109 V 125
Urteilskopf
109 V 125
24. Auszug aus dem Urteil vom 5. Mai 1983 i.S. Toffol gegen Kantonale Ausgleichskasse des Wallis und Kantonales Versicherungsgericht, Sitten
Regeste
Art. 29 Abs. 1 IVG, 88a Abs. 2 und 88bis Abs. 1 IVV.
Bei der gleichzeitigen rückwirkenden Zusprechung einer halben und der diese ablösenden ganzen Rente richtet sich der Zeitpunkt des Wechsels von der halben zur ganzen Rente ausschliesslich nach Art. 88a Abs. 2 IVV; Art. 29 Abs. 1 IVG und Art. 88bis Abs. 1 IVV sind nicht anwendbar (Präzisierung der Rechtsprechung).
A.- Mit Urteil vom 6. Juni 1979 hat das Eidg. Versicherungsgericht - wie zuvor die Kantonale Ausgleichskasse des Wallis mit Verfügung vom 7. Dezember 1976 und das Versicherungsgericht des Kantons Wallis mit Entscheid vom 13. Juni 1977 - ein Rentenbegehren des 1918 geborenen Werner Toffol letztinstanzlich abgewiesen. Bereits Ende April 1979 hatte sich der Versicherte erneut bei der Invalidenversicherungs-Kommission gemeldet und eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliche Zeugnisse belegt. Entsprechend einem Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission sprach die Ausgleichskasse dem Versicherten mit zwei Verfügungen vom 18. Dezember 1979 für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1978 eine halbe und ab 1. Juli 1978 eine ganze Rente zu.
B.- Werner Toffol reichte gegen die Verfügung vom 18. Dezember 1979 über die halbe Rente Beschwerde ein und verlangte rückwirkend ab Juli 1975 eine ganze Rente. Das Versicherungsgericht des Kantons Wallis führte in seinem Entscheid vom 11. Juni 1980 aus, die Rente könne dem Versicherten höchstens für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate ausgerichtet werden, da die Neuanmeldung Ende April 1979 erfolgt sei. Die Verwaltung habe ihm denn auch ab April 1978 eine Rente zugesprochen,
BGE 109 V 125 S. 126
jedoch für die ersten drei Monate bloss eine halbe. Somit sei allein zu prüfen, ob der Versicherte für diese drei Monate eine ganze Rente beanspruchen könne. Das Gericht untersuchte einlässlich die Entstehung des Rentenanspruchs nach der Variante II des Art. 29 Abs. 1 IVG und gelangte dabei zu einer Bestätigung der angefochtenen Kassenverfügung vom 18. Dezember 1979.
C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Werner Toffol geltend machen, er sei seit seinem Unfall vom Januar 1974 vollständig invalid und es sei ihm von diesem Zeitpunkt an eine ganze Rente auszurichten. Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf deren Abweisung anträgt.
Aus den Erwägungen:
4. a) Wird dem Versicherten rückwirkend eine Rente zugesprochen, und zwar stufenweise in dem Sinne, dass ihm - wie hier - gleichzeitig sowohl eine halbe als auch eine diese ablösende ganze Rente gewährt wird, erhebt sich die Frage, ob sich der Anspruchsbeginn auch für die ganze Rente nach Art. 29 Abs. 1 IVG richtet oder ob der Zeitpunkt für den Wechsel von der halben zur ganzen Rente in sinngemässer Anwendung von Art. 88a Abs. 2 IVV zu bestimmen ist. Verwaltung und Vorinstanz gingen im vorliegenden Fall nach Art. 29 Abs. 1 IVG vor, wenngleich sie auch auf Art. 88a Abs. 2 IVV verwiesen; sie nahmen - unter Berücksichtigung einer Arbeitsunfähigkeit von 33 1/3% vor und von 100% nach dem 21. Januar 1978 - an, die durchschnittliche Arbeitsunfähigkeit während 360 Tagen habe im Juli 1978 66 2/3% überschritten, und setzten den Zeitpunkt der Ablösung der halben durch die ganze Rente auf den 1. Juli 1978 fest. Demgegenüber sieht die bundesamtliche Wegleitung über Invalidität und Hilflosigkeit (gültig ab 1. Januar 1979) in Rz. 202 (letzter Satz) vor, dass bei gleichzeitiger Beschlussfassung über den Anspruch auf eine halbe und eine ganze Rente Art. 88a Abs. 2 IVV anzuwenden ist. Zwar ist der Sozialversicherungsrichter nicht an Verwaltungsweisungen gebunden; doch soll er von ihnen nur abweichen, soweit sie Vorschriften enthalten, welche den anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen widersprechen (BGE 107 V 154 Erw. 2b mit Hinweisen).
