Urteilskopf
146 IV 297
32. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis (Beschwerde in Strafsachen)
6B_1162/2019 vom 30. Juni 2020
Regeste
Art. 5 Abs. 3 BV; Art. 116 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 AIG;
Art. 17 StGB; Förderung der rechtswidrigen Einreise; Notstandshilfe; Dublin-Verfahren.
Die Beschwerde ist gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet des Asyls unzulässig. Das Bundesgericht tritt auf diesbezügliche Rügen nicht ein (E. 1.3).
Der rechtfertigende wie der entschuldbare Notstand setzen voraus, dass die Gefahr nicht anders abwendbar war. Auch die Notstandshilfe steht deshalb unter der Voraussetzung der absoluten Subsidiarität. Entsprechendes gilt für den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen (E. 2.2.1).
Der Asyl-Antragsteller befand sich im nach dem Dublin-Verfahren zuständigen Mitgliedstaat Italien (E. 1.3) in einer schwierigen, aber nicht ausweglosen und auch nicht in einer aussergewöhnlichen Situation im Sinne von Art. 3 EMRK (E. 2.2.3). Ein Notstand lässt sich nicht bejahen. Das tatbestandsmässige Handeln erweist sich als rechtswidrig (E. 2.2.9).
Im Strafpunkt war keine doppelte Privilegierung (Art. 116 Abs. 2 AIG kumuliert mit Art. 52 StGB) vorzunehmen (E. 2.3).
A.a B. (nachfolgend: Flüchtling; Jahrgang 1993) stammt aus Afghanistan. Er ersuchte am 10. Oktober 2016 in Bulgarien, am 13. April 2017 in Italien und am 27. April 2017 in der Schweiz um Asyl. Im schweizerischen Asylverfahren wurde er durch die Beratungsstelle für Asylsuchende der Region Basel vertreten. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) trat am 22. Juni 2017 im Dublin-Verfahren in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 lit. b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) auf das Asylgesuch nicht ein und ordnete die Wegweisung nach Italien an. Die Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
A.b Der Flüchtling wurde ab dem 7. Juli 2017 wegen schwerer posttraumatischer Belastungsstörungen sowie einer depressiven Störung teils stationär und teils ambulant psychiatrisch behandelt. Er kehrte nach einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie am 28. November 2017 nicht in die ihm zugewiesene Unterkunft in U. zurück. Er und sein Anwalt orientierten die Behörden vom 28. November 2017 bis 19. Dezember 2017 nicht über seinen Aufenthaltsort. Die mit dem Ablauf der Ausreisefrist für den 21. Dezember 2017 geplante Überstellung nach Italien, die den italienischen Behörden am 14. Dezember 2017 mitgeteilt worden war, konnte nicht vollzogen werden,
BGE 146 IV 297 S. 299
da der Flüchtling "flüchtig" war. Das SEM ersuchte die italienischen Behörden mit Schreiben vom 20. Dezember 2017 gestützt auf Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung um Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate.
A.c Dem Austrittsbericht der dritten Hospitalisation vom 12. Januar 2018 ist u.a. zu entnehmen, der klinikbekannte Flüchtling habe sich am 19. Dezember 2017 notfallmässig und freiwillig zur Krisenintervention bei depressiver Symptomatik mit Suizidalität gemeldet. Er wolle die drohende Ausschaffung nach Italien auf keinen Fall akzeptieren. Mit der Medikation sei es zu deutlichen Befindlichkeitsbesserungen gekommen. Bei glaubhafter Distanzierung von suizidalen Gedanken und Absichten habe er am 8. Januar 2018 wunschgemäss und einvernehmlich in die Obhut seiner Verwandten austreten können.
A.d Der Flüchtling liess mit Eingabe vom 19. Januar 2018 ein Gesuch um Wiedererwägung des Nichteintretensentscheids des SEM vom 22. Juni 2017 stellen und begründete dies insbesondere mit seinem Gesundheitszustand und dass er nicht "flüchtig" gewesen sei. Das SEM wies das Gesuch mit Verfügung vom 30. Januar 2018 ab, erklärte die Verfügung vom 22. Juni 2017 für rechtskräftig und vollstreckbar und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu.
