Urteilskopf
98 V 54
15. Urteil vom 4. Januar 1972 i.S. S. gegen AHV-Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
Regeste
Art. 46 IVG und 103 lit. a OG.
Zur Geltendmachung des Anspruchs auf Leistungen der Invalidenversicherung legitimierte Personen (Praxisänderung).
A.- Durch Verfügung des Eheschutzrichters des Bezirksgerichts X. vom 27. August 1969 ist der gemeinsame Haushalt der Eheleute Ida und Erwin S. aufunbestimmte Zeit aufgehoben und der Ehemann verpflichtet worden, seiner Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 650.-- zu bezahlen. Im vorangegangenen, zufolge Klagerückzugs als erledigt abgeschriebenen Scheidungsprozess war über Ida S. ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden, laut welchem sie an einer paranoid gefärbten Schizophrenie leidet. Mit Verfügung vom 4. Februar 1970 gab die Ausgleichskasse dem von Erwin S. am 14. Oktober 1969 eingereichten Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente an seine Ehefrau keine Folge mit der Begründung, die Versicherte selber sei mit dem Begehren nichteinverstanden und beanspruche keine Leistungen der Invalidenversicherung.
B.- Beschwerdeweise machte Erwin S. geltend, er sei zum Unterhalt seiner Ehefraugesetzlich verpflichtet und habedeshalb einen Rechtsanspruch auf die Leistungen der Invalidenversicherung.
Mit Entscheid vom 23. November 1970 wies die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die Beschwerde ab. Der Ehemann könne die materiellen Rechte seiner Ehefrau nicht mehr geltend machen, weil diese bereits verbindlich auf Leistungen der Invalidenversicherung verzichtet habe. Daran vermöge die Geisteskrankheit, an der die Versicherte leide, nichts zu ändern. Die Krankheit sei nämlich nicht derart gravierend,
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dass sie die Urteils- und damit die Handlungsfähigkeit von Ida S. beeinträchtigen würde.
C.- Gegen diesen Entscheid hat Erwin S. Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen lassen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und das Rentenbegehren gutzuheissen. Ida S. müsse die Handlungsfähigkeit wegen mangelnder Urteilsfähigkeit abgesprochen werden, so dass ihr Verzicht auf Leistungen der Invalidenversicherung unwirksam sei. Es sei Sache des Ehemannes, seine Frau zu vertreten und für sie Ansprüche geltend zu machen. Dies treffe um so mehr zu, wenn die Ehefrau an einer geistigen Störung leide.
Während die Ausgleichskasse auf einen Antrag verzichtet, schliessen Invalidenversicherungs-Kommission und Bundesamt für Sozialversicherung auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Die Geltendmachung von Leistungsansprüchen aus dem IVG setzt gemäss Art. 46 IVG eine Anmeldung voraus. Die Legitimation hiezu ist in Art. 66 IVV geregelt. Danach sind zur Geltendmachung des Anspruchs befugt der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter sowie für ihn sein Ehegatte, seine Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie, seine Geschwister und Behörden oder Dritte, die ihn regelmässig unterstützen oder dauernd betreuen. Auseigenem Rechtzur Anmeldung berechtigt sind demnach eigentlich nur der Versicherte oder sein gesetzlicher Vertreter. Die andern im Sinne dieser Bestimmung Legitimierten sind es nur für den Versicherten, d.h. an seiner Statt. In diesem Zusammenhang hat das Eidg. Versicherungsgericht erklärt, dass der Ehemann der Versicherten vertretungsweise sowohl materiell- wie prozessrechtlich die Rechte der invaliden Ehefrau nur in dem Umfange geltend machen könne, als diese nicht bereits verbindlichdarüberverfügt habe(Urteile i.S. Burgervom 27. August 1962 in ZAK 1962 S. 526, Martini vom 31. Dezember 1969; vgl. auch EVGE I 956 S. 196 und ZAK 1963 S. 128). An dieser Auffassung kann nacheinem Beschluss des Gesamtgerichts, dem diese Frage unterbreitet worden ist, nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden.
Denn nach Art. 103 lit. a in Verbindung mit Art. 132 OG ist u.a. zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges
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Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Wer aus eigenem Recht Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen kann, muss indessen auch im kantonalen Beschwerdeverfahren und im Anmeldeverfahren aus eigenem Recht legitimiert sein. Auf das Anmeldeverfahren bezogen heisstdies, dass denjenigen Personen oder Behörden ein eigenes Anmelderecht zustehen muss, welche durch die Nichtgewährung von Sozialversicherungsleistungen berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse auf Gewährung dieserLeistungen haben. Dies trifft auf diejenigen Personen oder Behörden zu, die eine konkrete Unterhaltspflicht erfüllen oder in absehbarer Zeit erfüllen werden.
2. Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer durch Verfügung des Eheschutzrichters verpflichtet worden, seiner Ehefrau einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Er hat demnach eine konkrete Unterhaltspflicht zu erfüllen, so dass ihm nach dem Gesagten ein eigenes Anmelderecht zum Bezuge von Invalidenversicherungsleistungen für seine Ehefrau zusteht. Die Invalidenversicherungs-Kommission, an welche die Sache zurückgewiesen wird, hat auf das am 14. Oktober 1969 eingereichte Rentengesuch des Beschwerdeführers einzutreten.
3. Dem mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Antrag auf Gutheissung des Rentenbegehrens kann nicht entsprochen werden, da die Verwaltung darüber noch nicht verfügt hat.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: In teilweiserGutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden die angefochtene Verfügung und der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 23. November 1970 aufgehoben. Die Sache wird an die Invalidenversicherungs-Kommission zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre