BGE 100 V 20
 
6. Auszug aus dem Urteil vom 21. Januar 1974 i.S. AHV-Ausgleichskasse des Kantons Zürich gegen Dr. A. und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
 
Regeste
Beitragsrechtliche Qualifikation des Einkommens von Kommanditgesellschaftern (Art. 9 AHVG). Gewinnanteile von nicht mitarbeitenden Kommanditären, soweit sie als Gewinnverwendung des Komplementärs erscheinen, gelten als dessen Erwerbseinkommen (Erw. 3).
 
Sachverhalt


BGE 100 V 20 (20):

A.- Die Firma Z. & Co. war vom 18. Juni 1951 bis 19. Juni 1968 in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft im Handelsregister eingetragen. Als Gesellschafter figurierten Dr. A. als Komplementär und seine beiden Söhne X. und Y. als Kommanditäre mit je einer Kommandite von Fr. 50 000.--. Die Gewinne Wurden proportional zum Beteiligungskapital unter die Gesellschafter verteilt. Die beiden Kommanditäre liessen ihre Anteile jeweils in der Firma stehen mit entsprechend erhöhter Gewinnbeteiligung im folgenden Jahr.


BGE 100 V 20 (21):

Mit rechtskräftigen Verfügungen vom 30. Oktober 1964, 20. Juli 1966 und 27. Juni 1968 setzte die Ausgleichskasse die persönlichen Beiträge von Dr. A. jeweils für die vorangegangenen zwei Jahre fest unter Berücksichtigung seiner Gewinnanteile aus der Firma.
Im Jahre 1968 stellte die kantonale Wehrsteuerverwaltung der Ausgleichskasse Meldungen über die Gewinn- und Kapitalanteile der Kommanditäre X. und Y. aus den Jahren 1959 bis 1966 zu. Gestützt hierauf erliess die Ausgleichskasse am 18. Dezember 1968 neue Verfügungen betreffend die Beitragsperioden 1963, 1964/65, 1966/67, womit sie die persönlichen Beiträge von Dr. A. neu in der Weise festsetzte, dass auch die Gewinnanteile der beiden Söhne aus der Kommanditgesellschaft einbezogen wurden unter Berücksichtigung der entsprechenden Eigenkapitalanteile.
B.- Gegen diese Verfügungen erhob Dr. A. Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung.
Die Ausgleichskasse beantragte Bestätigung der Beitragspflicht von Dr. A. aus den seinen Söhnen überlassenen Gewinnanteilen.
Mit Entscheid vom 5. November 1971 hob die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich die angefochtenen Verfügungen auf.
C.- Hiegegen erhob die Ausgleichskasse Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, "es seien die von Herrn Dr. A. seinen Söhnen überlassenen Anteile am Gewinn der Kommanditgesellschaft als Erwerbseinkommen zu bezeichnen, Herr Dr. A. dafür zur Beitragsleistung zu verpflichten und damit die an ihn gerichteten Beitragsverfügungen für die Jahre 1963 bis 1967 vom 18. Dezember 1968 wieder herzustellen".
 
Aus den Erwägungen:
Dabei ist davon auszugehen, dass die Söhne ihre Gewinnanteile formell in ihrer Eigenschaft als Kommanditäre bezogen haben.


BGE 100 V 20 (22):

