BGE 139 IV 25 |
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_264/2012 vom 10. Oktober 2012 |
Regeste |
Art. 3 Abs. 2 lit. c, Art. 101 Abs. 1, Art. 107 Abs. 1 lit. b, Art. 108 Abs. 1 lit. a und Abs. 2, Art. 139 Abs. 1, Art. 146 Abs. 1, Art. 147 Abs. 1, Art. 224 Abs. 1 und Art. 312 Abs. 2 StPO; Recht auf Teilnahme bei der Einvernahme von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen. |
Sachverhalt |
A. Die Regionale Staatsanwaltschaft Emmental-Oberaargau führt eine Strafuntersuchung gegen X. (nachfolgend: Beschuldigter) und zwei Mitbeschuldigte wegen Diebstahls. Im Hinblick auf die für den 19. Januar 2012 angekündigten Einvernahmen der beiden Mitbeschuldigten stellte der Beschuldigte ein Gesuch um Teilnahme an den Einvernahmen, welches die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 13. Januar 2012 abwies. Ein weiteres Gesuch des Beschuldigten um Teilnahme an den weiteren Einvernahmen von Mitbeschuldigten, Auskunftspersonen und allfälligen Zeugen (eventuell vorerst beschränkt auf den Offizialverteidiger) entschied die Staatsanwaltschaft am 26. Januar 2012 ebenfalls abschlägig. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, mit Beschluss vom 13. April 2012 gut. |
B. Gegen den Beschluss des Obergerichts gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft, mit Beschwerde vom 9. Mai 2012 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides (soweit er die Teilnahmerechte des Beschuldigten betrifft).
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
2. Das Obergericht erwägt im angefochtenen Entscheid zusammengefasst Folgendes: Die Parteien hätten (gestützt auf Art. 147 Abs. 1 StPO) grundsätzlich das Recht, an sämtlichen Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft teilzunehmen. Dazu gehöre namentlich die Einvernahme von (mit)beschuldigten Personen, Zeugen oder Auskunftspersonen. Die von der Staatsanwaltschaft (und vom Zürcher Obergericht) vertretene These, wonach der in Art. 146 Abs. 1 StPO verankerte Grundsatz der getrennten Einvernahme eine Ausnahme zum Teilnahmerecht nach Art. 147 Abs. 1 StPO bilde, überzeuge nicht. Insofern sei der Praxis des Appellationsgerichtes Basel-Stadt zu folgen. Gewisse Einschränkungen des Teilnahmerechtes seien zwar (gestützt auf Art. 108 StPO und allenfalls in Analogie zu Art. 101 Abs. 1 StPO) zulässig. Im vorliegenden Fall sei dem Beschuldigten die Teilnahme an den Befragungen von Mitbeschuldigten, Zeugen und Auskunftspersonen jedoch zu Unrecht verweigert worden. |
Erwägung 3 |
3.2 Die beschwerdeführende Generalstaatsanwaltschaft macht überdies (zusammengefasst) geltend, im vorliegenden Fall sei jedenfalls eine Einschränkung des Teilnahmerechtes gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO zulässig. Der in der StPO statuierte Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Beweisabnahmen konkretisiere primär den sich aus Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK ergebenden Anspruch des Beschuldigten auf Konfrontation mit belastenden Gewährspersonen. In seiner allgemeinen Ausrichtung gehe Art. 147 Abs. 1 StPO aber weit über diesen Anspruch hinaus. Die bisherige Praxis des Bundesgerichtes zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK und Art. 32 Abs. 2 BV habe lediglich grundrechtliche Minimalgarantien für das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen entwickelt. Der drohende Rechtsmissbrauch (im Sinne von Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO) sei in möglichen Verdunkelungshandlungen zu sehen. Im Haftantrag der Staatsanwaltschaft vom 20. Dezember 2011 sei Kollusionsgefahr als Haftgrund gegen den Beschuldigten wie folgt begründet worden: "Es muss verhindert werden, dass die drei Verhafteten ihre Aussagen absprechen, mögliche Mittäter warnen, resp. evtl. weiteres Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder Spuren verschwinden lassen resp. vernichten". Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft erscheint es sachgerecht, das Teilnahmerecht an Beweiserhebungen "mit der gleichen Begründung" einzuschränken, mit der die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr angeordnet wurde. |
Erwägung 4 |
