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Urteilskopf

118 IV 397


67. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 2. Dezember 1992 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn

Regeste

Art. 349 Abs. 2 StGB; Art. 19 Ziff. 1 BetmG. Begriff der Mittäterschaft.
Bei Widerhandlungen gegen Art. 19 Ziff. 1 des Betäubungsmittelgesetzes sind die Anforderungen an die Annahme einer Mittäterschaft eher hoch anzusetzen.

Sachverhalt ab Seite 397

BGE 118 IV 397 S. 397

A.- Zu Beginn des Jahres 1992 führten die Behörden des Kantons Solothurn unter dem Namen "Emme" umfangreiche Untersuchungen gegen mehrere Personen wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. In deren Verlauf gestand P., wohnhaft in Wiedlisbach/BE, seit 1986 zunächst von G., dann auch von H. grössere Mengen Haschisch und Kokain erworben und weiterverkauft zu haben; G. brachte die Betäubungsmittel in der Regel in die jeweilige Wohnung von P. in Solothurn (bei den Eltern), Attiswil/BE und Wiedlisbach/BE; auch H. soll die Ware jeweils in die Wohnung von P. gebracht haben.
G. und H. sind Halbbrüder und wohnen bei den Eltern in deren Einfamilienhaus in Wangen an der Aare/BE.
Am 16. März 1992 wurde P. zusammen mit seiner Ehefrau und anderen "Mitangeschuldigten" durch die Kantonspolizei Solothurn
BGE 118 IV 397 S. 398
beim Untersuchungsrichteramt Solothurn verzeigt, sofern dies nicht zuvor bereits geschehen war; betreffend G. und H., die sich zu jener Zeit in Thailand aufhielten, stellte die Kantonspolizei Solothurn dem Polizeikommando Bern am 19. März 1992 unter Beilage der Einvernahmeprotokolle des Ehepaares P. einen Bericht zu "mit dem höflichen Ersuchen um Entsprechung".
P. wurde am 14. Mai 1992 durch das Untersuchungsrichteramt Solothurn wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Beurteilung dem Amtsgericht Solothurn-Lebern überwiesen.
Auf Antrag der Kantonspolizei Bern vom 13. April 1992 ordnete das Untersuchungsrichteramt Wangen an der Aare am 14. April 1992 eine Überwachung des Telefonanschlusses des elterlichen Hauses von G. und H. an; gleichzeitig wurde gegen die beiden eine Voruntersuchung eröffnet. Die Telefonüberwachung wurde am 13. Juli 1992 eingestellt.
Da G. und H. in der Strafanzeige gegen P. als "Mitangeschuldigte" bezeichnet waren, ging der Untersuchungsrichter von Wangen an der Aare davon aus, diese seien als Lieferanten Mittäter. Der Generalprokurator schloss sich dieser Auffassung an und ersuchte die Behörden des Kantons Solothurn um Übernahme des Verfahrens. Der anschliessende Meinungsaustausch führte zu keiner Einigung in der Frage des Gerichtsstandes.

B.- Mit Gesuch vom 5. November 1992 beantragt der Generalprokurator des Kantons Bern der Anklagekammer des Bundesgerichts, es seien die Behörden des Kantons Solothurn für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die G. und H. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn beantragt, das Gesuch abzuweisen und die Behörden des Kantons Bern zuständig zu erklären.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Der Gesuchsteller begründet sein Gesuch damit, dass P. die Betäubungsmittel von G. und H. zum Verkauf in Kommission genommen habe. Alle drei seien damit Teil einer mindestens sie umfassenden Organisation und deshalb als Mittäter zu betrachten. Der Gesuchsteller stützt sich dabei auf einen Entscheid der Anklagekammer des Bundesgerichts vom 21. Dezember 1989 in Sachen
BGE 118 IV 397 S. 399
Z. und A. Danach ergebe sich die Zuständigkeit der Behörden des Kantons Solothurn.
Die Gesuchsgegnerin hält dem entgegen, es liege weder Mittäterschaft noch bandenmässiges Handeln vor; jeder habe auf eigene Rechnung gearbeitet. H. und G. hätten unterschiedliche Verkaufspreise gehabt. P. habe seinen beiden Lieferanten weder Rechenschaft ablegen noch einen Teil des Erlöses abliefern müssen.

