BGE 110 IV 46
 
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. März 1984 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 15 Abs. 1 Verantwortlichkeitsgesetz.
 


BGE 110 IV 46 (46):

Aus den Erwägungen:


BGE 110 IV 46 (47):

a) Nach Art. 15 Abs. 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes (VG; SR 170.32) bedarf die Strafverfolgung von Beamten wegen strafbarer Handlungen, die sich auf ihre amtliche Tätigkeit oder Stellung beziehen, ausgenommen wegen Widerhandlungen im Strassenverkehr, einer Ermächtigung des EJPD. Dabei handelt es sich um eine bundesrechtlich geregelte Prozessvoraussetzung, deren Missachtung mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden kann, zumal sie in casu mit der Bundesstrafrecht betreffenden Hauptfrage zusammenhängt.
b) Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer Beamter im Sinne der vorgenannten Bestimmung ist und die fahrlässige Tötung bei einer amtlichen Verrichtung begangen hat. Zu seiner Verfolgung wegen dieses Delikts hätte deshalb schon vom erstinstanzlichen Richter die Ermächtigung des EJPD eingeholt werden müssen (R. HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 44 § 19, I). Das ist nicht geschehen, hat doch erst das Obergericht dieselbe besorgt. Da aber für das Verfahren vor dieser Instanz die genannte Prozessvoraussetzung erfüllt war, stellt sich die Frage, ob damit der Mangel im erstinstanzlichen Verfahren nicht geheilt wurde. Das Verantwortlichkeitsgesetz gibt darauf keine Antwort. Das Schrifttum befasste sich bereits mit dem analogen Fall der Ermächtigung zur Verfolgung von Militärpersonen. Dabei wird die Auffassung vertreten, dass ohne Ermächtigung durchgeführte Untersuchungshandlungen nichtig seien (K. HAURI, Militärstrafgesetz, S. 549 N. 11 zu Art. 219), während in der kantonalen Praxis unter bestimmten Voraussetzungen das Gegenteil angenommen wurde (SJZ 66/1970, S. 92 Nr. 51). Diese Aussagen betreffen indessen nur den Fall, in welchem überhaupt keine Ermächtigung eingeholt wurde, nicht auch die Frage, wie es sich verhalte, wenn - wie hier - nach dem erstinstanzlichen Urteil die kantonale Rechtsmittelinstanz für ihr Verfahren eine solche beschafft hat. In einem kantonalen Urteil aus dem Jahre 1940 wurde eine Heilung des Mangels durch eine nachträgliche Ermächtigung für Amtshandlungen im Verfolgungsstadium bejaht, für das Urteil aber ausgeschlossen (ZR 39/1940, S. 182 Nr. 88 Ziff. 4). Dem kann beigepflichtet werden, sofern es sich um ein Urteil handelt, das nur noch mit einem ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angefochten werden kann. Dagegen besteht kein Grund, Nichtigkeit auch dann anzunehmen, wenn der Entscheid an eine obere kantonale Instanz weitergezogen wurde, die zu einer vollständigen tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung des gesamten bisherigen

BGE 110 IV 46 (48):

Verfahrens befugt war. Für diesen Fall steht der Heilung des Mangels im erstinstanzlichen Verfahren durch die Einholung der Ermächtigung zu Beginn des Rechtsmittelverfahrens nichts entgegen, zumal dann nicht, wenn sich schon in erster Instanz gezeigt hat, dass die gegen den Beamten erstattete Strafanzeige keineswegs ungerechtfertigt war; denn Art. 15 Abs. 1 VG bezweckt den Schutz des Beamten vor Belästigung durch völlig ungerechtfertigte Strafanzeigen und gleichzeitig einen reibungslosen Gang der Verwaltung (BGE 87 I 85 E. 2).
Wie sich aus dem oben Gesagten (Erw. 1 und 2) ergibt, war das gegen X. angehobene Strafverfahren keineswegs ungerechtfertigt, sondern vielmehr begründet. Zudem wurde das Urteil des erstinstanzlichen Richters mit der Appellation an das Obergericht weitergezogen, welches Rechtsmittel nach Art. 304 bern. StrV Suspensiv- und Devolutiveffekt hat und damit eine revisio in facto et in iure ermöglicht. Das erstinstanzliche Verfahren unterlag damit in seiner Gesamtheit der Überprüfung durch das Obergericht, und dessen Entscheid ersetzte das Urteil des Gerichtspräsidenten von Trachselwald (M. WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, N. 1 und 2 zu Art. 304). Unter diesen Umständen wäre es überspitzter Formalismus, der vom Obergericht eingeholten Ermächtigung die heilende Wirkung abzusprechen und das gesamte Verfahren als nichtig zu betrachten. Das Begehren des Beschwerdeführers, das angefochtene Urteil wegen Nichtigkeit des kantonalen Verfahrens aufzuheben, ist deshalb unbegründet.