4.2 Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO statuiert den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen im Untersuchungs- und Hauptverfahren und bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Dieses spezifische Teilnahme- und Mitwirkungsrecht fliesst aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO). Es kann nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. Art. 108, Art. 146 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO; s. auch Art. 101 Abs. 1 StPO) eingeschränkt werden (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1187). Beweise, die in Verletzung von Art. 147 Abs. 1 StPO erhoben worden sind, dürfen nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war (Art. 147 Abs. 4 StPO). Zwischen Konfrontationseinvernahmen mehrerer Personen (Art. 146 Abs. 2 StPO) und der Teilnahme an parteiöffentlichen Einzel befragungen mit dem Recht, dem einzeln Befragten in der Folge Ergänzungsfragen zu stellen (Art. 147 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 146 Abs. 1 StPO), ist im Übrigen zu differenzieren. |
5.1 Die in Erwägung 4 dargelegte Systematik der StPO und die Wortlaute der genannten Vorschriften sprechen für die grundsätzliche Zulassung beschuldigter Personen (und ihrer Verteidigung) zur parteiöffentlichen Einvernahme von Mitbeschuldigten (und weiteren Gewährspersonen). Insbesondere bildet das in Art. 146 Abs. 1 StPO verankerte Prinzip der "getrennten" Einvernahme keine selbstständige gesetzliche Ausnahme zu den spezifischen Parteirechten nach Art. 147 Abs. 1 StPO. Ein prinzipieller Teilnahmeanspruch beschuldigter Personen wird denn auch von der überwiegenden Literatur (sowie von der baselstädtischen, Berner und Waadtländer Gerichtspraxis) bejaht (vgl. FELIX BOMMER, Ausschluss des Mitbeschuldigten von der Einvernahme der beschuldigten Person?, BE N'ius, Neues aus der Berner Justiz, 2012 Heft 10 S. 28 ff., 29; STEFAN CHRISTEN, Zum Anwesenheitsrecht der Privatklägerschaft im schweizerischen Strafprozessrecht, ZStrR 129/2011 S. 463 ff.; GUNHILD GODENZI, Heimliche Einvernahmen: Die Aushöhlung der Parteiöffentlichkeit der Untersuchung durch den Grundsatz der getrennten Einvernahme, ZStrR 129/2011 S. 322 ff.; dies., in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO;nachfolgend: Kommentar], 2010, N. 2 und 25 zu Art. 146StPO; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, 2010, N. 1-4 der Vorbem. zu Art. 147 f. und N. 1 zu Art. 147 StPO; DORRIT SCHLEIMINGER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu Art. 147 StPO; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2009, Rz. 818, 823;OLIVIER THORMANN, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 146 und N. 1-2 zu Art. 147 StPO; ANDRÉ VOGELSANG, Art. 147 StPO: Wirksamer Gegenpol zur Allmacht der Staatsanwaltschaft oder bloss toter Buchstabe?, Anwalts-Revue 2012 S. 230 ff., 234; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 5 zu Art. 147StPO; Urteile AppGer/BS Nr. BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 und Nr. BE.2011.20 vom 14. April 2011, in: forumpoenale 2011 S. 276; TC/VD vom 10. Mai 2012; a.M. KATHARINA GRAF, in: Polizeiliche Ermittlung, Handbuch, Albertini/Fehr/Voser [Hrsg.], 2008, S. 171 f.; DANIEL HÄRING, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 1 und 2 zu Art. 146 StPO; THOMAS HANSJAKOB, Geheime Erhebung von Beweisen nach StPO, forumpoenale 2011 S. 299 ff.; CHRISTOPH ILL, in: Kommentierte Textausgabe [...] StPO, Goldschmid/Maurer/Sollberger [Hrsg.],2008, S. 133; MARCEL MEIER, Kollusionsverhinderung im Vorverfahren der Schweizerischen Strafprozessordnung, Masterarbeit Luzern 2011, S. 34, 36; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar [nachfolgend: Praxiskommentar], 2009, N. 1 und 3 zu Art. 146 StPO[anders aber SCHMID, Handbuch, a.a.O., Rz. 818, 823]; Urteile ObGer/ZH Nr.UH110023 vom 11. Mai 2011, in: ZR 110/2011 S. 102; ObGer/AG Nr. SBK.2011.91 vom 19. Mai 2011, in: forumpoenale 2011 S. 208; ObGer/TG Nr. SW.2011.2011 vom 29. September 2011, in: RBOG 2011 S. 166; TC/GE Nr. ACPR/93/2011 vom 4. Mai 2011). |
