BGE 105 V 248 |
53. Auszug aus dem Urteil vom 30. November 1979 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Demarmels und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn |
Regeste |
Art. 128 Abs. 1 AHVV. |
- Für Beitragsverfügungen ist die Unterschrift kein Gültigkeitserfordernis. |
Sachverhalt |
Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn stellte dem Versicherten Emil Demarmels fünf Beitragsverfügungen zu und verwendete hiefür die gedruckten amtlichen Formulare, welche am Ende den Passus enthielten: "Mit vorzüglicher Hochachtung. Ausgleichskasse des Kantons Solothurn." Unterzeichnet waren die fünf Verfügungen nicht. |
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn bezeichnete die Verfügungen mangels Unterschrift als nichtig. Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Aus den Erwägungen: |
3. a) In der älteren Verwaltungsrechtslehre findet sich die These, zum Erfordernis der Schriftlichkeit eines Verwaltungsaktes gehöre auch, dass dieser die - gegebenenfalls faksimilierte - Unterschrift des zuständigen Organs trage (GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, Bd. 1, S. 386; IMBODEN, Der nichtige Staatsakt, S. 99; JELLINEK, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 270). Auch die neuere Doktrin hält an diesem Grundsatz fest (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 194 oben; FORSTHOFF, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 10. Aufl., S. 238; SCHWARZENBACH, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 6. Aufl., S. 107, 112). Jedoch weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass die modernen Möglichkeiten der mechanischen oder elektronischen Verfügungsausfertigung eine differenziertere Betrachtungsweise erfordern. So wird die Auffassung vertreten, dass auf solchem Wege erlassene Verfügungen keiner Unterschrift bedürfen (WOLFF/BACHOF, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., S. 419; BADURA in ERICHSEN/MARTENS, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 302 f., 307 mit Hinweis auf das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. Mai 1976; vgl. auch B. DEGRANDI, Die automatisierte Verwaltungsverfügung, Diss. Zürich 1977, S. 117 ff., insbesondere S. 121 f.). Demgegenüber äussert sich FLEINER-GERSTER wie folgt: |
"Das Verfahren und die richtige Eröffnung führen vor allem bei
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Verfügungen zu Problemen, die durch den Computer ausgestellt werden, wie
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zum Beispiel Rentenverfügungen, Verfügungen auf dem Gebiet des
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Steuerrechts, Telephonrechnungen usw. Solche Computerrechnungen enthalten
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keine Unterschrift und oft keine Rechtsmittelbelehrung.
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In der Praxis muss deshalb die Rechnung, soll sie rechtskräftig werden, in
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einem späteren Verfahren als formelle Verfügung eröffnet werden"
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(Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts, S. 230).
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Damit schliesst sich FLEINER-GERSTER dem Grundsatz nach der traditionellen Lehre an. IMBODEN/RHINOW weisen darauf hin, dass es umstritten sei,
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"ob das Erfordernis der Schriftlichkeit eine Verpflichtung zur
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Unterzeichnung beinhalte, ja, ob sich diese Verpflichtung aus den
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allgemeinen Lehren des Verwaltungsrechts ergebe", vertreten aber grundsätzlich ebenfalls die herkömmliche Auffassung, indem sie weiter ausführen,
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"die fehlende Unterschrift sollte im Regelfall - d.h. wenn nicht
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besondere Gründe vorliegen, die den Mangel als blosses Versehen
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kennzeichnen (der Adressat weiss, dass die Behörde im Sinne der formell
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mangelhaften Ausfertigung verfügt hat) - die Unwirksamkeit der Verfügung
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bewirken" (Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1, 5. Aufl., Nr. 84 B III, S.
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529, vgl. auch Nr. 40 B V 2c, S. 243, und Nr. 44 B III, S. 268).
