105 V 294
Urteilskopf
105 V 294
63. Urteil vom 21. November 1979 i.S. Betriebskrankenkasse der Firma Jenny, Spoerry & Cie gegen Rückversicherungsverband des Konkordates der schweizerischen Krankenkassen und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Regeste
Art. 128 OG. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann auch geltend gemacht werden, der vorinstanzliche Entscheid hätte sich nicht auf Sozialversicherungsrecht des Bundes stützen dürfen (Erw. 1b).
Art. 27 Abs. 1 KUVG. Der Anschluss einer liechtensteinischen Kasse an einen schweizerischen Rückversicherungsverband ist aus der Sicht der sozialen Krankenversicherung unzulässig. Ein solches Rückversicherungsverhältnis ist rein privatrechtlicher Natur, und Streitigkeiten daraus unterliegen nicht der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit (Erw. 2).
A.- Die Betriebskrankenkasse der Firma Jenny, Spoerry & Cie, Vaduz, schloss sich mit Wirkung ab 1. Mai 1973 dem Rückversicherungsverband des Konkordates der schweizerischen Krankenkassen (RVK) an. Am 1. Juni 1973 unterzeichnete sie die Grundberechnungen für die Ausgleichs-Rückversicherung der Krankenpflege (ARV). Darin wurden die Bestimmungen des RVK über die ARV ausdrücklich als massgebend erklärt.
Gestützt auf die ARV bezog die Betriebskrankenkasse im Jahre 1973 Fr. 6'331.80 und im Jahre 1974 Fr. 13'763.40, insgesamt also Fr. 20'095.20 an Versicherungsleistungen vom RVK.
Am 19. Dezember 1975 teilte die Firma Jenny, Spoerry & Cie dem RVK mit, dass ihre Betriebskrankenkasse wegen anhaltender Betriebsrückschläge per 1. Januar 1976 mit der Schweizerischen Krankenkasse Grütli fusionieren werde, und ersuchte gleichzeitig darum, vom Rückversicherungsverhältnis entbunden zu werden.
Mit Verfügung vom 12. Februar 1976 verlangte der RVK in Anwendung von Art. 13 des Reglements für die ARV die Rückerstattung der in den Jahren 1973 und 1974 ausgerichteten Versicherungsleistungen von Fr. 20'095.20 nebst Verzugszins von 5% seit 1. Februar 1976.
B.- Gegen diese Verfügung liess die Betriebskrankenkasse beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern als Rekursinstanz im Sinne von Art. 52 der RVK-Statuten Beschwerde führen, gleichzeitig jedoch die Zuständigkeit jenes Gerichts bestreiten, weil das KUVG gegenüber einer Kasse mit Sitz in Liechtenstein nicht anwendbar sei und das Rückversicherungsverhältnis liechtensteinischem Recht und liechtensteinischer Gerichtsbarkeit unterstehe; überdies wurde die Forderung in materieller Hinsicht bestritten. Nach Durchführung des Schriftenwechsels
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und Einholung einer Vernehmlassung des Bundesamtes für Sozialversicherung wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde am 28. Dezember 1977 ab. Zur Zuständigkeitsfrage wurde festgehalten, dass eine gültige Gerichtsstandvereinbarung vorliege und sich die Kasse mit ihrem Beitritt zum RVK sowohl in materiellrechtlicher als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht der schweizerischen Rechtsordnung unterstellt habe. Die Forderung als solche bzw. der ihr zugrundeliegende Art. 13 des Reglements für die ARV wurde sowohl unter privatrechtlichen als auch unter öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten des KUVG geschützt.
C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Kasse erneut die Zuständigkeit der schweizerischen Sozialversicherungsgerichtsbarkeit bestreiten. Eventuell sei der Fall nach liechtensteinischem Recht und nach Art. 1288 ABGB zu entscheiden.
Der RVK schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde...
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
b) Gemäss Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwVG auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im übrigen weitere, hinsichtlich ihres Gegenstandes näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen). Als Verfügung gelten auch Beschwerdeentscheide (Art. 5 Abs. 2 VwVG).
Im Anwendungsbereich des KUVG muss der Begriff der anfechtbaren Verfügungen naturgemäss dahin erweitert werden, dass auch Anordnungen, die sich auf kasseneigene Bestimmungen stützen, der Beschwerde unterliegen. Dies wird in Art. 30bis Abs. 1 KUVG für das kantonale Verfahren ausdrücklich bestimmt, muss aber sinngemäss auch für das Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht (Art. 30ter KUVG) gelten.
