31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. April 1991 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde)
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Regeste
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Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Gewerbsmässiges Inverkehrbringen gefälschter Waren.
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Sachverhalt
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BGE 117 IV 159 (160):
X. bezog von einem Lieferanten einen Posten von 16'000 Polohemden und liess die mit den Markenzeichen von "Lacoste" versehenen Hemden in einem Zollfreilager zuhanden von Z. einlagern. Z. verkaufte 500 Hemden an einen Geschäftspartner in der Schweiz und 10'000 Hemden an einen Geschäftspartner in Italien. Die "Lacoste"-Polohemden entpuppten sich als Fälschungen. Der italienische Kunde retournierte die ganze Sendung an Z. Dieser zog sich vom Geschäft mit X. zurück. X., der von Anbeginn zumindest in Kauf genommen hatte, dass es sich bei den fraglichen "Lacoste"-Hemden um Fälschungen handeln könnte, suchte in der Folge nach andern Käufern. Es gelang ihm, rund 5'000 Polohemden nach Italien zu verkaufen.
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Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden sprach X. am 14. August/24. Oktober 1990 im Berufungsverfahren des gewerbsmässigen Inverkehrbringens gefälschter Waren im Sinne von Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 StGB sowie des Einführens und Lagerns gefälschter Waren gemäss Art. 155 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit fünf Monaten Gefängnis sowie mit Fr. 20'000.-- Busse, beide bedingt vollziehbar bzw. bedingt vorzeitig löschbar bei einer Probezeit von zwei Jahren. Er ordnete in Anwendung von Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 StGB die einmalige Veröffentlichung des Urteils nach Eintritt von dessen Rechtskraft im Amtsblatt des Kantons Graubünden an.
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Auszug aus den Erwägungen:
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a) Der Kassationshof hat im Entscheid vom 14. September 1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (BGE 116 IV 332 ff.), in dem es um gewerbsmässigen Betrug ging, seine langjährige Rechtsprechung zum Qualifikationsgrund der Gewerbsmässigkeit aufgegeben. Nach der neuen BGE 117 IV 159 (161):
Rechtsprechung liegt im Begriff des berufsmässigen Handelns der Ansatzpunkt für die Umschreibung der Gewerbsmässigkeit. Der Täter handelt berufsmässig, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufes ausübt. Diese abstrakte Umschreibung gilt für das gesamte Vermögensstrafrecht. Sie kann aber nur Richtlinienfunktion haben. Eine Konkretisierung der Umschreibung ist angesichts der unterschiedlichen Phänomenologie und der unterschiedlich hohen Mindeststrafen nur für die einzelnen Tatbestände oder für einzelne Gruppen gleichartiger Tatbestände möglich. Eine quasi "nebenberufliche" deliktische Tätigkeit kann genügen. Wesentlich für die Annahme von Gewerbsmässigkeit ist, dass sich der Täter, wie aus den gesamten Umständen geschlossen werden muss, darauf eingerichtet hat, durch deliktische Handlungen Einkünfte zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Kosten zur Finanzierung seiner Lebensgestaltung darstellen; dann ist die erforderliche soziale Gefährlichkeit gegeben. Es ist nach wie vor notwendig, dass der Täter die Tat bereits mehrfach begangen hat, dass er in der Absicht handelte, ein Erwerbseinkommen zu erlangen, und dass aufgrund seiner Taten geschlossen werden muss, er sei zu einer Vielzahl von unter den fraglichen Tatbestand fallenden Taten bereit gewesen. Der Richter hat bei der Entscheidung der Frage, ob im konkreten Fall Gewerbsmässigkeit gegeben sei, stets auch die Höhe der angedrohten Mindeststrafe zu berücksichtigen. Denn bei der Auslegung von Straftatbeständen ist auch der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (vgl. GERMANN, ZStrR 54/1940, S. 345 ff., derselbe, Kommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, Art. 1 N 9.2; BGE 106 IV 25).
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b) Betreibt der Täter das Inverkehrbringen gefälschter Waren gewerbsmässig, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Monat und Busse (Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Die für gewerbsmässiges Handeln angedrohte Mindeststrafe ist damit, anders als etwa beim gewerbsmässigen Betrug, relativ niedrig und nicht sehr viel höher als die für den Grundtatbestand gemäss Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 StGB angedrohte Strafe (Gefängnis oder Busse, die gemäss Art. 50 Abs. 2 StGB miteinander verbunden werden können). Allerdings wird in den Fällen gewerbsmässigen Inverkehrbringens gefälschter Waren gemäss Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 StGB das BGE 117 IV 159 (162):
Strafurteil veröffentlicht. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist insoweit die Urteilspublikation zwingend (so auch STRATENWERTH, Strafrecht Allg. Teil II, § 14 N. 103; derselbe, Strafrecht Bes. Teil I, § 11 N. 31; HANS DUBS, Urteilspublikation, ZStrR 87/1971, S. 393). Diese Sanktion kann für den Betroffenen unter Umständen sehr schwerwiegend sein. Ob die Veröffentlichung des Urteils bei gewerbsmässigem Inverkehrbringen gefälschter Waren tatsächlich zwingend sei (kritisch dazu SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Art. 153 N 14 f.) und ob gegebenenfalls diese Rechtsfolge, wie die Höhe der angedrohten Mindeststrafe, bei der Konkretisierung des Gewerbsmässigkeitsbegriffs im Sinne von Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 StGB mitberücksichtigt werden müsste, kann indessen dahingestellt bleiben, da unabhängig davon im vorliegenden Fall Gewerbsmässigkeit zu verneinen ist.
