BGE 134 IV 297
 
30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Erben des J. und Mitb. sowie Verein für Asbestopfer und Mitb. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus und Mitb. (Beschwerde in Strafsachen )
 
6B_627/2007 / 6B_629/2007 vom 11. August 2008
 
Regeste
Verfolgungsverjährung; Beginn der Verjährung; Art. 71 aStGB, Art. 98 lit. a StGB.
 
Sachverhalt


BGE 134 IV 297 (297):

A. Am 24. November 2005 erstatteten der Verein für Asbestopfer und E.M. beim Verhöramt des Kantons Glarus Strafanzeige gegen S.A., T.A. und weitere, unbekannte Täterschaft, insbesondere im Umfeld der Eternit (Schweiz) AG, in O., und der Schweizerischen Unfallversicherungsgesellschaft (SUVA), Luzern, wegen fahrlässiger Tötung, begangen an R.M. und an einer unbekannten Anzahl weiterer Personen.
Wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung zu eigenem Nachteil reichte am 28. August 2006 F. eine weitere Strafanzeige ebenfalls gegen S.A., T.A. und weitere, unbekannte Täter ein.


BGE 134 IV 297 (298):

Am 18. September 2006 erhoben J. und S. Strafanzeige gegen unbekannte Täterschaft im Umfeld der Eternit (Schweiz) AG wegen strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben.
B. Nach Durchführung verschiedener Untersuchungshandlungen stellte das Verhöramt des Kantons Glarus am 9. Oktober 2006 die gegen S.A., T.A. und unbekannte Tatverdächtige bei der Eternit (Schweiz) AG, bei der SUVA, beim ehemaligen Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft und beim Arbeitsinspektorat des Kantons Glarus angehobene Strafuntersuchung wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Zusammenhang mit Asbestexpositionen ein.
C. Die gegen die Einstellung des Strafverfahrens von den Anzeigeerstattern in zwei Eingaben erhobenen Beschwerden wies das Kantonsgericht des Kantons Glarus mit Entscheid vom 12. September 2007 ab, soweit es auf sie eintrat.
Im Wesentlichen bestätigte das Kantonsgericht die Rechtsauffassung des Verhöramtes, wonach die beanzeigten Straftaten verjährt seien.
D. Mit zwei Eingaben vom 12. bzw. 13. Oktober 2007 haben die Erben der im Laufe des kantonalen Verfahrens verstorbenen J. und S. (6B_627/2007) sowie der Verein für Asbestopfer, E.M. und F. (6B_629/2007) Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zwecks Weiterführung der Untersuchung an das Verhöramt des Kantons Glarus zurückzuweisen. Diesen Antrag verbinden der Verein für Asbestopfer, E.M. und F. mit 27 Detailanträgen für die weitere Untersuchung.
In den Vernehmlassungen stellt S.A. Antrag, die beiden Beschwerden abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. T.A. beantragt, auf die Beschwerden nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Die Eternit (Schweiz) AG beantragt, die Beschwerde 6B_627/2007 abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, und auf die Beschwerde 6B_629/2007 nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Die SUVA stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde 6B_627/2007 und Nichteintreten, eventuell Abweisung der Beschwerde 6B_629/2007. Das Bundesamt für Umwelt, das Kantonale Arbeitsinspektorat und auch das Kantonsgericht des Kantons Glarus stellen Antrag auf Abweisung der Beschwerden. Schliesslich verzichtet das Verhöramt des Kantons Glarus auf Stellungnahme.


BGE 134 IV 297 (299):

Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab, soweit darauf einzutreten ist.
 
