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Urteilskopf

133 IV 222


33. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Schweizerisches Heilmittelinstitut Swissmedic und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_147/2007 vom 9. Juli 2007

Regeste

Art. 32 Abs. 2 lit. a sowie Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 HMG; Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel: ratio legis und subjektiver Tatbestand.
Das Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel wird damit begründet, dass das öffentliche Interesse des Gesundheitsschutzes das Bedürfnis der Pharmaindustrie nach Vermarktungsmöglichkeiten von Arzneimitteln überwiegt (E. 3.1).
Mit Blick auf die objektiv eindeutige Werbewirkung der Zeitschriften- und Zeitungsartikel, die überaus hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung und die schwere Sorgfaltspflichtverletzung ist vorliegend der Eventualvorsatz zu bejahen (E. 5.5).

Erwägungen ab Seite 223

BGE 133 IV 222 S. 223
Aus den Erwägungen:

2. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen eventualvorsätzlich begangener Widerhandlung gegen das Verbot der Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) i.V.m. Art. 14 der Verordnung vom 17. Oktober 2001 über die Arzneimittelwerbung (Arzneimittel-Werbeverordnung, AWV; SR 812.212.5) und Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG basiert auf folgendem Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin erteilte als bei der A. AG für die Werbung verantwortliche Person einer Kommunikationsfachfrau den Auftrag, für die Laienpresse verschiedene Artikel über die Hautkrankheit Neurodermitis zu verfassen. Die erstellten Texte wurden von der Beschwerdeführerin genehmigt und anschliessend an verschiedene Zeitschriften und Zeitungen zur Veröffentlichung herangetragen. In der Folge erschienen in einem Gesundheitsmagazin und in drei Tageszeitungen von Mai bis Juni 2003 redaktionelle Artikel zum Thema Neurodermitis. In den Artikeln wurde der Markenname eines von der A. AG vertriebenen verschreibungspflichtigen Neurodermitis-Medikaments ausdrücklich genannt.

3.

3.1 Für Arzneimittel, die nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen, ist sog. Publikumswerbung gemäss Art. 32 Abs. 2 lit. a HMG unzulässig. Verstösse gegen diese Bestimmung sind gemäss Art. 87 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 HMG sowohl bei Vorsatz als auch bei Fahrlässigkeit strafbar.
In Art. 4 Abs. 2 HMG wird der Bundesrat ermächtigt (vgl. Art. 164 Abs. 2 und Art. 182 BV), durch Verordnung die im Gesetz verwendeten Begriffe näher auszuführen. Die Botschaft zum Heilmittelgesetz nennt hierfür den Begriff der Publikumswerbung als Beispiel (Botschaft HMG, BBl 1999 S. 3492). Gestützt darauf hat der
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Bundesrat die Verordnung über die Arzneimittelwerbung erlassen, welche die Fach- und Publikumswerbung für verwendungsfertige Arzneimittel der Human- und Veterinärmedizin regelt (Art. 1 Abs. 1 AWV). Als Arzneimittelwerbung definiert werden alle Massnahmen zur Information, Marktbearbeitung und Schaffung von Anreizen, welche zum Ziel haben, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf, den Verbrauch oder die Anwendung von Arzneimitteln zu fördern (Art. 2 lit. a AWV). Publikumswerbung ist Arzneimittelwerbung, welche sich an das Publikum richtet (Art. 2 lit. b AWV). Als Fachwerbung gilt Arzneimittelwerbung, die sich an zur Verschreibung, Abgabe oder zur eigenverantwortlichen beruflichen Anwendung von Arzneimitteln berechtigte Personen richtet (Art. 2 lit. c AWV). Art. 15 AWV listet verschiedene Arten von Publikumswerbung auf. Erwähnt werden namentlich Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen (Art. 15 lit. a AWV).
Das Publikumswerbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel wird mit dem Argument begründet, dass Patienten aufgrund der Werbebotschaften die für die Verschreibung und Abgabe verantwortlichen Fachpersonen derart beeinflussen könnten, dass diese ihren Entscheid nicht mehr gestützt auf ihr Fachwissen, sondern gemäss den durch die Werbung bei den Patienten erzeugten Erwartungen fällen würden (Botschaft HMG, BBl 1999 S. 3518). Der Arzt soll mithin nicht als Folge der Publikumswerbung irgendeinem Druck seiner Patienten, das beworbene Präparat zu verschreiben, ausgesetzt werden (URS JAISLI, in: Thomas Eichenberger/Urs Jaisli/Paul Richli, Heilmittelgesetz, Basel 2006, N. 43 zu Art. 32 HMG). Zudem soll vermieden werden, dass Laien gestützt auf Aussagen aus der Werbung Krankheiten, die einer ärztlichen Diagnose und Therapie bedürfen, selber mit rezeptpflichtigen Medikamenten behandeln, die sie ohne Arzt - etwa im Ausland oder aus Restbeständen bei Bekannten - erlangen (vgl. URSULA EGGENBERGER STÖCKLI, Arzneimittel-Werbeverordnung, Bern 2006, N. 5 zu Art. 14 AWV). Das aus Sicht der Pharmaindustrie berechtigte Bedürfnis nach Vermarktungsmöglichkeiten für Arzneimittel wird somit insoweit dem öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes hintangestellt (THOMAS EICHENBERGER, Das Verhältnis zwischen dem HMG und dem UWG, in: Thomas Eichenberger/Tomas Poledna, Das neue Heilmittelgesetz, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 15 f.).

