BGE 108 IV 176 |
45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Dezember 1982 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 260 StGB (Landfriedensbruch) und Art. 285 Ziff. 2 StGB (Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte). |
Aus den Erwägungen: |
3. Nach den Feststellungen des Obergerichts wurden aus der Menge heraus "Pflastersteine gegen Polizei und Opernhaus" geworfen, was die Beschwerdeführerin, die den Polizisten Ausdrücke wie "Faschistenschweine" usw. entgegenschrie, billigte. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird mit Recht anerkannt, dass dieses vom Obergericht als erwiesen erachtete Verhalten der Beschwerdeführerin vor dem Opernhaus den Tatbestand von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB erfüllt. Die Beschwerdeführerin macht jedoch geltend, sie dürfe nicht zusätzlich wegen Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) verurteilt werden. Soweit sie zur Begründung dieses Einwandes wiederum Kritik an den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts übt, ist auf ihre Eingabe nicht einzutreten. Das Obergericht hat die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde aufgestellten Behauptung nicht damit begründet, es habe die Möglichkeit bestanden, dass die von Demonstranten gegen die Polizeibeamten geworfenen Pflastersteine auch das Opernhaus treffen konnten. Es stellte vielmehr ausdrücklich fest, dass die "Pflastersteine ... für die Angeklagte offensichtlich erkennbar teils der Polizei und teils dem Operngebäude" galten, dass also nicht ausschliesslich gegen Beamte Gewalt angewendet wurde. Die Beschwerdeführerin hat mit Recht nie behauptet und macht auch in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht geltend, sie habe zwar die Gewalt gegen die - von ihr als "Faschistenschweine" usw. verschrieenen - Polizeibeamten, nicht aber Gewalttätigkeiten gegen das Opernhaus, gegen dessen Renovation sich die Demonstration richtete, gebilligt. Bei dieser Sachlage verstösst die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB ("Aufruhr") und Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) aus folgenden Gründen nicht gegen Bundesrecht. |
a) Die Steinwürfe von Demonstrationsteilnehmern gegen das Opernhaus einerseits und gegen die Polizei anderseits unterliegen strafrechtlich einer unterschiedlichen Beurteilung. Zwar spricht Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB, auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, ganz allgemein von "Gewalt an Personen oder Sachen". Das bedeutet indessen nicht, dass derjenige, der als Teilnehmer einer Zusammenrottung Gewalt an Personen oder Sachen verübte, stets gemäss Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB zu verurteilen und dass der nicht gewalttätige Teilnehmer immer nach Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB zu bestrafen wäre. Sinn und Bedeutung der Wendung "Gewalt an Personen oder Sachen" gemäss Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB ergeben sich daraus, dass auch dieser Tatbestand, wie die Ziff. 1 von Art. 285, ein Delikt gegen die öffentliche Gewalt umschreibt (siehe das Urteil des Bundesstrafgerichts vom 14. Oktober 1977, BGE 103 IV 241 ff.). Nach der im erwähnten Entscheid des Bundesstrafgerichts zitierten herrschenden Lehre muss zwischen der "Gewalt an Personen oder Sachen" im Sinne von Ziff. 2 Abs. 2 und einer der in Ziff. 1 von Art. 285 StGB erwähnten Tathandlungen ein Zusammenhang bestehen (siehe HAFTER, BT, S. 723, STRATENWERTH, BT II, S. 293). Unter Ziff. 2 Abs. 2 von Art. 285 StGB fällt jener Teilnehmer an einer Zusammenrottung, der durch Gewalt an Personen oder Sachen den Tatbestand von Art. 285 Ziff. 1 StGB verwirklicht (THORMANN/V. OVERBECK, N. 18 zu Art. 285 StGB). Wo die Gewalttätigkeiten aus der Menge heraus nicht die öffentliche Gewalt betreffen, wo mithin durch die Gewalttätigkeiten keine der Tatbestandsvarianten von Art. 285 Ziff. 1 StGB verwirklicht wird, ist die Ziff. 2 von Art. 285 StGB nicht anwendbar. In diesem Fall sind die Teilnehmer an der gewalttätigen Zusammenrottung - wenn diese eine öffentliche ist - gemäss Art. 260 StGB ("Landfriedensbruch") strafbar. |
b) Die aus der Menge heraus geworfenen Pflastersteine, die dem Opernhaus galten, waren nicht gegen die öffentliche Gewalt gerichtet; sie waren vielmehr gewaltsamer Ausdruck des angegebenen Demonstrationszweckes, nämlich des Protests gegen die nach Ansicht der Demonstranten zu hohen finanziellen Aufwendungen usw. für die Institution Opernhaus. Insoweit fehlt es am erwähnten Zusammenhang mit der öffentlichen Gewalt. Die dem Opernhaus geltenden Steinwürfe waren demnach entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht Gewalt an Sachen im Sinne von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 2 StGB. Die Beschwerdeführerin ist daher insoweit nicht nach Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, sondern gemäss Art. 260 StGB zu bestrafen. Hingegen erfüllt ihre Teilnahme an der Zusammenrottung insoweit den Tatbestand von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, als die aus der Menge heraus geworfenen Pflastersteine usw. den Polizeibeamten galten, die Beamten also im Sinne von Art. 285 Ziff. 1 StGB tätlich angegriffen wurden und somit durch die Gewalttätigkeiten der Tatbestand von Art. 285 Ziff. 1 StGB verwirklicht wurde.
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Indem die Beschwerdeführerin vorsätzlich an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnahm, aus der heraus Gewalttätigkeiten einerseits gegen Polizeibeamte und anderseits gegen das Opernhaus verübt wurden, hat sie sich, wie die Vorinstanz zutreffend erkannte, sowohl der Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB als auch des Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) schuldig gemacht. Die Beschwerdeführerin wäre im übrigen auch dann gemäss Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB und Art. 260 StGB zu verurteilen, wenn die aus der öffentlichen Zusammenrottung heraus geworfenen Pflastersteine und andern Gegenstände ausschliesslich den Polizeibeamten gegolten hätten. Eine in dieser Weise gegen Beamte gewalttätige öffentliche Zusammenrottung stört auch den öffentlichen Frieden, mithin ein weiteres Rechtsgut. Die Teilnahme an einer solchen Zusammenrottung wird durch die Anwendung von Art. 285 Ziff. 2 Abs. 1 StGB allein nicht vollumfänglich erfasst: es besteht daher Idealkonkurrenz zwischen dieser Bestimmung und Art. 260 StGB (siehe BGE 103 IV 246; Urteil des Bundesstrafgerichts i.S. C. et cons. vom 17. Oktober 1945).
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