BGE 147 IV 544 |
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank B. in Liq. (Beschwerde in Strafsachen) |
1B_350/2020 vom 28. Mai 2021 |
Regeste |
Art. 78 ff., 84 und 93 Abs. 1 lit. a BGG, Art. 80e Abs. 2 lit. b IRSG; zulässiges Rechtsmittel ans Bundesgericht in Streitfällen über die Parteistellung und Akteneinsicht in einem Strafverfahren bei parallelem Rechtshilfeverfahren. |
Sachverhalt |
A.a A. war zusammen mit seiner Schwester D. Mitglied der Geschäftsleitung der russischen Bank B. Deren Geschäftsleitungsmitglieder stehen seit einiger Zeit unter Verdacht, seit Mai 2013 eine kriminelle Organisation gebildet und der Bank illegal hohe Vermögenswerte entzogen zu haben. |
Am 18. Dezember 2015 geriet die Bank B. wegen Überschuldung unter provisorische Verwaltung und Aufsicht der russischen Zentralbank. Am 21. Januar 2016 entzog diese der Bank B. die Banklizenz. Sie untersteht heute der Konkursverwaltung durch die russische Corporation C.
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D. wurde am 22. Dezember 2015 in Russland wegen Betrugsverdachts verhaftet. Am 12. Mai 2017 folgte ebenda die Verurteilung zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe, die später im Berufungsverfahren auf 8.6 Jahre reduziert wurde.
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A.b A. lebt hauptsächlich in Grossbritannien. Er ist Inhaber verschiedener Schweizer Bankkonten und an einer Vielzahl von Unternehmen wirtschaftlich berechtigt, die ebenfalls über Bankkonten in der Schweiz verfügen. Darauf werden Vermögenswerte aus betrügerischen Handlungen zum Nachteil der Bank B. vermutet.
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A. steht in Russland wegen Betrugs zum Nachteil der Bank B. in Strafuntersuchung. In der Schweiz läuft gegen ihn eine von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich geführte Strafuntersuchung wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil des Verbands E. sowie im Zusammenhang mit beiden Strafvorwürfen wegen Geldwäscherei (Verfahrensnummer "..."). Dazu stellte die Schweiz 2016 ein Rechtshilfegesuch an Russland. (...)
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A.c Am 7. Dezember 2017 bzw. 28. Februar 2018 stellte der russische Staat bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich ein Rechtshilfegesuch im Zusammenhang mit der in Russland hängigen Strafuntersuchung. Das Rechtshilfeverfahren unter der Verfahrensnummer "..." ist noch nicht abgeschlossen.
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A.d Am 21. Juni 2019 beantragte die Bank B. in Liq., handelnd durch ihre Konkursverwaltung, die Rechtsstellung einer geschädigten Person und zugleich die vollumfängliche Akteneinsicht in der von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich geführten Strafuntersuchung. Mit Verfügung vom 4. Juli 2019 gab die Staatsanwaltschaft diesem Antrag statt. In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft der Bank B. in Liq. das Verzeichnis der Akten der fraglichen Strafuntersuchung zu. |
B. A. erhob am 18. Juli 2019 beim Obergericht des Kantons Zürich Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 4. Juli 2019. Mit Beschluss vom 2. Juli 2020 hiess das Obergericht, III. Strafkammer, die Beschwerde teilweise gut und hob die Verfügung der Staatsanwaltschaft in dem Sinne auf, dass der Bank B. in Liq. das Recht auf Akteneinsicht nur mit der Auflage gewährt werde, "von den eingesehenen Akten keinerlei Kopien (z.B. Photokopien mit Kopiergerät o.ä.) und keinerlei Aufnahmen (z.B. mit Smart Phone, Tablet oder sonstigen Geräten)" zu erstellen; im Übrigen wies das Obergericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
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C. Mit Beschwerde in Strafsachen vom 7. August 2020 an das Bundesgericht beantragt A., den Beschluss des Obergerichts vom 2. Juli 2020 aufzuheben und der Bank B. in Liq. im gegen ihn geführten Strafverfahren keine Geschädigtenstellung und keine Akteneinsicht zu gewähren; eventuell sei ihr keine Akteneinsicht einzuräumen, bis das bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich hängige Verfahren über das russische Rechtshilfegesuch abgeschlossen sei; subeventuell sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, "alle Akten zu sondieren, welche Teil des Rechtshilfeverfahrens [...] sind oder sein können und diese Akten seien der Bank B. in Liq. selbst unter Gewährung der Geschädigtenstellung im von der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren ("...") nicht zu editieren bis das bei der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich hängige Rechtshilfeverfahren mit der Ziffer "..." rechtskräftig abgeschlossen ist"; (...) Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, der Bank B. in Liq. fehle es an den Voraussetzungen für die Anerkennung als Geschädigte und die Erteilung der Akteneinsicht sei rechtswidrig bzw. solange unzulässig, als nicht rechtskräftig über das russische Rechtshilfegesuch entschieden sei.