2. a) Da die Gesuchsgegnerin die Zuständigkeit in bezug auf P. nicht in Frage stellt, ist diese als gegeben anzunehmen. Denn selbst wenn der gesetzliche Gerichtsstand für P. nicht im Kanton Solothurn liegen sollte, hätte der Gerichtsstand dieses Kantons durch die bereits erfolgte Überweisung an das Amtsgericht zur Beurteilung als konkludent anerkannt zu gelten. Es ist somit entsprechend dem Antrag des Gesuchstellers einzig zu prüfen, ob G. und H. Mittäter von P. waren, womit sie gemäss Art. 349 Abs. 2 StGB ebenfalls durch die Behörden des Kantons Solothurn, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde, zu beurteilen wären.
b) Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Entschliessung, Planung oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit anderen Tätern so zusammenwirkt, dass er als Hauptbeteiligter dasteht (vgl. BGE 108 IV 92), und der über die tatsächliche Begehung der Tat nicht allein zu bestimmen hat, sondern zusammen mit anderen; Mittäterschaft setzt somit eine (Mit-) Tatherrschaft voraus (vgl.: BGE 111 IV 53 E. 1b; DONATSCH, Mittäterschaft oder Teilnahme am fahrlässigen Erfolgsdelikt?, SJZ 1989, S. 111; SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, Band I, S. 286; Schütz, Die Strafbestimmungen des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 20. März 1975; Diss. Zürich 1980, S. 135). Dabei kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles und dem Tatplan für die Ausführung des Deliktes so wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt (vgl. STRATENWERTH, Allg. Teil I, § 13 N 55; NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht Allg. Teil I, 3. Aufl., S. 159 f.; BERNHARD PETER, Zur Mittäterschaft nach schweizerischem Strafrecht, Zürich 1984, S. 38 ff., 53 f.; ROXIN, Die Mittäterschaft im Strafrecht, JA 1979, 523). Mittäterschaft setzt unter anderem einen gemeinsamen Tatentschluss voraus. Dieser muss indes nicht ausdrücklich bekundet werden; es genügt, wenn er konkludent zum Ausdruck kommt (BGE 115 IV 161). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Mittäter bei der Entschlussfassung mitwirkte; es genügt, dass er sich später den Vorsatz seines Mittäters zu eigen
BGE 118 IV 397 S. 400
macht (TRECHSEL, a.a.O., N 12 vor Art. 24 mit Verweis auf BGE 111 IV 77). Mittäter ist danach, wer auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes die Durchführung der gemeinschaftlichen Tat durch seinen Beitrag zusammen mit den übrigen Beteiligten beherrscht; Mitherrschaft ist dabei jede arbeitsteilige, für den Erfolg wesentliche Mitwirkung im Ausführungsstadium (vgl. ROXIN, a.a.O., S. 522; ENDRISS/MALEK, Betäubungsmittelstrafrecht, München 1986, N 105).
c) Die in Art. 19 Ziff. 1 BetmG aufgeführten Handlungen haben die Bedeutung eines selbständigen Straftatbestandes (BGE 106 IV 73 E. 2b; BBl 1973 I 1352, Sten.Bull. SR 1973, 692; Sten.Bull. NR 1974, 1417, 1449, 1459). Wer deshalb in eigener Person alle Merkmale eines dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und subjektiv erfüllt, ist Täter und untersteht als solcher der vollen Strafdrohung (BGE 106 IV 73 E. 2b).
Die in Art. 19 Ziff. 1 BetmG als selbständige Tatbestände ausgestalteten Handlungen werden bei den meisten anderen Delikten - die im Gegensatz zum Drogenhandel, der gerade auch durch Arbeitsteilung gekennzeichnet ist und an welchem durchwegs eine Vielzahl von Personen auf verschiedenen Stufen und in unterschiedlichen Funktionen beteiligt sind, überwiegend durch einen Täter begangen werden - regelmässig als Teilnahmehandlungen erfasst; diese werden als Unterstützungshandlungen Dritter in Form der Mittäterschaft, Anstiftung oder Gehilfenschaft in die eigentliche Tat einbezogen. Ein solches Bedürfnis nach Einbezug von unterstützenden Tatbeiträgen in die eigentliche Tathandlung besteht bei Art. 19 Ziff. 1 BetmG aufgrund der hier gegebenen Regelungsdichte von Täterhandlungen, die nahezu jeden Teilnehmer zum Täter macht, nicht. Diese Dichte hat insbesondere auch eine starke Einschränkung des Anwendungsbereiches von Art. 25 StGB (Gehilfenschaft) zur Folge (vgl. SCHÜTZ, a.a.O., S. 137). Wer Betäubungsmittel kauft, ist daher bezüglich der gekauften Drogen grundsätzlich (nur) Täter nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 5 BetmG (Käufer) und nicht gleichzeitig Mittäter des Verkäufers (Abs. 4). Dies gilt auch dann, wenn er die Drogen seinerseits auf eigene Rechnung weiterverkauft; in diesem Fall macht er sich zwar ebenfalls eines Verkaufs schuldig, beteiligt sich damit aber noch nicht ohne weiteres am Verkauf durch seinen Lieferanten an ihn; denn der Lieferant hat mit dem Verkauf an den Wiederverkäufer keine Herrschaft mehr über das weitere Geschehen, das allein in der Hand des Ausführenden liegt; es kommt hinzu, dass dieser Verkauf an den Wiederverkäufer meist nur einen Teil der tatsächlich durch den Lieferanten abgesetzten Menge ausmachen dürfte.
BGE 118 IV 397 S. 401
Das Beispiel zeigt, dass bei der Anwendung von Art. 19 Ziff. 1 BetmG im Interesse einer vernünftigen Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf eigene Handlungen die Anforderungen an die Annahme einer Mittäterschaft eher hoch anzusetzen sind. Eine solche ist deshalb nur dann zu bejahen, wenn der Wiederverkäufer von seinem Lieferanten mehr als nur betreffend den blossen Bezug der Ware wesentlich abhängig ist oder nach dessen Weisungen handelt (vgl. BGE 106 IV 73 E. 1b), und ihm dadurch die alleinige Tatherrschaft für die von ihm getätigten (Weiter-)Verkäufe fehlt; dies ist regelmässig dann der Fall, wenn der betreffende Wiederverkäufer einer eigentlichen Organisation (Rauschgiftbande) angehört, in welcher er bestimmte, ihm zugedachte Aufgaben übernimmt (vgl. unveröffentlichtes Urteil der Anklagekammer vom 21. Oktober 1988 i.S. S.). Nur in diesem Fall muss er sich auch fremde, nicht von ihm selber begangene Handlungen zuschreiben lassen. In aller Regel dürfte daher in den als Mittäterschaft in Frage kommenden Fällen gleichzeitig bandenmässiges Handeln gegeben sein, das sich dadurch charakterisiert, dass eine Tätergemeinschaft bewusst zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammenwirkt (Sten.Bull. NR 1974, 1452 f.).