5.2.1 Der Vorentwurf zur StPO (VE/StPO, Fassung des Bundesamtes für Justiz, Juni 2001) sah in Art. 156 Abs. 1 VE/StPO eine dem Art. 146 Abs. 1 StPO ähnliche Regelung vor: "Die zu befragenden Personen werden in der Regel getrennt einvernommen". Zwar seien gemäss Begleitbericht zum VE/StPO "verschiedene Beschuldigte, Zeuginnen und Zeugen etc. einzeln unter Ausschluss der anderen einzuvernehmen" (Begleitbericht VE, S. 113). Diese etwas apodiktisch formulierte Aussage wird jedoch durch die weiteren Bestimmungen des Vorentwurfes und durch präzisierende Hinweise des Begleitberichtes relativiert: Zunächst schränkt Art. 156 Abs. 1 VE/StPO selbst ausdrücklich ein, dass die Einvernahmen nur "in der Regel" getrennt erfolgen sollen. Sodann wurde auch im Vorentwurf (Art. 158 Abs. 1 VE/StPO) bereits der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Beweisabnahmen statuiert. Art. 159 Abs. 1 VE/StPO räumte der Verteidigung das Recht ein, "bei den Einvernahmen der Beschuldigten durch Staatsanwaltschaft und Gerichte anwesend zu sein und ihnen Ergänzungsfragen zu stellen". Gemäss Begleitbericht zum Vorentwurf gilt dieses Teilnahmerecht "schon bei der ersten Einvernahme". Bei der Teilnahme an Einvernahmen von Mitbeschuldigten seien allerdings "die Einschränkungen von Art. 118" VE/StPO (sowie die Schutzmassnahmen gemäss Art. 160-164 VE/StPO) zu beachten (Begleitbericht VE, S. 115). Daraus ergibt sich, dass schon der VE/StPO den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit von Einvernahmen aufnahm und für zulässige Einschränkungen von Parteirechten auf den gesetzlichen Ausnahmenkatalog verwies. Diesbezüglich ist den Materialien folgende Entwicklung zu entnehmen: |
5.2.2 Art. 118 Abs. 2 lit. c VE/StPO hatte noch vorgesehen, dass die Strafbehörden "für den geordneten Ablauf des Verfahrens" den Verfahrensausschluss bzw. die Beschränkung des rechtlichen Gehörs einer Partei anordnen konnten. Diese Regelung wurde allerdings weder in den bundesrätlichen Entwurf (Art. 106 E/StPO) übernommen, noch in die vom Parlament verabschiedete einschlägige Version von Art. 108 Abs. 1 und 2 StPO. Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO verlangt für eine Gehörsbeschränkung vielmehr den begründeten Verdacht, dass eine Partei "ihre Rechte missbraucht" (vgl. dazu näher unten, E. 5.5.6-5.5.11). Die übrigen Einschränkungsgründe von Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO entsprechen denjenigen des Vorentwurfes (Art. 118 Abs. 2 lit. a und b VE/StPO). Dementsprechend wird in der bundesrätlichen Botschaft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das (in vielen kantonalen Prozessgesetzen noch als Ausschlussgrund anerkannte) "gefährdete Verfahrensinteresse" für sich allein nicht mehr genüge, "um das rechtliche Gehör vor allem in der Anfangsphase des Vorverfahrens einzuschränken" (Botschaft StPO, BBl 2006 1164). |
5.4 Die Generalstaatsanwaltschaft und ein Teil der Lehre legen allerdings dar, dass die gesetzliche Regelung zu Effizienzverlusten der Strafuntersuchung in Kollektivfällen und zu gewissen prozessualen Ungleichbehandlungen von Mitbeschuldigten führen könne (vgl. Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO). Diese Problematik betrifft insbesondere Beschuldigte, die als Erste (in Anwesenheit der Mitbeschuldigten) parteiöffentlich einvernommen werden (vgl. GRAF, a.a.O., S. 171 f.; HÄRING, a.a.O., N. 1 zu Art. 146 StPO; HANSJAKOB, a.a.O., S. 299 ff., 308; MEIER, a.a.O., S. 28 ff.; s. auch GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 349 f.). |
5.4.2 In den Hauptanwendungsfällen des Anspruchs der Parteien auf Ergänzungsfragen, nämlich bei der Einvernahme von Zeugen (und weiteren Gewährspersonen) sowie bei der Konfrontationseinvernahme erscheint es unproblematisch, wenn die Ergänzungsfragen sofort nach der Einvernahme gestellt werden: An der Befragung von Zeugen können alle Mitbeschuldigten gleichberechtigt und in identischer Rolle teilnehmen und dabei Ergänzungsfragen stellen. Im Falle von Konfrontationseinvernahmen von Mitbeschuldigten (Art. 146 Abs. 2 StPO) können sich alle Gegenübergestellten wechselseitig zu den Aussagen der Befragten äussern und (im Rahmen der gleichen Konfrontationseinvernahme) Ergänzungsfragen stellen. Bei der parteiöffentlichen Einzelbefragung von Mitbeschuldigten (Art. 147 Abs. 1 StPO) ist nach Massgabe der jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalles in sachgerechter Weise vorzugehen. |