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Die Bank B. in Liq. stellt Antrag auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei; eventuell sei ihr die Geschädigtenstellung zuzusprechen und ihr unter Anordnung angemessener Schutzmassnahmen Akteneinsicht zu gewähren. Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht verzichtete auf eine Stellungnahme. |
A. äusserte sich am 30. Oktober 2020 nochmals zur Sache. Am 23. März 2021 reichte er unaufgefordert eine weitere Eingabe ein. (...)
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
1.3 Hingegen erscheint die Rechtsprechung des Bundesgerichts als nicht einheitlich zur Frage, welches Rechtsmittel ans Bundesgericht in Streitsachen zu ergreifen ist, in denen wie hier ein Straf- neben einem Rechtshilfeverfahren durchgeführt wird und Interessenkollisionen auftreten können. Verschiedentlich hat das Bundesgericht entschieden, dass in solchen Konstellationen bei Vorliegen eines engen Konnexes von Straf- und Rechtshilfeverfahren mit Blick auf die strittige mögliche Übermittlung von (noch) vertraulichen Informationen aus dem Strafverfahren und die entsprechenden rechtshilferechtlichen Grundsätze die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 84 BGG und nicht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG zur Anwendung gelange. Dies gelte nicht nur, wenn sich der Staat als Geschädigter am Strafverfahren beteilige, sondern auch, wenn die einer Privatklägerschaft gewährte Einsicht in die Strafuntersuchungsakten die Gefahr nach sich ziehe, dass Informationen an die um Rechtshilfe ersuchende ausländische Behörde gelangen könnten, bevor die zuständige schweizerische Rechtshilfebehörde über die Zulässigkeit einer solchen Information entschieden hat (vgl. BGE 139 IV 294 E. 1 S. 297 f. und Urteil des Bundesgerichts 1C_368/2014 vom 7. Oktober 2014 E. 1 für den Fall einer als Geschädigte auftretenden Privatklägerschaft mit gewissen Verbindungen zum um Rechtshilfe ersuchenden Staat sowie BGE 127 II 198 E. 2 S. 201 ff. für den Fall eines ausländischen Staates, der ein Rechtshilfegesuch stellt und sich zugleich selbst als Geschädigter am schweizerischen Strafverfahren beteiligt). Dabei spielte es keine Rolle, ob sich die Verfahrensbeteiligten auf die Bestimmungen des Rechtshilferechts beriefen oder nicht. |
1.4 In einem von der Ausgangslage her (insbesondere mit dem Urteil 1C_368/2014 vom 7. Oktober 2014) vergleichbaren Fall erachtete das Bundesgericht hingegen die Beschwerde in Strafsachen als anwendbar (Urteil 1B_457/2013 vom 28. Januar 2014). In einem weiteren Urteil 1B_364/2013 vom 6. Januar 2014 erklärte das Bundesgericht die Beschwerde in Strafsachen ebenfalls als anwendbar für den Fall, dass im angefochtenen Entscheid die Akteneinsicht verweigert worden sei. Es handelte sich im Wesentlichen um den gleichen Streitfall wie beim Urteil 1C_368/2014, nur dass bei der ersten Beschwerde von 2013 die staatlich kontrollierte Privatklägerin gegen die Verweigerung von Parteirechten sowie insbesondere der Akteneinsicht Beschwerde erhob, währenddessen bei der zweiten Beschwerde von 2014 der Beschuldigte gegen die in der Folge der staatlich kontrollierten Privatklägerin erteilte teilweise Gewährung des Aktenzugangs vorging. Bei Verweigerung von Parteistellung und Akteneinsicht soll demgemäss die Beschwerde in Strafsachen offenstehen, weil sich diesfalls die Problematik der Umgehung der Rechtshilfevorschriften angeblich nicht stellt, bei ganzer oder teilweiser Gewährung hingegen die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Diese Differenzierung überzeugt nicht, denn zumindest bei der Frage der Akteneinsicht ist die rechtliche Fragestellung dieselbe und der Ausgang des vorinstanzlichen Verfahrens ist für die Bestimmung des Rechtsmittels an das Bundesgericht grundsätzlich ohne Belang. Das Bundesgericht hat diese, soweit ersichtlich, einmalige Rechtsprechung in der Folge auch nicht weiterverfolgt. |
