BGE 137 IV 352 |
51. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_365/2011 vom 22. September 2011 |
Regeste |
Schweizerische Strafprozessordnung, Übergangsrecht (Art. 448 und 453 Abs. 1 StPO), Entschädigung für Anwaltskosten bei Freispruch (Art. 426 und 430 Abs. 1 lit. a StPO). |
Hat ein Freigesprochener das Strafverfahren in rechtswidriger und schuldhafter Weise verursacht oder erschwert, kann eine Entschädigung für Anwaltskosten herabgesetzt oder verweigert werden (E. 2.1). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben (E. 2.4.1). |
Werden die Gerichtskosten der unterliegenden Partei auferlegt, ist grundsätzlich keine Entschädigung auszurichten. Bei Übernahme der Kosten durch die Staatskasse hat die beschuldigte Person einen Anspruch auf Entschädigung (E. 2.4.2). |
Sachverhalt |
A. Das Strafgericht des Seebezirks des Kantons Freiburg sprach X. am 18. Dezember 2008 im Anklagepunkt II schuldig der qualifizierten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel, begangen von 2003 bis 15. Februar 2005 in Biel und verschiedenen anderen Orten. In den Anklagepunkten III, IV und VI sprach es ihn vom Vorwurf des Hanfanbaus zur Betäubungsmittelgewinnung bzw. des Betäubungsmittelhandels frei. Es bestrafte X. mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft. Die Strafe wurde als Zusatzstrafe zum Urteil des Strafgerichts des Seebezirks vom 24. August 2005 ausgesprochen (29 Monate Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmittelhandels). Der Vollzug der Zusatzstrafe wurde bei einer Probezeit von vier Jahren aufgeschoben. Von einer Ersatzforderung sah das Strafgericht ab. Die Verfahrenskosten auferlegte es je zur Hälfte X. und dem Staat Freiburg. |
B.
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B.a Der Strafappellationshof des Kantonsgerichts Freiburg bestätigte am 24. Januar 2011 das Urteil des Strafgerichts des Seebezirks in Abweisung der gegen die Strafzumessung und den Entscheid betreffend die Ersatzforderung erhobenen Berufung der kantonalen Staatsanwaltschaft (Ziff. 1 Dispositiv). |
B.b Gleichzeitig behandelte der Strafappellationshof das ihm mit Urteil der Strafkammer des Kantonsgerichts Freiburg vom 14. Januar 2011 übermittelte Entschädigungsgesuch von X. auf Zusprechung der Hälfte der Anwaltskosten im Verfahren vor erster Instanz in der Höhe von Fr. 9'552.50, auf Ersatz des Ertragsverlusts in der Höhe von Fr. 179'389.85 wegen der am 19. September 2007 erfolgten Vernichtung der Hanfernte auf dem Grundstück A. in Murten sowie auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens am Elektrozubehör von Fr. 2'400.40. Der Strafappellationshof wies das Gesuch vollumfänglich ab (Ziff. IV Dispositiv).
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C. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, Ziff. IV des Urteils des Strafappellationshofs des Kantonsgerichts Freiburg sei aufzuheben und ihm seien Fr. 9'552.50 als Entschädigung für Anwaltskosten sowie Fr. 179'389.85 für Ertragsverlust infolge Vernichtung der Hanfernte 2007 zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese anzuweisen, ihn für Anwaltskosten und Ertragsverlust infolge Erntevernichtung angemessen zu entschädigen. X. ersucht ausserdem um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
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D. Der Strafappellationshof des Kantonsgerichts Freiburg und die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg haben auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
1.2 Vorab ist das anwendbare Verfahrensrecht zu bestimmen. Am 1. Januar 2011 ist die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) in Kraft getreten. Deren Übergangsbestimmungen basieren auf dem Grundsatz, die bisherigen Verfahrensordnungen von Bund und Kantonen möglichst rasch durch die StPO zu ersetzen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1350 Ziff. 2.12.2.1). Art. 448 StPO legt dementsprechend fest, dass Verfahren, die bei Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung hängig sind, nach neuem Recht fortgeführt werden, es sei denn, die nachfolgenden Bestimmungen sähen etwas anderes vor. Eine Bestimmung, die im letztgenannten Sinne vom Grundsatz abweicht, ist Art. 453 Abs. 1 StPO. Danach werden Rechtsmittel gegen einen Entscheid, der vor Inkrafttreten der StPO gefällt worden ist, nach bisherigem Recht und von den bisher zuständigen Behörden beurteilt. Vorliegend hatte die Vorinstanz nicht über einen erstinstanzlichen Entscheid zu befinden, sondern das Entschädigungsgesuch des Beschwerdeführers als einzige Instanz zu beurteilen. Diese Konstellation fällt nicht unter Art. 453 Abs. 1 StPO. Nach dem Grundsatz von Art. 448 StPO ist deshalb - wovon die Vorinstanz zu Recht ausgeht - die Schweizerische Strafprozessordnung anwendbar, zumal diese auch die Entschädigungsansprüche abdeckt, welche unter Art. 242 aStPO/FR geltend gemacht werden konnten. |
Erwägung 2.4 |
