BGE 103 IV 12
 
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Januar 1977 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
 
Regeste
Fahrlässige Tötung (Art. 117 StGB) und Verletzung militärischer Dienstvorschriften (Art. 72 und Art. 73 MStG).
Einer der Männer spielt mit der Pistole und erschiesst ungewollt einen andern. - Fahrlässigkeit (Erw. 2); Verletzung von Art. 72 und Art. 73 MStG (Erw. 5).
 
Sachverhalt


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G. manipulierte am 16. Februar 1974 nachts gegen 2 Uhr in seiner Wohnung vor H., S. und drei 17- bis 19-jährigen Mädchen an seiner Dienstpistole, die er u.a. mit der von ihm angebrochenen Taschenmunition lud und entlud. Gegen 6 Uhr, als G. schlief, nahm S. die von diesem in seiner Gegenwart im Korridorschrank versorgte Waffe, in deren eingesetztem Magazin sich noch eine Patrone befand, und spielte mit ihr, indem er den Hammer spannte, auf Gegenstände und Personen zielte und abdrückte. Das tat nach ihm auch H. Durch Zurückziehen des Verschlussstücks lud dieser die Pistole unbeabsichtigt durch, zielte aus ca. 1 m Entfernung auf den Kopf von S. und drückte ab. Der dadurch ausgelöste Schuss durchbohrte den Kopf des S., der auf der Stelle tot war.
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilte H. wegen fahrlässiger Tötung und G. wegen fahrlässiger Tötung, Nichtbefolgung von Dienstvorschriften, Missbrauchs und Verschleuderung von Material sowie wegen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes zu je 8 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 3 Jahren.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von G. gegen dieses Urteil eingelegte Berufung am 1. April 1976 ab.
G. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, er sei von Schuld und Strafe freizusprechen, eventuell mit einer Busse zu belegen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
 
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, keine Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Die Vorinstanz bezeichne zwar das Versorgen von Waffe und Munition in einem unverschlossenen Schrank in Gegenwart des S. als pflichtwidrige Sorglosigkeit, ohne indessen auszuführen, inwiefern das

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bei Fehlen von Vorschriften über die Aufbewahrung von Waffen und Munition und der schweizerischen Eigenart, dass jeder Wehrmann seine Waffe zu Hause aufbewahre, der Fall sei. Weshalb das Aufbewahren in einem unverschlossenen Korridorschrank unzulässig sein sollte, sei unerfindlich, müsse doch nicht damit gerechnet werden, dass ein Besucher die Unverfrorenheit und den Leichtsinn besitze, in einer fremden Wohnung aus einem geschlossenen Kasten eine fremde Pistole und Munition herauszunehmen und damit so zu hantieren, dass sich ein tödlicher Unfall ereigne. Dass Waffen in neuerer Zeit namentlich für junge Männer eine gewisse Faszination besässen und dass die jungen Leute von heute sich frei im Kollegenkreis bewegten und das Gut des einen als auch den andern frei zugänglich betrachteten, sei nicht geeignet, eine Verletzung der Sorgfaltspflichten substantieller zu machen.
Nach den unwidersprochenen Urteilserwägungen des Bezirksgerichts beschlossen der Beschwerdeführer und die ausser H. ihm nur flüchtig bekannten jungen Leute nach der Polizeistunde, ihre in einem Restaurant begonnene gemütliche Runde in seiner Wohnung fortzusetzen. Gegen 2 Uhr führte der Beschwerdeführer der aufgeräumten Gesellschaft seine Dienstpistole vor, die er mehrmals mit scharfer Munition lud und entlud und mit der er vor einer der Anwesenden herumfuchtelte. Er weckte dadurch die Neugier insbesondere des 20-jährigen S., dem die Demonstration galt, und des 24-jährigen H., die beide waffenunkundig waren. Unter diesen Umständen hätte der Beschwerdeführer, wirft ihm die Vorinstanz vor, sich nicht kurz darauf einfach schlafen legen dürfen, während S. und H. wach zu bleiben gedachten, ohne die Pistole dingfest versorgt zu haben, zumal mit einer im Magazin zurückgebliebenen Patrone und bei allenfalls im Aufenthaltsraum zurückgelassener weiterer Munition. Dem Beschwerdeführer sei besonders anzulasten, hebt die Vorinstanz hervor, dass er Waffe und allenfalls Munition in Gegenwart des S. in den unverschlossenen Korridorschrank legte. Sein Verhalten gereiche ihm zum Verschulden gemäss Art. 18 Abs. 3 StGB.
Die Vorinstanz hat mit dieser rechtlichen Würdigung des für den Kassationshof verbindlich festgestellten Sachverhalts (Art. 277bis Abs. 1 BStP) den Begriff der Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 18 Abs. 3 StGB nicht verkannt. Fahrlässig handelt nach dieser Bestimmung, wer die Folgen seines Verhaltens

