109 IV 27
Urteilskopf
109 IV 27
9. Urteil des Kassationshofes vom 8. April 1983 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.
1. Der Veruntreuung macht sich schuldig, wer ihm durch Vollmacht anvertraute Post- oder Bankguthaben (Buchgeld) unrechtmässig in seinem oder eines anderen Nutzen verwendet (E. 2c).
2. Anvertraut ist eine Forderung dem Bevollmächtigten dann, wenn er ohne Mitwirkung des Treugebers über die Werte verfügen kann, selbst wenn das Konto auf dessen Namen lautet (E. 3).
3. Veruntreuung liegt auch vor, wenn der Täter dem Geschädigten nicht ein vorhandenes Aktivum entzieht, sondern einen Passivsaldo des Kontos herbeiführt bzw. erhöht (E. 4).
A.- Als Beauftragter (Inhaber eines Treuhandbüros) sowie als Beistand der 1967 geborenen Erbin A. befasste sich I. seit 1968 mit der Verwaltung des Vermögens der Erbengemeinschaft S. Zudem wurde er Aktionär und Verwaltungsrat der W. AG, welche von der Erbengemeinschaft S. das Warenlager der frühern Einzelfirma S. übernahm.
Auf Veranlassung des I. eröffnete die Bank X. im November 1973 für die Erbengemeinschaft S. ein Kontokorrent und räumte gleichzeitig einen Kontokorrent-Kredit über Fr. 200'000.-- ein. Der Kredit war gedeckt durch einen der Bank verpfändeten Schuldbrief in der Höhe von Fr. 270'000.--. Die Erbengemeinschaft S., bestehend aus A., B. und C., wurde der Bank gegenüber durch I., B. und C. je mit Einzelunterschrift vertreten.
Im Herbst 1974 liess I. bei der Bank X. auf den Namen der Erbengemeinschaft S. das Separatkonto 814'375-1 als weiteres Kontokorrent-Kreditkonto eröffnen. Der nur zu einem kleinen Teil benutzte Kontokorrent-Kredit auf dem Hauptkonto 814'375-0 (damals belastet mit ca. Fr. 45'000.--) konnte auch für das Separatkonto beansprucht werden. Meldungen über den Verkehr auf dem Separatkonto gingen nur an I., nicht an B. und C.
In der Folge beauftragte I. die Bank, zu Lasten des Separatkontos 814'375-1 auf die Firma W. AG gezogene Wechsel einzulösen. Aufgrund dieser Zahlungsaufträge ergab sich vom 9. September 1974 bis zum Jahresende, inklusive Zinsen und Kommissionen, eine Belastung des Separatkontos der Erbengemeinschaft von total Fr. 185'542.70.
B.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat I. wegen dieses Sachverhaltes mit Entscheid vom 25. August 1982 der Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 StGB schuldig gesprochen und deswegen sowie wegen wiederholter Urkundenfälschung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, abzüglich einen Tag Untersuchungshaft, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren.
C.- Gegen diesen Entscheid führt I. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei bezüglich des Schuldspruchs
BGE 109 IV 27 S. 29
wegen Veruntreuung aufzuheben und die Sache sei zum Freispruch in diesem Punkte sowie zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gegen die Subsumtion des geschilderten Sachverhaltes unter Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB werden in der Nichtigkeitsbeschwerde folgende Einwendungen erhoben:
a) Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB beziehe sich nach der ratio legis auf jene Fälle, in denen das Eigentum an den anvertrauten Werten - im Unterschied zu Abs. 1 - auf den Täter übergegangen sei (Hauptbeispiel: Vermischung anvertrauten Geldes mit eigenem Geld). Bei der Verfügung über ein Konto (Buchgeld) gehe es aber um fremde Werte, die sachenrechtlich nicht im Eigentum des Täters stehen; die spezifische Voraussetzung für die Anwendung von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB fehle also.
b) Wenn schon Buchgeld als "Gut" behandelt werde, dann sei ein Anvertrauen dieses Gutes im Sinne der von REHBERG vertretenen Auffassung (Grundriss, Strafrecht III, 1982 S. 56) nur anzunehmen, sofern der Berechtigte seine eigene Verfügungsmacht völlig zugunsten des Täters aufgegeben habe. Diese Voraussetzung sei im konkreten Fall nicht erfüllt, indem die andern Vertreter der Erbengemeinschaft gegenüber der Bank nach wie vor unterschriftsberechtigt waren.
c) Von "anvertrautem Gut" könne hier schon deswegen nicht gesprochen werden, weil der Beschwerdeführer nicht über eine der Erbengemeinschaft zustehende Forderung verfügte, sondern unerlaubterweise eine Kreditmöglichkeit ausschöpfte.
d) Das "Anvertrautsein" erscheine überdies fraglich, weil die Zahlungen über ein vom Beschwerdeführer selber gegen den mutmasslichen Willen der Erben geschaffenes Separatkonto erfolgten, nicht aus einem ihm von den Erben zur Verwaltung anvertrauten Konto.
