Urteilskopf
146 IV 59
6. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_389/2019 vom 28. Oktober 2019
Regeste
Art. 97 Abs. 3 StGB,
Art. 366 ff. StPO; Verfolgungsverjährung bei Aufhebung eines Abwesenheitsurteils.
Ein Abwesenheitsurteil im Sinne von Art. 366 ff. StPO gilt nur unter der resolutiven Bedingung, dass zu einem späteren Zeitpunkt kein Gesuch um neue Beurteilung eingereicht und das Abwesenheitsurteil durch ein neues Urteil ersetzt wird, als erstinstanzliches Urteil gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB. Ergeht in Gutheissung des Gesuchs um Neubeurteilung ein neues Urteil, fällt das Abwesenheitsurteil dahin. Die zwischen den beiden Urteilen verstrichene Zeit muss bei der Verfolgungsverjährung angerechnet werden (E. 3.4).
A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau erhob am 25. Oktober 2007 Anklage gegen A. wegen verschiedener Vermögens- und Urkundendelikte sowie Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz. A. hatte im Herbst 2006 ihren Wohnsitz nach Kanada verlegt.
B.a Das Bezirksgericht Münchwilen erklärte A. am 21. Februar 2008 im Abwesenheitsverfahren des mehrfachen gewerbsmässigen Betruges, der mehrfachen Veruntreuung, des Pfändungsbetruges, der Misswirtschaft, der Unterlassung der Buchführung, der Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte, der mehrfachen Fälschung von Ausweisen sowie der Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten und einer Busse von Fr. 240.-, bei schuldhafter Nichtbezahlung umwandelbar in eine Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen. Ferner entschied es über die Einziehung der beschlagnahmten Vermögenswerte und verpflichtete A. zur Zahlung von Schadenersatz an die Geschädigten. Von der Anklage der mehrfachen Urkundenfälschung und der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln in einem Punkt sprach es sie frei.
B.b Am 10. Januar 2013 wurde das Urteil des Bezirksgerichts Münchwilen der Beurteilten persönlich übergeben. Diese stellte am gleichen Tag ein Gesuch um Neubeurteilung, welchem das Bezirksgericht Münchwilen mit Beschluss vom 2. Mai 2013 stattgab. Der neu angesetzten Hauptverhandlung vom 14. November 2013 blieb A. fern. An der abermals neu angesetzten Hauptverhandlung, an welcher A. wiederum nicht teilnahm, bestätigte das Bezirksgericht Münchwilen am 6. Februar 2014 das Urteil vom 21. Februar 2008. Eine gegen diesen Entscheid geführte Beschwerde hiess das Obergericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 11./23. September 2014 gut und wies die Sache zur neuen Entscheidung an das Bezirksgericht zurück.
B.c Mit Urteil vom 20. März 2018 erklärte das Bezirksgericht Münchwilen A. erneut des mehrfachen gewerbsmässigen Betruges, der mehrfachen Veruntreuung und weiterer Vermögensdelikte sowie der mehrfachen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten. In einzelnen Anklagepunkten sprach es sie frei, in einem Punkt stellte es das Verfahren zufolge Verjährung ein. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zugunsten einer ambulanten psychotherapeutischen
BGE 146 IV 59 S. 61
Massnahme auf. Ferner entschied es über die Einziehung der beschlagnahmten Vermögenswerte und die geltend gemachten Zivilforderungen.
B.d Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess eine von A. gegen dieses Urteil erhobene Berufung am 23. Januar 2019 teilweise gut und verurteilte sie wegen mehrfacher Veruntreuung, Pfändungsbetruges, Misswirtschaft, Unterlassung der Buchführung, Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte, mehrfacher Fälschung von Ausweisen sowie wegen mehrfacher einfacher Verkehrsregelverletzungen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten. Von der Anklage des mehrfachen teilweise gewerbsmässigen Betruges, der Urkundenfälschung und des Missbrauchs von Ausweisen und Kontrollschildern sprach es sie frei. In einem Punkt stellte es das Verfahren zufolge Verjährung ein. In Bezug auf die Anordnung einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung und den Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe bestätige es den erstinstanzlichen Entscheid. Schliesslich verurteilte es A. zur Zahlung von Schadenersatz an zwei Privatkläger als Solidargläubiger; im Übrigen verwies es die Schadenersatzforderungen auf den Zivilweg.
