BGE 130 IV 49 |
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Amt für Justizvollzug sowie Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) |
6A.2/2004 vom 21. Juli 2004 |
Regeste |
Art. 43 StGB; Zwangsmedikation; Zuständigkeit. |
Sachverhalt |
A. X. verübte im August und September 1998 vier brutale Überfälle auf Passanten. Die gegen ihn eingeleitete Strafuntersuchung wegen Raubs und weiterer Delikte stellte das Bezirksgericht Zürich am 29. März 2000 ein, weil seine Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt fehlte. Gleichzeitig ordnete das Gericht aber eine stationäre Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB an. |
Die Abklärungen im Rahmen des Massnahmenvollzugs ergaben, dass X. unter einer paranoiden Schizophrenie leidet. Nach einer erfolgreichen Behandlung unter anderem mit Neuroleptika verfügte der Sonderdienst des Justizvollzugs des Kantons Zürich am 18. Februar 2000 unter Auflagen die probeweise Entlassung. In der Folge nahm X. die ärztlich verschriebenen Medikamente nicht mehr ein und hielt sich auch sonst nicht an die Auflagen. Für längere Zeit blieb er unerreichbar. Aus diesen Gründen widerrief der Sonderdienst am 18. Februar 2002 die probeweise Entlassung. Die dagegen ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben erfolglos, und das Bundesgericht wies am 6. Juni 2003 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Widerruf ebenfalls ab (Verfahren 6A.24/2003). |
X. ersuchte darauf um Einstellung des Massnahmenvollzugs und um Überweisung der Sache an das zuständige Gericht. Der Bewährungsdienst Zürich III des Justizvollzugs des Kantons Zürich lehnte das Begehren am 27. Juni 2003 ab. Er wies X. zum Vollzug der stationären Massnahme in die Psychiatrische Klinik Rheinau ein, sobald die dortigen Platzverhältnisse es erlaubten. Weiter ordnete er die Durchführung einer Behandlung mit Neuroleptika an,
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"falls notwendig auch über einen längeren Zeitraum und damit auch ausserhalb einer psychiatrischen Notfallsituation und gegen den Willen von X."
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Die gegen diese Verfügung ergriffenen Rechtsmittel wiesen die Direktion der Justiz und des Innern sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ab, soweit sie darauf eintraten.
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B. X. erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht und beantragt, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 19. November 2003 aufzuheben und die Sache an diese Instanz zurückzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und verweist auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid.
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Aus den Erwägungen: |
3.1 Nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ordnet der Strafrichter die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Wird der Täter aus der Anstalt entlassen, weil die Massnahme ihren Zweck erfüllt hat oder weil sie erfolglos ist, entscheidet wiederum der Strafrichter, ob und inwieweit aufgeschobene Strafen noch vollstreckt werden sollen (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 1 und Ziff. 5 Abs. 1 StGB). Bei einer Einstellung wegen Erfolglosigkeit der Behandlung kann der Richter eine andere sichernde Massnahme anordnen (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 3 StGB). |
Umgekehrt sind die Vollzugsbehörden zuständig, über die Entlassung aus der Anstalt zu befinden, wenn die Behandlung erfolgreich abgeschlossen wurde oder wenn sie als erfolglos eingestellt werden muss (Art. 43 Ziff. 3 Abs. 1 und Ziff. 4 Abs. 1 StGB). Sie kann ausserdem die probeweise Entlassung verfügen, wenn der Grund der Massnahme nicht vollständig weggefallen ist. Ferner ist sie bei einer probeweisen Entlassung befugt, eine Probezeit und Schutzaufsicht vorzusehen und diese Massnahmen aufzuheben, wenn sie nicht mehr nötig sind (Art. 43 Ziff. 4 Abs. 2 StGB).
