Urteilskopf
105 IV 189
51. Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1979 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
1.
Art. 159 StGB, ungetreue Geschäftsführung. Schädigungsvorsatz (Erw. 1).
2.
Art. 110 Ziff. 5 Abs. 1, 251 StGB, Urkunde. Einer die Buchhaltung betreffenden und an die Revisionsstelle einer AG gerichteten sog. Vollständigkeitserklärung (hier: über Haftung für fremde Verbindlichkeiten) kommt nicht nur Beweisbestimmung, sondern auch Beweiseignung und damit Urkundencharakter zu (Erw. 2).
A.- M., Prokuristin der X-Bank, besorgte zunächst selbständig das Kleinkreditgeschäft der Bank und befasste sich später auch mit Anlagegeschäften.
Vom Sommer 1972 bis November 1974 unterschrieb sie zusammen mit dem Bankdirektor und Delegierten des Verwaltungsrates S. laufend Bankgarantien und Bürgschaften der Bank zugunsten von privaten Geldgebern des S. bzw. der von diesem ebenfalls beherrschten P. AG Zürich, ohne dass der X-Bank für das eingegangene Risiko ein entsprechender Gegenwert zufloss.
Am 3. Januar 1974 unterschrieb sie zusammen mit S. im Namen der X-Bank eine Pfandbestellung an einem Guthaben der Bank auf einem Depotkonto von Fr. 300'000.- bei der Bank in Langenthal zur Sicherstellung eines Darlehens in gleicher Höhe, das S. privat am 28. Dezember 1973 bei der letztern Bank bezogen hatte.
Am 31. Mai 1974 bestätigte M. unterschriftlich in einer sogenannten Vollständigkeitserklärung zuhanden der Y-Treuhand, der Kontrollstelle und bankengesetzlichen Revisionsstelle der X-Bank, wahrheitswidrig, eine Haftung für fremde Verbindlichkeiten (z.B. aus der Begebung und Weitergabe von Wechseln und Checks, aus Bürgschaften und bürgschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen sowie aus der Bestellung von Sicherheiten an Sachen oder Rechten der Bank für fremde Verbindlichkeiten) bestehe nicht und sei bis heute nicht eingegangen worden. Tatsächlich aber bestanden in diesem Zeitpunkt erhebliche Bürgschaften und Garantien für private Verbindlichkeiten des S. bzw. der P. AG.
B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach M. am 1. November 1977 der fortgesetzten ungetreuen Geschäftsführung und der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von vier Monaten.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach sie hingegen am 1. Dezember 1978 von Schuld und Strafe frei.
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Angeklagte wegen ungetreuer Geschäftsführung und Urkundenfälschung bestrafe. M. beantragt Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Das Obergericht hat M. von der Anklage der ungetreuen Geschäftsführung freigesprochen, weil ihr die Eigenschaft einer Geschäftsführerin im Sinne des Gesetzes gefehlt habe und ihr ein Schädigungsvorsatz nicht nachgewiesen werden könne.
a) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, das Obergericht habe den Begriff des Schädigungsvorsatzes falsch angewendet. Die Beschwerdegegnerin sei Organ der AG gewesen und habe als solches von 1972 bis 1974 Garantien für viele Millionen unterzeichnet, ohne dass der AG eine Gegenleistung zugekommen wäre. Es sei daher unzulässig, den Vorsatz im Hinblick auf künftige unbestimmte Gegenleistungen zu verneinen. Die Frage stelle sich zudem für jede Rechnungsperiode. Spätestens in der letzten Periode habe die Beschwerdegegnerin vernünftigerweise nicht mehr mit einer Gegenleistung rechnen können.