Anordnungen, die sich auf kasseneigene Bestimmungen stützen, können nur insoweit in Verfügungsform ergehen, als
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das ihnen zugrundeliegende Rechtsverhältnis dem KUVG als öffentlichem Recht des Bundes untersteht. Dies ist jedoch nicht unter dem Gesichtswinkel der Eintretensfrage zu prüfen. Im vorliegenden Fall hat der vorinstanzliche Richter tatsächlich Sozialversicherungsrecht des Bundes angewendet. Die Rüge, dass fälschlicherweise Sozialversicherungsrecht des Bundes angewendet worden sei, ist zulässig.c) Die streitige Rückforderung betrifft eine Kasse mit Sitz in Liechtenstein. Es fragt sich daher, inwieweit die internationale Tragweite des vorliegenden Tatbestandes die Zuständigkeit des schweizerischen Sozialversicherungsrichters berührt. Soweit es sich um Verfügungen von Krankenkassen gegenüber ihren Versicherten mit Wohnsitz im Ausland handelte, hat das Eidg. Versicherungsgericht die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte regelmässig stillschweigend vorausgesetzt. Was das vorliegend zu beurteilende Rückversicherungsverhältnis betrifft, hängt die Beurteilung dieser Frage von der Beantwortung der Vorfrage ab, ob überhaupt öffentliches Sozialversicherungsrecht des Bundes zur Anwendung kommt. Nur in diesem Fall wäre des weiteren zu prüfen, ob die statutarische Gerichtsstandsklausel aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zulässig war und die Zuständigkeit der Vorinstanz zu begründen vermochte. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher jedenfalls insoweit einzutreten, als die Anwendbarkeit von Bundessozialversicherungsrecht auf das streitige Rückversicherungsverhältnis in Frage steht.
2. Die gesetzliche Grundlage der Rückversicherungsverbände findet sich in Art. 27 Abs. 1 KUVG, wobei die Bestimmungen des ersten Titels des Gesetzes als sinngemäss anwendbar erklärt werden. Verbände von Kassen werden als Rückversicherungsverbände im Sinne der sozialen Krankenversicherung anerkannt, wenn sie ausschliesslich die Rückversicherung von Leistungen der ihnen angeschlossenen Kassen betreiben. Unter dem Begriff der "Kassen" sind nach der Legaldefinition von Art. 1 Abs. 4 KUVG die anerkannten Krankenkassen zu verstehen. Die Anerkennung einer Kasse setzt u.a. voraus, dass diese ihren Sitz in der Schweiz hat (Art. 3 Abs. 1 KUVG).
Die gesetzliche Ordnung des KUVG schliesst somit den Anschluss ausländischer Kassen an anerkannte Rückversicherungsverbände aus. Eine staatsvertragliche Regelung mit dem Fürstentum Liechtenstein, welche die Kassen dieses Landes den
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anerkannten schweizerischen Kassen gleichstellen würde, besteht nicht. Wenn Art. 5 und 6 Abs. 2 der RVK-Statuten eine Erweiterung des Tätigkeitsbereiches des Verbandes auf das Fürstentum Liechtenstein vorsehen, so kann der Anschluss einer solchen Kasse nicht mit den Rechtswirkungen des KUVG als öffentliches Bundesrecht erfolgen. Daran ändert nichts, dass die Statuten des RVK vom Bundesamt für Sozialversicherung genehmigt worden sind, da die Genehmigung statutarischer Bestimmungen, die im Widerspruch zum Gesetze stehen, diesen keine Rechtswirkungen zu verleihen vermag (BGE 98 V 67, EVGE 1968, S. 171). Der Rückversicherungsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem RVK ist denn auch dem Bundesamt für Sozialversicherung nicht zur Genehmigung unterbreitet worden und müsste insofern schon unter dem Gesichtswinkel von Art. 15 Abs. 2 der Vo V über die Krankenversicherung als unzulässig betrachtet werden.Dass der Anschluss ausländischer Kassen aus der Sicht der sozialen Krankenversicherung unzulässig ist, will nicht heissen, dass es den Rückversicherungsverbänden verwehrt werden müsste, ihr Tätigkeitsgebiet über die Landesgrenze hinaus auszudehnen. Ein solches Rückversicherungsverhältnis wäre jedoch privatrechtlicher Natur und das KUVG wäre darauf nicht als öffentliches Recht des Bundes, sondern höchstens als gewillkürtes Privatrecht anwendbar. Dementsprechend ergibt sich die Anwendung von öffentlichem Bundesrecht im vorliegenden Fall auch nicht aus der Tatsache, dass sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beitrittserklärung zum RVK dessen Verbandsstatuten unterworfen hat und diese wiederum auf die Ordnung des KUVG verweisen (Art. 3).
Angesichts dieser Rechtslage können auch die vom Bundesamt für Sozialversicherung angeführten Überlegungen praktischer und sozialpolitischer Natur zu keiner anderen Beurteilung Anlass geben. Sofern ein Bedürfnis für den Anschluss liechtensteinischer Kassen an schweizerische Rückversicherungsverbände mit den Wirkungen des KUVG besteht, ist der Weg dazu durch eine Gesetzesänderung bzw. eine staatsvertragliche Regelung zu ebnen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Rückversicherungsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem RVK und somit auch die streitige, auf dem Reglement für die ARV beruhende Forderung nicht dem KUVG als öffentlichem
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Bundesrecht unterstehen. Der RVK hätte demnach nicht in Form einer Verfügung gemäss Art. 30 Abs. 1 KUVG über den Anspruch befinden dürfen, und ebensowenig war die Vorinstanz als Rekursbehörde im Rahmen von Art. 30bis KUVG zum Entscheid in der Sache berufen. Sowohl die Verfügung des RVK als auch der vorinstanzliche Entscheid sind daher aufzuheben. Die privatrechtliche Beurteilung der streitigen Forderung wird dadurch nicht präjudiziert, sondern ist Sache des Zivilrichters.Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 28. Dezember 1977 und die Verfügung des Rückversicherungsverbandes des Konkordates der schweizerischen Krankenkassen vom 12. Februar 1976 aufgehoben.
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