5.5.1 Im Rahmen ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör haben die Parteien namentlich das Recht, an Verfahrenshandlungen teilzunehmen (Art. 107 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 147 Abs. 1 StPO). Die Strafbehörden können das rechtliche Gehör einschränken, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Partei ihre Rechte missbraucht (Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO), oder wenn die Einschränkung erforderlich ist für die Sicherheit von Personen bzw. zur Wahrung öffentlicher oder privater Geheimhaltungsinteressen (Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO). Einschränkungen gegenüberRechtsbeiständen sind nur zulässig, wenn der Rechtsbeistand selbst Anlass für die Beschränkung gibt (Art. 108 Abs. 2 StPO). Zulässige Einschränkungen sind zu befristen oder auf einzelne Verfahrenshandlungen zu begrenzen (Art. 108 Abs. 3 StPO). Ein vorübergehender Ausschluss von Einvernahmeverhandlungen ist ausserdem zulässig, wenn bei der fraglichen Person eine Interessenkollision besteht oder diese Person im Verfahren noch als Gewährsperson (Zeugin, Zeuge, Auskunftsperson oder sachverständige Person) einzuvernehmen ist (Art. 146 Abs. 4 lit. a und b StPO). Falls Verfahrensbeteiligte (oder deren Angehörige) stark gefährdet erscheinen, kann im Übrigen (als prozessuale Schutzmassnahme) die Einvernahme der verfahrensbeteiligten Person unter Ausschluss der Parteien angeordnet werden (Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO). Diese Beschränkungsmöglichkeiten des rechtlichen Gehörs gelten grundsätzlich für das gesamte Untersuchungsverfahren. |
5.5.4.1 Bei der Auslegung der StPO ist eine Kohärenz zwischen den inhaltlich konnexen Bestimmungen betreffend Akteneinsicht und Teilnahme an Beweiserhebungen anzustreben. Soweit der Wortlaut von Art. 147 Abs. 1 StPO den aufgezeigten Zielkonflikten (zwischen der strafprozessualen Wahrheitsfindung einerseits und den Parteirechten bzw. der prozessualen Gleichbehandlung von Mitbeschuldigten anderseits) keine Rechnung trägt (vgl. oben, E. 5.4), hat eine sachgerechte wertungskohärente Lückenfüllung (bzw. teleologische Reduktion) der Norm zu erfolgen. Danach kann die Staatsanwaltschaft - ähnlich wie bei der Akteneinsicht nach Art. 101 Abs. 1 StPO - im Einzelfall prüfen, ob sachliche Gründe für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen. Solche Gründe liegen insbesondere vor, wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben ist. Falls die Befragung des Mitbeschuldigten sich auf untersuchte Sachverhalte bezieht, welche den (noch nicht einvernommenen) Beschuldigten persönlich betreffen und zu denen ihm noch kein Vorhalt gemacht werden konnte, darf der Beschuldigte von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Die blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des Verfahrensinteresses" durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten rechtfertigt hingegen noch keinen Ausschluss von den Einvernahmen (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 1164; YASMINA BENDANI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 108 StPO; CHRISTEN, Vorladung, a.a.O., S. 149 Fn. 790; GODENZI, a.a.O., ZStrR 129/2011 S. 347 f.; VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 4 f. zuArt. 108 StPO; MEIER, a.a.O., S. 22; SCHLEIMINGER, a.a.O., N. 14 zu Art. 147 StPO; VEST/HORBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 5 zu Art. 108 StPO; Urteil AppGer/BS Nr. BE.2011.87 vom 19. Januar 2012 E. 6.1). In den meisten Kantonen entsprach dies auch schon (vor Inkrafttreten von Art. 147 StPO) der grundsätzlichen Rechtslage nach altem Recht (vgl. dazu HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 76 N. 18). |
5.5.4.2 Wie es sich damit verhält, braucht hier, wie schon erwähnt, nicht weiter vertieft zu werden. Keine Beschränkungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO rechtfertigen sich jedenfalls für Beschuldigte, welche bereits einschlägig einvernommen worden sind.