b) Auch die Vorinstanz stellt fest, dass die X-Bank für ihre Garantien keinen Gegenwert erhielt. Sie hält jedoch dafür, dass die Nichtleistung der üblichen Kommissionen nicht zu einer Schädigung der Bank geführt hätte, wenn S. anderswie einen Ausgleich geschaffen hätte. Sie stellt ausdrücklich fest, der Beschwerdegegnerin könne nicht widerlegt werden, dass sie dieser Meinung gewesen sei. Nach ihrer Auffassung habe S. beabsichtigt, die P. AG zu verkaufen und die Kunden der X-Bank zuzuführen. Darin habe sie ein "Bombenprojekt" gesehen und keinen Anlass gehabt, an den Angaben des S. zu zweifeln, zumal er seinen Sohn im Bankfach habe ausbilden lassen und in seine Bank habe aufnehmen wollen. Freilich wäre die Liquidation der P. AG nur möglich gewesen, wenn S. das Grundstück "R." teuer hätte verkaufen und mit dem Erlös die Schulden hätte bezahlen können. Wie es sich damit verhalten habe, gehe aus den Akten nicht klar hervor. Indes habe die Beschwerdegegnerin in der Berufungsverhandlung Kaufsinteressenten genannt, und es könne ihr auch nicht widerlegt werden, dass sie den Angaben des S. geglaubt habe. Sie habe S. als "Mordscheib" bezeichnet, der es vom "Blumenhengst" zu 80 Millionen gebracht habe. Die X-Bank sei seine Schöpfung gewesen, und in diese Bank habe die Beschwerdegegnerin volle Einsicht gehabt. Dass diese Gesellschaft an sich erfolgreich gearbeitet habe, sei unbestritten. Die weitere Tätigkeit des S. als Privatmann und als Inhaber der P. AG habe die Beschwerdegegnerin nicht überprüfen können. Habe sie aber auf die Richtigkeit seiner Angaben vertraut, dann habe sie nicht ohne weiteres von einer Schädigung der X-Bank ausgehen müssen, weil S. keine banküblichen Kommissionen entrichtet habe. Bei der Sachlage, wie sie M. gesehen haben wolle, habe ein Vorteil darin liegen können, dass die X-Bank ihr Geschäftsvolumen durch Übernahme der Kundschaft der P. AG hätte verdoppeln können, wie S. das in Aussicht gestellt habe.
Legt man diese tatsächlichen und daher für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen zugrunde (
Art. 277bis Abs. 1 BStP), so ist die Verneinung des Schädigungsvorsatzes hinsichtlich des Ausfalls der banküblichen Kommissionen unanfechtbar. Denn wenn M. dem S. geglaubt hat, dass durch die Liquidation der P. AG der Kundenkreis der X-Bank verdoppelt werden könne, und sie auch an die Möglichkeit der Liquidation aufgrund der Angaben ihres Chefs geglaubt hat, dann kann nicht gesagt werden, sie habe einen Schaden der Bank
BGE 105 IV 189 S. 192
infolge Verlusts der Kommission, die nach dem angefochtenen Urteil nur den Bruchteil eines Prozents ausgemacht hätte, gewollt oder in Kauf genommen; durch die Verdoppelung des Kundenbestandes hätte nämlich jener Verlust nach der erneut verbindlichen Feststellung der Vorinstanz aufgewogen werden können. Dafür schliesslich, dass sie diesen Glauben in der letzten Rechnungsperiode nicht mehr gehabt hätte, ist dem angefochtenen Urteil nichts zu entnehmen.
c) Fragen könnte man sich allerdings, ob die Vorinstanz den möglichen Schaden zu Recht einzig im Verlust von Kommissionen erblickt hat oder ob er nicht auch darin hätte liegen können, dass mit der Gewährung der Garantien und Bürgschaften der X-Bank ein Risiko aufgebürdet wurde, das weit über das bei solchen Geschäften Übliche hinausging. Indessen kann die Frage offen bleiben, weil auch dann die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, dass die Beschwerdegegnerin auf die Richtigkeit der Angaben des S. vertraut hat, der Annahme des Schädigungsvorsatzes entgegenstände. Nach dem, was sie geglaubt hat, bestanden solche Risiken nicht, weshalb sie diese auch nicht gewollt oder in Kauf genommen haben kann.
d) Fehlt es am Vorsatz, braucht nicht untersucht zu werden, ob M. Geschäftsführerin im Sinne des Gesetzes war.
