BGE 136 IV 133
 
20. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_212/2010 vom 27. Mai 2010
 
Regeste
Art. 21 Abs. 2 VRV; Güterumschlag in der blauen Zone.
 
Sachverhalt


BGE 136 IV 133 (133):

A. Das Stadtrichteramt der Stadt Zürich verurteilte X. am 14. Oktober 2008 wegen Überschreitens der zulässigen Parkzeit bis zu zwei Stunden (Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG sowie Art. 48 Abs. 8 SSV) und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 40.-.
Das Bezirksgericht Zürich stützte mit Urteil vom 29. April 2009 diesen Entscheid.
B. X. erhob Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses bestätigte am 14. Januar 2010 Strafe und Schuldspruch ebenfalls.
C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei

BGE 136 IV 133 (134):

zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er von Schuld und Strafe freizusprechen. Es sei ferner festzustellen, dass die Vorinstanz Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 29 Abs. 1 BV verletzt habe. Es seien keine Kosten zu erheben, und dem Beschwerdeführer sei eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen.
D. Die Vorinstanz sowie die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die für einen Güterumschlag benötigte Zeit nicht auch innerhalb eines Parkfelds zur Verfügung stehen sollte. Er hätte somit sein Fahrzeug zeitlich unbeschränkt ausserhalb eines Parkfeldes abstellen dürfen, nicht jedoch innerhalb, da diesfalls kein Güterumschlag vorliege. Diese Auffassung sei paradox und verletze Bundesrecht. Eine Parkzeitbeschränkung bestehe innerhalb eines Parkfeldes ebenso wenig wie ausserhalb eines solchen. Die Einholung einer Spezialbewilligung wäre zwar möglich, jedoch im konkreten Fall absolut unverhältnismässig

BGE 136 IV 133 (135):

gewesen. Einer Bewilligung bedürfe es nur, wenn keine Gemeinverträglichkeit des Güterumschlags mehr bestehe.
 
Erwägung 2.2
2.2.2 Der Fahrzeuglenker werde im Weiteren beim Güterumschlag lediglich in Bezug auf die geltenden Halteverbote privilegiert, nicht jedoch bezüglich der zeitlichen und örtlichen Parkbeschränkungen. Diese Parkbeschränkungen seien nicht unbeachtlich, wenn der Lenker irgendwelche Gegenstände während des Parkierens irgendwo hinbringe oder abhole. Sinn und Zweck der Privilegierung des Güterumschlags bestehe darin, das Liefern und Abholen unhandlicher Güter auch dort zu ermöglichen, wo das Parkieren nicht erlaubt sei. Sei ein Parkplatz vorhanden, müssten die Bestimmungen für das entsprechende Parkfeld auch beim Ein- und Auslad eingehalten werden. Dies habe nicht nur für gebührenpflichtige Parkplätze, sondern auch für die blaue Zone zu gelten. Es sei im Übrigen nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer die Parkzeit mit der Parkscheibe ordnungsgemäss eingestellt habe, jedoch von einer unbeschränkten Parkzeit für den Güterumschlag ausgehe. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit gehabt, eine Spezialbewilligung bei der Polizei einzuholen oder sein Fahrzeug vor Ablauf der Parkzeit wieder in den Verkehr einzufügen und einen neuen Platz in der blauen Zone zu suchen.
 
Erwägung 2.3
2.3.1 Unter "Güterumschlag" im Sinne des Strassenverkehrsrechts ist das Verladen oder Ausladen von Sachen zu verstehen, die nach Grösse, Gewicht oder Menge die Beförderung durch ein Fahrzeug nötig machen (BGE 122 IV 136 E. 3b mit Hinweis auf BGE 89 IV 213). Das Bundesgericht setzte sich in einem anderen älteren Urteil im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Haftpflichtfall sehr ausführlich mit der Frage auseinander, wie der Begriff des

BGE 136 IV 133 (136):

Einladens zu verstehen sei. Es kam dabei zum Schluss, dass sowohl in der schweizerischen Umgangssprache, die hierin kaum von der vorherrschenden allgemeinen deutschen Volkssprache abweiche, sehr oft von "Einladen" (oder auch "Laden", "Verladen", "Aufladen") in einem weiten Sinne gesprochen werde. Diese Ausdrücke bezeichneten bei solcher Gebrauchsweise neben dem Absetzen des Gutes auf das Transportfahrzeug auch die Vor- und Nachstadien dieser Handlung. Wegleitend sei dabei der mit dem "Einladen" verfolgte Zweck, das Gut vom bisherigen Standort zum Fahrzeug zu bringen und, wenn es einmal darauf abgestellt sei, dann auch so zu platzieren und wenn nötig zu verkeilen oder zu befestigen, dass es in gehöriger Weise transportiert werden könne (BGE 82 II 445 E. 3 mit Hinweisen).
 
Erwägung 2.4
2.4.1 Sinn und Zweck der Privilegierung des Güterumschlags besteht darin, das Verladen oder Ausladen von Sachen zu erleichtern, die aufgrund ihrer Grösse, ihres Gewichts oder der Menge nur erschwert umgeschlagen werden können. Der Umschlag solcher Güter muss daher - ungeachtet fehlender regulärer Parkiermöglichkeiten - möglichst nahe am Umschlagpunkt durchgeführt werden. Dies findet sinngemäss allerdings dort seine Grenzen, wo der ungestörte Verkehrsfluss nicht mehr garantiert ist (HANS GIGER, SVG - Strassenverkehrsgesetz, 7. Aufl. 2008, N. 12 zu Art. 37 SVG; vgl. auch RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen

BGE 136 IV 133 (137):

Strassenverkehrsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2002, N. 800, wonach der Fahrzeugführer im Rahmen des Zumutbaren Bequemlichkeitsverluste in Kauf zu nehmen hat). Sind Parkiermöglichkeiten vorhanden, wie im vorliegenden Fall in Form von Parkfeldern der blauen Zone, so sind daher vorab diese zu benützen, um eine möglichst geringe Behinderung der übrigen Strassenbenützer zu verursachen (Art. 21 Abs. 2 VRV).
Die von der Vorinstanz angeführten Verhaltensanweisungen an den Beschwerdeführer (Einholen einer Spezialbewilligung bei der Polizei oder Wiedereingliederung in den Verkehr und anschliessendes Suchen eines neuen Parkfeldes in der blauen Zone) erweisen sich in der Situation des Beschwerdeführers als wenig hilfreich. Die

BGE 136 IV 133 (138):

polizeiliche Spezialbewilligung hätte vorgängig eingeholt werden müssen und erscheint für einen Güterumschlag im vorliegenden, eher bescheidenen Umfang auch nicht sachgerecht. Die Wiedereingliederung in den Verkehr wäre zwar - wie der Beschwerdeführer einräumt - möglich gewesen, hätte jedoch zu einer Verlängerung des Güterumschlags geführt und den Beschwerdeführer der Gefahr ausgesetzt, kein freies Parkfeld in zumutbarer Nähe mehr zu finden. Der weitere Güterumschlag hätte diesfalls ausserhalb der zulässigen Parkfläche durchgeführt werden müssen. Dies wäre zwar zulässig gewesen, hätte aber kaum der Vorschrift einer möglichst geringen Behinderung der übrigen Strassenbenützer (Art. 21 Abs. 2 VRV, vgl. oben E. 2.4.1) entsprochen.