2. Während Abs. 1 von Art. 140 Ziff. 1 StGB das Schutzobjekt unter Verwendung zivilrechtlicher Begriffe ("fremde, bewegliche Sache", "aneignet") umschreibt, dehnt Abs. 2 den strafrechtlichen Schutz auf "anvertrautes Gut, namentlich Geld", aus.
a) Unter "anvertrautem Gut" wurden in BGE 90 IV 193 und BGE 103 IV 88 unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte sowie den französischen und den italienischen Gesetzestext ("chose fongible",
BGE 109 IV 27 S. 30
"cosa fungibile") nur vertretbare Sachen (Gattungssachen) verstanden, welche durch Vermischung in das Eigentum dessen übergehen, dem sie anvertraut worden sind, also nicht sachenrechtlich, sondern nur wirtschaftlich fremd bleiben. Nach diesen Präjudizien können nur körperliche Objekte, nicht auch Forderungen, Gegenstand der Veruntreuung sein (vgl. auch BGE 101 IV 163; BGE 106 IV 255; GERMANN, Verbrechen, S. 266; HAFTER, Besonderer Teil I S. 240 f.).b) In der neuern Doktrin wird die Auffassung vertreten, als "Gut" kämen (anders als bei der "Sache" nach Abs. 1) auch unkörperliche Werte in Betracht (REHBERG in ZStR 92/1976 S. 32 ff. insbesondere auch S. 36 und ZStR 98/1981 S. 372 ff.; SCHAUB, Die unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes, Basel 1979, S. 102 ff.; SCHUBARTH, Die Systematik der Aneignungsdelikte, Basel 1968, S. 16 Fussnote 75; STRATENWERTH, Besonderer Teil I, 2. Aufl. S. 180 f.). Dass unrechtmässiges Verfügen über anvertraute Forderungen den Tatbestand der Veruntreuung im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erfüllen kann, wird in zunehmendem Masse anerkannt (siehe insbesondere REHBERG und SCHAUB a.a.O.; SCHULTZ in ZBJV 114/1978 S. 469 f.; vgl. auch N. SCHMID, Missbräuche im modernen Zahlungs- und Kreditverkehr, Bern/Stuttgart 1982, S. 17 ff.).
Der Kassationshof hat ebenfalls in einzelnen Entscheidungen implizite vorausgesetzt, der Veruntreuungstatbestand könne auch an Post- und Bankguthaben erfüllt werden (BGE 94 IV 138, BGE 98 IV 31), aber zur Frage nie in grundsätzlicher Weise Stellung genommen.
c) Der Wortlaut von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erlaubt in der deutschsprachigen Fassung ohne weiteres eine den heutigen Erfordernissen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs entsprechende Auslegung. Schon in der Entstehungsgeschichte der Bestimmung gibt es Ansatzpunkte dafür, dass man mit dem Begriff "Gut" allgemein Vermögenswerte erfassen und die Beschränkung des Schutzes auf körperliche Sachen durchbrechen wollte (vgl. ZÜRCHER, Erläuterungen zum Vorentwurf von 1908, Bern 1914, S. 147 f.; dazu REHBERG ZStR 92/1976 S. 32 ff.). Die Übersetzung von "Gut" mit "chose fongible" entstand offenbar nicht im Sinne einer sachenrechtlichen Begrenzung des Tatbestandes, sondern eher als sprachliche Notlösung, weil kein befriedigendes Äquivalent für den deutschsprachigen Ausdruck "Gut" gefunden wurde. Der zuerst in Erwägung gezogene Begriff "valeur" wurde von Logoz im
BGE 109 IV 27 S. 31
Nationalrat als "mot un peu imprécis" bezeichnet (REHBERG ZStR 92/1976 S. 33 Fussnote 13).Nachdem heute Verwalter fremder Vermögenswerte sehr oft nicht Bargeld verwahren, sondern über Bank- und Postcheck-Konten verfügen, drängt es sich vom Schutzzweck des Art. 140 StGB her auf, auch anvertraute Forderungen als "Gut" und damit als mögliches Veruntreuungsobjekt zu qualifizieren. Eine Beschränkung des strafrechtlichen Schutzes auf Bargeld unter Ausschluss des heute viel bedeutungsvolleren Buchgeldes würde dem Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB einen wesentlichen Teil seiner Funktion nehmen. Wer die ihm durch Vollmacht anvertrauten Werte eines Bankkontos unrechtmässig zu seinem oder eines andern Nutzen verwendet, macht sich eines in gleichem Masse strafwürdigen Verhaltens schuldig wie derjenige, der über anvertrautes Bargeld eigenmächtig verfügt. Eine objektiv-zeitgemässe Auslegung des vom