31. Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1975 i.S. W. gegen M. und Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
|
Regeste
|
Art. 33 Abs. 2 Satz 1 StGB.
|
Sachverhalt
|
BGE 101 IV 119 (119):
A.- Als W. am 20. Mai 1974 gegen 19 Uhr die von ihm mit der Mutter und dem Stiefvater M. bewohnte Wohnung betreten wollte, trat ihm der Stiefvater, der von einem Streit BGE 101 IV 119 (120):
mit seiner Ehefrau stark erregt war, entgegen und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, packte ihn und schlug "wie ein Wahnsinniger" auf ihn ein. W. versetzte M. darauf mit einem zufällig mitgeführten Meissel einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. M. trug einen handtellergrossen Bluterguss unter der Haut und eine kleine Risswunde davon.
|
B.- Die Gerichtskommission Obertoggenburg erklärte W. am 10. Dezember 1974 der einfachen Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 100.--.
|
Eine Berufung des W. wies das Kantonsgericht St. Gallen am 7. April 1975 ab.
|
Beide kantonalen Instanzen gingen davon aus, W. habe in Notwehr gehandelt, deren Grenzen aber leicht überschritten.
|
C.- W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Freisprechung.
|
Weder die Staatsanwaltschaft noch M. haben sich vernehmen lassen.
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
|
Nach Art. 33 Abs. 1 StGB ist ein ohne Recht Angegriffener berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren.
|
Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP), wurde der ahnungslose Beschwerdeführer vom erregten M. ohne Grund angefallen. In diesem Vorgehen lag ein rechtswidriger Angriff, der den Beschwerdeführer zur Notwehr befugte.
|
Seine Art der Abwehr war entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht unangemessen. Der 60 cm lange, schwere Meissel kann zwar als gefährliches Werkzeug bezeichnet werden. Doch hat ihn der Beschwerdeführer nicht auf gefährliche Weise verwendet, sondern M. damit bloss einen leichten Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Auf die Art der Verwendung des Abwehrmittels kommt es aber an (vgl. BGE 79 IV 154 E. 4). Ob die Körperkraft des Beschwerdeführers allenfalls genügt hätte, um des Angreifers Herr zu werden, ist unerheblich, zumal er auch gar nicht Zeit zu langer Überlegung hatte, ob körperlicher Widerstand genüge (BGE 79 IV 155). M. wie bei früheren Gelegenheiten aus dem BGE 101 IV 119 (121):
Weg zu gehen, war es zu spät, da dieser den Beschwerdeführer bereits angefallen hatte. Ein "Aus-dem-Weg-Gehen" wäre unter diesen Umständen auf eine Flucht hinausgelaufen, zu der der Angegriffene nicht verpflichtet ist (BGE 79 IV 152 E. 2). Auch das "Autoritätsverhältnis" zwischen dem Stiefvater M. und dem damals 23jährigen Beschwerdeführer verpflichtete diesen nicht zu einer über Art. 33 StGB hinausgehenden Rücksichtnahme, insbesondere da M. ihm nicht wie ein Vater, sondern wie ein Feind entgegentrat. Die Grenzen der Notwehr (Art. 33 Abs. 2 Satz 1 StGB) sind nicht überschritten, was zur Freisprechung des Beschwerdeführers führt.
|
Wäre übrigens Notwehrexzess anzunehmen, dann würde dem Beschwerdeführer Art. 33 Abs. 2 Satz 2 StGB zugute kommen, was seine Strafloserklärung zur Folge hätte (Art. 32 StGB), die rechtlich nichts anderes enthält als einen Freispruch (BGE 73 IV 262). Nach Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bleibt der Abwehrende straflos, wenn er die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff überschreitet. Der Beschwerdeführer hatte vom Streit, den M. unmittelbar vorher mit seiner Ehefrau gehabt und der ihn in heftigen Zorn versetzt hatte, keine Kenntnis und wurde darum vom plötzlichen Angriff überrascht. Er handelte deshalb in entschuldbarer Bestürzung.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
|