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aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder nicht darauf Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.
Wer als ausgebildeter Wehrmann seine Dienstwaffe nicht vollständig entlädt, nachdem er sie mit scharfer Munition geladen hat, der beobachtet die nach seinen persönlichen Verhältnissen erforderliche Sorgfalt nicht. Es ist nicht bloss unter Militärangehörigen, sondern allgemein bekannt, dass nicht vollständig entladene Waffen häufig zu Unfällen, auch tödlichen, führen. Ziff. 2 lit. a des Munitionsbefehls des Eidg. Militärdepartements vom 23. September 1960 schreibt deshalb vor, nach Schiessübungen seien Schusswaffen auf zurückgebliebene Munition zu untersuchen. Dieser Grundsatz gilt seinem Sinne nach uneingeschränkt auch dort, wo wie vorliegend zwar nicht geschossen, eine Waffe aber immerhin geladen worden ist. Die Untersuchung auf zurückgebliebene Munition hat sich anerkanntermassen auf die Waffe als ganzes, also auch auf das Magazin zu erstrecken. Dieser Pflicht hat der Beschwerdeführer nicht genügt. Wenn er ferner bei gelockerter Stimmung und, wie die Vorinstanz ausserdem feststellt, im Zuge einer allgemeinen Unordnung ihm nur flüchtig bekannten jungen Leuten seine Dienstpistole vorführte, so die Neugier einzelner von ihnen weckte, nachher die Waffe unter den Augen desjenigen, dem die Demonstration gegolten hatte, in einem unverschlossenen Schrank versorgte und sich zur Ruhe begab, während die anderen wach blieben, so beobachtete er auch die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt nicht. Angesichts der Anziehungskraft, die Waffen auf junge Leute im allgemeinen ausüben, des Umstandes ferner, dass die Neugier von S. und H. für seine Pistole vom Beschwerdeführer noch besonders geweckt worden war, und der von der Vorinstanz hervorgehobenen Freiheit, mit der sich junge Leute im Kollegenkreis in der Regel bewegen, war bei der damals herrschenden gelockerten Stimmung und fehlenden Ordnung die Möglichkeit durchaus abzusehen, dass sich S. oder H. nach dem Einschlafen des Beschwerdeführers an der Waffe zu schaffen machen könnten. Dieser Gefahr wäre ein vorsichtiger und verantwortungsbewusster Mensch unter den damals herrschenden Verhältnissen dadurch begegnet, dass er Waffe und

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Munition gesondert voneinander so verwahrt hätte, dass sie nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres zugänglich gewesen wären. Den Beschwerdeführer, der die Folgen seines Verhaltens nicht bedachte, trifft somit in der Tat der Vorwurf pflichtwidriger Unvorsichtigkeit, insbesondere weil er die Waffe nicht vollständig entladen hat.
Die Vorinstanz geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, der Beschwerdeführer habe die Originalverpackung, in der sich die Taschenmunition befand, geöffnet. Seine Behauptung, die Verpackung sei bereits offen gewesen, als er ihr einzelne Patronen entnahm, hat sie als nicht glaubwürdig klingend bezeichnet und daher verworfen. Der Beschwerdeführer hat unbestrittenermassen mehrmals nacheinander mit Patronen aus der persönlichen Taschenmunition seine Dienstpistole geladen und entladen.
Gemäss Art. 3 Abs. 1 der Verfügung des Eidg. Militärdepartements betreffend die persönliche Taschenmunition vom 19. August 1971 darf der Wehrmann die Taschenmunition nur in den gemäss Verpackungsaufdruck vorgesehenen Fällen öffnen, d.h. einzig im Kriegsfall, bei einem allfälligen Überfall vor Erreichen des Korpssammelplatzes, wenn keine andere Munition mehr zur Verfügung steht oder auf besonderen Befehl eines Vorgesetzten. Diese allgemeine Dienstvorschrift hat der Beschwerdeführer nicht befolgt, als er die Originalpackung öffnete, um mit einzelnen Patronen der darin befindlichen Taschenmunition zu Demonstrationszwecken seine Dienstpistole laden zu können. Das Öffnen der Verpackung erfolgte nicht fahrlässig, beispielsweise aus Unachtsamkeit

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oder Unvorsichtigkeit, sondern bewusst und gewollt, um mit einzelnen der dadurch freigelegten Patronen die Waffe für die durchzuführende Demonstration laden zu können. Der Beschwerdeführer handelte daher vorsätzlich und erfüllte dadurch den Tatbestand des Art. 72 Ziff. 1 Abs. 1 MStG objektiv und subjektiv. Die Kenntnis der durch das Verhalten verletzten Dienstvorschrift ist für die Annahme des Vorsatzes nicht erforderlich. Eine Unkenntnis derselben, die der Beschwerdeführer übrigens nie geltend gemacht hat, könnte höchstens als Rechtsirrtum beachtlich sein (vgl. MKGE 8, Nr. 17 mit Verweisungen). Inwiefern die Vorinstanz den Beschwerdeführer nur der fahrlässigen Nichtbefolgung von Dienstvorschriften schuldig erkannt haben könnte, ist unter diesen Umständen schlechterdings nicht ersichtlich und liesse sich ihren Urteilserwägungen auch nicht entnehmen.
Unter missbräuchlicher Verwendung von Sachen im Sinne von Art. 73 Ziff. 1 MStG ist nicht nur der unberechtigte Gebrauch zu verstehen, sondern auch der nicht bestimmungsgemässe Gebrauch, d.h. ganz allgemein jede Verwendung, die nicht zu einem dem Gebraucher aus irgend einem militärischen Grunde vorgeschriebenen Zweck erfolgt. Die missbräuchliche Verwendung setzt sodann nicht die Bewirkung eines Schadens voraus (vgl. MKGE 3, Nr. 112). Die Verwendung einzelner Patronen der persönlichen Taschenmunition zum Laden, um seine Dienstwaffe in Gesellschaft vorführen zu können, ist weder bestimmungsgemäss noch berechtigt und daher offensichtlich missbräuchlich. Ob die Patronen bloss zum Manipulieren oder zum Verschiessen Verwendung finden, ist belanglos, weil zur Tatbestandsvollendung von Art. 73 Ziff. 1 MStG kein Vermögensschaden erforderlich ist. Dass der Beschwerdeführer bewusst und gewollt und damit vorsätzlich handelte, steht ausser Frage. Auch der Tatbestand des Missbrauchs und der Verschleuderung von Material ist gegeben.