104 V 201
Urteilskopf
104 V 201
50. Urteil vom 22. September 1978 i.S. Wormser gegen Arbeitslosenversicherungskasse des Kantons Zürich und Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich
Regeste
Art. 24 Abs. 2 lit. b AlVG, Art. 9 Abs. 2 AlVB und Art. 12 Abs. 1 AlVV 1977. Die Frage der Arbeitnehmereigenschaft in der Arbeitslosenversicherung ist grundsätzlich nach dem AHV-Beitragsstatut zu beantworten (Anpassung der Rechtsprechung an das seit 1. April 1977 geltende Recht; Erw. 1).
Nicht anspruchsberechtigte Personen (Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV 1977). Der Ausschlussgrund dieser Bestimmung gilt nur so lange, als der bestimmende Einfluss auf die juristische Person tatsächlich ausgeübt werden kann; scheidet der Versicherte aus der Firma aus, so besteht der Ausschlussgrund nicht mehr (Erw. 2a).
A.- Julius Wormser war seit 1973 Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer der Maschinenbau Wormser AG (nachfolgend: AG) und massgeblich an deren Aktienkapital beteiligt. Am 13. Juni 1977 wurde der AG Nachlassstundung gewährt. Vom 4. Juli bis 25. September 1977 arbeitete Julius Wormser für die Firma M. in Zürich. Ab 26. September 1977 besuchte er die Stempelkontrolle und stellte am 5. Oktober 1977 ein Taggeld-Gesuch.
Mit Verfügung vom 21. Oktober 1977 verneinte die Arbeitslosenversicherungskasse des Kantons Zürich eine Anspruchsberechtigung Julius Wormsers, weil sich dieser nicht über die erforderlichen 150 vollen Arbeitstage als Arbeitnehmer auszuweisen vermöge. Die Tätigkeit als Verwaltungsratspräsident der AG könne nicht angerechnet werden, da er diese nicht in der Stellung eines Arbeitnehmers ausgeübt habe.
B.- Dagegen erhob Julius Wormser Beschwerde und beantragte sinngemäss, die Anspruchsberechtigung ab 26. September 1977 sei zu bejahen.
Die Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Entscheid vom 23. Februar 1978 ab, im wesentlichen aus den gleichen Überlegungen, von denen sich die Arbeitslosenversicherungskasse hatte leiten lassen.
C.- Mit der gegen diesen Entscheid gerichteten Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Julius Wormser sein Rechtsbegehren. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend, in Bezug auf seine Stellung bei der AG sei er als Arbeitnehmer zu betrachten. Die entsprechenden Arbeitstage seien daher anzurechnen.
Während die Arbeitslosenversicherungskasse Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, schliesst das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit auf grundsätzliche Gutheissung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung setzt Art. 9 Abs. 2 AlVB voraus, dass der Versicherte "in den 365 Tagen vor der Geltendmachung während mindestens 150 vollen Arbeitstagen eine genügend überprüfbare Beschäftigung als Arbeitnehmer ausgeübt hat, für die er nach diesem Beschluss
BGE 104 V 201 S. 203
beitragspflichtig war" (vgl. auch Art. 24 Abs. 2 lit. b AlVG und Art. 12 Abs. 1 AlVV vom 14. März 1977). Im vorliegenden Fall ist streitig, ob der Beschwerdeführer diese Voraussetzung erfüllte.a) Im massgebenden Zeitabschnitt vom 26. September 1976 bis 25. September 1977 fällt unbestrittenermassen die Zeit vor dem 1. April 1977 ausser Betracht, weil der Beschwerdeführer damals keiner Arbeitslosenversicherungskasse angehört hatte.
In der zur Diskussion stehenden Zeitspanne vom 1. April bis 25. September 1977 sind die 71 Arbeitstage, die der Beschwerdeführer in der Firma M. geleistet hatte (4. Juli bis 25. September 1977), unbestrittenermassen anrechenbar. Umstritten dagegen sind die 80 Tage (vom 1. April bis 2. Juli 1977), da der Beschwerdeführer in der AG tätig war.
b) Die Vorinstanz verneint die Arbeitnehmereigenschaft des Beschwerdeführers im Hinblick auf seinen massgeblichen Einfluss, den er dank seiner Stellung in der AG auf dieselbe auszuüben vermochte.