3.2 Vorliegend steht fest, dass es sich bei dem von der Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin vertriebenen Präparat "B." um ein
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verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur Behandlung von Neurodermitis handelt. Erstellt ist des Weiteren, dass die veröffentlichten Texte insbesondere durch die ausdrückliche Nennung des Markennamens und die Beschreibung der positiven Wirkungen des Medikaments werbende Elemente enthalten. Der objektive Tatbestand von Art. 32 Abs. 2 lit. a HMG ist damit erfüllt.
Demgegenüber bestreitet die Beschwerdeführerin, eventualvorsätzlich gehandelt zu haben; vielmehr habe sie aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit die Folgen ihres Handelns nicht bedacht und sich deshalb einzig der fahrlässigen Tatbegehung schuldig gemacht.
(...)

5. 5.

5.1 Die Vorinstanz hat den Eventualvorsatz bejaht. Sie hat namentlich erwogen, in Anbetracht der konkreten Umstände und des Fachwissens der Beschwerdeführerin sei davon auszugehen, dass diese die Verletzung der Werbevorschriften zumindest in Kauf genommen habe.

5.2 Die Beschwerdeführerin wendet hiergegen ein, ihr könne einzig ein pflichtwidrig unvorsichtiges Verhalten angelastet werden, beruhe doch die Erwähnung der Marke B. in den Zeitschriften- bzw. Zeitungsartikeln auf einem blossen Versehen. Die Vorinstanz habe fälschlicherweise vom Vorliegen werbender Elemente, d.h. des objektiven Tatbestands, auf eine Werbeabsicht, d.h. auf die vorsätzliche Begehungsweise, geschlossen. Hierdurch statuiere sie eine unzulässige Erfolgshaftung.

5.3 Gemäss Art. 18 Abs. 2 aStGB verübt ein Verbrechen oder ein Vergehen vorsätzlich, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Diese Bestimmung erfasst auch den Eventualvorsatz. Ein solcher genügt bei Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG (JAISLI, a.a.O., N. 46 zu Art. 87 HMG).
Eventualvorsatz liegt vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Verwirklichung des Tatbestands für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 133 IV 1 E. 4.1, BGE 133 IV 9 E. 4.1; BGE 131 IV 1 E. 2.2). Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt" (eingehend BGE 96 IV 99; BGE 130 IV 58 E. 8.3 mit Hinweisen).
Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen hat, muss das Gericht - bei Fehlen eines Geständnisses der
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beschuldigten Person - aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 130 IV 58 E. 8.4; BGE 125 IV 242 E. 3c, je mit Hinweisen).

