nur, wer für einen andern Rechtsgeschäfte nach aussen abzuschliessen hat, sondern auch, wer im Innenverhältnis in leitender Stellung für fremde Vermögensinteressen zu sorgen
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hat (BGE 97 IV 13). Als Geschäftsführer ist der Beschwerdeführer denn auch tätig geworden, als er über die der Neurit AG gehörende neue Erfindung selbständig verfügte, indem er sie beim Patentamt auf den Namen der Bank Anker AG eintragen liess und der Neurit AG eine Lizenz für dieses Patent anbot. Ebenso handelte er als Geschäftsführer, als er in der Sitzung vom 10. Juni 1966 den Verwaltungsrat der Neurit AG durch unwahre Angaben massgebend irreführte und veranlasste, die Annahme der Offerte zu beschliessen.b) Wie bereits unter Ziff. 2 ausgeführt wurde, ist der Lizenzvertrag mit dessen Unterzeichnung zustandegekommen und in diesem Zeitpunkt auch die Vermögensschädigung der Neurit AG eingetreten. Es liegt daher vollendete ungetreue Geschäftsführung, nicht bloss vollendeter Versuch vor. Mangels Beschwerde der Staatsanwaltschaft muss jedoch auch in diesem Anklagepunkt eine Änderung des vorinstanzlichen Schuldspruches unterbleiben.
4. Der Beschwerdeführer beanstandet die Höhe der ausgefällten Strafe mit der Begründung, der vom Obergericht angenommene Deliktsbetrag von Fr. 70 000.-- sei zu hoch, da die Bank Anker AG Gläubigerin der Neurit AG gewesen sei und dieser zudem einen Teil der Lizenzzahlungen später wieder zurückerstattet hätte. Demgegenüber stellt indessen die Vorinstanz verbindlich fest, dass der Bank Anker AG im Zeitpunkt der Tat keine verrechenbaren Forderungen zustanden und dass es völlig unsicher war, ob und in welcher Höhe sie später Rückzahlungen an die Neurit AG machen werde. Unter diesen Umständen bestand kein Grund, von einem geringeren Deliktsbetrag auszugehen.
Die noch unsichere, aber nicht auszuschliessende Möglichkeit späterer Rückzahlungen ist übrigens bei der Strafzumessung zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt worden. In welchem Ausmass dies getan werden wollte, stand im Ermessen des Obergerichts. Der Kassationshof könnte die ausgesprochene Strafe von 10 Monaten Gefängnis, die innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt, nur aufheben, wenn sie willkürlich hart wäre. Davon kann aber keine Rede sein.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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