A.e Das Amt für Migration des Kantons Basel-Landschaft verhaftete den Flüchtling am 22. Januar 2018 in Basel. Er wurde am 21. Februar 2018 nach Italien überstellt. Er hielt sich am 24. Februar 2018 nach eigenen Aussagen am Bahnhof in Domodossola (Italien) auf, wo ihn A. abholte und über Gondo in die Schweiz zurückführen wollte.
A.f Der Flüchtling liess mit Beschwerde vom 28. Februar 2018 die Verfügung des SEM vom 30. Januar 2018 beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) anfechten. Das BVGer wies die Beschwerde mit Urteil D-1240/2018 vom 9. März 2018 ab.
B. Das Grenzwachtkorps erstattete am 28. Februar 2018 Strafanzeige gegen A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Amt der Region Oberwallis, bestrafte A. mit Strafbefehl vom 23. März 2018 wegen Widerhandlung gegen das Ausländergesetz mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 50.-, bedingt aufgeschoben mit zwei Jahren Probezeit, und einer Busse von Fr. 300.-. A. erhob Einsprache.
Nach der Anklageschrift vom 6. Juni 2018 war A. am 24. Februar 2018, um 15.15 Uhr, als Beifahrerin im vom Schwager des
BGE 146 IV 297 S. 300
Flüchtlings gelenkten Personenwagen von Italien kommend über den Grenzübergang Gondo in die Schweiz eingereist. Die Zollkontrolle stellte fest, dass der mitfahrende Flüchtling keine für die Schweiz gültigen Reisedokumente oder Visa vorweisen konnte. Die Staatsanwaltschaft warf A. in der Folge vor, sie habe dem Flüchtling zur Einreise in die Schweiz verhelfen wollen und habe mithin dessen rechtswidrige Einreise gefördert.
C. Das Bezirksgericht Brig verurteilte A. am 7. Dezember 2018 wegen Widerhandlung gegen das Ausländergesetz durch Förderung der rechtswidrigen Einreise in einem leichten Fall gemäss Art. 116 Abs. 2 AuG zu einer Busse von Fr. 800.-. Es sprach für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse eine Ersatzfreiheitsstrafe von fünf Tagen aus und auferlegte ihr die Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 1'400.-.
Das Kantonsgericht Wallis bestätigte am 21. August 2019 das bezirksgerichtliche Urteil im Schuld-, Straf- und Kostenpunkt. Die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegte es zu drei Vierteln A. (Fr. 750.-) und zu einem Viertel dem Fiskus (Fr. 250.-).
D. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben, sie kostenlos von Schuld und Strafe freizusprechen, die Angelegenheit zur Neuregelung der Kostenfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kostenfolgen zulasten des Kantons.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
1.1 Die Beschwerdeführerin rügt Verletzungen von
Art. 3 und 6 EMRK, von Treu und Glauben (
Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV), des Gehörs- und Beweisführungsrechts und macht willkürliche Beweiswürdigung sowie die Verletzung von Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.2; seit 1. Januar 2019 AlG; im Folgenden: AlG) sowie Art. 17 f. und 52 StGB geltend.
1.2 In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (
Art. 42 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, vor welcher die Tatsachen erneut frei diskutiert werden könnten ("pourraient être rediscutés librement"). Es ist nicht gehalten, wie eine Erstinstanz alle sich stellenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn sie nicht
BGE 146 IV 297 S. 301
gerügt sind, es sei denn die Rechtsverletzung liege geradezu auf der Hand (
BGE 142 I 99 E. 1.7.1 S. 106; Urteil 6B_86/2020 vom 31. März 2020 E. 1.1 und 2). Die beschwerdeführende Partei hat mit ihrer Kritik bei der als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägung der Vorinstanz anzusetzen (
BGE 140 III 115 E. 2 S. 116). Wird eine Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet, obliegt der Partei eine qualifizierte Begründungspflicht (
Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 143 IV 500 E. 1.1 S. 503;
BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f.).
Zu den durchgehenden Willkürvorwürfen ist festzustellen, dass sich die Beschwerdeführerin mit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung nicht den bundesrechtlichen Begründungsanforderungen entsprechend auseinandersetzt, sondern frei plädiert, sodass insoweit auf diese Vorbringen nicht einzutreten ist. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ebenso wenig ersichtlich.
