BGE 133 IV 267 |
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Jugendanwaltschaft und Haftrichter des Bezirksgerichts Winterthur (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_156/2007 vom 23. August 2007 |
Regeste |
Kantonales Rechtsmittel gegen einen Haftentscheid im Jugendstrafverfahren (Art. 41 Abs. 1 JStG; Art. 80 Abs. 1 BGG). |
Sachverhalt |
Am 7. Juli 2007 wurde X. (geboren im September 1989) bei der Rückreise von der Dominikanischen Republik in die Schweiz am Flughafen Zürich verhaftet, weil sie in ihrem Rollkoffer und in ihrer Laptoptasche ca. 5 kg Kokain mit sich führte. X. bestreitet, Kenntnis vom Kokain gehabt zu haben. Sie sei zu Besuch bei ihrem Mann in der Dominikanischen Republik gewesen. Dort sei ihr der Koffer und die Laptoptasche von einem "Kelvin" übergeben worden, mit der Bitte, diese in der Schweiz weiterzugeben. |
Mit Verfügung des Haftrichters am Bezirksgericht Winterthur vom 10. Juli 2007 wurde Untersuchungshaft bis zum 27. Juli 2007 wegen Kollusions- und Fluchtgefahr angeordnet. Mit Verfügung vom 26. Juli 2007 wurde die Haft bis zum 24. August 2007 verlängert.
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Dagegen hat X. am 30. Juli 2007 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben.
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Am 17. August 2007 wurde X. aus der Untersuchungshaft entlassen.
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Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
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Aus den Erwägungen: |
Das Zürcher Recht sieht kein kantonales Rechtsmittel gegen diesen Entscheid vor (vgl. § 62 Abs. 4 i.V.m. § 380 Abs. 3 der Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH]). Fraglich ist allerdings, ob diese Regelung mit Art. 41 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über das Jugendstrafrecht (Jugendstrafgesetz, JStG; SR 311.1) vereinbar ist, wonach die Kantone gegen Urteile und Verfügungen, die gestützt auf das Jugendstrafgesetz ergehen, ein Rechtsmittel an eine gerichtliche Instanz vorsehen müssen.
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Diese Frage ist von prinzipieller Bedeutung und stellt sich bei jedem Zürcher Haftentscheid im Anwendungsbereich des JStG. Da die Untersuchungshaft gemäss Art. 6 Abs. 1 Satz 2 JStG so kurz wie möglich zu halten ist, besteht die Gefahr, dass ein bundesgerichtlicher Entscheid zu dieser Frage nie rechtzeitig vor der Haftentlassung eingeholt werden könnte. Insofern rechtfertigt es sich, die Frage im vorliegenden Verfahren zu beantworten.
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Art. 41 JStG will den Rechtsschutz des Jugendlichen verbessern und verpflichtet deshalb die Kantone, ein Rechtsmittel vorzusehen, mit dem Urteile und Verfügungen, gleichgültig ob von Gerichten oder Verwaltungsbehörden erlassen, bei einer gerichtlichen Instanz des Kantons angefochten werden können (Botschaft des Bundesrats zum JStG vom 21. September 1998, BBl 1999 S. 2265, Ziff. 425.4). Es ist kein Grund ersichtlich, ausgerechnet die Untersuchungshaft als einschneidendste freiheitsentziehende Massnahme von dieser Rechtsmittelgarantie auszuschliessen, und diese auf vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 5 i.V.m. Art. 12 ff. JStG zu beschränken.
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Gemäss Art. 6 Abs. 1 JStG darf Untersuchungshaft gegen Jugendliche nur angeordnet werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorsorglich angeordnete Schutzmassnahme erreicht werden kann. Insofern besteht auch materiell ein Konnex zwischen der Haftanordnung und den vorrangig zu prüfenden vorsorglichen Massnahmen des Jugendstrafrechts. Es ist daher sinnvoll, wenn auch die Haftanordnung (bzw. -verlängerung) von einer auf das Jugendstrafrecht spezialisierten kantonalen Rechtsmittelinstanz überprüft wird, bevor Beschwerde ans Bundesgericht erhoben werden kann.
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Nachdem das JStG gleichzeitig mit dem BGG am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, fragt sich, ob die Übergangsbestimmung von Art. 130 BGG auch für Art. 41 JStG herangezogen werden kann. Nach Art. 130 Abs. 1 BGG erlassen die Kantone auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der schweizerischen Strafprozessordnung Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das Verfahren der Vorinstanzen in Strafsachen im Sinne der Artikel 80 Abs. 2 und 111 Abs. 3 BGG, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV erforderlich sind. Ist sechs Jahre nach Inkrafttreten des BGG noch keine schweizerische Strafprozessordnung in Kraft, so legt der Bundesrat die Frist zum Erlass der Ausführungsbestimmungen nach Anhörung der Kantone fest. |
Allerdings wurde das Jugendstrafgesetz von den eidgenössischen Räten schon am 20. Juni 2003 beschlossen, lange vor dem BGG. Es trat gleichzeitig mit der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs und des Militärstrafrechts in Kraft (vgl. Art. 49 Abs. 2 JStG).
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Am 23. Juni 2006 wurde Art. 130 BGG mit dem Bundesgesetz über die Bereinigung und Aktualisierung der Totalrevision der Bundesrechtspflege (AS 2006 S. 4213) geändert, um die Umsetzungsarbeiten zum BGG mit denjenigen zur eidgenössischen StPO zeitlich zu koordinieren und um klarzustellen, dass die Übergangsfristen von Artikel 130 BGG auch für die Umsetzung der Rechtsweggarantie gemäss Art. 29a BV gelten (Botschaft des Bundesrats vom 1. März 2006, BBl 2006 S. 3074 f., Ziff. 3.1). Bei dieser Revision, die den Anwendungsbereich von Art. 130 BGG präzisieren sollte, wurde Art. 41 JStG nicht erwähnt. Dies spricht dafür, dass den Kantonen für die Umsetzung dieser Bestimmung keine Übergangsfrist eingeräumt werden sollte.
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Das JStG regelt nicht nur das materielle Jugendstrafrecht, sondern enthält auch Grundsätze für das Jugendstrafverfahren (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. b JStG). Diese stellen Mindestgarantien dar, die vom kantonalen Recht über-, nicht aber unterschritten werden dürfen, und sollen sicherstellen, dass das materielle Jugendstrafrecht und seine Grundsätze tatsächlich zum Tragen kommen (AEBERSOLD, a.a.O., S. 191 f.; vgl. auch Botschaft zum JStG, a.a.O., Ziff. 425.4 S. 2266). Von diesem Schutzzweck her muss auch die Verfahrensbestimmung von Art. 41 JStG unmittelbar anwendbar sein.
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3.4 Ein Verhafteter, auf den das Jugendstrafgesetz anwendbar ist, kann daher gestützt auf diese Bestimmung im Kanton ein Rechtsmittel gegen eine Haftanordnung oder -verlängerung erheben und muss diese Möglichkeit auch ausschöpfen, bevor er Beschwerde ans Bundesgericht erheben kann. Bis zur Anpassung der kantonalen StPO muss die zuständige kantonale Instanz durch den Erlass einer Übergangsregelung auf dem Verordnungsweg oder durch die Bezeichnung des Gerichts im Einzelfall bestimmt werden. Hierfür kann auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu den Rechtsmittelgarantien der Art. 6 EMRK und Art. 98a OG (nach Ablauf der Übergangsfrist am 15. Februar 1997) verwiesen werden (vgl. BGE 123 II 231 E. 7 S. 236 f. mit Hinweisen). |