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Aus dieser gesetzlichen Zuständigkeitsordnung ergibt sich, dass dem Strafrichter der Entscheid über die Anordnung der Sanktionen, insbesondere über die Sanktionsart und die Reihenfolge des Vollzugs zukommt. Alle den Vollzug betreffenden Fragen liegen dagegen in der Kompetenz der Administrativbehörden. Dies gilt insbesondere auch für die Beurteilung, ob eine Massnahme ihren Zweck ganz oder teilweise erfüllt hat oder aber keinen Erfolg verspricht (MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Art. 43 StGB N. 219; vgl. auch BGE 119 IV 190 E. 1 S. 191).
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3.2 Der Richter trifft den Entscheid über die Anordnung sichernder Massnahmen regelmässig gestützt auf eine nähere Untersuchung des geistigen und körperlichen Zustands des Täters (Art. 42 Ziff. 1 Abs. 2, Art. 43 Ziff. 1 Abs. 3 und Art. 44 Ziff. 1 Abs. 2 StGB; vgl. auch BGE 128 IV 241 E. 3.1 S. 244 sowie HEER, a.a.O., Vor Art. 42 StGB N. 37). Aus den eingeholten ärztlichen Berichten und insbesondere den psychiatrischen Gutachten geht hervor, welche Behandlung im Blick auf die Verhinderung strafbarer Handlungen und die Wiedereingliederung des Täters erforderlich ist. Auch wenn der Richter im Strafurteil lediglich die Art der angeordneten Massnahme bezeichnet, so ergeben sich aus den Erwägungen und den medizinischen Untersuchungen, auf welche diese Bezug nehmen, der konkrete Zweck der Massnahme und die näheren Umstände der Behandlung. In der Praxis legt der Richter auf diese Weise vielfach die Ausgestaltung der Massnahme recht weitgehend fest (vgl. etwa BGE 106 IV 101 E. 2d S. 105). Er besitzt bei der Umschreibung auf jeden Fall einen erheblichen Ermessensspielraum . |
Bei Einhaltung dieser Voraussetzung steht eine von den Vollzugsbehörden verfügte Zwangsmedikation auch nicht im Widerspruch zum Legalitätsprinzip. Das Bundesgericht hat erklärt, dass Art. 43 StGB eine genügende gesetzliche Grundlage auch für die zwangsweise Medikamentierung bildet, wenn dabei die Regeln der ärztlichen Kunst und Ethik beachtet werden (BGE 127 IV 154 E. 3d S. 159; vgl. dazu HEER, a.a.O., Art. 43 StGB N. 67; kritisch FRANZ RIKLIN, Zwangsmassnahmen im Bereich der Gesundheitsfürsorge [Verweigerung der Behandlung, Hungerstreik], in: Medizin und Freiheitsentzug, Bern 2002, S. 51 ff., 56 f.). Welches Organ die Zwangsmedikation anzuordnen hat, richtet sich ebenfalls nach Art. 43 StGB. Einer Anordnung durch die Vollzugsbehörden steht nichts entgegen, soweit sie die Regeln der ärztlichen Kunst und Ethik und den vom Strafrichter vorgegebenen Zweck und die Art der Behandlung beachten. Der Beschwerdeführer wendet zu Unrecht ein, die Zwangsmedikation stelle eine eigenständige Freiheitsbeschränkung dar, die vom Strafrichter dementsprechend auch speziell angeordnet werden müsse. Er übersieht, dass eine stationäre Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB nicht bloss eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit sich bringt, sondern regelmässig auch weitere Eingriffe umfasst, die sich aus der Notwendigkeit der Behandlung ergeben. |
Zwangsmedikationen sind - wie dargelegt - nur entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst und Ethik zulässig. Ob dies für die hier umstrittene zwangsweise Medikation zutrifft, ist nachfolgend gesondert zu prüfen. Damit erweist sich die Befürchtung des Beschwerdeführers als unbegründet, die Vollzugsbehörden könnten bei Anerkennung ihrer Kompetenz zur Anordnung von Zwangsmedikationen diese in einem weiteren Umfang anwenden, als dies durch die Regeln der ärztlichen Kunst gerechtfertigt sei.
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