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c) Der Beschwerdeführer hatte den Posten von 16'000 Polohemden gekauft, um ihn an Z. weiterzuveräussern, der einmal sein Interesse an "Lacoste"-Polohemden geäussert hatte. Der Umstand, dass Z., wie der Beschwerdeführer wusste, seinerseits die Polohemden an eine Vielzahl von Personen (Konsumenten und Händler) weiterverkaufen wollte, vermag nach einer insoweit zutreffenden Erwägung im angefochtenen Urteil die - auch gemäss der neuen Rechtsprechung grundsätzlich erforderliche - Bereitschaft, in unbestimmt vielen Fällen zu handeln, nicht zu begründen. Diese Bereitschaft muss beim Täter selber vorhanden sein; es genügt mithin nicht, dass sie bei demjenigen gegeben ist, den der Täter mit der Ware beliefert (BGE 94 IV 22 f.). Die Vorinstanz ist allerdings der Auffassung, der Beschwerdeführer habe seine Bereitschaft, gegenüber unbestimmt vielen bzw. in unbestimmt vielen Fällen zu handeln, dadurch bekundet, dass er, nachdem das Geschäft mit Z. gescheitert war, nach andern Käufern Ausschau hielt und in der Folge denn auch rund 5'000 Polohemden "nach Italien", an einen italienischen Kunden verkaufte; dieses Verhalten manifestiere deutlich die einem Gewerbetreibenden gleiche Bereitschaft des Beschwerdeführers, in unbestimmt vielen Fällen zu handeln. Ob dies zutrifft, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Nach der vorstehend zusammenfassend wiedergegebenen neuen Rechtsprechung des Kassationshofes ist Gewerbsmässigkeit nur dann gegeben, wenn der Täter sich, wie aus den Umständen geschlossen werden muss, darauf eingerichtet hat, durch Straftaten Einnahmen zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Kosten zur Finanzierung seiner Lebensgestaltung darstellen. Die Umstände des BGE 117 IV 159 (163):
vorliegenden Falles lassen nicht den Schluss zu, dass sich der Beschwerdeführer in diesem Sinne auf deliktische Tätigkeit eingerichtet habe. Zwar stand eine grosse Zahl von Hemden (16'000) zum Verkauf und ging es somit um erhebliche Geldbeträge; dieser Umstand reicht aber zur Annahme von Gewerbsmässigkeit nicht aus und kann im Rahmen der Strafzumessung gebührend berücksichtigt werden. Dem Beschwerdeführer ging es offensichtlich allein darum, für die rund 16'000 Polohemden, die er gerade im Hinblick auf das Geschäft mit Z. erworben hatte, nach dem Scheitern dieses Geschäfts, welches - auch nach der Auffassung der Vorinstanz - nicht als gewerbsmässiges Inverkehrbringen zu qualifizieren ist, andere Käufer, und zwar möglichst einen einzigen, zu finden. Wohl kann nach dem zitierten (BGE 116 IV 319) Gewerbsmässigkeit auch dann vorliegen, wenn sich der Täter vorgenommen hat, nur beispielsweise bis zur Erreichung eines bestimmten, aber doch relativ hochgesteckten finanziellen Ziels und somit lediglich für eine gewisse, aber immerhin längere Zeit gleichartige Straftaten zu verüben. Auch in diesem Fall ist aber erforderlich, dass sich der Täter für die Zeit bis zur Erreichung dieses Ziels auf deliktische Tätigkeit eingerichtet hat. Diese Voraussetzung ist vorliegend unter den gegebenen Umständen nicht erfüllt.
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d) Da somit Gewerbsmässigkeit im Sinne von Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 StGB entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht gegeben ist, fällt die von der Vorinstanz angeordnete Urteilspublikation dahin. Die Veröffentlichung des Urteils wurde vom Kantonsgericht nicht (auch) in Anwendung von Art. 61 StGB, sondern allein mit der Begründung angeordnet, dass sie gemäss Art. 154 Ziff. 1 Abs. 2 StGB bei gewerbsmässigem Inverkehrbringen gefälschter Waren zwingend sei.
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