2. a) Im Anklagepunkt der Urkundenfälschung hat die Vorinstanz die Beweisbestimmung und die inhaltliche Unwahrheit der sogenannten Vollständigkeitserklärung vom 31. Mai 1974 sowie das Wissen der Beschwerdegegnerin um diese Tatsachen festgestellt. Zu einem Freispruch gelangte sie, weil dieser Erklärung die Beweiseignung gefehlt habe. Die Verantwortung für die regelmässige Führung der Geschäftsbücher und die Aufstellung der Bilanzen und Erfolgsrechnungen trage bei der AG die Verwaltung (Art. 707 ff OR) bzw. der Verwaltungsrat (
Art. 712 OR). Dabei handle es sich um nicht delegierbare Kompetenzen, d.h. um Rechte und Pflichten, für deren Einhaltung und Erfüllung die Verwaltung allein verantwortlich sei. Die X-Bank sei eine AG und die Beschwerdegegnerin als blosse Prokuristin nicht Trägerin der Buchführungspflicht gewesen. Sie habe denn auch mit der Buchführung nicht einmal praktisch zu tun gehabt, was der Kontrollstelle bekannt gewesen sei. Die einzig von M. unterzeichnete Vollständigkeitserklärung sei deshalb zum Beweis der beurkundeten Tatsachen nicht geeignet gewesen.
Die Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, die Beschwerdegegnerin habe in grossem Umfang Bankgarantien unterzeichnet, wofür sie bankintern von S. als die richtige und massgebliche Person betrachtet worden sei. Sie habe damit auch die Pflicht gehabt, gegenüber der Kontrollstelle in der Vollständigkeitserklärung wahrheitsgemässe Angaben zu machen. Es treffe nicht zu, dass die Verantwortung für die richtige Erstellung der Buchführung nur dem Verwaltungsrat obliege. Der Verwaltungsrat befasse sich bei vielen AG nicht mit der Buchhaltung, sondern überlasse das Direktoren oder sonstigen Geschäftsführern.
b) Der Begriff der Urkunde erfordert in allen Fällen, dass das Schriftstück zum Beweise geeignet sei. Die Beweiseignung kommt einer Schrift zu, wenn ihr diese Eigenschaft durch Gesetz oder Verkehrsübung zuerkannt wird. Sie setzt nicht voraus, dass die Urkunde im konkreten Fall beweiskräftig ist (
BGE 101 IV 279;
102 IV 34;
103 IV 25, 38).
c) Die in Frage stehende Vollständigkeitserklärung ist gesetzlich nicht als Bestandteil der kaufmännischen Buchführung vorgeschrieben. Sie hat sich in der neueren Revisionspraxis als ein Revisionserfordernis formeller Art herausgebildet (G. BEHR/A. BUCK, Die Bilanzerklärung, in "Schweizer Treuhänder" 1976, Nr. 10 S. 26 ff.). In ihr bestätigt die Geschäftsleitung zuhanden der Revisionsinstanz, dass in den Büchern alle buchungspflichtigen Geschäftsvorfälle, insbesondere die Passiven festgehalten sind (Revisionshandbuch der Schweiz, I 4.13).
d) Wie die Vorinstanz feststellt, gehörte die Beschwerdegegnerin nicht dem Verwaltungsrat der X-Bank an. Sie war aber Prokuristin und besorgte selbständig das Kleinkreditgeschäft und befasste sich mit Anlagegeschäften. Sie unterschrieb während mehr als vier Jahren zusammen mit dem Delegierten des Verwaltungsrates S. Garantien und Bürgschaften der Bank in Millionenhöhe. S. arbeitete tagsüber nicht in der Bank, sondern pflegte dort erst nach Arbeitsschluss am Abend zu erscheinen. Die Beschwerdegegnerin hatte vollen Einblick in die X-Bank, B., der Sachbearbeiter der Y-Treuhand, hat denn auch die Erklärung ihr zur Unterschrift vorgelegt. Eine Vollständigkeitserklärung, die auf Verlangen der Revisionsinstanz von einer Person in einer solchen Stellung abgegeben wird, ist nicht einfach eine schriftliche Behauptung, sondern hat erhöhte Überzeugungskraft und eine besondere Funktion. Es geht um
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ein Dokument, mit dem die Vollständigkeit der Buchhaltung bewiesen werden soll und bewiesen werden kann. Die Revisionsstelle ihrerseits hat in der Regel keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Vollständigkeitserklärung richtig ist; sie muss sich auf die verbindliche Äusserung der massgebenden Angestellten und Organe der Aktiengesellschaft verlassen. Die Beweiseignung der Vollständigkeitserklärung wurde von der Vorinstanz zu Unrecht verneint.
Das angefochtene Urteil ist daher in diesem Punkt aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Neubeurteilung unter Zugrundelegung des Urkundencharakters der Vollständigkeitserklärung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1978 aufgehoben, soweit es die Beschwerdegegnerin betrifft, und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.