Aus den Erwägungen:
4.1 Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches betreffend die Verfolgungsverjährung sind durch das Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001, in Kraft seit 1. Oktober 2002 (AS 2002 S. 2993 und 3146), geändert worden. Danach verjährt die Strafverfolgung in 15 Jahren, wenn die Tat mit Gefängnis von mehr als drei Jahren oder Zuchthaus bedroht ist (Art. 70 Abs. 1 lit. b StGB), und in sieben Jahren, wenn die Tat mit einer anderen Strafe bedroht ist (lit. c). Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen, so tritt die Verjährung nicht mehr ein (Art. 70 Abs. 3 StGB). Diese Regelung entspricht mit einer terminologischen Anpassung (Freiheitsstrafe statt Zuchthaus und Gefängnis) derjenigen, wie sie heute aufgrund des am 1. Januar 2007 in Kraft gesetzten revidierten Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches Geltung hat (Art. 97 Abs. 1 und 3 StGB). Nach der ursprünglichen (bis 2002 massgebenden) Fassung des Gesetzes waren die Verjährungsfristen kürzer (10 Jahre bei Gefängnis von mehr als drei Jahren oder Zuchthaus; fünf Jahre für die anderen Straftaten), jedoch endete die Verjährung nicht mit dem erstinstanzlichen Urteil, wurde dafür aber mit jeder Untersuchungshandlung und jeder Verfügung des Gerichts unterbrochen und begann neu zu laufen, wobei die ordentliche Verjährungsfrist nicht um mehr als die Hälfte überschritten werden durfte (Art. 72 StGB in der Fassung vom 21. Dezember 1937). Inhaltlich gleich blieb über alle Revisionen des Gesetzes hinweg die Bestimmung über den Beginn der Verjährung. Sie lautet (Art. 71 StGB in der Fassung vom 5. Oktober 2001):
    Die Verjährung beginnt:
    a) mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Handlung ausführt;
    b) wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt;
    c) wenn das strafbare Verhalten dauert, mit dem Tag, an dem dieses Verhalten aufhört.
In der ursprünglichen Fassung des Gesetzes von 1937 (Art. 71 StGB) wie auch nach der heutigen Fassung (Art. 98 lit. a StGB) steht an der Stelle des Begriffs der strafbaren Handlung der Begriff der strafbaren Tätigkeit.


BGE 134 IV 297 (300):

Da auch in Bezug auf die Verjährung der Grundsatz der "lex mitior" (Art. 2 Abs. 2 StGB) gilt (BGE 129 IV 49 E. 5.1 mit Hinweis auf BGE 114 IV 1 E. 2a und BGE 105 IV 7 E. 1a) und erste Untersuchungshandlungen am 24. November 2005 erfolgt sind, hat das Kantonsgericht angenommen, in Bezug auf den Tatbestand der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) oder Körperverletzung (Art. 125 StGB) seien aufgrund der altrechtlichen relativen Verjährungsfrist von fünf Jahren Tathandlungen, die vor dem 24. November 2000 erfolgt sind, verjährt, während für den Tatbestand der (eventual-)vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) oder schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) mit der relativen Verjährungsfrist von zehn Jahren das Nämliche für Tathandlungen vor dem 24. November 1995 gelte. Ausgehend davon, dass bei der Eternit (Schweiz) AG die Produktion von asbesthaltigen Rohren im November 1994 eingestellt worden ist und nach ihrer Darstellung J., S. und M. ohnehin deutlich früher mit Asbest in Kontakt gekommen sind, hat das Kantonsgericht angenommen, durch aktives Tun könne ihnen gegenüber in einem noch nicht verjährten Zeitpunkt weder ein fahrlässig noch ein (eventual-)vorsätzlich begangenes Delikt verübt worden sein. Lediglich bezüglich F. prüft das Kantonsgericht, ob zu einem späteren Zeitpunkt, bevor die Asbestendreinigung abgeschlossen worden war, noch ein Kontakt mit asbesthaltigem Material in Betracht falle, verwirft aber diese Möglichkeit. Da es F. an der Legitimation zur Erhebung der Beschwerde in Strafsachen fehlt (nicht publ. E. 2.2.4), braucht darauf nicht weiter eingegangen zu werden.
4.2 Da die Verjährung mit dem Tag beginnt, an dem der Täter die strafbare Handlung beziehungsweise Tätigkeit ausführt (Art. 71 Abs. 1 aStGB [Fassung 2001], Art. 98 lit. a StGB), ist nach Lehre und Rechtsprechung der Zeitpunkt des tatbestandsmässigen Verhaltens, nicht der Zeitpunkt des Eintritts des allenfalls zur Vollendung des Delikts erforderlichen Erfolgs massgebend (BGE 101 IV 20 E. 3; HANS SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil des Strafrechts, 1. Bd., 4. Aufl., Bern 1982, S. 248; PAUL LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Partie générale, 2. Aufl., Neuenburg/Paris 1976, Art. 71 StGB N. 1; THORMANN/VON OVERBECK, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Allgemeiner Teil I, Zürich 1940, Art. 71 StGB N. 1; VITAL SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., Zürich 1964, S. 219, Nr. 411; ERNST HAFTER, Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Bern 1946, S. 435; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie générale, Basel 2008, S. 536,