1.3 Die Beschwerdeführerin trägt in einem umfassenden Plädoyer ihren Standpunkt gestützt auf ihre Rechtsbeurteilung auf der Grundlage einer eigenen Würdigung der tatsächlichen Umstände vor. Sie sucht, das Dublin-Verfahren mit dem Strafverfahren insgesamt dem Bundesgericht zur Beurteilung vorzulegen. Die Beschwerdeführerin ist nicht legitimiert, behauptete Rechtsverletzungen zum Nachteil des Flüchtlings in eigenem Namen geltend zu machen. Es fehlt ihr dazu u.a. das rechtlich geschützte Interesse gemäss
Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG. Beschwerdegegenstand bildet der vorinstanzliche Endentscheid (
Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG).
Das Dublin-Verfahren ist nicht Beschwerdegegenstand, liegt aber der ganzen Angelegenheit als Tatsache zugrunde. Die Beschwerdeführerin will ihre Handlungsweise notstandsmässig rechtfertigen und sich ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entschlagen, indem sie unter Berufung "auf die übergeordneten Rechtsprinzipien" (unten E. 2.1) ein durchgehend völkerrechtswidriges und willkürliches Rückweisungsverfahren nach Italien behauptet. Es ist klarzustellen:
Massgebend für den Dublin-Prozess ist erstens die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (Dublin-III-Verordnung), ABl L180 vom 29. Juni 2013. Zweitens legt das Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die
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Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung einer in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (Dublin-Assoziierungsabkommen, DAA; SR 0.142. 392.68) die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates fest, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist. Diese Zielsetzung der Dublin-III-Verordnung (Ziff. 40; Art. 1) bezweckt, dass "niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist" (Ziff. 3). Der Asylantrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III zuständig ist (Art. 1). Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen (Art. 3 Abs. 3). Der nach der Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, den Antragsteller aufzunehmen (Art. 18). Der Flüchtling wurde am 21. Februar 2018 gestützt auf einen materiell rechtskräftigen und damit vollstreckbaren Wegweisungsentscheid im Dublin-Verfahren nach Italien überstellt.
Da die Beschwerde gegen Entscheide des BVGer auf dem Gebiet des Asyls unzulässig ist (Art. 83 lit. d Ziff. 1 BGG), tritt das Bundesgericht auf die diesbezüglichen Rügen der Beschwerdeführerin nicht ein.
2. Das Bundesgericht hat eine auf Art. 116 Abs. 1 lit. a AlG gestützte strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin zu beurteilen.
2.1 Gemäss Art. 116 Abs. 1 lit. a AlG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer insbesondere im In- oder Ausland einem Ausländer die rechtswidrige Einreise erleichtert oder vorbereiten hilft; gemäss Abs. 2 dieser Strafnorm kann in leichten Fällen auf Busse erkannt werden. Strafbar sind somit im
In- und Ausland begangene Unterstützungshandlungen. Schlepper werden dagegen gemäss dem qualifizierten Tatbestand von Art. 116 Abs. 3 AlG mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft.
Die Beschwerdeführerin wurde wegen Förderung der rechtswidrigen Einreise gemäss Art. 116 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 AlG im leichten Fall gebüsst, weil sie am 24. Februar 2018, um 15.15 Uhr, in einem Personenwagen von Italien kommend dem Flüchtling, der, wie sie wusste, am 21. Februar 2018 im Dublin-Verfahren in das für die Prüfung seines Asylantrags zuständige Italien rechtmässig überstellt worden war, über Gondo zur Einreise in die Schweiz verhelfen wollte.
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Die Beschwerdeführerin, die seit Jahren Ausschaffungshäftlinge betreut, war sich bewusst, dass sie mit ihrem Handeln gegen das AlG verstossen würde. Sie berief sich vor der Vorinstanz dagegen "auf die übergeordneten Rechtsprinzipien". Die Vorinstanz begründet die Privilegierung der Beschwerdeführerin gemäss Art. 116 Abs. 2 AlG damit, die Beschwerdeführerin setze sich seit Jahren für Flüchtlinge ein, ihre Handlungen seien uneigennützig erfolgt, der Flüchtling habe sich in einer äusserst ungünstigen Situation befunden, sie habe sich spontan zur illegalen Handlung entschieden, sie habe beim Grenzübertritt nicht versucht, die Beamten zu täuschen, und gegenüber den Beamten sofort die Schuld auf sich genommen. Die von der Beschwerdeführerin heute (anders als vor der Vorinstanz) bestrittene Tatbestandsmässigkeit ihres Verhaltens liegt auf der Hand. Die Annahme einer behaupteten Versuchstraftat fällt ausser Betracht (der verwiesene
BGE 119 IV 164 betrifft die nicht mehr aktuelle Rechtsprechung zu Art. 23 Abs. 1 aANAG).