a) Zur Frage der beitragsrechtlichen Behandlung der Gewinnanteile der Kommanditäre hat das Eidg. Versicherungsgericht, vom grundlegenden Begriff des Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit ausgehend (Art. 9 AHVG, Art. 17 ff. AHVV), die folgenden Grundsätze aufgestellt. Im Normalfall ist der Kommanditär Kapitalbeteiligter ohne Dispositionsbefugnis und ohne Geschäftsrisiko, sein Gewinnanteil demnach beitragsfreier Kapitalertrag (EVGE 1950 S. 47). Ist der Kommanditär zugleich als Arbeitnehmer der Gesellschaft tätig, so ist zu vermuten, dass eine Beziehung zwischen dieser Tätigkeit und dem Gewinnanteil besteht; dieser ist deshalb insoweit als Einkommen des Kommanditärs aus unselbständiger Tätigkeit zu erfassen (Art. 7 lit. d AHVV; EVGE 1950 S. 205, 1953 S. 121, 1968 S. 103). Wenn der Kommanditär in der Gesellschaft - entgegen der zivilrechtlichen Regel - wirtschaftlich eine dominierende Stellung einnimmt, insbesondere das Geschäftsrisiko ganz oder teilweise trägt und betriebliche Dispositionen allein oder zusammen mit andern Gesellschaftern trifft bzw. zu treffen befugt ist, so gilt er bezüglich seiner Einkünfte aus der Kommandite als Selbständigerwerbender (ZAK 1959 S. 333, EVGE 1967 S. 225). Insoweit die Gewinnanteile des Kommanditärs ökonomisch gesehen nicht als Kapitalertrag auf der Kommandite, sondern als Gewinnverwendung des Komplementärs zu Gunsten des Kommanditärs erscheinen, sind diese Gewinnanteile beitragsrechtlich als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit des Komplementärs zu behandeln (nicht publiziertes Urteil vom 9. Juni 1969 i.S. Bäsler).
b) Die Beitragspflicht des Komplementärs Dr. A. richtet sich danach, ob die fraglichen Gewinnanteile als Gewinnverwendung des Komplementärs zugunsten der Kommanditäre oder als Kapitaleinkommen bzw. Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit der Kommanditäre zu werten sind. Die Annahme von Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit der Kommanditäre fällt von vornherein ausser Betracht, da diese zu keinem Zeitpunkt als Arbeitnehmer in der Kommanditgesellschaft tätig waren.
Nach den Akten ist anzunehmen, dass die Wahl der Gesellschaftsform sowie die Beteiligung der Söhne primär aus familiären Gründen erfolgten. Die Schwiegermutter und Gläubigerin des Dr. A. wünschte die Beteiligung der damals noch

BGE 100 V 20 (23):

minderjährigen Söhne als Kommanditäre und stellte ihnen die Kommanditsumme von je Fr. 50 000.-- schenkungsweise zur Verfügung. Nach Art. 5 des Gesellschaftsvertrages besteht ein eigentlicher Rechtsanspruch nur auf eine Verzinsung der Kommanditen bis zu 6%. "Weitere Zuweisungen an die Kommanditäre erfolgen nach freiem Ermessen des unbeschränkt haftenden Gesellschafters unter Berücksichtigung der Geschäftsergebnisse. Die Kommanditäre sind unter Vorbehalt der gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Haftung ihrer Einlagen für Gesellschaftsschulden an allfälligen Verlusten der Gesellschaft nicht beteiligt." In einem Brief an den im Sinne von Art. 392 Ziff. 2 ZGB ernannten Beistand der Kommanditäre bestätigte Dr. A., "dass ich gewillt bin, den Geschäftsertrag der Z. & Co. proportional zu den Kapitalbeteiligungen von mir selbst und meiner beiden Söhne (z. Zt. Fr. 1 200 000.-- und Fr. 100 000.--) zu verteilen, so dass gegenwärtig vom Reingewinn 24/26 an mich und je 1/26 an jeden meiner Söhne fallen werden". Nach diesem Schlüssel sind in der Folge die Gewinnverteilungen vorgenommen worden, und zwar in der Weise, dass die Gewinne stets zum Einlagekapital hinzugeschlagen und auf dem solcherweise erhöhten Einlagekapital jeweils wieder der Gewinnanteil errechnet wurde. Während der zufolge Verjährung nicht mehr erfassbaren Berechnungsjahre 1951 bis 1958 erhöhte sich auf diese Weise die interne Kommanditeinlage der beiden Söhne von ursprünglich je Fr. 50 000.-- auf je Fr. 170 000.-- per 1. Januar 1959. In der Folge betrugen die den Kommanditären auf ihre Einlagen gutgeschriebenen
Gewinnanteile:
bei Eigenkapital jeweils am Jahresanfang von:
1959 je Fr. 45 000.--
Fr. 170 000.--
1960 je Fr. 150 000.--
Fr. 215 000.--
1961 je Fr. 645 000.--
Fr. 365 000.--
1962 je Fr. 510 000.--
Fr. 1 010 000.--
1963 je Fr. 50 000.--
Fr. 1 520 000.--
1964 je Fr. 513 000.--
Fr. 1 570 000.--
1965 je Fr. 477 000.--
Fr. 2 083 000.--
1966 je Fr. 625 000.--
Fr. 2 560 000.--


BGE 100 V 20 (24):