Andererseits ist aber unbestritten, dass die AG für den Beschwerdeführer als Arbeitnehmer die paritätischen AHV-Beiträge abrechnete, womit ab 1. April 1977 automatisch auch die Arbeitslosenversicherungsbeiträge miterfasst wurden. Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit vertritt die Meinung, mit dieser Beitragspflicht habe die in Art. 9 Abs. 2 AlVB verlangte Überprüfbarkeit der vorangegangenen Beschäftigung als gegeben zu gelten; der "Nachweis der beitragspflichtigen Beschäftigung" sei damit erbracht und daher seien die in der AG geleisteten Arbeitstage anzurechnen. Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit verweist dazu auf die Antwort des Bundesrates auf eine einfache Anfrage aus dem Nationalrat, wonach die Tätigkeit des mitarbeitenden Aktionärs im Betrieb - "im Gegensatz zum eigentlichen Selbständigerwerbenden" - als "beitragspflichtige Beschäftigung" gelte (vgl. Sten. Bull. NR. 1977 S. 1741). In ähnlicher Weise argumentiert das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, das die vorherige "arbeitgeberähnliche Tätigkeit in der AG" als "beitragspflichtige Beschäftigung" angerechnet wissen will.
Bei dieser Argumentation fällt auf, dass bloss von "beitragspflichtiger Beschäftigung" gesprochen und die in Art. 9 Abs. 2 AlVB vorausgesetzte Arbeitnehmereigenschaft unerwähnt
BGE 104 V 201 S. 204
bleibt. In diesem Zusammenhange ist auf Art. 12 Abs. 1 AlVV hinzuweisen, der die Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht ausdrücklich anführt, jedoch "Arbeitstage im Sinne von Art. 9 Abs. 2 des Beschlusses" voraussetzt, womit eben die genügend überprüfbare Beschäftigung "als Arbeitnehmer" anvisiert wird; wäre dem nicht so, dann müsste diese Verordnungsbestimmung als gesetzeswidrig bezeichnet werden; denn es ist klar, dass die am 1. April 1977 in Kraft getretene Neuregelung nichts am Grundsatz geändert hat, wonach nur Unselbständigerwerbende gegen Arbeitslosigkeit versichert sein können (vgl. Art. 1 ff. AlVB). Es kann also keinesfalls die Meinung haben, dass von der Voraussetzung der Arbeitnehmereigenschaft abgerückt würde.c) Es fragt sich aber, ob die Arbeitnehmereigenschaft bereits aus dem Umstand abgeleitet werden kann, dass für einen mitarbeitenden Aktionär (seit der am 1. April 1977 in Kraft getretenen Neuregelung) de facto Arbeitslosenversicherungsbeiträge entrichtet wurden. Diese Beiträge werden von den Ausgleichskassen automatisch mit den paritätischen AHV-Beiträgen vom massgebenden Lohn erhoben. Wenn also für einen mitarbeitenden Aktionär Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhoben werden, so heisst das, dass er von der Ausgleichskasse AHV-beitragsrechtlich als Unselbständigerwerbender taxiert worden ist. Da die Ausgleichskasse die für die Beurteilung dieser Frage zuständige Behörde ist, liegt es nahe, auch für die Arbeitslosenversicherung auf ihren diesbezüglichen Entscheid abzustellen. Das scheint denn auch die Auffassung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit zu sein, wenn es in ARV 1977 S. 16 ausführt, es komme nach der Neuregelung nur noch auf die "beitragspflichtige Beschäftigung" an, und in ARV 1977 S. 23 auf die Gleichschaltung der Beitragspflicht in AHV und Arbeitslosenversicherung hinweist. An der letztgenannten Stelle vertritt es dann allerdings die Meinung, in der AHV würden die mitarbeitenden Aktionäre durchwegs und unbesehen als Arbeitnehmer der AG behandelt. Dem ist indessen nicht so; vielmehr gilt der Aktionär, der in der AG in beherrschender Stellung mitarbeitet und die allgemein geltenden Kriterien des Unselbständigerwerbenden nicht erfüllt, als Selbständigerwerbender; die Frage muss von Fall zu Fall aufgrund der konkret gegebenen Verhältnisse beurteilt werden. Hat die Ausgleichskasse diesen Entscheid einmal getroffen, so wäre es
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wenig sinnvoll, wenn im Rahmen der Arbeitslosenversicherung dieselbe Frage unter denselben Kriterien nochmals geprüft würde. Es erscheint daher gerechtfertigt, den von der Ausgleichskasse festgelegten Beitragsstatus des mitarbeitenden Aktionärs auch für die Arbeitslosenversicherung zu übernehmen. In diesem Sinne ist die in BGE 102 V 223 publizierte Rechtsprechung, wonach dem AHV-Beitragsstatut nur die Bedeutung eines unter mehreren Indizien zukam, der seit 1. April 1977 geltenden neuen Rechtslage anzupassen.d) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer AHV-beitragsrechtlich als Unselbständigerwerbender behandelt wurde. Er übte demnach in der AG eine "beitragspflichtige Beschäftigung" im oben besprochenen Sinne aus. Daher sind die streitigen 80 Arbeitstage anzurechnen, womit der Beschwerdeführer die Voraussetzung des Art. 9 Abs. 2 AlVB erfüllt.
