Urteilskopf
106 IV 283
72. Urteil des Kassationshofes vom 28. Oktober 1980 i.S. S. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 9 Abs. 1 VRV.
Ein am Fahrbahnrand abgestelltes Fahrzeug ist ein Hindernis im Sinne dieser Bestimmung, gleichgültig ob Parkfelder markiert sind oder nicht und unabhängig davon, in welchem Masse der Fahrbahnrand als Abstellfläche benützt wird. Der Fahrzeugführer, in dessen Fahrbahnhälfte ein Fahrzeug abgestellt ist, hat daher dem Gegenverkehr den Vortritt einzuräumen, wenn durch dieses Hindernis das Kreuzen erschwert wird.
A.- S. bog am 2. Juli 1979 in Zürich aus der Triemlistrasse nach rechts in die Strasse "In der Wässeri" ab. Auf dieser 6,10 m breiten Strasse sind in der Fahrtrichtung des S. gesehen dem rechten Strassenrand entlang Parkfelder markiert, die damals belegt waren. Als S. unmittelbar nach dem Einbiegen am ersten parkierten Wagen vorbeifahren wollte, stiess er mit dem "In der Wässeri" entgegenkommenden, von Frau H. gelenkten Personenwagen zusammen.
B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Zürich büsste S. am 21. Februar 1980 wegen Widerhandlung gegen
Art. 9 Abs. 1 VRV gestützt auf
Art. 90 Ziff. 1 SVG mit Fr. 40.--.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies eine von S. gegen diesen Entscheid eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 31. Juli 1980 ab.
C.- S. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Soweit der Beschwerdeführer vom Bundesgericht verlangt, dass es selber ihn freispreche, ist sein Begehren unzulässig. Gemäss
Art. 277ter Abs. 1 BStP ist bei Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Begehren des Beschwerdeführers ist deshalb in diesem Sinne entgegenzunehmen.
2. Die Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde ist in dieser selber anzubringen. Die Verweisung des Beschwerdeführers auf seine Ausführungen in der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde ist unzulässig (
BGE 100 IV 187 E. 1a).
3. Zur Entscheidung steht die Frage, ob die auf den Parkfeldern der Strasse "In der Wässeri" aufgestellten Fahrzeuge für den Beschwerdeführer ein "Hindernis" im Sinne des
Art. 9 Abs. 1 VRV darstellten, das ihn verpflichtete, der entgegenkommenden Fahrzeuglenkerin den Vortritt zu lassen. Die Vorinstanz hat die Frage bejaht, was der Beschwerdeführer als Verstoss gegen Bundesrecht rügt.
Der angefochtene Entscheid kann sich auf
BGE 94 II 180 und
BGE 91 IV 38 E. 2a stützen, die im einschlägigen Schrifttum keiner Kritik gerufen haben (BUSSY/RUSCONI, N. 4 zu
Art. 1 VRV; SCHULTZ, ZBJV 102/1966 S. 374). Nach diesen ausdrücklich bzw. sinngemäss an
Art. 1 Abs. 4 VRV anschliessenden Entscheidungen ist unter Fahrbahn auf Strassen, die - wie hier - auf beiden Seiten mit einem Trottoir versehen sind, die ganze Fläche zwischen den Trottoirs zu verstehen, gleichgültig ob am Fahrbahnrand Fahrzeuge abgestellt sind oder nicht und ob das Parkieren durch markierte Parkfelder geordnet wird oder nicht. Entsprechend wurde die Frage, wann eine Fahrbahn im Sinne des Art. 41 Abs. 1 aVRV schmal sei, nach
BGE 106 IV 283 S. 285
deren Gesamtbreite, gemessen von einem Fahrbahnrand zum anderen und unabhängig von der Breite jenes Teils der Fahrbahn beantwortet, der dem fliessenden Verkehr offenbleibt, wenn die seitlichen Parkierungsmöglichkeiten ausgenützt werden. Derselben Linie folgend wurde auch angenommen, dass der Vortrittsberechtigte sein Recht nicht verliere, wenn er auf der Fahrbahn markierte Parkfelder befahre.