C. A. führt Beschwerde in Strafsachen, mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das Verfahren in Bezug auf die Anklagepunkte 1 bis 3, 12 sowie auf den Anklagepunkt 5, soweit Handlungen vor dem 20. März 2003 umschrieben würden, zufolge Verjährung einzustellen. Ferner sei sie in den Anklagepunkten 5, soweit Handlungen nach dem 20. März 2003 betreffend, und 7 von Schuld und Strafe freizusprechen. Im Anklagepunkt 4 sei sie der Unterlassung der Buchführung und der Misswirtschaft schuldig zu erklären und angemessen zu bestrafen. Der beschlagnahmte Betrag von CHF 3'488.15 sei freizugeben; der beschlagnahmte Betrag von CHF 21'353.45 sei der Konkursmasse B. AG zu überweisen. Die Zivilforderungen seien auf den Zivilweg zu verweisen.
Subeventualiter beantragt A., sie sei in den Anklagepunkten 1 bis 4 des Pfändungsbetruges, der mehrfachen Fälschung von Ausweisen, der Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte der Unterlassung der Buchführung und der Misswirtschaft sowie der mehrfachen Verkehrsregelverletzung, mit Ausnahme derjenigen vom 10. Dezember 2004 schuldig, von den übrigen Anklagepunkten aber freizusprechen. Sie sei zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu
BGE 146 IV 59 S. 62
CHF 30.-, mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von 3 Jahren, sowie zu einer Busse von CHF 300.- zu verurteilen. Im Weiteren sei ihr die Weisung zu erteilen, eine Psychotherapie zu absolvieren; eventualiter sei eine Massnahme gemäss
Art. 63 StGB auszusprechen und die Strafe zugunsten der Massnahme aufzuschieben. Schliesslich ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragen in ihren Vernehmlassungen die Abweisung der Beschwerde. A. hat auf Stellungnahme hierzu stillschweigend verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 23. Januar 2019 auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
3.1 Die Beschwerdeführerin macht in Bezug auf die Verjährung geltend, die ihr in den Anklagepunkten 1-3, 5 und 12 vorgeworfenen strafbaren Handlungen seien im Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils vom 20. März 2018 verjährt gewesen. Die Vorinstanz sei zu Unrecht zum Schluss gelangt, die Verjährung habe ab dem Datum des Abwesenheitsurteils vom 21. Februar 2008 geruht. Diese sogenannte Ruhetheorie stehe im Widerspruch zum Zweck des Instituts der Verjährung. Folge man dieser Auffassung, hätte im vorliegenden Fall über einen Zeitraum von zehn Jahren die Strafverfolgung geruht. Die Taten aus dem Jahr 2001 könnten demzufolge immer noch beurteilt werden, obwohl das Strafbedürfnis sich mit dem Zeitablauf erheblich vermindert habe und sich erhebliche Beweisprobleme stellten. Im Übrigen habe nicht sie es zu vertreten, dass die erstinstanzliche Hauptverhandlung erst fünf Jahre nach Aushändigung des Abwesenheitsurteils habe durchgeführt werden können. Im Weiteren macht die Beschwerdeführerin geltend, die Vorinstanz fasse das Abwesenheitsurteil zu Unrecht verjährungsrechtlich als erstinstanzliches Urteil auf. Damit verkenne sie, dass das Abwesenheitsurteil nach Gutheissung des Gesuchs um Neubeurteilung mit der Fällung eines neuen erstinstanzlichen Urteils dahinfalle. Es müsse verjährungsrechtlich insofern gleich behandelt werden wie der Strafbefehl. Im zu beurteilenden Fall könne mithin erst das Urteil des Bezirksgerichts Münchwilen vom 20. März 2018 als erstinstanzliches Urteil gelten.
