BGE 109 V 145
 
28. Urteil vom 17. August 1983 i.S. Hasler gegen Bezirkskrankenkasse Winterthur und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
 
Regeste
Art. 3 Abs. 5 und Art. 26 KUVG.
- Die statutarische Herabsetzung der versicherten Kassenleistungen im Bereiche der Grundversicherung für Heilungskosten im Falle des Bestehens einer sog. Komplementärversicherung bei einem andern Versicherungsträger ist mit dem Grundsatz der Gegenseitigkeit nicht vereinbar (Erw. 3).
 
Sachverhalt


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A.- Renate Hasler ist seit 1969 Mitglied der Bezirkskrankenkasse Winterthur (im folgenden Kasse genannt) und dieser für die Krankenpflegeversicherung angeschlossen. Darin ist kraft Statuten der entsprechende Versicherungsschutz bei Unfall mitenthalten.
Am 5. Juni 1979 schloss Renate Hasler bei der Versicherungsgesellschaft "Helvetia-Unfall" eine Unfallversicherung für Heilungskosten ab. Die Zusatzbedingungen (ZVB) lauten wie folgt:
"Art. 251 Heilungskosten in Ergänzung zur Krankenkasse
Wir übernehmen im Rahmen der Allgemeinen Bedingungen die von der
Krankenkasse des Versicherten gemäss Statuten nicht gedeckten
Heilungskosten für Unfälle sowie den von der Krankenkasse nicht vergüteten
Teil für unfallbedingte Heilungskosten.
Ist der Versicherte bei Eintritt eines Unfalls nicht mehr bei einer
Krankenkasse für unfallbedingte Heilungskosten versichert, so übernehmen
wir lediglich 2/3 der gemäss den Allgemeinen Bedingungen zu erbringenden


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Leistungen."
Anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der Kasse vom 24. Oktober 1979 wurde ein Reglement betreffend die Versicherung des Unfallrisikos (nachstehend Reglement genannt) genehmigt, das in Art. 5 unter anderm bestimmt:
"Art. 5 Leistungen Dritter bei Unfällen
1. Sofern die SUVA, die EMV oder die IV für einen Unfall voll oder
teilweise aufkommt, werden von der Kasse keine Leistungen ausgerichtet,
ausgenommen allfällige Leistungen aus Zusatzversicherungen.
2. Bestehen zu Gunsten eines Mitgliedes besondere private
Unfallversicherungen, kann die Kasse Leistungen ausrichten. Voraussetzung
ist, dass ungedeckte Heilungskosten entstehen, obwohl die Drittversicherung
ihre Leistungen voll erbracht hat.
3. Handelt es sich bei der Drittversicherung um eine
Ergänzungsversicherung zur Krankenkasse (Nachgangs-, Subsidiär-,
Zusatzversicherung etc.), übernimmt die Kasse 50 Prozent der versicherten
Leistungen, höchstens jedoch die Hälfte der ausgewiesenen Kosten."
Am 2. November 1981 reichte Renate Hasler, die am 12. Juli 1981 einen Unfall erlitten hatte, der Kasse eine Zusammenstellung der Heilungskosten im Gesamtbetrage von Fr. 7'641.35 ein. Die Kasse schlüsselte die einzelnen Rechnungen nach dem Kassentarif auf und errechnete gestützt darauf Leistungen aus ihrer Unfallversicherung von insgesamt Fr. 1'360.20, welche sie aufgrund von Art. 5 Abs. 3 des Reglements um 50% herabsetzte. Am 4. Februar 1982 erging die entsprechende Verfügung.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 12. Mai 1982 ab.
C.- Renate Hasler führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, die Kasse sei zu verpflichten, die versicherten statutarischen Krankenpflegeleistungen nicht nur zur Hälfte, sondern vollumfänglich zu erbringen. Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Mit der von der Beschwerdeführerin bei der Helvetia-Unfall abgeschlossenen Versicherung wird in der Hauptsache bezweckt, den bei einer Krankenkasse gegebenen Versicherungsschutz zu ergänzen. Dies bedeutet, dass die private Versicherung nicht den gleichen Schaden bzw. Schadensteil deckt wie die Krankenkasse und ihrer Bestimmung gemäss erst im Nachgang zur

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Krankenkasse zu leisten hat. Es handelt sich demnach um eine Versicherung mit einer sogenannten Komplementärklausel; sie unterscheidet sich damit von der Unfallversicherung mit Subsidiaritätsvorbehalt, der die Haftung mehrerer für den nämlichen Schaden bzw. Schadensteil voraussetzt (nicht veröffentlichtes Urteil Kirchhofer vom 21. September 1973). An dieser Qualifikation als Komplementärversicherung vermag Art. 251 Abs. 2 ZVB nichts zu ändern, da auch in diesem Anwendungsfall der ergänzende Charakter der Leistungen gewahrt bleibt, indem diese so bemessen werden, dass der entgehende Kassenanteil dem Versicherten als angerechnet betrachtet werden kann.
Dem kann weder im Ergebnis noch in der Begründung beigepflichtet werden. Wohl sind die Kassen von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, auch das Unfallrisiko zu versichern, und nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG richten sie sich nach ihrem Gutfinden ein, soweit das Gesetz keine entgegenstehenden Vorschriften enthält. Mit Bezug auf ihre Unfallversicherung wird den Kassen lediglich die Pflicht auferlegt, in ihren Statuten ausdrücklich zu bestimmen, ob und in welchem Umfang sie Leistungen bei Unfällen übernehmen (Art. 14 Abs. 2 Vo III KUVG). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kassen bei der Ausgestaltung der Unfallversicherung völlig freie Hand haben. Nach konstanter Rechtsprechung haben die Krankenkassen im Rahmen der von ihnen neben der gesetzlichen Grundversicherung betriebenen Sozialversicherungszweige sowohl bei der Reglementierung als auch bei der Rechtsanwendung im Einzelfall die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu beachten, wie sie sich aus dem allgemeinen Bundessozialversicherungsrecht und dem übrigen Verwaltungsrecht sowie der Bundesverfassung