2.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet die Rechtswidrigkeit ihres Handelns unter Hinweis auf die Art. 17 f. StGB und macht die Wahrung berechtigter Interessen geltend.
2.2.1 Sowohl der rechtfertigende wie der entschuldbare Notstand setzen voraus, dass die Gefahr nicht anders abwendbar war. Auch die Notstandshilfe steht deshalb unter der Voraussetzung der absoluten Subsidiarität. Entsprechendes gilt für den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen, der nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nur angerufen werden kann, wenn die Tat ein notwendiges und angemessenes Mittel ist, um ein berechtigtes Ziel zu erreichen, die Tat also insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht (
BGE 134 IV 216 E. 6.1 S. 226; Urteil 6B_368/2017 vom 10. August 2017 E. 3.3). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Notstandsgehilfe bei einer Gesundheitsgefährdung vor Ort medizinische Hilfe organisieren und erhalten kann (Urteil 6B_368/2017 vom 10. August 2017 E. 3.3).
Der geltend gemachte übergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen gehört zu den notstandsähnlichen Rechtfertigungsgründen. Er kommt nur zum Tragen, wenn das geltende Recht den Konflikt nicht bereits abschliessend geregelt hat und wenn die Straftat der einzige Weg zu dessen Lösung darstellt (TRECHSEL/ GETH, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Trechsel/Pieth [Hrsg.], 3. Aufl. 2018, N. 13 zu
Art. 14 StGB). Einer Berufung auf diesen
BGE 146 IV 297 S. 304
übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund fehlt vorliegend jede Basis. In keinem Gesetz genannte Rechtfertigungsgründe dürfen nicht weniger streng gehandhabt werden als
Art. 17 StGB (ANDREAS DONATSCH, in: StGB, JStG, Kommentar, Andreas Donatsch [Hrsg.], 20. Aufl. 2018, N. 6 zu
Art. 14 StGB).
2.2.2 Die Vorinstanz wiederholt einleitend, der Flüchtling sei in der Schweiz stationär in der Psychiatrie behandelt worden, und stellt bezüglich des geltend gemachten Notstands zunächst fest, eine Unterstützung für den Flüchtling durch die italienischsprachigen Behörden nach der Landung in Mailand sei nicht aktenkundig, und führt aus: Er sei ab 2016 über Bulgarien nach Italien und von dort 2017 in die Schweiz eingereist. Nach seiner Ausschaffung nach Mailand sei er imstande gewesen, Geld zu wechseln, Nahrungsmittel und eine Telefonkarte zu kaufen. Er habe in Mailand afghanische Mitbürger um Rat gefragt und ein Zugbillett für die Rückreise in die Schweiz besorgt. Er habe in Domodossola italienische Polizisten um Hilfe gebeten und telefonisch seine Schwester in der Schweiz informiert. Er habe sich in einer sehr schwierigen, aber nicht ausweglosen Situation befunden. Ihm sei von der Schweiz aus geholfen worden, und er habe über Kompetenzen verfügt, selbständig zu agieren. Die Beschwerdeführerin hätte als erfahrene Flüchtlingshelferin am Vorabend oder auf der Autofahrt von Basel nach Domodossola genug Zeit gehabt, das weitere Vorgehen zu überdenken oder am Samstag weiter telefonisch um Rat zu suchen oder sich per Internet über NGOs, soziale Institutionen oder Notschlafstellen bzw. bei der Polizei oder Angestellten des Spitals zu orientieren. Sie habe in Italien über ein Fahrzeug und ein Handy verfügt.