Nach Art. 88a Abs. 2 IVV ist bei einer Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit die anspruchsbeeinflussende Änderung zu
BGE 109 V 125 S. 127
berücksichtigen, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat. Wie das Eidg. Versicherungsgericht entschieden hat, hält sich die Regelung des Art. 88a IVV im Rahmen der gesetzlichen Ordnung und ist geeignet, eine rechtsgleiche und den jeweiligen Verhältnissen entsprechende Festsetzung der Rente zu gewährleisten (BGE 105 V 264 f.). Nach seiner systematischen Stellung (Marginalie vor Art. 86 IVV: "E. Die Revision der Rente und der Hilflosenentschädigung") bezieht sich Art. 88a IVV zwar auf die Revision bereits laufender Renten. Er ist sinngemäss aber auch dann anzuwenden, wenn die anspruchsbeeinflussende Änderung des Invaliditätsgrades noch vor Erlass der ersten Rentenverfügung eingetreten ist mit der Folge, dass dann gleichzeitig die Änderung mit berücksichtigt wird (nicht veröffentlichtes Urteil Figura vom 30. September 1982). Dabei ist unerheblich, ob eine anfängliche ganze Rente von einer halben abgelöst wird (so im erwähnten Urteil Figura) oder ob umgekehrt - wie vorliegend - der halben eine ganze Rente folgt. Dass in diesem Fall für den Wechsel zur ganzen Rente Art. 88a Abs. 2 IVV und nicht Art. 29 Abs. 1 IVG massgebend ist, rechtfertigt sich aus Gründen der Rechtsgleichheit. Verfügt die Ausgleichskasse nämlich zunächst bloss eine halbe Rente und gewährt sie nach Eintritt einer relevanten Änderung des Invaliditätsgrades mit einer zweiten (Revisions-) Verfügung eine ganze Rente, so gelangt selbstredend Art. 88a Abs. 2 IVV zur Anwendung. Rechtlich kann es sich aber nicht anders verhalten, wenn die Verwaltung gleichzeitig über die halbe und die ganze Rente befindet ... Die Regelung in Rz. 202 (letzter Satz) geht daher in Ordnung. Somit ist festzuhalten, dass bei gleichzeitiger Verfügung über eine halbe und die sie ablösende ganze Rente der Wechsel sich nach Art. 88a Abs. 2 IVV richtet, während Art. 29 Abs. 1 IVG bloss für den Beginn der zeitlich ersten, d.h. hier der halben Rente massgebend ist. Soweit sich BGE 105 V 156 (insbesondere Erw. 2b und 2d) etwas anderes entnehmen lässt, kann daran nicht festgehalten werden.b) Der Beschwerdeführer war zunächst nur zu einem Drittel arbeitsunfähig; seit 21. Januar 1978 bestand vollständige Arbeits- und auch Erwerbsunfähigkeit. Nach dem in Erw. 3 Gesagten hat er ab 1. April 1978 Anspruch auf eine halbe Rente. Im Sinne des Art. 88a Abs. 2 IVV wirkte sich die Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit drei Monate nach Rentenbeginn als "anspruchsbeeinflussende Änderung" aus. Demnach steht ihm ab 1. Juli 1978 eine
BGE 109 V 125 S. 128
ganze Rente zu. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Zeitpunkt der Rentenerhöhung sich bei der rückwirkenden stufenweisen Rentenzusprechung ausschliesslich nach Art. 88a Abs. 2 IVV richtet. Art. 88bis Abs. 1 IVV, der - abgesehen von lit. c - auf eigentliche Rentenrevisionsfälle zugeschnitten ist, findet hier keine Anwendung; was in BGE 106 V 16 mit Bezug auf Art. 88bis Abs. 2 IVV gesagt wurde, gilt sinngemäss auch für dessen Abs. 1.Die Anwendung des Art. 88a Abs. 2 IVV führt somit im vorliegenden Fall zum gleichen Ergebnis wie die Rechnung von Verwaltung und Vorinstanz nach Art. 29 Abs. 1 IVG. Dies ist indessen nur zufallsbedingt; könnte beim Beschwerdeführer ab 21. Januar 1978 nicht vollständige Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit angenommen werden (sondern z.B. nur 75%ige), so würde die Berechnung nach Art. 29 Abs. 1 IVG den Wechsel zur ganzen Rente erst einige Monate nach dem 1. Juli 1978 zulassen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer ab 1. April 1978 Anspruch auf eine halbe und ab 1. Juli 1978 auf eine ganze Rente hat, wie Ausgleichskasse und Vorinstanz im Ergebnis richtig entschieden haben.