3. a) In dem vom Gesuchsgegner erwähnten Entscheid der Anklagekammer waren diese Voraussetzungen erfüllt. Dem Urteil lag ein Sachverhalt zu Grunde, in welchem ein Schweizer als Teil einer eigentlichen Organisation von zwei Jugoslawen grosse Mengen von Drogen in Kommission übernahm, aufbewahrte und absetzte; im Sinne einer Arbeitsteilung beschafften die Jugoslawen als Einkäufer die Drogen und übergaben sie an den Schweizer zur Aufbewahrung und zum Verkauf, an welchem sie zwar selber nicht aktiv mitwirkten; über die Verkäufe hatte der Schweizer den Jugoslawen aber Rechenschaft abzulegen und ihnen mindestens einen Teil des Erlöses abzuliefern. Er handelte damit nicht als selbständig Tätiger, sondern sein Beitrag war Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit.
b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall - soweit sich dies anhand der Akten, d.h. insbesondere ohne Aussagen von G. und H., die nicht vorliegen, beurteilen lässt - nicht gegeben. Aus den Akten ergibt sich nicht, dass die drei Beschuldigten eine eigentliche Organisation bildeten, die sich zum Zwecke des Drogenhandels zusammengefunden hat. Insbesondere die Aussagen von P. stehen einer solchen Annahme entgegen: Nach ihm hat er manchmal zwei oder drei Monate kein Kokain bezogen; neue Bezüge seien dann jeweils wieder telefonisch vereinbart worden; der Anstoss dazu sei
BGE 118 IV 397 S. 402
nicht immer von P. gekommen, denn es sei vorgekommen, dass G. ihn fragte, ob er etwas wolle; es sei auch vorgekommen, dass er Kokain habe kaufen wollen und G. keines gehabt habe; er habe auch Kokain von drei weiteren Lieferanten bezogen. Die gesamten Umstände lassen somit eher auf gelegentliche Käufe von Betäubungsmitteln durch P. schliessen, ohne dass in seinem Handeln ein Beitrag zum Betrieb einer eigentlichen arbeitsteiligen und planmässigen Organisation des Drogenhandels zu erblicken wäre. P. dürfte vielmehr selbständig gehandelt haben; er bezog die Ware zwar jeweils auf Kredit und bezahlte sie, nachdem er sie weiterverkauft hatte. Einen Teil des Erlöses musste er aber offensichtlich nicht abliefern. Es ging ihm auch nicht darum, einen Gewinn zu erzielen, sondern er wollte mit dem Verkauf in erster Linie seinen Eigenkonsum decken. Auch wer sich immer nur bei denselben Lieferanten mit Drogen eindeckt, wird damit noch nicht zu deren Mittäter. Der Gesuchsteller vermag denn auch nicht zu belegen, inwiefern G. und H. nach dem Verkauf auf ihren Abnehmer P. weiterhin "tragenden Einfluss" ausgeübt hätten.
Der Umstand, dass sich die drei seit Jahren kannten, und zum Teil auch gemeinsam in den Ferien weilten, betrifft in erster Linie den Privatbereich und macht die drei Beteiligten noch nicht zu Mittätern. Es ist im übrigen hinlänglich bekannt, dass sich Drogenhändler und Drogenkonsumenten sehr häufig kennen, so dass diesem Umstand im Bereich der Drogendelikte nicht entscheidende Bedeutung zukommt.
Insbesondere ist aus den Akten auch nicht ersichtlich, dass die drei den subjektiven Willen gehabt hätten, fortan zum Zwecke der Erzielung eines Gewinns aus dem Drogenhandel arbeitsteilig zusammenzuwirken. Es dürfte damit auch an einem bandenmässigen Handeln fehlen. Ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt ein solches bei G. und H. anzunehmen wäre, ergibt sich nicht aus den Akten. Die Frage muss im vorliegenden Verfahren daher offenbleiben, zumal bisher keine Einvernahmen von G. und H. vorliegen.

4. (Begründung, weshalb der Gerichtsstand für G. und H. im Kanton Bern liege.)

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Referenzen

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