99 V 111
Urteilskopf
99 V 111
37. Auszug aus dem Urteil vom 22. Mai 1973 i.S. Neyer gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
Regeste
Abzug der Krankheitskosten vom Einkommen (Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG).
- Die Rechnung dieser Kosten gilt dann als gemäss Art. 2 ELKV gestellt, wenn sie der zu ihrer Empfangnahme befugten Person oder Amtsstelle zugekommen ist.
- Anspruch auf Krankheitskostenabzug, wenn der Leistungsbezüger nicht rechtzeitig wissen konnte, dass eine Rechnung gestellt wurde (Art. 48 Abs. 2 IVG).
A.- Der 1920 geborene Leo Neyer befindet sich wegen Invalidität im Altersheim. Er ist bevormundet. Als Vormund amtet der Waisenamtsschreiber. Leo Neyer bezieht seit 1966 zu seiner Invalidenrente eine Ergänzungsleistung. Am 21. April 1972 verfügte die Ausgleichskasse unter anderem: Für die vom Gemeindeammann am 15. Februar 1971 visierte Rechnung des Dr. S. in der Höhe von Fr. 177.60 falle eine Rückvergütung ausser Betracht, weil diese Kosten nicht innerhalb der vorgeschriebenen 12 Monate seit Rechnungstellung bei ihr geltend gemacht worden seien. Die Arztrechnung über Fr. 177.60 war am 17. März 1971 von der Gemeindekasse zu Lasten des Leo Neyer beglichen worden.
B.- Beschwerdeweise machte der Vormund für Leo Neyer geltend, das Gemeindekassieramt habe ihm erst am 22. April 1972 von der Arztrechnung Kenntnis gegeben. Somit habe die 12monatige Frist erst an diesem Tag zu laufen begonnen.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hat die Beschwerde mit Entscheid vom 25. August 1972 abgewiesen, im
BGE 99 V 111 S. 112
wesentlichen mit der Begründung, die 12monatige Frist habe Verwirkungscharakter.
C.- Der Vormund reicht für Leo Neyer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Er beantragt die "Zusprechung des Anspruches auf Vergütung der Krankheitskosten pro 1971 als Anrechnung 1971 event. pro 1972". Er bringt erneut. vor, dass weder sein Mündel noch er selbst von jener Arztrechnung Kenntnis gehabt habe. Er als Vormund sei allein zur Geltendmachung der Krankheitskosten zuständig, was aber voraussetze, dass diese ihm rechtzeitig bekannt gegeben würden.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 2 der Verfügung des Eidgenössischen Departements des Innern über den Abzug von Krankheits- und Hilfsmittelkosten auf dem Gebiet der Ergänzungsleistungen (ELKV) können Kosten für Arzt, Medikamente und Krankenpflege bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens (Art. 2 Abs. 1 ELG) nur dann im Sinn des Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG abgezogen werden, wenn sie innert zwölf Monaten seit Rechnungstellung bei der Durchführungsstelle geltend gemacht werden. Dies bedeutet für den Leistungsansprecher insofern eine Vergünstigung, als nicht nur Krankheitskosten abziehbar sind, die sofort bei Rechnungstellung der Durchführungsstelle gemeldet werden, sondern auch diejenigen Kosten, für die innert der zwölf dieser Meldung vorangegangenen Monate Rechnung gestellt worden ist. Dabei handelt es sich um eine Art Nachgewährung von Leistungen, wie sie auch die Invalidenversicherung kennt. Art. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG bestimmt nämlich, dass dem Versicherten die Leistungen für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate nachgewährt werden müssen. Darüber hinaus und abweichend von der Departementsverfügung sieht Art. 48 Abs. 2 Satz 2 IVG aber vor, dass Versicherungsleistungen auch für mehr als zwölfzurückliegende Monate nachbezahlt werden, wenn der Versicherte den anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte und die Anmeldung innert zwölf Monaten seit Kenntnisnahme vornimmt.
Nun sind die Ähnlichkeit der beiden einerseits in Art. 2 der
BGE 99 V 111 S. 113
Departementsverfügung, anderseits in Art. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG geordneten Rechtsinstitute und der mit ihnen angestrebten Zwecke unverkennbar. Dieser Umstand rechtfertigt es, Satz 2 des Art. 48 Abs. 2 IVG im Bereich der Ergänzungsleistungen sinngemäss anzuwenden: Konnte der Ergänzungsleistungsbezüger nicht wissen, dass eine Rechnung gestellt worden war, die zu einem Abzug berechtigen würde, meldet er aber die entsprechenden Krankheitskosten der Durchführungsstelle innert zwölf Monaten seit Kenntnisnahme, so werden auch die mehr als zwölf Monate vor dieser Meldung in Rechnung gestellten Kosten abgezogen.Eine Rechnung gilt dann im Sinn des Art. 2 der Departementsverfügung als gestellt, wenn sie der zu ihrer Empfangnahme befugten Person oder Amtsstelle zugekommen ist.
2. Die Arztrechnung des Dr. S. in der Höhe von Fr. 177.60 ist am 15. Februar 1971 vom Gemeindeammann visiert und somit spätestens an diesem Tag der Gemeindekasse zugestellt worden. Dem Vormund ist fernerzu glauben, dass er erst am 22. April 1972 vonjener Rechnung Kenntnis erhalten hat. Dennoch kann seiner Auffassung, die zwölfmonatige Frist habe für ihn erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen, nicht beigepflichtet werden.
Wie der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu entnehmen ist, führt das Gemeindekassieramt die Buchhaltung für das Altersheim. Für jeden Pensionär besteht ein Konto, auf dem unter anderem Arztrechnungen belastet und Ergänzungsleistungen gutgeschrieben werden. Rechnungen der erwähnten Art, welche Altersheimpensionäre betreffen, werden demnach direkt der Gemeindekasse zugeleitet und von dieser beglichen, was auch vorliegend der Fall war. Dieses Vorgehen war dem Vormund bekannt; anscheinend war er damit auch einverstanden. Es hat aber den Nachteil, dass der Vormund unter Umständen erst mit Verspätung von finanziellen, seine Mündel betreffenden Transaktionen der Gemeindekasse Kenntnis erhält. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Arztrechnung des Dr. S. Es gehört grundsätzlich zur Sorgfaltspflicht des Vormundes, sich über die Geschäftserledigung durch die Gemeindekasse so häufig als nötig unterrichten zu lassen. Unterlässt er dies, so kann er sich nicht darauf berufen, die Gemeindekasse habe ihm nicht rechtzeitig von der Rechnung bzw. deren Bezahlung Kenntnis gegeben.
Die Rechnung des Dr. S. über den Betrag von Fr. 177.60 ist - wie gesagt - spätestens am 15. Februar 1971 der Gemeindekasse zugegangen. Bei Beachtung der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten hätte sich der Vormund in den folgenden Monaten ohne weiteres von dieser Rechnung Kenntnis verschaffen können. Diese Unterlassung führte dazu, dass die Rechnung erst am 24. März 1972 der Ausgleichskasse zum Abzug gemeldet wurde. Zu diesem Zeitpunkt war aber die zwölfmonatige Frist zur Geltendmachung der betreffenden Krankheitskosten bereits abgelaufen, weshalb die Ausgleichskasse mit Recht eine Kostenrückvergütung verweigert hat.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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