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Rz. 1710). Dies bedeutet, dass fahrlässige Erfolgsdelikte verjähren können, bevor der tatbestandsmässige Erfolg eingetreten und somit der Tatbestand erfüllt ist (BGE 102 IV 79 E. 6; BGE 122 IV 61 E. 2a/aa; SCHULTZ, a.a.O., S. 248; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 71 StGB N. 1; HURTADO POZO, a.a.O., S. 537, Rz. 1711; ANDREAS DONATSCH/BRIGITTE TAG, Strafrecht I, 8. Aufl., Zürich 2006, S. 418; FRANZ RIKLIN, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Zürich 2007, S. 304; PETER MÜLLER, Basler Kommentar, StGB I, 2. Aufl. 2007, Art. 98 StGB N. 2).
Allerdings haben Fallkonstellationen, bei denen eine Straftat verjährt war, bevor der Erfolg eingetreten und damit der Straftatbestand erfüllt war, in der Literatur auch zu Irritationen Anlass gegeben. So hat zunächst HANS WALDER (Probleme bei Fahrlässigkeitsdelikten, ZBJV 104/1968 S. 186 ff.) das Ergebnis, dass eine Handlung verjähren kann, bevor sie strafbar sei, als paradox bezeichnet und erwogen, danach zu differenzieren, ob der Täter bewusst oder unbewusst fahrlässig gehandelt hat; bei bewusster Fahrlässigkeit wäre für den Beginn der Verjährung der Erfolgseintritt massgebend, bei unbewusster Fahrlässigkeit weiterhin das Ende des gefährlichen Tuns. WALDER räumt aber ein, dass eine solche Interpretation gleichfalls Bedenken begegnet und der Gesetzestext unbestreitbar an der Ausführung und nicht am Erfolg anknüpft (a.a.O., S. 188). Neuerdings haben DANIEL JOSITSCH/SARAH SPIELMANN (Die Verfolgungsverjährung bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, AJP 2007 S. 189 ff.) die Meinung vertreten, der Wortlaut verlange bei fahrlässigen Erfolgsdelikten nicht zwingend, die Verjährung mit der Tathandlung laufen zu lassen. Das Gesetz gehe nämlich auch davon aus, dass eine strafbare Handlung vorliegen müsse, so dass es möglich erscheine, die Verjährung erst laufen zu lassen, wenn Strafbarkeit gegeben sei (a.a.O., S. 194), zumal es auch mit Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Verjährung unvereinbar wäre, von einer heilenden Wirkung des Zeitablaufs auszugehen, wenn noch kein Delikt vorliege und der Rechtsfrieden noch gar nicht gestört sei (a.a.O., S. 195). Freilich würde eine Gesetzesauslegung, die für den Beginn der Verjährungsfrist an der Erreichung der Strafbarkeitsgrenze anknüpft, dazu führen, dass zwar fahrlässige Erfolgsdelikte nicht verjähren könnten, bevor der Erfolg eintritt, vielmehr die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, vorsätzlich begangene Erfolgsdelikte hingegen schon. Zwar liessen sich diese, da Strafbarkeit schon beim Überschreiten der Versuchsgrenze gegeben ist,