Der Flüchtling habe sich am Samstag, 24. Februar 2018, um 13.00 Uhr, nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befunden. Die Beschwerdeführerin habe ihm Geld gegeben. Er habe warme Kleidung erhalten und selbst über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt. Die Beschwerdeführerin habe ihm ein zusätzliches Mobiltelefon übergeben. Die Kommunikation sei gesichert gewesen. Das SEM und die Schweizerische Flüchtlingshilfe hätten bestätigt, dass die medizinische Notversorgung in Italien auch für illegal Anwesende existiere. Unentgeltliche Hilfe sei mit der STP-Karte (straniero temporaneamente presente) möglich, die in öffentlichen lokalen Gesundheitsinstitutionen oder in einem grossen Krankenhaus beantragt werden könne. Weder die Beschwerdeführerin noch C. hätten den Flüchtling in ein Spital oder zu einem Arzt begleitet. Bei einem Notfall wäre
BGE 146 IV 297 S. 305
eine Behandlung im nahe gelegenen Spital Domodossola oder in Mailand möglich gewesen. Entgegen der Verteidigung wäre auch diese Kommunikation möglich gewesen. Allfällig erforderliche medizinische Atteste hätten auf dem elektronischen Weg angefordert werden können. Er hätte sich am Bahnhof in Domodossola an den Schweizer Grenzschutz oder die italienische Polizei wenden können. Das von C. beschriebene Vorgehen ab dem 25. Februar 2018 beweise, dass dem Flüchtling auch mit legalen Mitteln kurz- oder mittelfristig hätte geholfen werden können. Die Beschwerdeführerin habe vor der Vorinstanz nicht überzeugend beantworten können, wie sie dem Flüchtling mittelfristig nach dessen illegaler Rückkehr geholfen hätte. Ein Notstand liege nicht vor, weil der mobilen Beschwerdeführerin, die nicht in Zeitnot gewesen sei, am 24. Februar 2018 alternative, legale, zumutbare und erkennbare Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten.
2.2.3 Wie die Vorinstanz feststellt, hatte sich der Flüchtling bereits früher in Italien aufgehalten (er hatte dort ein Asylgesuch gestellt), bevor er in die Schweiz einreiste. Nach der Landung in Mailand besprach er sich mit afghanischen Mitbürgern und löste ein Zugbillett für die Rückreise in die Schweiz. Daraus lässt sich zum einen schliessen, dass er sich keineswegs im Wortsinne hilflos "auf die Strasse gestellt" vorfand, wie die Beschwerdeführerin geltend macht, und dass es ihm zum anderen einzig darum ging, sofort in die Schweiz zurückzukehren. Dass er die Ausschaffung auf keinen Fall akzeptieren wollte, stellten bereits die behandelnden Ärzte des klinikbekannten Flüchtlings im Austrittsbericht vom 12. Januar 2018 fest. Der diesbezügliche Willkürvorwurf erweist sich als unbegründet (oben Sachverhalt Bst. A.c). Als erfahrener und beratener Asylbewerber kannte er die diesbezügliche Rechtslage. Wie das BVGer in seiner Analyse des Sachverhalts feststellte, behinderte er in der Schweiz durch sein Untertauchen die Vollzugsbemühungen und vereitelte die geplante Überstellung, so dass ihn das SEM im für die Überstellung massgebenden Zeitraum zu Recht als "flüchtig" im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung erachtet hatte.
Auch wenn ihm die Vorinstanz eine "sehr schwierige Situation" in Italien zugesteht, beurteilt sie diese Situation willkürfrei als nicht ausweglos. Der geltend gemachte zeitliche Notstand erweist sich als konstruiert. Insbesondere fehlt es am Kriterium der absoluten Subsidiarität. Es leuchtet nicht ein, warum der nicht unerfahrene Flüchtling und die erfahrene Flüchtlingsbetreuerin nicht mit Behörden oder
BGE 146 IV 297 S. 306
Gesundheitsinstitutionen Kontakt aufnahmen oder die Schweizer Grenzwache am Bahnhof kontaktierten, sollte die persönliche und gesundheitliche Verfassung des Flüchtlings derart dramatisch gewesen sein, dass sich die Beschwerdeführerin glaubt auf
Art. 3 EMRK berufen zu können (zu den Voraussetzungen Urteil 6B_880/2017 vom 4. Juli 2018 E. 3.4.3 mit Hinweisen). Ein dieser Rechtsnorm zuzuordnender Sachverhalt, insbesondere wegen seiner gesundheitlichen Situation, wurde bereits durch das BVGer in seinem Urteil vom 9. März 2018 auf "wirksamen Rechtsbehelf" (Ziff. 19 und 27 Dublin-III-Verordnung;
Art. 13 EMRK) hin verneint. Unter den Geltungsbereich von
Art. 3 EMRK fallen unter diesem Gesichtspunkt einzig ganz ausserordentliche Fälle ("cas très exceptionnels"; Urteil der Grossen Kammer des EGMR
Paposhvili gegen Belgien vom 13. Dezember 2016, Verfahren 41738/10, referiert im Urteil 6B_2/2019 vom 27. September 2019 E. 6.1, nicht publ. in:
BGE 145 IV 455). Ein aussergewöhnlicher Fall, in dem eine aufenthaltsbeendende Massnahme unter Verbringung einer gesundheitlich angeschlagenen Person in ihren Heimatstaat
Art. 3 EMRK verletzt, liegt vor, wenn für diese im Fall der Rückschiebung die konkrete Gefahr besteht, dass sie, aufgrund fehlender angemessener Behandlungsmöglichkeiten oder fehlenden Zugangs zu Behandlungen, einer ernsthaften, rapiden und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustands ausgesetzt wird, die intensives Leiden oder eine wesentliche Verringerung der Lebenserwartung nach sich zieht (Urteil 6B_1111/2019 vom 25. November 2019 E. 4.3 mit Hinweisen, insb. Urteil 2D_14/2018 vom 13. August 2018 E. 4.2). Eine derart gravierende Fallgestaltung lässt sich in casu nicht behaupten.