3.2 Die Vorinstanz nimmt an, nach dem seit dem 1. Oktober 2002 geltenden Verjährungsrecht könnten Straftaten nach Fällung des erstinstanzlichen Urteils nicht mehr verjähren. Als erstinstanzliches Urteil gelte auch ein im Abwesenheitsverfahren ergangenes Urteil. Bei den Straftaten, welche die Beschwerdeführerin nach dem 1. Oktober 2002 begangen habe, könne die Verfolgungsverjährung daher nicht mehr eintreten. Die Auffassung, welche auch unter der Geltung des neuen Rechts die zwischen dem Abwesenheitsurteil und dem neuen Entscheid verstrichene Zeit an die Verfolgungsverjährung anrechnen wolle, sei daher abzulehnen. Dass Abwesenheitsurteile dadurch unter Umständen sehr lange Wirkung erzielten und die Verjährungsfristen stark ausgedehnt würden, sei in Kauf zu nehmen. Für die Delikte, welche vor Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts verübt worden seien, sei gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung anzunehmen, dass die Verjährungsfrist mit dem Abwesenheitsurteil vom 21. Februar 2008 bis zur Aufhebung dieses Entscheids durch das Urteil des Bezirksgerichts Münchwilen vom 20. März 2018 geruht habe. Wollte man die seit dem Abwesenheitsurteil verstrichene Zeit an die Verjährungsfrist anrechnen, würde dies dazu führen, dass sich eine Flucht lohne. Es wäre auch stossend, wenn der Täter durch rechtsmissbräuchliches Verhalten das Verfahren verzögern könnte und es in der Hand hätte, die Verjährung eintreten zu lassen. Damit seien die in den Ziffern 1-3, vor dem 20. März 2003 begangenen, und die in den Ziffern 11 und 12 der Anklageschrift angeklagten Straftaten nicht verjährt.
3.3 Die Verfolgungsverjährung richtet sich grundsätzlich nach dem zur Zeit der inkriminierten Taten geltenden Recht. Soweit die der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Taten in die Zeit vor Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Oktober 2002 fallen, ist das alte Recht (in der bis zum 30. September 2002 geltenden Fassung) anwendbar, soweit sich das neue Recht nicht als milder erweist (
Art. 2 Abs. 2 StGB). Nach aArt. 72 Ziff. 2 StGB (in der Fassung vom 5. Oktober 1950, in Kraft bis 30. September 2002; AS 1951 1 ff., 7) wurde die Verjährung durch jede Untersuchungshandlung einer Strafverfolgungsbehörde oder Verfügung des Gerichts gegenüber dem Täter und ferner durch jede Ergreifung von Rechtsmitteln gegen einen Entscheid unterbrochen und begann die Verjährungsfrist mit jeder Unterbrechung neu zu laufen. Die Verfolgungsverjährung trat jedoch in jedem Fall ein, wenn die ordentliche Verjährungsfrist
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um die Hälfte, bei Ehrverletzungen und bei Übertretungen um ihre ganze Dauer überschritten war.
Nach dem für die nach dem 1. Oktober 2002 begangenen Straftaten relevanten neuen Verjährungsrecht tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (
Art. 97 Abs. 3 StGB [in der Fassung vom 21. Juni 2013, in Kraft seit. 1. Januar 2014]; vgl. auch aArt. 70 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 5. Okt. 2001, in Kraft vom 1. Okt. 2002 bis 31. Dezember 2006; aArt. 97 Abs. 1 lit. c StGB in der Fassung vom 13. Dezember 2002, in Kraft vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2012). Voraussetzung ist allerdings, dass das Urteil überhaupt je eröffnet wird. Nach der Rechtsprechung wäre von dieser Regel abzuweichen, wenn zwischen der Fällung und Eröffnung ein so grosser Zeitraum läge, dass er mit Blick auf die Dauer der massgeblichen Verjährungsfrist nicht ausser Acht gelassen werden könnte (
BGE 130 IV 101 E. 2.3).