Fr. 3 185 000.--
Die Kommanditäre sind in den Genuss dieser in einem offenbaren Missverhältnis zur ursprünglichen Kapitaleinlage und regelmässig auch zu den jeweils um den Vorjahresgewinn erhöhten Einlagen stehenden Gewinnanteilen gelangt, obwohl der Komplementär gemäss Gesellschaftsvertrag nur zu einer Verzinsung der Kommanditsumme bis zu 6% verpflichtet war. Der hohen Gewinnbeteiligung standen keine in der Person der damals noch in Ausbildung begriffenen Kommanditäre liegenden Vorteile (wie Geschäftsbeziehungen, Kredit, Geschäftserfahrung) im Interesse der Gesellschaft gegenüber. Für die Annahme irgendeiner Mitsprache- oder Mitwirkungsbefugnis der Kommanditäre in Gesellschaftsangelegenheiten fehlen jegliche Anhaltspunkte. Unter diesen Umständen drängt sich der Schluss auf, dass Dr. A. vorwiegend aus familiären oder auch aus abgabe- oder erbrechtlichen Gründen einen eigentlich ihm selber zustehenden Gewinn in der Weise verteilte, dass er ihn zu Gunsten der Söhne in der Gesellschaft investierte und den Söhnen mit diesen auf sie lautenden Einlagen eine entsprechende eigene Einkommensgrundlage verschaffte. Die fraglichen Gewinnanteile sind daher in dem Umfange, als sie eine 6%ige Verzinsung der jeweiligen Einlagen übersteigen, als Gewinnverteilung des Komplementärs zu betrachten und somit dem beitragspflichtigen Einkommen des Komplementärs aus selbständiger Erwerbstätigkeit zuzurechnen.
a) Wenn es sich bei den Gewinnanteilen um verborgen gebliebenes Einkommen des Dr. A. aus selbständiger Erwerbstätigkeit handeln würde, könnten die entsprechenden Beiträge innerhalb der Verjährungsfrist ohne weiteres nachgefordert werden (Art. 39 AHVV und Art. 16 Abs. 1 AHVG). Im vorliegenden Fall waren die tatsächlichen Verhältnisse der zuständigen Ausgleichskasse jedoch schon bekannt, als sie die seinerzeitigen Beitragsverfügungen erlassen hatte. Der Vorinstanz ist daher beizupflichten, dass mit diesen Verfügungen die Beitragspflicht von Dr. A. auf den Gewinnanteilen seiner Söhne dem Sinne nach verneint worden ist. Demnach ist eine nachträgliche Beitragserhebung nur im Sinne eines Zurückkommens auf die rechtskräftig gewordenen Verfügungen möglich.


BGE 100 V 20 (25):

b) Gemäss Praxis ist die Verwaltung befugt, eine Verfügung nachträglich abzuändern, wenn diese zweifellos unrichtig war und deren Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (EVGE 1963 S. 86). Hiebei ist vom Rechtszustand, wie er im Zeitpunkt des Verfügungserlasses bestanden hat, auszugehen, wozu auch die seinerzeitige Rechtspraxis gehört. Eine Praxisänderung vermag kaum je die frühere Praxis als "zweifellos unrichtig" erscheinen zu lassen. Grundsätzlich ist eine neue Praxis auch nur auf die im Zeitpunkt der Änderung noch nicht erledigten sowie auf künftige Fälle anwendbar (vgl. ZAK 1969 S. 499 betreffend Änderungen der Verwaltungspraxis).
c) Die Verfügungen, aufwelche die Verwaltung zurückkommen möchte, sind am 30. Oktober 1964, 20. Juli 1966 und 27. Juni 1968 ergangen. Dass der Gewinnanteil von Kommanditären unter Umständen wie den vorliegenden als Gewinnverwendung des Komplementärs zu behandeln ist, hat das Eidg. Versicherungsgericht dagegen erstmals am 9. Juni 1969 im nicht veröffentlichten Urteil i.S. Bäsler entschieden. Diese Rechtsprechung bestand also zur Zeit des Erlasses der fraglichen Verfügungen noch nicht. Anderseits waren die Verfügungen nach dem seinerzeitigen Stand der Rechtsprechung vertretbar und nicht "zweifellos unrichtig". Die Verwaltung hatte daher keinen Anlass, auf die gestützt auf die frühere Praxis erlassenen Verfügungen zurückzukommen und rückwirkend Beiträge zu erheben, die sie selbst nach dem seinerzeitigen Stand der Praxis als nicht geschuldet betrachtet hatte. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Beitragserhebung sind somit nicht gegeben.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.