Gründe für eine wirksame und vertiefte amtliche Untersuchung nach dem prozessualen Teilgehalt von
Art. 3 EMRK (vgl.
BGE 131 I 455 E. 1.2.5 S. 462; Urteil 6B_880/2017 vom 4. Juli 2018 E. 3.4.3) sind mithin ebenfalls zu verneinen. Es ist denn auch festzustellen, dass der Flüchtling in der Folge in einer italienischen Klinik behandelt wurde (was auch die Beschwerdeführerin erwähnt), in welche er nach einem Gespräch mit einem Psychiater eingewiesen worden war; die Vorinstanz verweist auf den Entlassungsbericht der Psychiatrie vom 4. April 2018, in dem ausdrücklich vermerkt sei, sie (die Psychiatrie) würde die maximale Verfügbarkeit der Gesundheitsdienste für die Versorgung des Patienten garantieren.
2.2.4 Die diesbezüglich gerügte Abweisung von Beweisbegehren in antizipierter Beweiswürdigung (zum Begriff
BGE 141 I 60 E. 3.3
BGE 146 IV 297 S. 307
S. 64) ist nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz stellt fest, dass sich diese Drittpersonen am 24. Februar 2018 nicht am Bahnhof Domodossola aufhielten. Den Bericht von C. berücksichtigt die Vorinstanz dennoch durchgehend. Hätte der Flüchtling an Frostbeulen gelitten, hätte es umso näher gelegen, einen Arzt oder eine Apotheke, eine andere medizinische Institution und vor allem das Spital Domodossola aufzusuchen. Dass dies tatsächlich möglich war, wurde vorangehend festgestellt. Die als Zeugen beantragten zwei Beamten des Kantons Basel-Landschaft hätten zum massgebenden Sachverhalt ebenfalls keine Auskunft geben können; die Rechtmässigkeit der Überstellung wurde, wie erwähnt, durch das BVGer bereits endgültig beurteilt. Die Vorinstanz genügt ihrer Amtsermittlungspflicht (vgl. Urteil 6B_1189/2018 vom 12. September 2019 E. 2.1.1). Wie sich aus dem unter Beizug zahlreicher Akten eingehend motivierten Urteil ergibt, in welchem zudem das Verwaltungsverfahren mit dem abschliessenden Urteil des BVGer berücksichtigt wird, erweist sich der Vorwurf einer Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (
Art. 6 Abs. 1 StPO) sowie des Gehörs- und Beweisführungsrechts im Sinne des persönlichkeitsbezogenen Mitwirkungsrechts gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV (vgl.
BGE 140 I 99 E. 3.4 S. 102) ebenso als unbegründet wie jene auf
Art. 139 Abs. 2 StPO gestützte Rüge; gemäss dieser Bestimmung wird u.a. über Tatsachen, die bereits rechtsgenügend erwiesen sind, nicht Beweis geführt (Urteil 6B_213/2019 vom 26. August 2019 E. 2.3.3).