2.4.1 Diese Begründung, welche insbesondere im Zusammenhang mit dem Freispruch betreffend den Vorwurf des Hanfanbaus auf dem Grundstück A. in Murten (Anklagepunkt VI) ergeht, überzeugt nicht. Zwar ergaben die auf dem Hanffeld und in der Scheune des Beschwerdeführers im Jahre 2007 beschlagnahmten Zweige und Hanfblüten bei ihrer Analyse unbestrittenermassen einen THC-Wert, der zwischen 2 und 2,7 % liegt. Gestützt auf diesen Wert alleine kann vom blossen Hanfanbau jedoch nach richtiger Ansicht in der Beschwerde nicht auf einen Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz geschlossen werden. Denn der Anbau von Betäubungsmittelhanf für andere Zwecke als die Betäubungsmittelgewinnung, wie beispielsweise für die Ölgewinnung, war nach dem damals geltenden Betäubungsmittelgesetz nicht verboten (aArt. 8 Abs. 1 lit. d BetmG; siehe hierzu auch BGE 130 IV 83 E. 1.1 S. 86; BGE 126 IV 198 E. 2 S. 201 f.; Urteil 6S.580/2006 vom 6. Juli 2007 E. 4.2 ). Die erste Instanz stellte in dieser Hinsicht verbindlich fest, dass der vom Beschwerdeführer auf dem Grundstück A. angebaute Hanf - auch bei einem den neuralgischen Punkt überschreitenden THC-Wert - nicht für Betäubungsmittelzwecke bestimmt war, sondern in den Jahren 2003 bis 2006 unter Aufsicht und Tolerierung der Behörden zu ätherischem Öl destilliert wurde. Die Destillation der Hanfernte 2007 unter polizeilicher Aufsicht war für den 19. oder 20. September 2007 vorgesehen, also ein bzw. zwei Tage nach der angeordneten Hanfvernichtung. Der Beschwerdeführer wurde in Bezug auf den Vorwurf des Hanfanbaus auf dem Grundstück A. freigesprochen, weil der Hanf nicht zur Betäubungsmittelgewinnung angebaut und verwendet wurde. Vor diesem Hintergrund, namentlich in Anbetracht des ausgewiesenen legalen Hanfanbaus bzw. der legalen Hanfverarbeitung unter behördlicher Aufsicht, geht es nicht an, dem Beschwerdeführer einzig gestützt auf den festgestellten THC-Gehalt von mehr als 0,3 % ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten im Sinne von Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO anzulasten, welches die Einleitung eines Strafverfahrens aus objektiv gerechtfertigten Gründen bewirkt haben soll. Ein solches Verhalten seitens des Beschwerdeführers ist unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich. Dass er sich in anderm Zusammenhang wegen Hanfhandels strafbar machte, ändert hieran nichts bzw. kann zur Begründung eines im Sinne von Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO vorwerfbaren Verhaltens in Bezug auf den in Frage stehenden Tatvorwurf nicht herangezogen werden. Die Verweigerung der Entschädigung für Anwaltskosten verstösst mithin gegen Bundesrecht. |
Das gilt auch für die beiden weiteren zur Diskussion stehenden Freisprüche. Diese erfolgten mangels Beweisen. Dem Beschwerdeführer konnten die ihm vorgeworfenen Handlungen - Verkauf und Vertrieb von Hanfblüten mittels Lieferanten von 2004 bis 23. Mai 2007 einerseits (Anklagepunkt III) und regelmässige Lieferungen einer insgesamt unbekannten Menge Marihuana an den Laden "B. GmbH" von August 2005 bis 23. Februar 2007 andererseits (Anklagepunkt IV) - nicht zugeordnet und damit nicht nachgewiesen werden. Die erste Instanz schloss in ihren Erwägungen bezüglich beider Anklagepunkte eine Dritttäterschaft nicht aus bzw. hielt eine solche gar für "ziemlich wahrscheinlich". Inwiefern dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen ein Verschulden im Sinne von Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO zur Last gelegt werden könnte, aufgrund dessen ein Strafverfahren zu Recht eingeleitet wurde, ist nicht erkennbar. Insbesondere lässt sich aus seiner blossen (stillen) Teilhaberschaft an "B. GmbH" keine Verpflichtung bzw. Verantwortung ableiten, welche eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten begründen könnte. |
2.4.2 Abgesehen davon vermag der angefochtene Entscheid betreffend die Verweigerung der Entschädigung für Anwaltskosten auch aus einem weiteren Grund nicht zu überzeugen. Auszugehen ist davon, dass eine Kostenauflage nach Art. 426 Abs. 1 und 2 StPO in der Regel einen Anspruch auf Entschädigung ausschliesst. Die Entschädigungsfrage ist nach der Kostenfrage zu beantworten. Insoweit präjudiziert der Kostenentscheid die Entschädigungsfrage. Es gilt folglich der Grundsatz, dass bei Auferlegung der Kosten keine Entschädigung oder Genugtuung auszurichten ist, während bei Übernahme der Kosten durch die Staatskasse die beschuldigte Person Anspruch auf Entschädigung hat (vgl. DONATSCH/HANSJAKOB/LIEBER, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 2 und 7 zu Art. 430 StPO, mit Verweis auf die Botschaft; so schon unter altem Recht: NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., 2004, S. 464 Rz. 1209). Vorliegend auferlegte die erste Instanz dem Staat Freiburg die Verfahrenskosten zur Hälfte und zwar wegen der ergangenen Freisprüche des Beschwerdeführers. Entsprechend wäre in Anwendung des erwähnten strafprozessualen Grundsatzes eine hälftige Entschädigung für die Anwaltskosten sachgerecht gewesen. Ohne diesen Grundsatz auch nur im Ansatz zu berücksichtigen bzw. ohne die Entschädigungsfrage im Hinblick auf den rechtskräftigen erstinstanzlichen Kostenentscheid zu beurteilen, lehnt die Vorinstanz vorliegend eine Entschädigung für Anwaltskosten ab. Gründe, welche allenfalls ein ausnahmsweises Abweichen vom Grundsatz des Anspruchs auf eine Parteientschädigung bei Kostenauflage an den Staat sachlich rechtfertigen könnten, führt die Vorinstanz nicht an und sind hier im Übrigen auch nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich daher auch unter diesem Gesichtswinkel als begründet. |