5.4 Die Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie kam 1999 in die Schweiz, wo sie zunächst während drei Jahren als Marketingmanagerin für ein bekanntes Pharmaunternehmen arbeitete und mit Fachwerbung beschäftigt war. Anschliessend wechselte sie zur A. AG, bei welcher sie unter anderem für die Werbung, den Verkauf und den Vertrieb des Medikaments B. zuständig war.
Dieses mehrjährige Befassen mit Fachwerbung für pharmazeutische Produkte hat der Beschwerdeführerin ein vertieftes Fachwissen in den Bereichen Marketing und Arzneimittelwerbung verschafft. Des Weiteren hat die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Tatbegehung um die Verschreibungspflicht von B. gewusst und die Wirkungen des Präparats gekannt hat. Ferner war sich die Beschwerdeführerin gemäss den Ausführungen im angefochtenen Entscheid bewusst, dass bei verschreibungspflichtigen Medikamenten Publikumswerbung verboten ist. Schliesslich hat die Beschwerdeführerin die Artikel wissentlich zuhanden eines Laienpublikums abfassen und in Zeitschriften bzw. Zeitungen publizieren lassen.
In den veröffentlichten Artikeln wird der Markenname B. mehrmals ausdrücklich erwähnt und das Präparat namentlich als der "neue Stern am Neurodermitis-Himmel" bezeichnet bzw. der Wirkstoff des Medikaments als "die neue kortisonfreie Wunderwaffe gegen Neurodermitis" angepriesen. Weiter werden im Zusammenhang mit B. die Begriffe "neue Hoffnung", "bahnbrechende Wirkung" und "Lichtblick für Patienten" verwendet. Die Texte sind
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mithin eindeutig subjektiv gefärbt und geeignet, bei der Leserschaft Anreize zum Kauf des Produkts zu schaffen. Auch werden als Nebenwirkungen von B. lediglich ein anfängliches Brennen und Jucken beschrieben. Andere bekannte Nebenwirkungen wie Akne, Alkoholunverträglichkeit sowie das gelegentliche Auftreten von Neubildungen von Körpergewebe (sog. Neoplasmen) bleiben dagegen unerwähnt. Verschwiegen wird ebenso, dass es sich bei B. um ein Reservemedikament handelt, welches nur eingesetzt werden sollte, wenn die herkömmliche Behandlung nicht genügend wirksam ist oder Beschwerden verursacht.

5.5 Der Vorsatz als innerer Vorgang ist keines direkten Beweises zugänglich. Wie erörtert darf das Gericht vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs aufgrund der konkreten Umstände als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann.
Die veröffentlichten Zeitschriften- und Zeitungsartikel enthalten unmissverständliche Werbebotschaften, indem sie B. als "Wunderwaffe" umschreiben und auf gewisse Nebenwirkungen des Präparats nicht hinweisen. Zudem war die Tatbestandsverwirklichung, d.h. die Publikumswerbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, mit der Genehmigung der Artikel so gut wie sicher, und schliesslich wiegt auch die Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin schwer.
Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe den Markennamen mehrmals überlesen, obwohl dieser in den Artikeln an prominenter Stelle erschien, nicht glaubhaft. Ebenso wenig ist plausibel, dass die Beschwerdeführerin als Vertreterin eines gewinnorientierten Unternehmens die objektiv als Werbung für ein von ihrer Arbeitgeberin vertriebenes Präparat einzustufenden Artikel aus rein altruistischen Gründen verfassen liess und mit der Publikation keinerlei Absatzförderung bezweckt hat.
In Anbetracht der gesamten Umstände - d.h. namentlich der objektiv eindeutigen Werbewirkung der Artikel, der überaus hohen Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung und der schweren Sorgfaltspflichtverletzung - ist die Schlussfolgerung der Vorinstanz, der Beschwerdeführerin hätten sich spätestens bei der Durchsicht der Artikel deren Werbecharakter und -wirkung als
BGE 133 IV 222 S. 228
derart wahrscheinlich aufdrängen müssen, dass die Genehmigung der Artikel zwecks Veröffentlichung in Publikumszeitschriften bzw. -zeitungen vernünftigerweise nur als Inkaufnahme einer Verletzung des Verbots der Publikumswerbung ausgelegt werden könne, nicht zu beanstanden. Hierdurch wird entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder die Unschuldsvermutung verletzt noch eine unzulässige Erfolgshaftung statuiert.

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