Gesetzgeber bewusst weit gefassten und von sachenrechtlichen Begriffen losgelösten Wortlautes von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gewährleistet den strafrechtlichen Schutz anvertrauter Werte in einer den praktischen Bedürfnissen entsprechenden Weise. Gegen den Einbezug von Konten (Buchgeld) in den Begriff des Gutes bestehen auch keine rechtsstaatlichen Bedenken; es handelt sich um eine aus der ratio legis sich ergebende, vom deutschsprachigen Gesetzestext gestützte Interpretation, welche gegenüber Einschränkungen, die sich aus der französischen und italienischen Fassung ableiten lassen, unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte den Vorzug verdient. Die in BGE 94 IV 139, BGE 98 IV 31 (vgl. auch BGE 106 IV 21) vorausgesetzte Auffassung, Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erstrecke sich auch auf den Schutz anvertrauter Forderungen (insbesondere Post- oder Bankguthaben) ist daher hier ausdrücklich zu bestätigen (in diesem Sinne REHBERG, Strafrecht III, Zürich 1982, S. 55, vgl. auch die oben in lit. b erwähnte Literatur; vorwiegend kritisch N. SCHMID, a.a.O.)
3. Ein Geldbetrag kann durch Überweisung auf ein dem Täter gehörendes und auf seinen Namen lautendes Konto anvertraut werden. Es ist aber auch möglich, dass eine unrechtmässige Verfügung sich - wie im vorliegenden Fall - auf ein Konto bezieht, das auf den Namen des Inhabers und Treugebers lautet, über welches der Täter jedoch kraft Vollmacht selbständig verfügen kann.
REHBERG schränkt für die zweite Variante den Begriff des Anvertrauens ein auf den Fall des gänzlichen Ausschlusses eigener
BGE 109 IV 27 S. 32
Verfügungsmacht des Treugebers; wenn dem Täter zwar eine Vollmacht eingeräumt ist, der Inhaber des Post- oder Bankkontos aber daneben auch noch selber verfügen kann, so wäre nach dieser Auffassung das auf dem Konto vorhandene Buchgeld dem Bevollmächtigten nicht im Sinne von Art. 140 StGB anvertraut (REHBERG, Strafrecht III S. 56; ZStR 98/1981 S. 373). Diese Begrenzung des Begriffs "Anvertrauen" wird aus einer Parallele zu Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB abgeleitet: Wenn Abs. 1 den Alleingewahrsam des Täters voraussetze unter Ausschluss des Sacheigentümers von der Sachherrschaft, dann müsse auch bei Abs. 2 das Anvertrauen von der Alleinberechtigung des Treuhänders und dem Verzicht des Treugebers auf eigene Verfügungsbefugnis abhängig gemacht werden (vgl. dazu SCHAUB, a.a.O. S. 110).Diese These verkennt, dass bei Abs. 1 von Art. 140 Ziff. 1 StGB die Frage des Alleingewahrsams oder Mitgewahrsams im Zusammenhang mit der Grenzziehung zwischen Veruntreuung und Diebstahl erörtert wird und nicht zur Festlegung der Grenze der Strafbarkeit überhaupt. Ob die unrechtmässige Aneignung einer Sache, welche im Mitgewahrsam des Täters und anderer Personen steht, als Diebstahl oder als Veruntreuung zu ahnden sei, ist eine Frage, die sich analog bei Abs. 2 von Art. 140 Ziff. 1 StGB gar nicht stellt. Selbst wenn man - abweichend von der Praxis des Bundesgerichtes (BGE 101 IV 35, BGE 92 IV 91) - davon ausgehen wollte, dass blosser Mitgewahrsam an einer Sache nie ein Anvertrauen (gemäss Abs. 1) bilde (REHBERG, Strafrecht III, S. 49) und somit gegebenenfalls stets der Diebstahlstatbestand anwendbar sei (weil die unrechtmässige Verfügung Mitgewahrsam breche), so ist daraus weder aus logischen, noch aus praktischen Gründen die Parallele zu ziehen, auch eine Forderung sei dem potentiellen Täter nur anvertraut, sofern dem Gläubiger/Kontoinhaber selber jede Verfügungsmacht fehle und nur der Täter solche besitze. Anvertraut ist eine Forderung dem Bevollmächtigten immer dann, wenn er ohne Mitwirkung des Treugebers über die Werte verfügen kann. Sobald diese unkontrollierbare Verfügungsbefugnis eingeräumt wurde oder kraft Gesetzes vorhanden ist, besteht das Bedürfnis nach strafrechtlichem Schutz des Vertrauensverhältnisses, dem der Art. 140 StGB gerecht werden soll. Weshalb dieser Schutz durch restriktive Interpretation des Begriffes "Anvertrauen" auf jene Fälle einzuschränken wäre, in denen dem Gläubiger keine eigene Verfügungsmacht zusteht, ist nicht erkennbar. Auch wenn der Inhaber eines Kontos durchaus selber noch verfügen kann,
