115 IV 111
Urteilskopf
115 IV 111
26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1989 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. und Mitbeteiligte (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 224 StGB; Gefährdung durch Sprengstoffe.
Der privilegierte Tatbestand von Abs. 2 dieser Bestimmung kann lediglich angewendet werden, wenn Eigentum in nur unbedeutendem Umfang betroffen worden ist; der Umstand allein, dass sich der Vorsatz des Täters auf Eigentum in unbedeutendem Umfang bezogen hat, genügt nicht, wenn tatsächlich eine weitergehende Gefährdung eingetreten ist.
Die Familie X. war mit der im gleichen Mehrfamilienhaus wohnenden Familie A. verfeindet. Hans X. besprach dieses Problem eines Tages mit seinem pyrotechnisch interessierten Kollegen Y. In der Nacht vom 30. auf den 31. August 1985 verursachten dieser und Z. durch die Zündung selber gebastelter Sprengsätze zwei Explosionen mit Sachschaden am Esszimmer- und am Balkonfenster der Wohnung der Familie A. Die Anklage warf Hans X. Anstiftung und dessen Ehefrau Brigitte psychische Gehilfenschaft zu dieser Straftat vor.
Am 20./21. April 1988 sprach das Obergericht des Kantons Solothurn Hans X. vom Vorwurf der Anstiftung zur Gefährdung mit Sprengstoff und der Widerhandlung gegen das Sprengstoffgesetz frei. Demgegenüber sprach es Y. und Z. der Gefährdung
BGE 115 IV 111 S. 112
durch Sprengstoff i.S. von Art. 224 Abs. 2 StGB sowie weiterer Delikte schuldig und bestrafte sie mit 10 bzw. 5 Monaten Gefängnis (bedingt). Brigitte X. wurde wegen Gehilfenschaft zur Gefährdung mit Sprengstoff i.S. von Art. 224 Abs. 2 i.V. mit Art. 25 StGB und eines weiteren Deliktes mit 3 Wochen Haft (bedingt) bestraft.Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei bezüglich der Anwendung von Art. 224 Abs. 2 StGB aufzuheben und die Sache zur Verurteilung und Bestrafung der Beschuldigten nach Abs. 1 der genannten Bestimmung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet und beantragt die Abweisung der Beschwerde. Denselben Antrag stellen die Verurteilten.
Aus den Erwägungen:
2. Für die erste Explosion verwendeten die Beteiligten einen Knallkörper, der nach Ansicht der Vorinstanz nicht unter Art. 224 StGB zu subsumieren ist, weshalb keine Straftat erfüllt worden sei. Die Staatsanwaltschaft beschränkt ihre Beschwerde auf die zweite in jener Nacht verursachte Explosion.
Als Sprengkörper wurde dabei ein knapp 10 cm langes und mit dem Pulver von ca. 25 "Moog-Vogelschreckpatronen" gefülltes Metallröhrchen verwendet; das eine Ende des Röhrchens wurde in einem Schraubstock zusammengedrückt und mit einem kleinen Loch versehen, worin die Zündschnur befestigt wurde; am anderen, offenen Ende des Röhrchens wurde eine Schraubenmutter angebracht und das Pulver durch eine Schraube zusammengepresst. Dieser Sprengsatz wurde kurz nach drei Uhr morgens zwischen Sims und Rolladen des Balkonfensters angebracht. Die Explosion verbog den Rolladen, zertrümmerte die Fensterscheibe und zerstörte einen Teil des Wohnzimmermobiliars; ferner durchschlug das Metallröhrchen ein ebenfalls aus Metall bestehendes Balkongeländer wie ein Geschoss. Die Vorinstanz spricht von "einer regelrechten Explosion mit beträchtlichem Sachschaden".