2. Damit ist indes noch nicht entschieden, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt. Es bleibt zu prüfen, ob die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
a) Nicht anspruchsberechtigt sind gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV Personen, die "im Betrieb einer juristischen Person tätig sind, deren Beschlüsse sie in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, Mitglieder oder Aktionäre, insbesondere infolge ihrer Kapitalbeteiligung, bestimmen oder massgeblich zu beeinflussen vermögen". Mit Recht geht das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit davon aus, dass dieser Ausschlussgrund nur so lange gilt, als der bestimmende Einfluss auf die juristische Person vom Versicherten tatsächlich ausgeübt werden kann; scheidet er aus der Firma (z.B. infolge Liquidation derselben) aus, so besteht der Ausschlussgrund nicht mehr (vgl. ARV 1977 S. 23).
So verhielt es sich beim Beschwerdeführer. Im Zeitpunkt, da er zum ersten Mal die Stempelkontrolle besuchte, d.h. am 26. September 1977, hatte er keinen massgeblichen Einfluss mehr auf die AG. Zwar hatten ihm die gerichtlich bestellten Sachwalter das "Arbeitsverhältnis" erst auf den 30. September 1977 gekündigt; aber bereits mit der Einsetzung der Sachwalter durch den Nachlassrichter am 13. Juni 1977 war seine Dispositionsmöglichkeit entscheidend eingeschränkt worden ( Art. 295, 298 SchKG ), und bereits am 4. Juli 1977 hatte er eine Stelle in der Firma M. angetreten. Der Ausschlussgrund
BGE 104 V 201 S. 206
gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c AlVV ist somit im vorliegenden Fall nicht gegeben.Bei dieser Sachlage kann unerörtert bleiben, ob es sich - wie das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit annimmt - anders verhält, wenn ein mitarbeitender Aktionär nicht voll arbeitslos wird, sondern bloss teilarbeitslos (z.B. Kurzarbeit) und damit seine Einflussmöglichkeit auf die AG behält.
b) Gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. c und Art. 26 Abs. 1 AlVG ist die Arbeitslosenentschädigung von einem anrechenbaren Verdienstausfall abhängig. Anrechenbar ist der Verdienstausfall u.a., wenn der Versicherte während der Dauer des Arbeitsausfalles vermittlungsfähig war. Ob dies vorliegend zutrifft, lässt sich auf Grund der Akten nicht beurteilen. Die Kasse wird deshalb diese Frage noch zu prüfen haben.
c) Ausserdem wird die Kasse auch die übrigen in Betracht fallenden Anspruchsvoraussetzungen prüfen und, falls sie alle als erfüllt betrachtet, noch der in ihrer Vernehmlassung aufgeworfenen Frage näher nachgehen, ob der allfällige Anspruch am 27. September oder am 1. Oktober 1977 beginnt. Zwar lässt die Vereinbarung zwischen der Firma M. und dem Beschwerdeführer vom 3. Juli 1977 darauf schliessen, dass dieser - wie die Kasse und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit annehmen - bis Ende September 1977 entlöhnt war. Indes ist die Vereinbarung derart summarisch, dass sich eine nähere Abklärung über Durchführung und Abschluss jenes Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich vom 23. Februar 1978 und die Verfügung der Arbeitslosenversicherungskasse des Kantons Zürich vom 21. Oktober 1977 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird, damit sie nach der Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.
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