BGE 109 IV 27 S. 33
geniesst der neben ihm Einzelunterschriftsberechtigte doch jene typische Vertrauensstellung, die ihm rechtswidrige Eingriffe in fremdes Vermögen ermöglicht, ohne dass er zu den Mitteln des Diebstahls oder des Betruges greifen müsste.Aus diesen Überlegungen ist die in der Doktrin postulierte Einschränkung abzulehnen. Ob bei Abs. 1 von Art. 140 Ziff. 1 StGB nur Alleingewahrsam des Täters das "Anvertrautsein" der Sache konstituiert (und bei Mitgewahrsam stets Art. 137 StGB zum Zuge kommen muss), ist hier nicht zu untersuchen. Auf jeden Fall ist unter dem Aspekt von Abs. 2 eine die Anwendbarkeit dieser Strafnorm rechtfertigende Vertrauensstellung auch gegeben, wenn der Täter neben dem Inhaber (oder andern Personen) über ein fremdes Bankkonto allein verfügen kann.
4. Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall nicht den Aktivsaldo des ihm anvertrauten Bankkontos unrechtmässig verwendet, sondern die durch das Konto und den von der Erbengemeinschaft verpfändeten Schuldbrief geschaffene Kreditmöglichkeit unerlaubterweise ausgeschöpft.
a) NIKLAUS SCHMID (a.a.O. S. 19 und S. 22) weist auf die Schwierigkeit hin, die sich ergibt, wenn unrechtmässige Transaktionen zu einer Soll-Belastung des anvertrauten Kontos führen. Er neigt zur Auffassung, in diesen Fällen versage Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB; das Ausnützen einer Kreditmöglichkeit zu Gunsten des Bevollmächtigten und zum Nachteil des Kontoinhabers könne kaum als Verfügung über anvertrautes Gut bezeichnet werden.
b) Diese Argumentation hat prima vista den Wortlaut des Gesetzes für sich. Unter "Gut" wird in erster Linie ein auch buchhalterisch als Aktivum erscheinender Vermögenswert verstanden und die durch Abs. 2 von Art. 140 Ziff. 1 StGB erfasste unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes besteht häufig in der Verfügung über ein Bankguthaben zum Nachteil des Kontoinhabers und zum Vorteil des Täters.
Unrechtmässigkeit des Vorgehens sowie Schädigung des Kontoinhabers und Bereicherung des Täters sind aber genau gleich, wenn die inkriminierte Verfügung dem Geschädigten nicht (oder nicht nur) ein vorhandenes Aktivum entzieht, sondern einen Passivsaldo des Kontos herbeiführt, d.h. eine Kreditmöglichkeit ausschöpft. Die dem Inhaber zustehende, eventuell sogar - wie im vorliegenden Fall - durch Verpfändung gesicherte Kreditmöglichkeit gehört wirtschaftlich zu dem Gut, das mit der Vollmacht zur Verfügung über das Konto dem Bevollmächtigten anvertraut
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wird. Die durch Pfand (oder durch die Kreditwürdigkeit des Kontoinhabers) gesicherte Kreditmöglichkeit stellt für den Verfügungsberechtigten einen Vermögenswert dar, über den er - wie über anvertrautes Bargeld - auftragsgemäss oder eben unrechtmässig zu seinem oder eines andern Nutzen verfügen kann. Es ist ihm z.B. möglich, auf diesem Wege den Wert eines vom Kontoinhaber hinterlegten Pfandes auszubeuten. Wer die auf einem anvertrauten Bankkonto für ihn verfügbaren finanziellen Mittel im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB unrechtmässig verwenden will, braucht nicht zu wissen, ob er durch seine treuwidrigen Transaktionen nur Aktiven des Kontoinhabers "benützt" oder ob er zu dessen Lasten eine Darlehensschuld begründet, allenfalls unter Beanspruchung eines vom Kontoinhaber hinterlegten Pfandes. Sein Vorsatz geht so oder so auf eine unrechtmässige Verwendung der ihm durch die Verfügungsberechtigung über das Konto anvertrauten fremden Vermögenswerte. Für den Täter wirtschaftlich fremd