Urteilskopf
105 IV 197
53. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. September 1979 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 201 Abs. 1 StGB.
Zuhälterei.
Begriff der Ausbeutung.
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss
Art. 201 Abs. 1 StGB ist wegen Zuhälterei zu bestrafen, "wer sich von einer Person, die gewerbsmässig Unzucht treibt, unter Ausbeutung ihres unsittlichen Erwerbs
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ganz oder teilweise unterhalten lässt". Eine aktive Unterstützung der Gewerbsunzucht wird dem Beschwerdeführer nicht zur Last gelegt. Es geht hier ausschliesslich um die Interpretation der sogenannten passiven Zuhälterei. Der Gesetzgeber hat mit diesem Tatbestand ein Verhalten unter Strafe gestellt, das in der materiellen Ausnützung einer Tätigkeit besteht, welche an sich nicht strafbar ist, aber als unsittlich qualifiziert wird. Mit der rechtspolitischen Problematik einer solchen Strafnorm hat sich der Richter nicht auseinanderzusetzen; er muss sich auf die korrekte Anwendung der geltenden Bestimmung beschränken. Entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen Meinung handelt es sich bei Art. 201 um einen gesetzlichen Tatbestand, der in verschiedener Hinsicht der Auslegung bedarf. Davon, dass nach dem Wortlaut die Straflosigkeit des Beschwerdeführers evident wäre, kann keine Rede sein. Der näheren Abklärung bedürfen im vorliegenden Fall zwei Tatbestandselemente: Einerseits ist zu beurteilen, ob der inkriminierte Sachverhalt als (teilweises) Unterhaltenlassen zu qualifizieren ist, und anderseits muss die Tragweite des Begriffs "Ausbeutung" näher bestimmt werden.
a) Unter den Begriff des Unterhalts fällt nach der Rechtsprechung nicht nur der eigentliche Notbedarf des Täters, sondern alles, was zu seiner tatsächlichen Lebenshaltung gehört (
BGE 97 IV 29 /30). Daher vermag der Umstand, dass der eigene Verdienst des Täters genügt hätte, um dessen notwendigen Unterhalt zu bestreiten, den Vorwurf der Zuhälterei nicht zu widerlegen. Auch wer den unsittlichen Erwerb der Dirne zur Grundlage einer kostspieligeren, sein eigenes Einkommen übersteigenden Lebenshaltung macht, kann nach der Praxis des Kassationshofes wegen Zuhälterei bestraft werden. Obschon der Wortlaut des Gesetzes eine engere Interpretation nicht ausschliessen würde, besteht nach der ratio der Strafnorm kein Anlass, in Abweichung vom erwähnten Präjudiz anzunehmen, nur wer unter Verzicht auf eigene Arbeit seinen Notbedarf ganz oder teilweise aus dem Verdienst einer Dirne decke, lasse sich im Sinne von
Art. 201 Abs. 1 StGB aushalten. Zwischen dem Arbeitsscheuen, der den unerlässlichen täglichen Aufwand schmarotzerisch auf diese Weise deckt, und demjenigen, der zwar selber ein regelmässiges Arbeitseinkommen erzielt, aber für die Kosten eines höhern Lebensstandards (Luxuswohnung, Auto usw.) regelmässige Zuschüsse aus dem
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Dirnenlohn beansprucht, besteht in bezug auf die Strafwürdigkeit kein entscheidender Unterschied. Eine Auslegung, welche nur den arbeitsscheuen Schmarotzer erfasst, jenen Täter aber, der sich aus Dirneneinkünften nicht den (durch eigenen Verdienst gedeckten) Notbedarf, sondern einen teureren Lebensstil finanziert, von vornherein straflos lassen würde, entbehrt der sachlichen Begründung. Es ist daher an der bisherigen Praxis festzuhalten: Wer seinen laufenden Aufwand ganz oder teilweise aus den Einkünften einer Dirne finanziert und damit den Erwerb der Dirne zu seiner Einkommensquelle macht, lässt sich im Sinne von
Art. 201 Abs. 1 StGB unterhalten.
Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP), hat der Beschwerdeführer in der Zeit vom Mai 1976 bis Ende Februar 1977 in einem gewissen, nicht genau erfassbaren Ausmass vom Einkommen, das seine Freundin mit Gewerbsunzucht erzielte, regelmässig profitiert. Er benutzte die aus dieser Verdienstquelle finanzierten Möbel der gemeinsamen Wohnung, und es flossen ihm aus dem Zusammenleben mit Irene H. Geldwerte, durch die Verwendung seines Lohnes nicht ausgeglichene Vorteile in der Grössenordnung von ca. Fr. 550.- pro Monat zu. Aus den vom Kassationshof nicht zu überprüfenden Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich der Schluss, dass der Beschwerdeführer im erwähnten Umfang seinen etwas gehobeneren Lebensunterhalt aus dem durch Gewerbsunzucht erzielten Verdienst seiner Freundin bestritt.
b) Strafbar ist gemäss Art. 201 Abs. 1 StGB nicht jede Annahme von Leistungen, die als Unterhalt zu qualifizieren sind, sondern der Straftatbestand setzt voraus, dass der Täter sich unter Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes unterhalten lässt.