1.6 In diesem Sinne kann es zunächst keine Rolle spielen, wie der angefochtene Entscheid ausgefallen ist. Das Rechtsmittel ist so oder so immer dasselbe. Ebenfalls unbeachtlich bleibt, ob im angefochtenen Entscheid oder von den Beteiligten im Beschwerdeverfahren die einschlägigen Gesetzesbestimmungen über die Rechtshilfe ausdrücklich angeführt bzw. angerufen werden. Mit dem im Bundesgerichtsgesetz verankerten Grundsatz der Einheitsbeschwerde kaum vereinbar wäre sodann, im Sinne einer Gabelung der Rechtsmittel für die Parteistellung die Beschwerde in Strafsachen und für die Akteneinsicht diejenige in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vorzusehen. Das wäre den Betroffenen kaum vermittelbar und überdies mit erheblichen Fallstricken verbunden, die der Gesetzgeber beim Erlass des Bundesgerichtsgesetzes gerade zu verringern bzw. zu vermeiden beabsichtigte. Anwendbar kann daher nur eine der beiden fraglichen Beschwerdearten sein. |
1.7 Am Anfang der bisherigen Rechtsprechung stand mit BGE 127 II 198 ein Urteil von 2001, das mithin noch unter altem Verfahrensrecht vor Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes ergangen ist. Damals gab es noch keine dem Art. 84 BGG entsprechende Sondernorm mit den heutigen speziellen Regeln für die Fälle der Rechtshilfe in Strafsachen. Der Bestimmung des anwendbaren Rechtsmittels kam daher auch noch nicht die gleiche Tragweite zu wie heute. Entsprechende Auswirkungen und damit auch Schwierigkeiten bei der Festlegung der anwendbaren Beschwerdeart ergaben sich im Wesentlichen erst nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes. Ausgangspunkt bleibt aber so oder so, dass es um die Parteistellung und Akteneinsicht in einem Strafverfahren geht. In verfahrenstechnischer Hinsicht überwiegen denn auch die strafprozessualen Gesichtspunkte. Insbesondere richten sich die Parteistellung und die Akteneinsicht primär nach den Regeln der Strafprozessordnung. Das Rechtshilfeverfahren steht im Hintergrund. Inhaltlich zeitigt es zwar Auswirkungen auf die Rechtslage und muss insoweit berücksichtigt werden. Ist namentlich im Strafverfahren die Akteneinsicht strittig und ist gleichzeitig ein Rechtshilfeverfahren hängig, stellt sich mit Blick auf den in der Rechtshilfe geltenden Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsschutz (vgl. insbesondere Art. 80b Abs. 2 und 3 IRSG) die Frage der Umgehung der Rechtshilferegeln unabhängig davon, ob diese ausdrücklich angerufen werden und ob die Vorinstanz den Aktenzugang verweigert oder gewährt hat. Das führt aber nicht dazu, dass das Strafverfahren seinen vorrangigen Charakter verliert und bereits zu einem Rechtshilfeverfahren mutiert. Es bleibt ein Strafverfahren, in dem lediglich ergänzend einzelne Gesichtspunkte der Rechtshilfe zu berücksichtigen sind. Insgesamt rechtfertigt es sich daher, in solchen Fällen in Abweichung zur bisherigen Rechtsprechung integral und ausschliesslich die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG mit den entsprechenden für die Betroffenen weitgehend vorteilhafteren Voraussetzungen zuzulassen, und zwar unabhängig davon, ob dem Bundesgericht die Streitpunkte der Parteistellung und der Akteneinsicht einzeln oder zusammen mit Beschwerde vorgelegt werden. |
1.9 Die Zulassungsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG sind hier ohne weiteres erfüllt. Im Übrigen durfte sich der Beschwerdeführer ohnehin auf die nicht offensichtlich falsche, sondern gemäss dem vorliegenden Entscheid vielmehr sogar zutreffende Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid stützen, in der ausschliesslich die Beschwerde in Strafsachen als Rechtsmittel ans Bundesgericht angegeben war. |