99 V 85
Urteilskopf
99 V 85
29. Urteil vom 28. Mai 1973 i.S. Zbinden gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern
Regeste
Altersrente der geschiedenen Frau.
Berechnungsgrundlage ( Art. 31 und 33 Abs. 3 AHVG ). Bestätigung der Rechtsprechung mit Rücksicht auf die seit dem 1. Januar 1973 verbesserte Rechtslage.
A.- Die 1910 geborene, seit 1968 geschiedene A. Zbinden bezieht seit dem 1. Mai 1972 eine einfache AHV-Altersrente. Deren Berechnung hatte die Ausgleichskasse des Kantons Bern das durchschnittliche Jahreseinkommen der Versicherten von Fr. 7600.-- aus 24 Jahren und die Rentenskala 20 zugrunde gelegt. In diesem Sinn verfügte die Kasse am 20. Oktober 1972.
B.- A. Zbinden beschwerte sich gegen diese Verfügung beim Versicherungsgericht des Kantons Bern. Sie machte geltend, sie habe während 30 Jahren das Geschäft ihres geschiedenen Ehemannes geführt und das mittlere Jahreseinkommen habe den Betrag von Fr. 7600.-- dank ihrer Arbeit um ein Mehrfaches überstiegen, so dass der Rentenberechnung das während der Ehe erzielte Geschäftseinkommen zugrunde zu legen sei.
Mit Entscheid vom 20. Dezember 1972 hat die Vorinstanz die Beschwerde abgewiesen.
C.- Gegen diesen Entscheid lässt A. Zbinden Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, die Sache sei an den kantonalen Richter zurückzuweisen, damit dieser die einfache Altersrente auf Grund eines neuen durchschnittlichen Jahreseinkommens entsprechend den Weisungen des Eidg. Versicherungsgerichts neu festsetze. Zur Begründung wird ausser den schon bekannten Einwänden im wesentlichen folgendes vorgebracht: Gestützt auf die Übergangsbestimmungen des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1972 betreffend Änderung des AHVG seien fürdie Rentenberechnung die am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen, neu gefassten Abs. 3 und 4 des Art. 30 AHVG massgebend. Das mittlere Jahreseinkommen müsse mit dem Faktor 2,1 aufgewertet werden. Aber selbst wenn die neuen Bestimmungen nicht ohne Einschränkungen anwendbar wären, ergäbe sich eine wesentlich höhere monatliche Altersrente. Wäre aber die bisherige Rentenberechnung richtig, so läge doch ein ausgesprochener Härtefall vor, welcher nach einer angemessenen Korrektur rufe, die sich mit der analogen Anwendung der Art. 31 Abs. 3 und 32 AHVG realisieren liesse. Es sei stossend und ungerecht, wenn eine geschiedene Ehefrau, die sich jahrzehntelang als Geschäftsfrau eingesetzt und selber den grössten
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Teil des Erwerbseinkommens des Ehepaares erzielt habe, bei der Rentenfestsetzung von dieser Situation nicht profitieren könne. Der Auffassung der Vorinstanz, die Beschwerdeführerin sei für die tiefe Altersrente bereits bei der Ehescheidung im Rahmen des Art. 151 ZGB entschädigt worden, könne nicht gefolgt werden.Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Gegenstand des heutigen Prozesses ist die am 20. Oktober 1972 rückwirkend auf den 1. Mai 1972 verfügte Rentenfestsetzung, über die der kantonale Richter befunden hat. Soweit die Überprüfung der dank der 8. AHV-Revision auf den 1. Januar 1973 erfolgten Rentenerhöhung verlangt wird, kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten werden.
2. Die Beschwerdeführerin verlangt dem Sinne nach, dass bei der Berechnung ihrer Altersrente nicht bloss auf jenes Erwerbseinkommen abzustellen sei, von dem sie selber Sozialversicherungsbeiträge entrichtet habe. Vielmehr müsse auch jenes Erwerbseinkommen angemessen berücksichtigt werden, das dank ihrer Mitarbeit im Geschäft ihres geschiedenen Ehemannes erzielt worden sei.
a) Da bis zur 8. AHV-Revision eine besondere Gesetzesbestimmung über die Berechnung der ordentlichen Altersrente der geschiedenen Frau fehlte, hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass diese Rente nach der Grundnorm des Art. 31 Abs. 1 AHVG errechnet werden muss. Gemäss dieser Vorschrift ist für die Berechnung der einfachen Altersrente grundsätzlich das gemäss Art. 30 ermittelte durchschnittliche Jahreseinkommen des Versicherten selber massgebend (EVGE 1953 S. 223). Im erwähnten Urteil wurde die unterschiedliche Berechnung der einfachen Altersrente der Witwe einerseits und der geschiedenen Frau anderseits sachlich damit begründet, dass die Geschiedene im Gegensatz zur Witwe auch dann Beiträge entrichte, wenn sie nicht erwerbstätig sei, so dass sie in der Regel bis zum Rentenalter reichlich eigene Beitragsjahre aufzuweisen habe. Dadurch werde unter Berücksichtigung der Jahre, während deren sie
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gemäss Art. 3 Abs. 21it. b AHVG keine Beiträge geleistet hat, für den nötigen Ausgleich gesorgt. Zudem wurde entschieden, dass die Altersrente einer geschiedenen Frau nie weniger betragen dürfe als die Witwenrente, welche die Rentnerin allenfalls vorher bezogen hat. Bei dieser Rechtsprechung ist das Gericht in EVGE 1955 S. 275 geblieben.b) Im Jahre 1969 hat das Eidg. Versicherungsgericht diese Praxis unter besonderer Berücksichtigung der seit 1955 und vor allem der auf den 1. Januar 1969 erfolgten Gesetzesänderungen überprüft und erneut bestätigt. Dazu äusserte es sich wie folgt (ZAK 1969 S. 596):
Art. 33 Abs. 3 AHVG in der seit anfangs 1969 gültigen Fassung zeigt, dass die bisherige Stellung der geschiedenen Frau bezüglich der Berechnung der Altersrente nicht verändert und besonders nicht derjenigen der Witwe angeglichen werden wollte. Hätte der Gesetzgeber die geschiedene Frau generell der Witwe gleichstellen wollen, so hätte er durch ausdrückliche Erwähnung der geschiedenen Frau in der Neufassung des Art. 33 Abs. 3 AHVG eine neue Rechtslage schaffen können. Nachdem dies nicht geschehen ist, muss angenommen werden, er habe die bisherige Regelung bewusst beibehalten. Auch der im Jahre 1960 in Kraft getretene Art. 29bis Abs. 2 AHVG bedeutet keine grundsätzliche Änderung der bisherigen Ordnung, weil diese Bestimmung vom frühern Art. 39 Abs. 2 materiell nicht abweicht; es wird lediglich auch die Ehefrau, die eine einfache Altersrente bezieht, neben der geschiedenen Frau erwähnt.
Den Art. 33 Abs. 3 AHVG und 55 Abs. 2 AHVV ist überdies zu entnehmen, dass ausschliesslich für die Witwe die Altersrente auf Grund der Beiträge des Ehemannes oder der eigenen Beiträge berechnet werden kann, je nachdem welche Beiträge eine höhere einfache Altersrente ergeben. Diese Vergleichsrechnung bildet eine Sonderregelung, welche der Gesetzgeber ausdrücklich der Witwe vorbehalten hat und die daher nicht durch Ausdehnung auch der geschiedenen Frau zuerkannt werden darf. Für diese kann nur die Berechnung anhand der eigenen Beiträge in Frage kommen, wobei ihr die nach Art. 3 Abs. 2 lit. b AHVG beitragslosen Ehejahre als Beitragsjahre anzurechnen sind (Art. 29bis Abs. 2 AHVG). Die soeben zitierte Bestimmung wäre unnötig, wenn die Altersrente der geschiedenen Frau auf Grund der Beiträge des Ehemannes zu berechnen oder wenn die