aa) Sowohl der deutsche Begriff "Ausbeutung" als auch die entsprechenden Termini in den romanischen Gesetzestexten - "en exploitant", "sfruttando" - lassen sich entweder pejorativ oder in einem wertfreien Sinne (z.B. Kiesausbeutung) verwenden. In
Art. 201 Abs. 1 StGB wurden diese Ausdrücke seit jeher als Umschreibung eines verwerflichen Verhaltens, also im pejorativen Sinne verstanden nicht etwa als blosse Angabe der Herkunft der Mittel. "Unter Ausbeutung" ist in diesem Zusammenhang nicht gleichbedeutend mit dem neutralen
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"unter Verwendung", sondern der Begriff der Ausbeutung bringt eine negative ethische Wertung zum Ausdruck "und besagt, dass bloss der mit dem Makel des Verwerflichen behaftete Unterhaltsbezug aus dem Dirnenlohn unter das Gesetz fallen soll" (
BGE 97 IV 29 mit Hinweis auf
BGE 88 IV 67). Diese den Straftatbestand begrenzende, eine ethische Wertung des Verhaltens des Täters erfordernde Bedeutung des Tatbestandselementes der "Ausbeutung" ist unbestritten.
bb) Ausbeutung im Sinne einer verwerflichen Entgegennahme von geldwerten Leistungen einer Dirne wurde angenommen: bei einem Ehemann, der beinahe vollständig aus dem Dirnenlohn seiner Ehefrau lebte, selber nichts oder sehr wenig an den gemeinsamen Haushalt beisteuerte und sich nicht einmal bemühte, einen nennenswerten Beitrag zu leisten (
BGE 88 IV 67, vgl. auch
BGE 75 IV 121); bei einem Täter, der unter Ausnützung der Rivalität zwischen drei Dirnen sich während eines Monates von einer der Rivalinen für Bedürfnisse seines Lebensunterhaltes (Hotelübernachtungen, Essen, Taschengeld) ungefähr Fr. 1'000.- zuwenden liess, so dass er in dieser Zeit seinen eigenen Verdienst grösstenteils anderweitig verwenden oder zur Seite legen konnte (
BGE 97 IV 30); bei einem Ehemann, der sich ohne Erwerbstätigkeit in Spanien aufhielt und ausschliesslich von den durch seine in Genf als Dirne und Kupplerin tätige Frau an ihn überwiesenen Geldbeträgen lebte (
BGE 101 IV 133 f.); bei einem Ehemann, der während zwei Jahren aus dem Unzuchtserlös seiner Ehefrau wöchentlich ca. Fr. 1'200.- entgegennahm und das Geld zur Seite legte, um eine Wohnung oder ein Haus zu erwerben, und überdies die Ehefrau für ihren eigenen Unterhalt und den Unterhalt des gemeinsamen Kindes selber aufkommen liess (zu veröffentlichendes Urteil vom 20. November 1978 i.S. S.).
cc) In der neuem Rechtsprechung wird zum Teil das einschränkende Erfordernis der Ausbeutung mit dem Tatbestandsmerkmal des Unterhaltsbezugs direkt "gekoppelt". So lässt sich die E. 2a in
BGE 97 IV 29 dahin verstehen, dass jeder, der (ohne Rechtsanspruch) von einer Dirne Unterhaltsleistungen entgegennehme, die Unzucht der Dirne als Einkommensquelle benütze und daher verwerflich, d.h. ausbeuterisch handle. Eine klare Trennung der beiden Voraussetzungen ist aber angezeigt, wobei der Unterhaltsbegriff im Sinne der bisherigen Rechtsprechung weit zu fassen und beim Kriterium der
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Ausbeutung eine der gesetzlichen Strafdrohung entsprechende Begrenzung des Anwendungsbereiches dieser Strafnorm anzustreben ist.
Abweichend von Ausserungen in einzelnen Präjudizien (vgl.
BGE 75 IV 121) ist nicht jede Annahme von Unterhaltsleistungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht, bereits als ausbeuterisch zu betrachten, sondern Ausbeutung setzt ein moralisch verwerfliches Verhalten des Täters voraus. Dass er auf die Dirne irgendeinen Druck ausübt, sie zur Gewerbsunzucht direkt veranlasst oder zu finanziellen Leistungen zwingt, ist nicht erforderlich (
BGE 97 IV 30). Häufig wird allerdings das Verwerfliche der Haltung des Täters gerade darin liegen, dass seine Forderung oder zumindest seine Erwartung regelmässiger finanzieller Zuwendungen ein nicht unwesentliches Motiv der Dirnentätigkeit bildet. Verwerflich in diesem Sinne ist die arbeitsscheue Passivität des Ehemannes oder Freundes, der für den Unterhalt der Familie schuldhaft nicht aufkommt oder an die Kosten des gemeinsamen Haushaltes keinen (bzw. keinen genügenden) Beitrag leistet und sich auf die Einkünfte aus Gewerbsunzucht "verlässt". Als Ausbeutung wird aber auch die Haltung jenes Partners einer Dirne zu qualifizieren sein, der zwar selber ein regelmässiges Einkommen erzielt, aber für den von ihm gewünschten und praktizierten Lebensstandard laufend Zuwendungen aus dem Dirnenlohn benötigt und auf diese Weise vorsätzlich die Gewerbsunzucht zu seiner Einkommensquelle macht.
dd) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer, der schon vor Beginn der unsittlichen Erwerbstätigkeit der Irene H. mit dieser befreundet war und mit ihr zusammenlebte, die Partnerin weder zur gewerbsmässigen Unzucht veranlasst, noch irgendeinen Druck auf sie ausgeübt. Nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, er habe planmässig aus der Gewerbsunzucht Vorteile gezogen, sei es durch geringere eigene Arbeitsleistung, durch grössere persönliche Ausgaben oder durch Ersparnisse vom eigenen Verdienst infolge des Zusammenlebens mit Irene H. Der Beschwerdeführer ging stets einer geregelten Arbeit nach und stellte sein Erwerbseinkommen, soweit er es nicht für Kreditrückzahlung und Autospesen benötigte, vollständig für den gemeinsamen Haushalt zur Verfügung. Die Kosten des gemeinsamen Haushaltes (inkl.
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Vergnügungen) waren aber nach den auf Schätzungen beruhenden Berechnungen der Vorinstanz so hoch, dass im Ergebnis aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen des Beschwerdeführers weniger als die Hälfte gedeckt werden konnte. Aus diesen Schätzungen und Berechnungen der Vorinstanz ergibt sich der Schluss, der unsittliche Erwerb der Irene H. sei dem Beschwerdeführer insofern zugute gekommen, als er durch die Partnerschaft mit ihr in den Genuss eines Aufwandes kam, der seine eigenen finanziellen Mittel überstiegen hätte. Es wird ihm nicht zur Last gelegt, er habe diesen erhöhten Aufwand gewünscht, gesucht oder gefördert. Wohl kann dem Beschwerdeführer unter moralischen Aspekten vorgeworfen werden, er habe seine Freundin nicht vom unsittlichen Erwerb abgehalten und das Zusammenleben mit ihr in Kenntnis der Herkunft ihrer Mittel fortgesetzt. Dieses Verhalten erfüllt jedoch das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung nicht. Der Beschwerdeführer hat keine materiellen Vorteile angestrebt, er machte die Gewerbsunzucht der Freundin nicht zu einer Einkommensquelle. Dass er sich von Irene H. nicht trennte und so in der Folge zwangsläufig auch an ihrem den Einkünften aus Gewerbsunzucht entsprechenden grössern Aufwand (für Wohnung, Essen in Restaurants, Vergnügungen) teilhatte, lässt sich unter den gegebenen Umständen nicht als verwerfliche Ausbeutung qualifizieren.
ee) Die gesetzliche Mindeststrafe von 6 Monaten Gefängnis in
Art. 201 StGB zeigt deutlich, dass mit der "Ausbeutung des unsittlichen Erwerbs" ein Verhalten von erheblichem Unrechtsgehalt erfasst werden soll; dies muss bei der Auslegung beachtet werden (vgl. Germann, Interpretation gemäss den angedrohten Strafen, ZStR 54/1940, 345). Der Straftatbestand der passiven Zuhälterei behält eine bedeutende praktische Tragweite, auch wenn seine Anwendung konsequent auf die wirklich strafwürdigen Fälle ausbeuterischen Schmarotzertums beschränkt bleibt. Gegenüber der bisherigen Rechtsprechung liegt hierin keine Änderung der grundsätzlichen Wertung. Klarzustellen ist lediglich, dass aus der Regel, die Annahme von Zuwendungen, auf welche der Unterhaltene einen Rechtsanspruch habe, sei keine Ausbeutung (vgl.
BGE 75 IV 121), nicht durch Umkehrung die Entscheidungsnorm abgeleitet werden darf, bei jeder Entgegennahme irgendwelcher Unterhaltsleistungen ohne Rechtsanspruch und Gegenleistung liege das
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Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung vor. Ob der aus dem unzüchtigen Erwerb Unterhaltene ausbeuterisch handelt, ist nach den Umständen des konkreten Falles zu beurteilen. Der Makel des Verwerflichen muss in Art und Ausmass des Unterhaltsbezuges selber liegen. Dass die Zuwendungen aus der Gewerbsunzucht stammen und dass der Empfänger die Dirne nicht vom unsittlichen Erwerb abhält, vermag an sich den schweren Vorwurf der Ausbeutung des unsittlichen Erwerbes noch nicht zu begründen. Ausbeuterisch handelt, wer als Schmarotzer egoistisch darauf ausgeht, aus den Einkünften der Dirne eine Einkommensquelle zu machen. Im vorliegenden Fall kann dem Beschwerdeführer weder subjektiv noch objektiv Ausbeutung vorgeworfen werden. Gewisse Leistungen an eine etwas teurere Lebenshaltung, welche ihm bei genauer Abrechnung im Rahmen der Partnerschaft mit Irene H. zugeflossen sein mögen, erfüllen den Tatbestand der ausbeuterischen Zuhälterei nicht.