2.2.5 Die gerügte Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" verkennt den Normgehalt von
Art. 10 Abs. 3 StPO. Der Grundsatz weist das Gericht an, wie bei unüberwindlichen Zweifeln an der Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzungen der angeklagten Tat zu entscheiden ist. Ihm kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsmaxime keine über das Willkürverbot gemäss
Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu; insbesondere ist dem Grundsatz nicht zu entnehmen, welche Beweismittel zu berücksichtigen und wie sie gegebenenfalls zu würdigen sind (
BGE 144 IV 345 E. 2.2.3.1 S. 349).
Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung erscheint auch im Ergebnis nicht als offenkundig unrichtig oder auf einer Rechtsverletzung beruhend, d.h. willkürlich (
Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m.
Art. 9 BV). Der blosse Widerspruch zu den Erwägungen der Vorinstanz qualifiziert eine Entscheidung noch nicht als willkürlich (
BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375). Der Vorinstanz steht bei der Beweiswürdigung von Bundesrechts wegen ein weiter Spielraum des Ermessens zu
BGE 146 IV 297 S. 308
(
BGE 143 IV 347 E. 4.4 S. 355). Das Bundesgericht hebt einen Entscheid wegen Willkür auf, wenn er schlechterdings unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (
BGE 135 I 313 E. 1.3 S. 316;
BGE 143 IV 241 E. 2.3.1 S. 244; Urteile 6B_489/2018 vom 31. Oktober 2018 E. 4.4; 6B_1047/2017 vom 17. November 2017 E. 2.2). Bloss abstrakte oder theoretische Zweifel sind nicht von Bedeutung, da solche immer möglich sind (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 13.1).
2.2.6 Die als verletzt gerügte Bestimmung von
Art. 5 Abs. 3 BV (oben E. 1.1) normiert als Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns primär ein Handlungsgebot der Behörden, verpflichtet nach der Rechtsprechung aber auch Privatpersonen (
BGE 144 IV 189 E. 5.1 S. 192). Der einklagbare Individualrechtsanspruch gegenüber staatlichem Handeln wird primär durch
Art. 9 BV (Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben) verfassungsrechtlich gewährleistet. Der Grundsatz von Treu und Glauben des
Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO, aus dem sich das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ergibt (
BGE 143 IV 397 E. 3.4.2 S. 406), verpflichtet als Grundsatz des Strafverfahrensrechts nach der Rechtsprechung neben den Behörden auch die Parteien (Urteil 6B_1074/2018 vom 24. Januar 2019 E. 1.2). Inwiefern diese Bestimmungen durch Behörden verletzt worden sein sollten, wird in der Beschwerde nicht nachvollziehbar dargelegt und ist nicht ersichtlich.
2.2.7 Unter dem Gesichtspunkt des Gehörsrechts (bereits oben E. 2.2.4) ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidbegründung kurz die wesentlichen Überlegungen nennen muss, von denen sich das Gericht leiten liess und auf die es seinen Entscheid stützt. Es muss sich nicht mit jedem Parteivorbringen einlässlich auseinandersetzen (
BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253;
BGE 141 III 28 E. 3.2.4 S. 41;
BGE 139 IV 179 E. 2.2 S. 183). Dies entspricht den konventionsrechtlichen Anforderungen. Die EMRK verpflichtet nach der Rechtsprechung des EGMR, Entscheide zu motivieren, wobei es auf den Einzelfall ankommt, doch lässt sich
Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht in der Weise auslegen, dass eine detaillierte Antwort auf jedes Argument gefordert würde. Wie jedes behördliche Handeln hat auch der Motivationsaufwand sachbezogen und verhältnismässig zu sein (Urteil 6B_880/ 2017 vom 4. Juli 2018 E. 2.7 mit Hinweisen auch auf Urteil des EGMR
Mäder gegen Schweiz vom 8. Dezember 2015, Verfahren 6232/09 und 21261/10, § 75, 77). Auch in dieser Hinsicht ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
BGE 146 IV 297 S. 309
2.2.8 Schliesslich ist anzumerken: Sachlich beruft sich die Beschwerdeführerin auf eine Rechtfertigung ihrer Tat durch Notstandshilfe gemäss
Art. 17 StGB. Wer allerdings zur Duldung von Eingriffen in seine Rechtsgüter verpflichtet ist, kann diese nicht unter Berufung auf den Notstand abwenden. Dazu ist zunächst festzustellen, dass mit der Überstellung nach Italien rechtmässig in die Rechtsgüter des Flüchtlings eingegriffen wurde, wie das BVGer im Wiedererwägungsverfahren ausführlich darlegt. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich nur jene Asylsuchenden Anspruch auf Einreise haben, für die nicht ein anderer Staat nach den Bestimmungen des Dublin-Assoziierungsabkommens bzw. der Dublin-III-Verordnung zuständig ist. Für die Einreise ist stets die Erteilung einer entsprechenden Bewilligung vorausgesetzt. Die illegale Einreise von Flüchtlingen beurteilt sich abschliessend nach dem AIG. Der Flüchtling war nach dem Ausweisungsentscheid nicht berechtigt, in die Schweiz einzureisen (zur Ausweisung im Rahmen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger [EU-Rückführungsrichtlinie] etwa Urteil 6B_1365/2019 vom 11. März 2020).