3. Nach Art. 224 Abs. 1 StGB wird mit Zuchthaus bestraft, wer vorsätzlich und in verbrecherischer Absicht durch Sprengstoffe oder giftige Gase Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt; ist nur Eigentum in unbedeutendem
BGE 115 IV 111 S. 113
Umfang gefährdet worden, so kann auf Gefängnis erkannt werden (Abs. 2).a) Die Vorinstanz ging davon aus, mit der Explosion sei beabsichtigt gewesen, Eigentum zu beschädigen, weshalb auch notwendigerweise eine konkrete Gefährdung fremden Eigentums bewirkt worden sei; im Vorgehen der beiden Haupttäter sei eine tatbestandsmässige Handlung und ein tatbestandsmässiger Erfolg i.S. von Art. 224 Abs. 1 StGB zu erblicken. In subjektiver Hinsicht sei es bei der zweiten Explosion nicht mehr bloss ums Erschrecken, sondern auch um die Sachbeschädigung gegangen, weshalb die verbrecherische Absicht i.S. von Art. 224 Abs. 1 StGB gegeben sei.
Nachdem die Vorinstanz zunächst festgestellt hatte, es sei "eine regelrechte Explosion mit beträchtlichem Sachschaden" zu beurteilen und die Frage, ob Eigentum in geringem Umfang gefährdet worden sei, müsse "wohl verneint werden", erwog sie, es könne nicht allein auf den Erfolg der gefährdenden Handlung abgestellt werden; da der Täter nicht für den eingetretenen, sondern für den von ihm angestrebten Erfolg hafte und da die Beteiligten "vor allem" eine Fensterscheibe zerstören wollten, sei Art. 224 Abs. 2 StGB anzuwenden.
b) Art. 224 StGB stellt ein konkretes Gefährdungsdelikt dar und setzt in beiden Absätzen objektiv voraus, dass durch Sprengstoff z.B. fremdes Eigentum konkret in Gefahr gebracht wurde. Solche Taten betrachtete der Gesetzgeber als gemeingefährlich, da bei der Anwendung von Sprengstoff der Umfang der Wirkung vom Täter nicht beherrscht werden könne (BBl 1924 I S. 593). Abs. 2 kann zum Zug kommen, wenn Eigentum "in unbedeutendem Umfang gefährdet worden" ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut stellt die privilegierte Bestimmung auf den Erfolg der gefährdenden Handlung ab. Entscheidend für ihre Anwendung ist, dass bloss Eigentum in unbedeutendem Umfang betroffen wurde, mag sich die Gefährdung in einem Schaden verwirklicht haben oder nicht (JÖRG REHBERG, Die Sprengstoffdelikte des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Kriminalistik 26/1972, S. 102). Das Bundesgericht hat denn auch festgestellt, Abs. 2 komme im Falle des Erfolgseintritts dann in Betracht, wenn die infolge der Verwendung von Sprengstoff eingetretenen Schäden geringfügig sind (BGE 103 IV 244 oben). Dies ist nach der Annahme der Vorinstanz "wohl" nicht der Fall.
Die kantonalen Richter stellten nun aber darauf ab, dass die Täter nur Eigentum in unbedeutendem Umfang gefährden wollten.
BGE 115 IV 111 S. 114
Dieser Umstand allein kann nicht zur Anwendung von Art. 224 Abs. 2 StGB führen. Nach dem oben Gesagten ist die Grösse der Gefährdung, nicht aber die Intensität des Vorsatzes für die Anwendung der privilegierten Strafnorm entscheidend (ebenso ERNST HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT II, Berlin 1943, S. 509). Zwar ist grundsätzlich jede Gefährdung von fremdem Eigentum durch Sprengstoff nach Art. 224 Abs. 1 StGB zu ahnden, sofern aber im konkreten Fall kein Eigentum in bedeutendem Umfang betroffen worden ist, steht es dem Richter nach seinem pflichtgemässen Ermessen frei, z.B. dann von der Kann-Vorschrift des Abs. 2 Gebrauch zu machen, wenn auch der Vorsatz des Täters nur auf diese geringfügige Gefährdung gerichtet war (REHBERG, a.a.O.); notwendige Bedingung ist allerdings immer, dass tatsächlich nur eine geringfügige Gefährdung bewirkt worden ist. Wenn die Vorinstanz dennoch den privilegierten Tatbestand von Art. 224 Abs. 2 StGB anwandte, obwohl sie feststellte, es sei "wohl" nicht nur eine geringfügige Gefährdung von fremdem Eigentum eingetreten, so verletzte sie Bundesrecht, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gutzuheissen ist.Referenzen
BGE: 103 IV 244
Artikel: Art. 224 Abs. 2 StGB, Art. 224 Abs. 1 StGB, Art. 224 StGB, Art. 25 StGB