Zu Recht wird denn auch in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr behauptet, dass am Fahrbahnrand markierte Parkfelder dem ruhenden Verkehr vorbehalten seien und vom fliessenden Verkehr nicht benützt werden dürften. Unter welchen Voraussetzungen nicht belegte Parkfelder vom fliessenden Verkehr unter dem Gesichtspunkt des Gebots des Rechtsfahrens (Art. 34 Abs. 1 SVG) benützt werden müssen, ist hier nicht zu untersuchen.
Geht man vom oben umschriebenen Begriff der Fahrbahn aus, so wird man folgerichtig in der Fahrbahn abgestellte Fahrzeuge als Hindernisse im Sinne des Art. 9 Abs. 1 VRV verstehen müssen, und zwar selbst dann, wenn sie auf markierten Parkfeldern stehen. Der Einwand des Beschwerdeführers, eine solche Betrachtungsweise widerspreche dem Empfinden der Verkehrsteilnehmer, schlägt nicht durch, jedenfalls nicht für Strassen, bei denen der Raum zwischen seitlich markierten Parkfeldern und dem gegenseitigen Strassenbord bzw. bei diesem ebenfalls markierten Abstellplätzen nicht so breit ist, dass ein Kreuzen bequem, d.h. ohne Herabsetzung der zulässig eingehaltenen Geschwindigkeit und Änderung der bisher befugterweise eingehaltenen Fahrlinie sowie mit zureichendem Abstand möglich ist. Auf solchen Strassen, auf welchen nicht belegte Parkfelder regelmässig vom fliessenden Verkehr als Fahrbahn benutzt werden, ist ein auf einem Parkfeld abgestelltes Fahrzeug als Hindernis im Sinne von Art. 9 Abs. 1 VRV anzusehen. Daran ändert nichts, dass die Parkfelder "In der Wässeri" nach der Behauptung des Beschwerdeführers meist belegt sind, so dass sie vom fahrenden Verkehr nur selten (streckenweise) als Teil der Fahrbahn benützt werden können.
4. Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass der Beschwerdeführer der entgegenkommenden Fahrzeuglenkerin den Vortritt lassen musste. Dazu war er nur gehalten, wenn das Kreuzen durch das Hindernis, nämlich durch die in seiner Fahrbahnhälfte parkierten Fahrzeuge erschwert wurde. Das war
BGE 106 IV 283 S. 286
hier der Fall. Frau H. hat ihre Fahrbahnhälfte ordnungsgemäss benutzt. Nach dem bei den Akten liegenden Plan war die linke vordere Ecke ihres Wagens ("Alfasud") vom Trottoirrand auf ihrer Seite 2,23 m entfernt. Bei einer Breite der (nicht mit einer Leitlinie versehenen) Fahrbahn von insgesamt 6,10 m befand sie sich somit noch 82 cm von der Strassenmitte entfernt (halbe Fahrbahn 3,05 m), während der Abstand der rechten vorderen Ecke des "Alfasud" zum Trottoirrand unter Berücksichtigung der auf dem Plan ebenfalls vermerkten Wagenbreite von 1,59 m 64 cm betrug. Anderseits musste aber der Beschwerdeführer, um an dem in seiner Fahrbahnhälfte befindlichen Hindernis vorbeizukommen, die linke Fahrbahnhälfte in Anspruch nehmen. Angesichts dessen war es nicht bundesrechtswidrig anzunehmen, das Kreuzen sei durch das Hindernis in der Fahrbahnhälfte des Beschwerdeführers erschwert gewesen, weshalb S. hätte anhalten sollen; denn erschwert ist ein Kreuzen, wenn es nicht bequem im oben umschriebenen Sinne durchgeführt werden kann.
Die Berufung des Beschwerdeführers auf Art. 9 Abs. 2 VRV geht fehl. Diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das Kreuzen war nicht deshalb erschwert, weil die Strasse "In der Wässeri" schmal im Sinne von Art. 9 Abs. 2 VRV wäre, sondern weil sich auf der Fahrbahnhälfte des Beschwerdeführers ein Hindernis im Sinne von Art. 9 Abs. 1 VRV befand.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.