102 IV 256
Urteilskopf
102 IV 256
59. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1976 i.S. J. gegen Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden
Regeste
Art. 90 SVG, Art. 1 StGB.
Es ist unzulässig, den Motorfahrzeughalter für eine Verkehrsregelverletzung des Fahrzeuglenkers mit der Begründung zu bestrafen, dass die Person des Lenkers unbekannt sei (Erw. 2).
A.- Am Abend des 14. November 1975 ergab die automatische Radarkontrolle in Küblis, dass ein mit Kontrollschildern der Bundesrepublik Deutschland versehener Personenwagen mit einer Geschwindigkeit gefahren ist, welche die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 10 km/h überschritt. Als Halter wurde J. ermittelt. In der polizeilichen Befragung an seinem Wohnort bestritt er, den Wagen selbst geführt zu haben. Unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Verwandten lehnte er es ab, den Namen des tatsächlichen Fahrzeuglenkers zu nennen.
B.- Am 15. März 1976 verfällte die Motorfahrzeugkontrolle des Kantons Graubünden J. in eine Busse von Fr. 40.--.
Der Gebüsste erhob gegen diese Verfügung Rekurs beim Verwaltungsgericht Graubünden. Der Ausschuss dieses Gerichts wies die Beschwerde am 21. Mai 1976 ab. Er bezeichnete
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es als gerechtfertigt, in Fällen geringfügiger Verkehrsübertretungen den Halter eines Motorfahrzeuges zur Rechenschaft zu ziehen, wenn dieser durch den Einwand, nicht selbst gefahren zu sein, die Verantwortung nicht übernehmen wolle und den Namen des fehlbaren Lenkers nicht bekanntgebe. In solchen Fällen könne den Polizeiorganen nicht zugemutet werden, zeitraubende und regelmässig erfolglose Nachforschungen nach dem wirklichen Täter anzustellen.
C.- Der Verteidiger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts-Ausschusses sei aufzuheben und J. von Schuld und Strafe freizusprechen.
Die Motorfahrzeugkontrolle beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen hat rein kassatorischen Charakter. Das Bundesgericht kann daher, wenn es eine Beschwerde für begründet hält, nicht selber ein materiell neues Urteil fällen, sondern nur das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur Entscheidung an die Vorinstanz zurückweisen (Art. 277ter BStP). In diesem Sinne ist das Rechtsbegehren des Beschwerdeführers entgegenzunehmen.
2. Die Verletzung einer allgemeinen Verkehrsregel, wie das Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit (Art. 32 SVG), wird auf Grund der allgemeinen Strafbestimmung des Art. 90 SVG geahndet. Nach dieser macht sich jeder Strassenbenützer strafbar, der durch sein Verhalten einer Verkehrsregel zuwiderhandelt. Ausser dem Täter sind auch Teilnehmer im Sinne der Art. 24 und 25 StGB strafbar (Art. 102 Ziff. 1 SVG), soweit nicht die besonderen Bestimmungen des SVG über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers oder Vorgesetzten des Fahrzeugführers und der Begleiter von Fahrschülern Anwendung finden ( Art. 100 Ziff. 2 und 3 SVG ).
Im vorliegenden Falle ist weder festgestellt, dass der Beschwerdeführer die in Frage stehende Geschwindigkeitsübertretung als Fahrzeuglenker begangen habe, noch dass er als Teilnehmer gemäss StGB oder SVG an der Widerhandlung eines andern Fahrzeuglenkers beteiligt gewesen sei. Die Vorinstanz hat ihn ausschliesslich in seiner Eigenschaft als Halter des von der Radaranlage erfassten Fahrzeuges zur Rechenschaft
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gezogen und gebüsst. Hiefür fehlt indessen eine gesetzliche Grundlage. Die besonderen Pflichten der Halter und ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit für Widerhandlungen anderer Lenker ihres Fahrzeuges werden im SVG und in den dazu gehörenden Verordnungen einzeln umschrieben und abschliessend geregelt. So macht sich der Halter vor allem strafbar, wenn er ein Fahrzeug Dritten überlässt, obschon es sich in nicht betriebssicherem Zustande befindet (Art. 93 Ziff. 2 Abs. 2) oder der Dritte keinen Führerausweis besitzt (Art. 95 Ziff. 1 Abs. 3), ferner wenn er ein Fahrzeug ohne Fahrzeugausweis, Kontrollschilder oder ohne Haftpflichtversicherung oder ohne die für die Fahrt erforderliche Bewilligung usw. benützen lässt (Art. 96 Ziff. 3). Das SVG enthält aber keine Norm, die den Halter für die von einem andern Lenker begangene Verletzung einer der im 3. Titel aufgestellten allgemeinen Verkehrsregeln (Art. 26-57) generell mitverantwortlich erklärte. Ebensowenig ermächtigt das SVG den Richter, für solche Übertretungen, seien sie auch geringfügiger Art, den Motorfahrzeughalter anstelle des Fahrzeuglenkers strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, wenn der Halter seine Täterschaft bestreitet und den Namen des wirklichen Lenkers nicht bekanntgibt. Die Vorinstanz stützt ihren Entscheid denn auch einzig auf Überlegungen der Zweckmässigkeit, die aber die fehlende Strafbestimmung nicht zu ersetzen vermögen. Damit verstösst das angefochtene Urteil gegen den auch im Strassenverkehrsrecht geltenden Grundsatz des Art. 1 StGB, wonach eine Tat nur dann strafbar ist, wenn sie vom Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht wird. Die Motorfahrzeugkontrolle hätte, wenn sie weitere Erhebungen zur Feststellung des tatsächlichen Fahrzeuglenkers für nutzlos hielt, das Verfahren richtigerweise einstellen müssen.Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts-Ausschusses des Kantons Graubünden vom 21. Mai 1976 aufgehoben und die Sache zum Freispruch des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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