und ihm anvertraut sind nicht nur die Aktiven, sondern auch die Kreditmöglichkeit. Unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit und des Schutzzwecks von Art. 140 StGB besteht kein Grund, das unrechtmässige Ausschöpfen einer anvertrauten Kreditmöglichkeit anders zu beurteilen als die rechtswidrige Aneignung anvertrauten Bargeldes oder die rechtswidrige Verfügung über einen auf dem Konto vorhandenen Betrag (Aktivsaldo). Es wäre stossend, wenn in einschränkender Auslegung des Wortlautes die faktisch geldwerte Kreditmöglichkeit aus dem Bereich des strafrechtlichen Schutzes von Art. 140 StGB ausgeschieden würde. Der ratio legis dieser Norm entspricht es dagegen, eine konkrete Kreditmöglichkeit (im Rahmen der Verfügung über ein Konto) als einen Bestandteil des anvertrauten Gutes zu betrachten. Auch der Täter wird vernünftigerweise keinen entscheidenden Unterschied sehen können zwischen einem Missbrauch seiner Vertrauensstellung durch eigennütziges Abheben von Aktiven und dem unrechtmässigen Ausschöpfen der Kreditmöglichkeit. Die sprachliche Fassung zwingt nicht zu einer derartigen realitätsfremden und wertungsmässig nicht begründeten Grenzziehung.c) Noch ein anderer Ansatzpunkt ist geeignet, diese Auslegung von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB zu stützen: Der zur Verfügung über ein Konto Ermächtigte begeht ein Delikt ja nicht wegen der formellen Tatsache seiner Verfügung über auf dem Konto vorhandene Werte; denn zur Verfügung an sich ist er ja befugt. Das Unrecht wird im Grunde erst in der zweiten Phase durch die
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treuwidrige Verwendung der aus dem Konto "herausgeholten" Werte realisiert. Geht man von einer solchen Zweiteilung aus, dann lässt sich folgern, der ein ihm anvertrautes Konto unrechtmässig Benutzende hole immer zunächst einen Wert aus dem anvertrauten Konto heraus und über diesen ihm anvertrauten Betrag, den er nur im Interesse des Vollmachtgebers verwenden dürfte, verfüge er unrechtmässig. Bei dieser Betrachtungsweise bezieht sich die unrechtmässige Verwendung immer auf einen positiven Wert (regelmässig eine Summe Buch- oder Bargeld). Ob die vorangehende, formell rechtmässige Disposition auf dem Konto zu einer Reduktion der Aktiven oder zu einem Passivsaldo führte, ist aus dieser Sicht ohne Belang. Unrechtmässig verwendet und damit veruntreut wird nie ein Passivum, sondern stets ein durch einen ersten Akt - als Darlehen, Überweisung oder Auszahlung - aus dem anvertrauten Konto "realisierter" Betrag. Wird in dieser Weise die Veruntreuung nicht in dem formell korrekten "Herausholen" des Betrages gesehen, sondern ausschliesslich in der nachfolgenden unrechtmässigen Verwendung des "herausgeholten" (immer noch anvertrauten) Wertes, so ergibt sich damit eine Abgrenzung des rechtserheblichen Sachverhaltes, welche selbst bei einer restriktiveren Auslegung des Begriffes "Gut" ohne Schwierigkeit die Subsumtion unter Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB erlaubt.
5. Der Einwand, das Separatkonto, über welches der Beschwerdeführer die inkriminierten Verfügungen traf, sei ja von ihm selber eröffnet worden, geht an der Sache vorbei. Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer nur kraft seiner Verfügungsbefugnis über das Hauptkonto das Separatkonto eröffnen konnte und dass er unter Missbrauch seiner Vertrauensstellung durch die Belastung des Separatkontos die auf dem Hauptkonto vorhandenen, ihm anvertrauten Werte - insbesondere die durch Pfand gesicherte Kreditmöglichkeit - zum Nachteil der Kontoinhaberin unrechtmässig beanspruchen konnte. Der offenbar zur Vertuschung gegenüber den Mitgliedern der Erbengemeinschaft gewählte Umweg über ein Separatkonto ändert somit an der Strafbarkeit des Vorgehens nichts.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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