3.4 Im zu beurteilenden Fall stellt sich die Frage, ob in Bezug auf die der Beschwerdeführerin in den Anklagepunkten 1-3, 5 und 12 vorgeworfenen strafbaren Handlungen die seit dem Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Münchwilen vom 21. Februar 2008 bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens verstrichene Zeit an die Verfolgungsverjährung anzurechnen ist. Ferner ist zu prüfen, ob das Abwesenheitsurteil als erstinstanzliches Urteil im Sinne des neuen Verjährungsrechts zu würdigen ist.
3.4.1 Die Frage betrifft folgende der Beschwerdeführerin vorgeworfene Straftaten: den durch Verheimlichung einer Liegenschaft anlässlich des Pfändungsvollzuges vom Januar 2002 begangenen Pfändungsbetrug im Sinne von
Art. 163 StGB (Anklagepunkt 1); den Gebrauch einer gefälschten Lizentiatsurkunde der Universität Zürich vom September/Oktober 2002 gemäss
Art. 252 StGB (Anklagepunkt 2); die Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte im Sinne von
Art. 169 StGB durch nicht ordnungsgemässe Deklarierung des Lohnes bis Februar 2004 beim Betreibungsamt (Anklagepunkt 3); die Veruntreuung von anvertrauten Geldern im Zeitraum bis 30. Juni 2003 gemäss
Art. 138 StGB (Anklagepunkt 5) und die Geschwindigkeitsübertretungen im Zeitraum vom 15. April 2005 bis 27. Juni 2006 gemäss
Art. 90 Abs. 1 SVG (Anklagepunkt 12).
3.4.2 Das Bundesgericht hat sich in einem früheren, vor Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung ergangenen Entscheid mit der Frage zu befassen gehabt, wie es sich mit dem Fristenlauf
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der Verfolgungsverjährung verhält, wenn ein Kontumazialurteil auf Verlangen des Angeschuldigten nach seiner Rechtskraft aufgehoben und nachträglich ein Verfahren in seiner Anwesenheit durchgeführt wird. Das Bundesgericht ist nach Auseinandersetzung mit den verschiedenen in der Literatur vertretenen divergierenden Lehrmeinungen zum Schluss gelangt, gestützt auf die neue Regelung des Verjährungsrechts, welche ausschliessen wolle, dass die Täterschaft durch rechtsmissbräuchliches Verhalten den Eintritt der Verjährung herbeiführen könne, erscheine die Auffassung, wonach die Frist der Verfolgungsverjährung während der Gültigkeitsdauer eines Abwesenheitsurteils ruhe, als sachgerecht (Urteil 6B_82/2009 vom 14. Juli 2009 E. 4.3.6). Bei dieser Betrachtungsweise ruht die Verfolgungsverjährung mit Eintritt der Rechtskraft des Abwesenheitsurteils und beginnt mit dessen Aufhebung wieder zu laufen (sog. Ruhetheorie). Das Bundesgericht hat damit dem Gedanken, dass der in Abwesenheit verurteilte Täter aus einer Flucht keinen Nutzen soll ziehen können (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Strafgesetzbuches, BBl 1999 II 2134; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 91 Rz. 29; TRECHSEL/CAPUS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 9 Vor
Art. 97 StGB [vgl. auch STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, N. 7 Vor
Art. 70 StGB]), stärkeres Gewicht beigemessen als den gegenüber dem Umstand geäusserten Bedenken, dass die Ruhetheorie gegebenenfalls zu einer extremen Verlängerung der Verjährungsfristen führt (vgl. FRANZ RIKLIN, Zur Frage der Verjährung im Abwesenheitsverfahren, ZStrR 113/1995 S. 166 f.; CHRISTIAN DENYS, Prescription de l'action pénale, les nouveaux art. 70, 71, 109 et 333 al. 5 CP, SJ 2003 II S. 58 f.; PETER MÜLLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 67 vor
Art. 97 StGB).
3.4.3 Dem genannten Entscheid lag ein unter der Geltung des früheren Verjährungsrechts ergangenes Kontumazialurteil vom 13. Februar 1998 zugrunde. Das neue, am 1. Oktober 2002 in Kraft getretene Recht hat das Institut des Ruhens der Verjährung (aArt. 72 StGB) nunmehr aufgegeben. Insofern hat das Bundesgericht zu Recht angenommen, die Frage des Fristenlaufs der Verfolgungsverjährung bei Abwesenheitsurteilen sei nach neuem Recht nicht mehr von Bedeutung, da ein Ruhen des Laufs der Verjährung im Gesetz nicht mehr vorgesehen sei (Urteil 6B_82/2009 vom 14. Juli 2009
BGE 146 IV 59 S. 66
E. 4.3.1). Die Frage, in welchem Zeitpunkt die Verfolgungsverjährung eintritt, entscheidet sich somit danach, ob das Abwesenheitsurteil auch im Falle einer Neubeurteilung verjährungsrechtlich als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB (aArt. 70 StGB) zu verstehen ist.
3.4.4 Nach den strafprozessualen Bestimmungen über das Verfahren bei Abwesenheit der beschuldigten Person kann das Gericht, wenn eine ordnungsgemäss vorgeladene beschuldigte Person der erstinstanzlichen Hauptverhandlung fernbleibt und diese auch nicht an der neu angesetzten Verhandlung erscheint, die Hauptverhandlung in ihrer Abwesenheit durchführen, soweit sie im bisherigen Verfahren ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu den ihr vorgeworfenen Straftaten zu äussern und die Beweislage ein Urteil ohne ihre Anwesenheit zulässt (Art. 336 Abs. 4,
Art. 366 Abs. 1, 2 und 4 StPO). Gemäss
Art. 368 Abs. 1 StPO kann die verurteilte Person, wenn ihr das Abwesenheitsurteil persönlich zugestellt werden kann, innert 10 Tagen beim Gericht, welches das Urteil gefällt hat, schriftlich oder mündlich eine neue Beurteilung verlangen. Gemäss Abs. 3 derselben Bestimmung lehnt das Gericht das Gesuch ab, wenn die verurteilte Person ordnungsgemäss vorgeladen worden, aber der Hauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben ist (vgl. hierzu SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 5 f. zu
Art. 368 StPO; THOMAS MAURER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 14 zu
Art. 368 StPO). Sind die Voraussetzungen für eine neue Beurteilung voraussichtlich erfüllt, so setzt die Verfahrensleitung gemäss
Art. 369 Abs. 1 StPO eine neue Hauptverhandlung an, an welcher das Gericht über das Gesuch um neue Beurteilung entscheidet und gegebenenfalls ein neues Urteil fällt. Mit der Rechtskraft des neuen Urteils fallen das Abwesenheitsurteil, die dagegen ergriffenen Rechtsmittel und die im Rechtsmittelverfahren bereits ergangenen Entscheide dahin (
Art. 370 Abs. 2 StPO). Das Abwesenheitsurteil bleibt bei bewilligtem Neubeurteilungsverfahren nur dann bestehen, wenn die verurteilte Person der Hauptverhandlung erneut unentschuldigt fernbleibt (
Art. 369 Abs. 4 StPO).