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b) In der Praxis ist die Frage nach der Notwendigkeit der Unterschrift bei einer schriftlich zu erlassenden Verfügung ebenfalls kontrovers. Im Jahre 1939 entschied das Bundesgericht, dass die Eröffnung einer Einschätzung, die den einschlägigen Bestimmungen entspreche und mit dem Stempel der erlassenden Behörde versehen sei, nicht als rechtsungültig bezeichnet werden könne, wenn die Unterschrift des zuständigen Steuerbeamten auf dem Formular fehle (Urteil vom 30. November 1939 in ASA 9, S. 82 f.; KÄNZIG, N. 5 zu Art. 95 WStB). In BGE 93 I 120 f. bezeichnete es die Eröffnung einer Verfügung mittels einer nichtunterzeichneten Kopie als nicht gegen Art. 4 BV verstossend. Dagegen entschied es in BGE 97 IV 208, die Aberkennung eines ausländischen Führerausweises sei nur gültig, wenn der entsprechende Vermerk im Ausweis auch die verfügende Behörde nenne und wenn er mit einer Unterschrift versehen sei, die allenfalls auch faksimiliert sein könne. In diesem Sinne äusserte sich auch das Obergericht des Kantons Zürich in bezug auf maschinell ausgefertigte Verfügungen über den Entzug von Kontrollschildern und Fahrzeugausweisen (SJZ 64/1968, S. 185 f.). Dagegen verneinte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich das Bestehen einer allgemeinen Regel, wonach zum Erfordernis der Schriftlichkeit auch die Unterschrift gehöre (Rechenschaftsbericht 1969 Nr. 41, S. 52 f.). Zu diesem Ergebnis gelangte sinngemäss auch die aargauische Steuerrekurskommission, indem sie - unter Hinweis auf ASA 9, S. 82 f. - festhielt, die im Steuergesetz für die Eröffnung von Veranlagungen vorgesehene Form der Schriftlichkeit habe nicht die gleiche Bedeutung wie in Art. 13 OR (ZBl 69/1968, S. 299 f.). |
4. a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich verschiedentlich mit der Frage nach der Notwendigkeit der Unterzeichnung von Verfügungen im Bereich des Sozialversicherungsrechtes befasst. Bereits im Urteil vom 1. Mai 1939 i.S. Kippel (EVGE 1939, S. 33 ff., insbesondere S. 36 f.), das eine formularmässig erlassene, nicht handschriftlich unterzeichnete Krankengeldverfügung der Militärversicherung betraf, hat es festgehalten, dass für Verwaltungsakte - soweit nicht positive Bestimmungen etwas anderes vorschreiben - der Grundsatz der Formlosigkeit anerkannt sei, dies in dem Sinne, dass die betreffenden behördlichen Willensäusserungen nicht an eine bestimmte Form gebunden seien, sondern in beliebiger Weise erfolgen können. Wo jedoch für einen Verwaltungsakt eine Form, z.B. die Schriftlichkeit, ausdrücklich durch Gesetz vorgeschrieben sei, müsse diese Form gewahrt werden, und zwar als Voraussetzung der Gültigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes; dabei erscheine es als zulässig, aus gewissen sonstigen Vorschriften stillschweigende gesetzliche Formvorschriften, z.B. die Notwendigkeit der Schriftlichkeit, abzuleiten. Im übrigen könnten aber an eine Verfügung keine Formerfordernisse, die nicht ausdrücklich oder stillschweigend durch Gesetz oder Geschäftsgebrauch vorgesehen seien, gestellt werden, und dürfe sich die verfügende Behörde jeder für die konkrete Anordnung geeigneten Form bedienen; auch erscheine eine analoge Anwendung von Formvorschriften kaum angängig. Wenn also für die Verfügungen der Militärversicherung blosse "schriftliche Form" vorgesehen sei, werde man nicht noch weitere Anforderungen in bezug auf die Form, wie z.B. die handschriftliche Unterzeichnung