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ergeben. Insbesondere haben sie sich an die wesentlichen Grundsätze der sozialen Krankenversicherung - so namentlich das Prinzip der Gegenseitigkeit - zu halten. Innerhalb dieser Schranken sind die Krankenkassen aufgrund der mit Art. 1 Abs. 2 Satz 2 KUVG gewährleisteten Autonomie in der reglementarischen Ausgestaltung dieser Versicherungszweige grundsätzlich frei (BGE 108 V 258 mit Hinweisen).
Demnach ist hier zu prüfen, ob Art. 5 Abs. 3 des Reglements vor den genannten Rechtsgrundsätzen standhält. Dabei steht im vorliegenden Fall das Prinzip der Gegenseitigkeit (Art. 3 Abs. 3 KUVG) im Vordergrund. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit besagt, dass zwischen Beiträgen einerseits und den Versicherungsleistungen anderseits ein Gleichgewicht bestehen muss. Weiter beinhaltet er, dass allen Kassenmitgliedern unter den gleichen Voraussetzungen die gleichen Vorteile zu gewähren sind. Diese sind gemäss der Höhe der Beiträge differenzierbar. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit verbietet damit, dass ein Versicherter in den Genuss von Vorteilen kommt, welche die betreffende Kasse nicht auch ihren andern Mitgliedern gewährt, die sich in vergleichbarer Lage befinden (BGE 106 V 178 Erw. 3, BGE 105 V 281 Erw. 3b, BGE 97 V 68 f., EVGE 1968 S. 164 und 1967 S. 11; RSKV 1973 Nr. 177 S. 149 und 1971 Nr. 87 S. 21; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Band II, S. 284 f.; derselbe in der Schweizerischen Zeitschrift für Sozialversicherung, 1972, S. 199).
Der Beschwerdeführerin entstehen dadurch ungedeckte Heilungskosten, indem sie eines Teils der Grundleistung verlustig geht, zu der sie die Komplementärversicherung abschloss und mit der sie gerade vollen Versicherungsschutz anstrebte. Die Anwendung der hier streitigen Reglementsbestimmung im Bereiche der Grundversicherung für Heilungskosten führt daher zur

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Ungereimtheit, dass die Beschwerdeführerin schlechter gestellt wird, als wenn sie die Komplementärversicherung nicht besässe. Diese abwegige Konsequenz lässt sich durch nichts rechtfertigen. Da die Helvetia-Unfall ihren Bestimmungen gemäss hier nur für die von der Kasse nicht versicherten Heilungskosten leistungspflichtig ist und somit nicht eine Haftung für den gleichen Schaden bzw. Schadensteil vorliegt, kann sich die Kasse insbesondere nicht auf die Vermeidung einer allfälligen Überversicherung (die zum Themenbereich der Subsidiaritätsklauseln gehört) berufen; die von der Kasse beanspruchte Subsidiarität ihrer Leistungspflicht bleibt mit der fraglichen Komplementärklausel unangetastet. Behandelt die Kasse hinsichtlich der Leistungen aus der Grundversicherung die Mitglieder mit und ohne anderweitig abgeschlossene Komplementärversicherung demzufolge ungleich, ohne dass hiefür eine sachlich haltbare Begründung zu finden wäre und obwohl beide Kategorien von Versicherten Beiträge in gleicher Höhe entrichten, so bedeutet dies einen Verstoss gegen den Grundsatz der Gegenseitigkeit.
Gemäss der Auffassung der Vorinstanz hätte die Beschwerdeführerin nach Einführung des Art. 5 Abs. 3 des Reglements bei der Helvetia-Unfall eine Zusatzversicherung abschliessen können, die auch die von der Kasse gekürzten Leistungen übernehme. Das vermag indessen die hievor festgestellte Verletzung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit weder zu heilen noch zu rechtfertigen, abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob eine solche spezielle Versicherungsmöglichkeit im Rahmen einer Komplementärversicherung überhaupt besteht. Nicht zu entscheiden ist im vorliegenden Fall, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung des Art. 5 Abs. 3 des Reglements rechtmässig ist, wenn die streitige Komplementärversicherung mit einer Zusatzversicherung der Kasse konkurriert.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 12. Mai 1982 und die Kassenverfügung vom 4. Februar 1982 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Kasse der Beschwerdeführerin für den Unfall vom 12. Juli 1981 aus der Grundversicherung die vollen versicherten Leistungen zu erbringen hat.