3.4.5 Gestützt auf diese Regelung kann ein Abwesenheitsurteil im Sinne von
Art. 366 ff. StPO nur unter der resolutiven Bedingung, dass zu einem späteren Zeitpunkt kein Gesuch um neue Beurteilung eingereicht und das Abwesenheitsurteil durch ein neues Urteil
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ersetzt wird, als erstinstanzliches Urteil gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB verstanden werden (MATTHIAS ZURBRÜGG, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2019, N. 63 zu
Art. 97 StGB; DENYS, a.a.O., S. 58). Soweit mithin das Gesuch um Neubeurteilung gutgeheissen und ein neues Urteil gefällt wird, fällt das Abwesenheitsurteil dahin und gilt verjährungsrechtlich nicht mehr als erstinstanzliches Urteil. Wenn das frühere Abwesenheitsurteil dahinfällt, das Verfahren sich mithin so darstellt, als wäre jenes nie ergangen, muss die zwischen den beiden Urteilen verstrichene Zeit bei der Verfolgungsverjährung berücksichtigt werden. In der Lehre wird denn auch darauf hingewiesen, dass die Verfolgungsverjährung bei neu aufgenommenen Verfahren wieder zu laufen beginnt (SCHMID/JOSITSCH, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2017, Rz. 1407; anders MAURER, a.a.O., N. 4 zu
Art. 370 StPO [Berücksichtigung bei der Vollstreckungsverjährung]). Das Abwesenheitsurteil ist nur dann ein erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB (aArt. 70 Abs. 3 StGB), wenn es in Rechtskraft erwachsen ist (GILBERT KOLLY, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 64 f. zu
Art. 97 StGB; RIEDO/KUNZ, Jetlag oder Grundprobleme des neuen Verjährungsrechts, AJP 2004 S. 907; vgl. auch Botschaft, a.a.O., S. 2134 [e contrario]). Es verhält sich insofern gleich wie beim Strafbefehl, der nach der Rechtsprechung, soweit gegen ihn Einsprache erhoben wird, nicht als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB gilt (
BGE 142 IV 11 E. 1.2.2; vgl. auch RIEDO/KUNZ, a.a.O.). Die gegen die unter der Geltung des früheren Verjährungsrechts in der Lehre vertretene Anrechnungstheorie vorgebrachten Bedenken, wonach die verurteilte Person die Verjährung rechtsmissbräuchlich - etwa durch Flucht - herbeiführen könnte und dass sich ein derartiges Verhalten nicht auszahlen dürfe, ist unter der Geltung der Schweizerischen Strafprozessordnung nicht mehr begründet, zumal das Gericht gemäss
Art. 368 Abs. 3 StPO das Gesuch um Neubeurteilung nur gutheisst, wenn die ordnungsgemäss vorgeladene verurteilte Person der Hauptverhandlung nicht unentschuldigt ferngeblieben ist.
3.4.6 Im zu beurteilenden Fall ist das Abwesenheitsurteil vom 21. Februar 2008 durch das Urteil des Bezirksgerichts Münchwilen am 20. März 2018 ersetzt worden. Jenes kann daher entgegen der Auffassung der Vorinstanz verjährungsrechtlich nicht als erstinstanzliches Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB angesehen werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Verfolgungsverjährung
BGE 146 IV 59 S. 68
weiter gelaufen ist, wie wenn das Abwesenheitsurteil nie bestanden hätte. Daraus folgt, dass die von der Beschwerdeführerin genannten, nach Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts begangenen Straftaten im Zeitpunkt des neuen erstinstanzlichen Urteils verjährt waren.
Bei diesem Ergebnis erweist sich das neue Recht für die Beschwerdeführerin in Bezug auf die vor dem 1. Oktober 2002 begangenen Straftaten (Anklagepunkte 1 und 2) als milder (
Art. 2 Abs. 2 StGB;
Art. 389 Abs. 1 StGB; aArt. 337 StGB [in Kraft bis zum 31. Dezember 2006];
BGE 129 IV 49 E. 5.1;
BGE 130 IV 101 E. 1), so dass auch in Bezug auf diese Straftaten von der Verjährung auszugehen ist.