durch den zuständigen Beamten, stellen dürfen. Diesen Grundsatz hat das Eidg. Versicherungsgericht im Jahre 1970 in einem Fall, bei dem es um eine auf vorgedrucktem Formular erfolgte Streichung eines Versicherten aus der Mitgliederliste wegen Nichtbezahlung der Krankenkassenbeiträge ging, für Krankenkassenverfügungen gemäss Art. 30 Abs. 1 KUVG bestätigt. Auch wenn das Gesetz verlange, dass eine Verfügung schriftlich eröffnet werde, bedürfe diese nicht ausnahmslos der Unterschrift als Gültigkeitserfordernis. Jedenfalls stehe es Verwaltungsbehörden offen, für Verfügungen, welche in grosser Zahl zu erlassen seien und deren Inhalt von Fall zu Fall nur wenig abweiche, gedruckte Formulare zu verwenden, die keine Unterschrift des zuständigen Beamten tragen. Der verfügenden Instanz müsse in solchen Fällen die Möglichkeit gegeben werden, sich moderner, einfacher, rascher und wirtschaftlicher Methoden zu bedienen (BGE 96 V 13 ff., insbesondere 21 Erw. 4b; bestätigt in BGE 97 V 197 oben). |
b) An dieser Rechtsprechung ist auch mit Bezug auf Beitragsverfügungen der Ausgleichskassen festzuhalten. Hiebei handelt es sich um Anordnungen, die in grosser Anzahl getroffen werden müssen und die sich - ausser in den im Formular einzusetzenden Zahlen - sachlich voneinander nicht unterscheiden. Es liegt daher im Interesse einer einfachen und raschen Verfahrensabwicklung, dass solche Verfügungen auf mechanischem oder elektronischem Wege erlassen werden können, wobei es bezüglich der Frage der Unterschrift letztlich unerheblich ist, ob sich die Ausgleichskasse beim Ausfüllen des Formulars eines Computers oder - wie bei den hier streitigen Nachzahlungsverfügungen - allenfalls auch nur einer Schreibmaschine bedient. Auf der andern Seite widerspricht es - wie das Bundesamt zutreffend ausführt - nicht dem Interesse des Beitragspflichtigen, insbesondere nicht seinem Rechtsschutzbedürfnis, wenn die formularmässig ausgefertigte Beitragsverfügung nur die erlassende Ausgleichskasse nennt, nicht aber zusätzlich auch noch die Unterschrift eines zuständigen Beamten trägt. Zur Erfüllung der in Art. 128 Abs. 1 AHVV verlangten Form der Schriftlichkeit ist daher bei Beitragsverfügungen die Unterschrift kein Gültigkeitserfordernis. Eine analoge Anwendung der zivilrechtlichen Bestimmungen über die Schriftform ist hier nicht angängig, da diese Bestimmungen von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen. |
Ob die vorstehenden Ausführungen auch für - zuweilen ebenfalls mit dem Computer ausgefertigte - Verfügungen Gültigkeit haben, mit welchen individuelle Leistungen zugesprochen oder verweigert werden, ist - da es vorliegend um Beitragsverfügungen geht - nicht zu entscheiden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Nichtbeachtung von Verwaltungsweisungen, die eine Unterzeichnung ausdrücklich verlangen (vgl. etwa Rz 1049 der Wegleitung des Bundesamtes über die Renten, gültig ab 1. Januar 1971, und Rz 200 des bundesamtlichen Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung, gültig ab 1. April 1964), nur als Verstoss gegen eine Ordnungsvorschrift zu werten ist oder ob dadurch die Gültigkeit der Rechtshandlung grundsätzlich und in gleicher Weise in Frage gestellt wird wie dort, wo das Gesetz zusätzlich zur vorausgesetzten Schriftlichkeit die Unterschrift speziell fordert (vgl. z.B. Art. 52 Abs. 1 VwVG, Art. 30 Abs. 1 und 108 Abs. 2 OG; BGE 86 III 3 f. mit Hinweisen).
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