Urteilskopf
103 IV 265
73. Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1977 i.S. Generalprokurator-Stellvertreter gegen W.
Regeste
Art. 27 Abs. 2 SSV. Parkierungsverbot.
Ein am Fahrbahnrand aufgestelltes Parkierungsverbot gilt nicht für einen hinter dem angrenzenden Trottoir liegenden Platz, wenn dieser ohne Beeinträchtigung des Trottoirs als Parkfläche benützt werden kann.
A.- Der an der Freiestrasse in Bern gelegenen Pauluskirche ist ein Vorplatz vorgelagert, der ohne sichtbare Abgrenzung mit dem längs der Freiestrasse verlaufenden Trottoir äusserlich eine Einheit bildet. Die Distanz von der Umfriedungsmauer der Kirche bis zum Trottoirrand beträgt ca. 10 Meter. Am Fahrbahnrand vor der Kirche sind zwei Parkverbotstafeln (Signal Nr. 231) aufgestellt. W. benützte im Frühjahr 1977 den Platz vor der Umfriedungsmauer mehrmals zum Abstellen seines Personenwagens.
B.- Der Gerichtspräsident VII von Bern verurteilte W. wegen Missachtung des Parkverbots auf dem Trottoir in Anwendung von Art. 27 Abs. 1 und 90 Abs. 1 SVG zu einer Busse von Fr. 200.--.
Auf Appellation des Gebüssten sprach ihn das Obergericht des Kantons Bern am 6. September 1977 von der Anschuldigung frei.
C.- Der Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Angeschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, der Vorplatz der Kirche sei Bestandteil des
BGE 103 IV 265 S. 266
Trottoirs und unterliege infolgedessen ebenfalls dem Parkierungsverbot.Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Wie das Obergericht verbindlich feststellt und unbestritten ist, steht der Vorplatz der Kirche einem unbestimmten Personenkreis offen und ist somit eine öffentliche Verkehrsfläche im Sinne des Art. 1 Abs. 2 VRV. Die Regeln des SVG und der dazu gehörenden Verordnungen finden daher Anwendung.
2. Durch die am Strassenrand aufgestellten Signale "Parkieren verboten" (Nr. 231) wird nicht nur das Abstellen von Fahrzeugen auf der gleichseitigen Fahrbahn der Freiestrasse untersagt, sondern das Verbot gilt gemäss Art. 27 Abs. 2 SSV auch auf dem angrenzenden Trottoir. Was unter Trottoir zu verstehen ist, wird in der Strassenverkehrsgesetzgebung nicht in allgemein gültiger Form umschrieben. Bei der Bestimmung dieses Begriffs sind demnach auch die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.
Das Obergericht sieht im Umstand, dass Vorplatz und Trottoir nach Bauart und Belag als einheitlich gestaltete Fläche erscheinen und beide dem öffentlichen Fussgängerverkehr offen stehen, keinen Grund, der es rechtfertigt, die ganze Fläche auch rechtlich als Einheit, d.h. als Trottoir zu betrachten. Dieser Ansicht ist zuzustimmen; im gleichen Sinne hatte sich der Kassationshof bereits im nicht veröffentlichten Entscheid vom 22. Januar 1965 i.S. Solothurn gegen Amrein geäussert. Auch kann, wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend annimmt, nicht ausschlaggebend sein, dass keine erkennbaren Anzeichen für eine Trennung zwischen Vorplatz und Trottoir bestehen. Entscheidende Bedeutung kommt dagegen der Grösse und Ausdehnung des Vorplatzes zu. Bietet dessen Ausmass Gewähr dafür, dass zwischen den darauf parkierten Fahrzeugen und dem Strassenrand ein für die Fussgänger genügend breiter Raum als Gehweg offen bleibt, so entspricht es einer natürlichen Betrachtungsweise, Vorplatz und Trottoir auseinanderzuhalten und sie als getrennte Verkehrsflächen zu behandeln, was zur Folge hat, dass in einem solchen Falle das für das Trottoir gültige Parkierungsverbot ohne besonderen Hinweis für den dahinter liegenden Vorplatz nicht gelten
BGE 103 IV 265 S. 267
kann. Der gleiche Schluss folgt auch aus dem Wortlaut und Sinn des Art. 27 Abs. 2 SSV. Die Ausdehnung des Geltungsbereiches des Parkverbotes auf das "angrenzende" Trottoir kann nicht den Zweck verfolgen, jeden an das Trottoir anschliessenden Vorplatz, wie gross er auch sein möge, mitzuerfassen, sondern sie dient lediglich dazu, den den Fussgängern nach den örtlichen Verhältnissen üblicherweise vorbehaltenen Gehweg zu sichern und sie vor der Behinderung durch parkierende Fahrzeuge zu schützen.
3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass durch das Parkieren des Wagens des Angeschuldigten auf dem Vorplatz keine Fussgänger behindert wurden, indem ihnen neben der Fahrbahn der Freiestrasse ein rund 5 m breiter Gehweg und damit ein freier Raum von einer Breite zur Verfügung blieb, die das im betreffenden Wohnquartier übliche Mass sogar erheblich überschritt. Der Angeschuldigte hat daher das Parkierungsverbot, das sich nur auf das der Fahrbahn angrenzende Trottoir, nicht aber auch auf den dahinter gelegenen Vorplatz bezog, nicht missachtet und ist zu Recht freigesprochen worden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.