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5.5.5 Im Ergebnis ist der Vorinstanz darin zuzustimmen, dass sich im vorliegenden Fall aus einer Auslegung von Art. 147 Abs. 1 i.V.m. Art. 101 Abs. 1 Satz 1 StPO kein Ausschluss der Parteiöffentlichkeit begründen lässt. Der angefochtene Entscheid erweist sich insofern als bundesrechtskonform. |
5.5.7 Die Möglichkeit, dass bereits befragte Beschuldigte später ihr prozesstaktisches Verhalten den Aussagen von Mitbeschuldigten anpassen könnten, wurde vom Gesetzgeber grundsätzlich in Kauf genommen, indem er den Parteien ein Teilnahmerecht bei sämtlichen Beweiserhebungen einräumte (Art. 147 Abs. 1 StPO) und die Gesichtspunkte von Art. 101 Abs. 1 StPO hier nicht anwendbar sind. Insoweit hat der Gesetzgeber die Weichen zugunsten einer grosszügigen Handhabung der Parteiöffentlichkeit gestellt (vgl. oben, E. 5.2 und 5.3). Die blosse Möglichkeit einer abstrakten "Gefährdung des Verfahrensinteresses" rechtfertigt - nach erfolgten ersten Einvernahmen - noch keinen Ausschluss (vgl. dazu die Literaturhinweise oben, E. 5.5.4.1). Analoges gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes auch für den Haftgrund der Kollusionsgefahr (vgl. MARC FORSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 6 f. zu Art. 221 StPO; MARKUS HUG, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 21 zu Art. 221 StPO). Anders zu entscheiden hiesse, dass praktisch in allen untersuchten Fällen von kollektiver Kriminalität von Vornherein immer ein Haftgrund gegen alle Mitbeschuldigten bestünde. |
5.5.10 Im vorliegenden Fall macht die Generalstaatsanwaltschaft (mit Recht) nicht geltend, dass Einschränkungen gestützt auf Art. 108 Abs. 1 lit. b StPO (oder Art. 146 Abs. 4 bzw. Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO) zulässig wären. Sie stellt sich jedoch auf den Standpunkt, es bestehe (im Sinne von Art. 108 Abs. 1 lit. a StPO) der begründete Verdacht, dass der Beschuldigte seine Rechte missbraucht. Auch der Offizialverteidiger gebe Anlass zu einem Ausschluss von den Einvernahmen. Die Untersuchungshaft des Beschuldigten sei unter anderem wegen Kollusionsgefahr angeordnet worden. Laut Haftantrag vom 20. Dezember 2011 müsse verhindert werden, dass die Beschuldigten ihre Aussagen untereinander absprechen, mögliche Mittäter warnen bzw. Deliktsgut, Einbruchswerkzeug oder Spuren verschwinden lassen. Rechtsmissbrauchsgefahr bestehe (nach den Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft im kantonalen Beschwerdeverfahren) auch beim Offizialverteidiger, da dieser einseitig für seinen Mandanten tätig sei und seinerseits kolludieren könnte. |