BGE 105 V 39 |
10. Urteil vom 18. Januar 1979 i.S. May gegen Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Bern |
Regeste |
Art. 1 MVG. |
- Unter den Begriff der Aushebung (Abs. 1 Ziff. 3a) fällt nur die Prüfung der Diensttauglichkeit und die Zuteilung zu einer Waffengattung. Die vorangehende Einschreibung beim Sektionschef, die der administrativen Erfassung und der Orientierung der Stellungspflichtigen dient und kantonal verschieden geordnet ist, fällt nicht darunter. |
Sachverhalt |
Am 14. Januar 1976 musste sich May zur Einschreibung für die Rekrutierung zum Sektionschef ins Sekundarschulhaus K. begeben. Dort erlitt er einen Kollaps, wobei er sich eine leichte Stirnverletzung und Zahnschäden zuzog. Mit Verfügung vom 9. April 1976 verneinte die Militärversicherung die Bundeshaftung für die erlittenen Verletzungen. |
Nach Abweisung seiner Beschwerde durch das Versicherungsgericht des Kantons Bern am 14. Juni 1977 führt May Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Militärversicherung zu verhalten, die Heilungskosten zu übernehmen. Die Begründung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Einschreibung beim Sektionschef falle unter den Begriff der Aushebung im Sinne von Art. 1 Ziff. 3a MVG, weil die Aushebung sich auf sämtliche Massnahmen erstrecke, die bezwecken, den wehrpflichtig gewordenen Schweizer organisatorisch für die Wehrpflicht zu erfassen. Der Gesetzgeber habe nicht nur gewisse Gefahren oder Risiken versichern wollen, sondern massgebend für die Aufstellung des Kataloges in Art. 1 MVG sei auch der Umstand gewesen, "dass man der Befehlsgewalt eines anderen untersteht und in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt ist". Wenn die Militärorganisation die Wehrpflichtigen, die sich zur Aushebung stellen, "in bezug auf die Stellungspflicht" und "während der Aushebung" dem Militärstrafrecht unterstelle, so bedeute dies, dass der Gesetzgeber selber von einer Aushebung im engern und einer Aushebung im weitern Sinn ausgehe. Die Militärversicherung, welche lediglich die sanitarische Untersuchung und die körperliche Prüfung des künftigen Wehrmannes als Aushebung betrachtet, beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: |
a) In der bundesrätlichen Verordnung vom 20. August 1951 über die Aushebung der Wehrpflichtigen (SR 511.11; SMA 70, 267) ist der Zweck der Aushebung umschrieben und sind die Grundsätze aufgestellt, die bei der Aushebung beachtet werden müssen. Nach Art. 2 der Verordnung bezweckt die Aushebung die Ausscheidung der Diensttauglichen, Hilfsdiensttauglichen und Dienstuntauglichen aufgrund der sanitarischen Untersuchung und der Prüfung der körperlichen Leistungsfähigkeit sowie die Zuteilung der Diensttauglichen zu einer Truppengattung. Gemäss Art. 6 stehen dem Aushebungsoffizier "für die Dauer der Aushebung" der Kreiskommandant, die sanitarische Untersuchungs-Kommission und der Durchleuchter, die beiden Turnexperten sowie die Sekretäre und Ordonnanzen zur Verfügung. Der Kreiskommandant leitet den Dienstbetrieb während der Aushebung (Art. 7). Das mit dem Vollzug der Verordnung beauftragte Eidgenössische Militärdepartement empfiehlt in Art. 8 seiner Verfügung vom 26. Februar 1962 über die Aushebung der Wehrpflichtigen (SMA 70, 272), die Aushebung wie folgt zu organisieren: |
a) kurze Orientierung durch den Kreiskommandanten über den Verlauf der Aushebung und durch den Aushebungsoffizier über die Grundsätze der Zuteilung;
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b) kurze Orientierung durch den Vorsitzenden der sanitarischen UC und sanitarische Eintrittsmusterung;
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c) Durchleuchtung;
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d) Turnprüfung;
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e) sanitarische Untersuchung;
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f) Zuteilung durch den Aushebungsoffizier;
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g) Orientierung über die ausserdienstlichen Pflichten und Entlassung durch den Kreiskommandanten.
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Diese Bestimmungen, die sich spezifisch mit der Aushebung befassen, verstehen unter Aushebung eindeutig nur gerade jenen Vorgang, bei dem der stellungspflichtige Schweizerbürger vor dem Aushebungsoffizier und den in Art. 6 Vo genannten Funktionären erscheint, um seine Diensttauglichkeit abklären und sich gegebenenfalls einer Truppengattung zuteilen zu lassen.