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bereits ab dem Zeitpunkt der Handlung verfolgen; vielfach bleibt ein Delikt indessen unerkannt, solange sein Erfolg nicht eingetreten ist. Schwer verständlich wäre zudem, dass dieselbe Handlung, (eventual-)vorsätzlich begangen, verjährt sein könnte, wenn bei blosser Fahrlässigkeit die Frist erst zu laufen begänne.
4.3.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Auszurichten ist die Auslegung auf die ratio legis, die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach den subjektiven Wertvorstellungen der Richter aufgegeben ist, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers. Die Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (BGE 133 III 175 E. 3.3.1; BGE 133 V 314 E. 4.1; BGE 128 I 34 E. 3b). Sinngemässe Auslegung kann auch zu Lasten des Beschuldigten vom Wortlaut abweichen. Im Rahmen solcher Gesetzesauslegung ist auch der Analogieschluss erlaubt. Dieser dient dann lediglich als Mittel sinngemässer Auslegung. Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 1 StGB) verbietet bloss, über den dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommenden Sinn hinauszugehen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt wird (BGE 128 IV 272 E. 2 mit Hinweis).


BGE 134 IV 297 (303):

4.3.2 Die Bestimmung über den Beginn der Verjährung (Art. 98 StGB; Art. 71 aStGB) stellt nach ihrem Wortlaut auf den Zeitpunkt ab, zu dem der Täter "die strafbare Tätigkeit ausführt", "a exercé son activité coupable", "ha commesso il reato". Jedenfalls der deutsche und der französische Gesetzestext, etwas weniger eindeutig der italienische Text, beziehen sich auf die Tätigkeit, nicht auf das Delikt insgesamt, also nicht auch auf den Erfolg (BGE 101 IV 20 E. 3b). Das stimmt überein mit dem Wortgebrauch in den Art. 8 Abs. 1 und Art. 340 Abs. 1 des Gesetzes, wo für den Begehungsort bzw. die örtliche Zuständigkeit klar zwischen Ausführen und Erfolg der Handlung unterschieden wird. Bestätigt wird diese Gesetzesauslegung auch durch die Entstehungsgeschichte. Zunächst sah der Vorentwurf von 1908 vor, dass bei Erfolgsdelikten für den Beginn der Verjährung auf den Erfolgseintritt abgestellt werden solle; davon wich aber die 2. Expertenkommission in der Folge ab, indem sie nicht auf den mehr oder weniger zufälligen Zeitpunkt des Erfolgseintritts abstellen wollte, sondern als allein massgeblich die Tathandlung bezeichnete (Protokoll der 2. Expertenkommission, Bd. I, April 1912, S. 401 ff.; vgl. BGE 101 IV 20 E. 3c). Ob allerdings bei der Schaffung des schweizerischen Strafgesetzbuchs bedacht worden ist, dass bei Abstellen auf die Tathandlung die Straftat verjährt sein kann, bevor überhaupt Strafbarkeit gegeben ist, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht schlüssig entnehmen (vgl. HUBERT FISCHER, Die Strafverfolgungsverjährung im deutschen und schweizerischen Strafgesetzbuch, Diss. Basel 1970, S. 102). Die Frage bildete jedoch Gegenstand ausführlicher Erörterung im Vorentwurf Schultz für den neuen Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (HANS SCHULTZ, Bericht und Vorentwurf zur Revision des Allgemeinen Teils [...] des Schweizerischen Strafgesetzbuchs, Bern 1987, S. 229 ff.), wobei der Vorentwurf sich für die Beibehaltung der bisherigen Regelung aussprach. Mit der Verabschiedung des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 13. Dezember 2002 kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der Gesetzgeber auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Straftaten verjährt sein können, bevor der Straftatbestand erfüllt ist, die Tathandlung und nicht den Erfolg für den Verjährungsbeginn als massgebend erachtet.
4.3.3 Rechtsvergleichend fällt allerdings auf, dass das deutsche Reichsgericht bei vergleichbarem Gesetzeswortlaut (§ 67 Abs. 4 des Reichsstrafgesetzbuches [RStGB]: "Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf

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den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolgs.") zu einer anderen Auslegung gelangte. Das Reichsgericht hielt dafür, dass der Begriff der "Handlung" alle diejenigen Umstände mit umfasse, mit deren Eintreten erst die strafbare Handlung in ihren konkreten Voraussetzungen vorliege, wo diese Voraussetzungen zeitlich getrennt sind, erst mit dem Eintritt der letzten derselben, also erst wenn die gesetzlichen Begriffsmerkmale der strafbaren Handlung verwirklicht sind (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen [RGSt] 5, 282; 21, 228; 26, 261; 33, 230; 42, 171). Den Begriff des Erfolgs, der nach dem Gesetz nicht massgebend sein soll, verstand das Reichsgericht einschränkend als Erfolg jenseits des Grundtatbestands, so dass nur dessen Qualifikationen darunter fielen, wenn etwa eine zunächst einfache Körperverletzung später zur schweren wird (RGSt 42, 171). Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts war lange Zeit heftig umstritten (vgl. HEINRICH JAGUSCH, Leipziger Kommentar, 7. Aufl., S. 529; H.-J. BRUNS, Wann beginnt die Verfolgungsverjährung beim unbewusst fahrlässigen Erfolgsdelikt?, Neue juristische Wochenschrift [NJW] 11/1958 S. 1257 ff.; FISCHER, a.a.O., S. 92 ff.; SABINE GLESS, Zeitliche Differenz zwischen Handlung und Erfolg - insbesondere als Herausforderung für das Verjährungsrecht, Goltdammer's Archiv für Strafrecht [GA] 2006 S. 705). Schliesslich wurde sie mit der Reform des Strafgesetzbuchs von 1969 ins positive Recht überführt, indem nach § 78 deutsches StGB die Verjährung erst mit Eintritt des zum Tatbestand gehörenden Erfolgs beginnen soll.
4.3.4 Die vom Wortlaut abweichende bzw. diesen "berichtigende" Auslegung des Reichsgerichts (ALBERT MÖSL, Leipziger Kommentar, 9. Aufl., N. 2 zu § 67; JAGUSCH, a.a.O., S. 529) mag Anlass geben zu überdenken, ob die wörtliche Auslegung des Gesetzes durch das Bundesgericht und die herrschende schweizerische Lehre der aus der ratio legis abzuleitenden Funktion der Verjährung widerspricht. Das Institut der Verjährung versteht sich zwar nicht von selbst, doch entspricht die Auffassung, dass Straftaten, abgestuft nach der Schwere der Tat, nach gewisser Zeit nicht mehr verfolgt werden sollen, in unserem Rechtskreis allgemeiner Überzeugung. Nach Ablauf einer gewissen Zeit erscheint eine Bestrafung weder als kriminalpolitisch notwendig noch als gerecht. Das Bedürfnis nach Ausgleich begangenen Unrechts durch Verhängung einer Strafe schwindet mit der Zeit und damit auch die dadurch angestrebte Bewährung der Rechtsordnung wie auch die Notwendigkeit spezialpräventiver Einwirkung auf den Täter durch Abschreckung und Besserung (DONATSCH/TAG, a.a.O.,