2.2.9 Nach dem Gesagten ist zusammenfassend nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die entscheidwesentlich notstandsbegründende Voraussetzung der "absoluten Subsidiarität" nicht bejahte und entsprechend die "Güterabwägung" mangels Relevanz nicht mehr vornahm. Indem die Beschwerdeführerin sich wissentlich und willentlich, unbekümmert um das justiziell rechtmässig abgeschlossene Dublin-Verfahren, über das Verbot von
Art. 116 Abs. 1 lit. a AIG hinwegsetzte, handelte sie, da sich ein Rechtfertigungsgrund so wenig wie im Übrigen ein Schuldausschlussgrund annehmen lässt, rechtswidrig.
2.3 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor,
Art. 52 StGB nicht angewendet zu haben.
Diese Bestimmung unter dem Randtitel "Fehlendes Strafbedürfnis" richtet sich auch im massgebenden Teilgehalt (Absehen von einer Strafe) wesentlich nach der Würdigung des Verschuldens gemäss den in
Art. 47 StGB aufgeführten Strafzumessungskriterien. Mit dieser Bestimmung ist nicht beabsichtigt, bei leichten Straffällen oder bei Bagatellstraftaten generell auf eine Sanktion zu verzichten. Eine Strafbefreiung kommt nur in Betracht, wenn keinerlei
BGE 146 IV 297 S. 310
Strafbedürfnis besteht (
BGE 135 IV 130 E. 5.3.3 S. 135). Das Verhalten des Täters muss im Quervergleich zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden Taten insgesamt, vom Verschulden wie von den Tatfolgen her, als unerheblich erscheinen, so dass die Strafbedürftigkeit offensichtlich fehlt (Urteil 6B_368/2017 vom 10. August 2017 E. 5.2). Diese Abwägung hat der Gesetzgeber mit
Art. 116 Abs. 2 AIG für den Regelfall bereits vorgenommen, was zwar nicht bedeutet, dass bei den normierten leichten Fällen die Möglichkeit der Strafbefreiung entfällt. In solchen Fällen ist die Strafbefreiung aber nur gerechtfertigt, wenn die zu berücksichtigenden Täterkomponenten in besonderem Masse zugunsten des Beschuldigten sprechen (
BGE 135 IV 130 E. 5.3.4 S. 137).
Wie die Vorinstanz annimmt, entfällt ein Strafausschlussgrund gemäss Art. 52 StGB. Für eine doppelte Privilegierung (Art. 116 Abs. 2 AlG kumuliert mit Art. 52 StGB) ist kein Rechtsgrund ersichtlich.
2.4 Nicht einzutreten ist auf die sachfremde Geltendmachung einer aus "selbstlosen Motiven und ohne finanziellen Vorteil" nicht strafbaren Beihilfe im Sinne des Art. 3 lit. a ("mit dem Ziel, sich [...] einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen") des Zusatzprotokolls vom 15. November 2000 gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (SR 0.311.541; nachfolgend: Zusatzprotokoll). Die Begriffsbestimmung des Art. 3 Bst. a Zusatzprotokoll stellt den Anwendungsbereich klar, dass der Ausdruck "Schleusung von Migranten" die Herbeiführung der Einreise mit dem Ziel, sich einen Vorteil zu verschaffen, bezeichnet (und damit als Straftat erfasst).
Art. 116 Abs. 3 AIG erfasst hingegen jede Teilnahmehandlung (Art. 24 f. StGB) bei Schlepperdiensten.