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b) Nach Art. 12 Vo haben die Kantone für die Orientierung der Stellungspflichtigen durch die Sektionschefs und deren Aufgebote zur Aushebung zu sorgen. Bundesrechtliche Vorschriften, wie die Kantone dabei vorzugehen haben, bestehen nicht. Es ist ihnen überlassen, wie sie die Vorschrift des Art. 12 Vo realisieren wollen. Im Kanton Bern geschieht dies durch die sogenannte Einschreibung, zu welcher die Stellungspflichtigen auf die persönliche Vorladung des Sektionschefs hin erscheinen müssen. Die Einschreibung dient, wie dem angefochtenen Entscheid entnommen werden kann, der Orientierung des Stellungspflichtigen über Notwendigkeit und Wichtigkeit der zu Beginn der Wehrpflicht einsetzenden Kontrollmassnahmen, der Überprüfung und Ergänzung des Einwohnerverzeichnisses und der Erhebung aller für die spätere Kontrollführung und für die Ausfertigung des Dienstbüchleins nötigen Angaben. Sie unterscheidet sich somit von ihrem Zweck her ganz deutlich von der Aushebung im Sinn von Art. 2 der Verordnung. Sie ist lediglich eine administrative Vorbereitungshandlung, die es ermöglichen soll, verbindlich festzustellen, wer überhaupt die Voraussetzungen für die Stellungspflicht und damit für die Aushebung erfüllt. Zudem wird dieses Verfahren von keinem der in den Art. 3 bis 10 der Verordnung abschliessend genannten Aushebungsorgane, sondern eben vom Sektionschef durchgeführt. |
Würde man dieses Vorbereitungsverfahren versicherungsrechtlich unter den Begriff der Aushebung subsumieren, dann würde ausschliesslich durch die individuellen kantonalen Ordnungen bestimmt, unter welchen Umständen eine Körperschädigung unter den Geltungsbereich der Militärversicherung fällt. Das aber würde die einheitliche Durchführung der Militärversicherung in einem ganz bestimmten Bereich verunmöglichen.
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2. Der Beschwerdeführer erblickt einen Rechtfertigungsgrund für die Subsumtion der Einschreibung unter den bundesrechtlichen Begriff der Aushebung darin, dass der stellungspflichtige Schweizer vom Sektionschef unter Androhung von Strafen verbindlich aufgefordert wird, zu einem ganz bestimmten Termin zur Einschreibung zu erscheinen und sich dadurch der "Befehlsgewalt eines anderen" zu unterstellen. Das ist aber nicht entscheidend. Denn zunächst kann keine Rede davon sein, dass der zur Einschreibung erscheinende Stellungspflichtige der "Befehlsgewalt" des Sektionschefs unterstellt wird, weil diesem überhaupt keine Befehlsgewalt zukommt. Der Stellungspflichtige befindet sich in dieser Hinsicht in einer ähnlichen Situation wie eine Person, die von einem Gericht oder von einer staatlichen Verwaltungsstelle - allenfalls unter Androhung von Strafe bei unentschuldigter Absenz - zur Auskunfterteilung auf einen ganz bestimmten Termin vorgeladen wird. Trotz der Verbindlichkeit einer solchen Anordnung, die eine gewisse Einschränkung der Handlungsfreiheit des Betroffenen einschliesst, haftet der Staat grundsätzlich nicht für Gesundheitsschädigungen, die sich die betreffende Person zuzieht, während sie der Vorladung Folge leistet. Weshalb für die Einschreibung, die mit keinen grössern gesundheitlichen Risiken verbunden ist als die Befolgung der Vorladung einer nichtmilitärischen zivilen Amtsstelle, ohne ausdrückliche Vorschrift andere Grundsätze gelten sollen, ist nicht einzusehen. |
Unerheblich ist auch der weitere Einwand des Beschwerdeführers, Art. 6 Abs. 2 MO unterstelle die Wehrpflichtigen "in bezug auf die Stellungspflicht und während der Aushebung" der Militärstrafgerichtsbarkeit. In Ausführung dieser Bestimmung erklärt Art. 2 Ziff. 5 MStG, dass "Stellungspflichtige mit Bezug auf ihre Stellungspflicht sowie während der Dauer der Aushebung bis zur Entlassung durch die Aushebungsbehörde" dem Militärstrafrecht unterstehen. Das bedeutet lediglich, dass der Schweizerbürger, welcher der Stellungspflicht nicht nachkommt oder während der Dauer der Aushebung eine strafbare Handlung begeht, militärstrafrechtlich verfolgt wird. Keinesfalls kann aus den zitierten Bestimmungen der Schluss gezogen werden, der Gesetzgeber selber gehe stillschweigend von einer Aushebung im engern und einer Aushebung im weitern Sinne aus und wolle unter die Aushebung im weitern Sinne auch das die Aushebung im engern Sinne erst ermöglichende administrative Vorbereitungsverfahren subsumiert wissen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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