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für Witwen vorgesehene Vergleichsrechnung auch für Geschiedene anwendbar wäre. Einen billigen Ausgleich zur Stellung der Witwe schafft der Grundsatz, dass die Altersrente der geschiedenen Frau, die nach dem Tod ihres Mannes Anspruch auf eine Witwenrente hatte, auch dann nicht kleiner als die bezogene Witwenrente sein darf, wenn ihre eigenen Beiträge. nur eine niedrigere Altersrente zugelassen haben (EVGE 1953 S. 224 Erw. 2, 1955 S. 275).c) Im Rahmen der 8. AHV-Revision sah sich der Bundesrat veranlasst, die Stellung der geschiedenen Frau hinsichtlich der Berechnung ihrer Altersrente zu überprüfen. Er gab sich davon Rechenschaft, dass die oben dargelegte bisherige Regelung einen kaum genügenden Vorsorgeschutz in erster Linie für jene geschiedenen Frauen darstellt, deren eigenes rentenbildendes Einkommen bescheiden war, vor allem wenn sie im vorgerückten Alter geschieden werden und deshalb nach der Scheidung überhaupt nicht mehr oder nur mit Schwierigkeiten ins Erwerbsleben sich eingliedern können. Der Bundesrat beantragte den eidgenössischen Räten, die Besserstellung der geschiedenen Frau dadurch zu realisieren, dass deren Altersrente nach dem Tod des geschiedenen Mannes auf den für die Witwenrente massgebenden Berechnungsgrundlagen, d.h. anhand des mittleren Jahreseinkommens des Ehemannes, festgesetzt wird, sofern dies zu einer höheren Rente führt. Diese Regelung generell für die Altersrente der geschiedenen Frau vorzusehen, erachtete der Bundesrat nicht für angebracht. Zur Begründung äusserte er sich in der Botschaft wie folgt (BBl 1971 II 1096):
"Dadurch hätte sich die geschiedene Frau aber besser gestellt als die verheiratete Frau, die altersrentenberechtigt wird, bevor der Ehemann die Altersgrenze zum Bezuge einer Ehepaar-Altersrente erreicht hat; denn in diesem Falle wird die Altersrente nur nach ihrem eigenen massgebenden Einkommen berechnet. Es entstünde auch eine Ungereimtheit im Verhältnis zum Zivilrecht, nach welchem bei der Scheidung Ansprüche der Ehefrau durch Leistungen nach den Artikeln 151 und 152 ZGB abgedeckt werden. Die Frau kann auf diese Weise indirekt an der Rente des Mannes teilhaben. Eine eigentliche Härte, die durch die Sozialversicherung zu beheben ist, entsteht erst, wenn der geschiedene Mann stirbt und die Unterhaltsbeiträge wegfallen."
In der Folge haben die eidgenössischen Räte dem Antrag des Bundesrates auf entsprechende Erweiterung des Art. 31 AHVG (durch Beifügung der Absätze 3 und 4) zugestimmt, ohne am Prinzip, dass die geschiedene Frau bei der Berechnung der
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einfachen Altersrente erst nach dem Tod ihres frühern Ehemannes der Witwe gleichgestellt sein soll, etwas zu ändern. Dem Gesetzgeber ist also bei der 8. AHV-Revision die problematische Stellung der geschiedenen Frau nicht entgangen. Da er selber deren Gleichstellung mit der Witwe bewusst nur für die Zeit nach dem Tod des geschiedenen Mannes vorgenommen hat, besteht für den Richter um so weniger Veranlassung, an der bisherigen Praxis, soweit sie nicht durch die neuen Absätze 3 und 4 des Art. 31 AHVG überholt ist, etwas zu ändern.
3. Die Beschwerdeführerin war während Jahrzehnten im Betrieb ihres Ehemannes tätig, ohne dafür einen Barlohn zu beziehen, von dem sie Sozialversicherungsbeiträge hätte entrichten müssen. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Geschäftserträgnisse weitgehend auf die Mitarbeit der Versicherten zurückzuführen waren, können sie doch nicht als ihr persönliches Erwerbseinkommen qualifiziert werden. Mit Recht hat darum die Ausgleichskasse ausschliesslich die eigenen Beiträge der Beschwerdeführerin der Rentenberechnung zugrunde gelegt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich demzufolge als unbegründet.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
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