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S. 416). Mit dem Zeitablauf nehmen aber auch Beweisschwierigkeiten zu, dies zunächst aus der Sicht der Strafverfolgung, aber auch unter dem Blickwinkel der Verteidigung des Angeklagten, der, wenngleich ihm das Prinzip in dubio pro reo zur Seite steht, nach Jahr und Tag nicht mehr auf Beweismittel greifen kann, die ihn zu entlasten vermögen (GLESS, a.a.O., S. 692). Schliesslich ist die Verjährung von Straftaten auch ein Gebot der Verfahrensökonomie (NADJA CAPUS, Ewig still steht die Vergangenheit?, Bern 2006, S. 30 f.; MÜLLER, a.a.O., vor Art. 97 StGB N. 39): Angesichts beschränkter Ressourcen können sich die Strafverfolgungsbehörden auf die strafrechtliche Verarbeitung von Fällen konzentrieren, bei denen eine realistische Aussicht auf Aufklärung besteht und bei denen nicht wegen Zeitablaufs ein hinreichendes Beweisfundament sich nur noch ausnahmsweise erstellen lässt.
Die Gründe für eine Verjährung von Straftaten, auf die hier interessierende Problematik grosser zeitlicher Differenz zwischen Tathandlung und Erfolg angewendet, führen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar lässt sich 1) sagen, dass mit dem Eintritt des Erfolgs der Rechtsfriede nachhaltig gestört ist und das Bedürfnis nach Ausgleich auch keineswegs verblasst, wenn die Tathandlung lange Zeit zurückliegt. Anders aber verhält es sich 2) mit der vom Strafrecht bezweckten Einwirkung auf den Täter, wofür der Zeitablauf seit der Tathandlung bedeutsam ist. Beweisschwierigkeiten bestehen 3) zwar mit Bezug auf den Erfolg keine, für die hierfür ursächliche Tathandlung aber sehr wohl. Jahr und Tag nach der Handlung erhöhen sich nicht nur die Beweisschwierigkeiten für die Strafverfolgungsbehörde, auch für den mutmasslichen Täter sind Entlastungsbeweise regelmässig nicht mehr greifbar. Dieser Problematik muss das Strafrecht Rechnung tragen. Angesichts all dessen lässt sich jedenfalls nicht sagen, dass es der Funktion der Ratio der Verjährung geradezu widerspricht, diese nicht erst ab Erfolg, sondern schon mit der Tathandlung laufen zu lassen.
4.3.5 Im Rahmen einer verfassungs- und konventionskonformen Auslegung sind auch die Anforderungen zu berücksichtigen, welche sich an die gesetzliche Regelung aus Grundrechtsgarantien ergeben. Hierbei fällt zunächst der Anspruch aus Art. 6 EMRK auf Zugang zu einem Gericht in Betracht. Diesen Zugang gewährt die Konvention allerdings nicht voraussetzungslos. Vielmehr kann er an sachliche Bedingungen geknüpft werden. Als solche können die Regeln über die Verjährung ohne weiteres gelten. Immerhin dürfen

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Beschränkungen nicht so weit gehen, dass sie das Recht auf Zugang zum Gericht seiner Substanz entleeren (Urteil EGMR i.S. Stubbings et al. gegen Vereinigtes Königreich, vom 22. Oktober 1996, Recueil CourEDH 1996-IV S. 1487 Ziff. 50). Unter diesem Aspekt liesse sich erwägen, ob eine Verjährungsregelung, welche einen Anspruch als verjährt erklärt, bevor er überhaupt nur entstanden ist, die Substanz des Rechts auf Zugang zum Gericht noch beachtet. Indessen bezieht sich Art. 6 EMRK auf zivilrechtliche Ansprüche und auf die Stichhaltigkeit der gegen eine Person gerichteten strafrechtlichen Anklage. Um beides geht es hier nicht. Die von einer Straftat geschädigte Person kann sich nicht auf die Garantien aus Art. 6 EMRK berufen, um ein Strafverfahren gegen Dritte einzuleiten (MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1999, S. 247, Rz. 386, S. 250, Rz. 392). Ohnehin beruht die auf den ersten Blick plausible Auffassung, ein Anspruch könne nicht verjähren, bevor er überhaupt entstanden sei, auf zivilrechtlichem Denken eines zunächst entstandenen Anspruchs, den die Partei, die ihn nicht geltend macht, wieder verlieren kann (GLESS, a.a.O., S. 705). Im Strafrecht geht es demgegenüber um die Frage, an welches Merkmal - Handlung oder Erfolg - einer voll verwirklichten Straftat für die Verjährung anzuknüpfen ist, wofür strafrechtliche Kriterien massgebend sind (vgl. BRUNS, a.a.O., S. 1260 f.) und wofür der Gesetzgeber berücksichtigen kann, ob er es kriminalpolitisch und vom Zweck der Strafe her für sinnvoll erachtet, Jahr und Tag nach Verwirklichung des Handlungsunrechts noch die Strafverfolgung einzuleiten.
Zu keinem anderen Ergebnis führen auch die Anforderungen, welche sich aus den grundrechtlichen Ansprüchen auf Achtung des Lebens (Art. 2 EMRK) und auf Achtung der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) ergeben. Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen den Staat, sondern es leiten sich aus ihnen auch Schutzpflichten des Staates gegen Beeinträchtigungen durch Private ab. Art. 2 EMRK verlangt in Abs. 1, dass das Recht auf Leben gesetzlich geschützt wird. Daraus folgt zwar nicht, dass der Staat jede Möglichkeit der Gewaltanwendung durch Private zu verhindern verpflichtet wäre, wozu er auch gar nicht in der Lage ist. Dem Gesetzgeber steht auch grosses Ermessen in der Beurteilung zu, mit welchen gesetzgeberischen Mitteln er den Schutz seiner Bürger gewährleisten will. Zum Schutz hochwertiger Rechtsgüter kann er aber verpflichtet sein, auch strafrechtliche Sanktionen vorzusehen (Urteile EGMR i.S. X und Y gegen Niederlande vom 26. März 1985, Serie A, Band 91, Ziff. 27; i.S. M.C. gegen Bulgarien

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vom 4. Dezember 2003, Recueil CourEDH 2003-XII S. 45 ff., Ziff. 150 ff.) und gegebenenfalls eine effektive Strafuntersuchung zu führen. Dem Gesetzgeber ist es allerdings unbenommen, im Rahmen seiner Kriminalpolitik gegenläufige Interessen zu berücksichtigen. So verletzt es Art. 2 EMRK nicht, wenn ein Staat aus besonderen Gründen ein Amnestiegesetz erlässt, das zur Folge hat, dass selbst ein Mord ungesühnt bleibt (Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. Dujardin gegen Frankreich vom 2. September 1991, Décisions et rapports de la Commission européenne des droits de l'homme [DR] 72, 236).
Wenn der schweizerische Gesetzgeber für die Verjährung am Handlungsunrecht anknüpft, so beruht dies auf sachlichen Gründen. Es führt zwar dazu, dass unter besonderen Umständen, wenn die Handlung weit zurückliegt, eine Straftat nicht verfolgt werden kann. Das kann aber mit den erheblich erschwerten Verteidigungsmöglichkeiten des mutmasslichen Täters Jahr und Tag nach einem behaupteten Fehlverhalten und der eingeschränkten Bedeutung spezialpräventiver Einwirkung auf den Täter lange Zeit nach der vorgeworfenen Handlung gerechtfertigt werden. Jedenfalls bedeutet eine am Handlungsunrecht anknüpfende Verjährungsregelung nicht, dass der Schutz des Lebens mittels strafrechtlicher Mittel den generalpräventiven Erfordernissen nicht genügen würde und dadurch Art. 2 EMRK verletzt wäre.