109 V 262
Urteilskopf
109 V 262
46. Auszug aus dem Urteil vom 18. Oktober 1983 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Solothurn gegen Ingold und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
Regeste
Art. 87 IVV. Prüfung des Eintretens bei einem Revisionsgesuch nach Art. 87 Abs. 1 IVV: Die zur Neuanmeldung (Art. 87 Abs. 4 IVV) entwickelten Grundsätze gelten sinngemäss (Erw. 3).
Art. 41 IVG. Zeitliche Vergleichsbasis, wenn eine Rente revidiert wird, nachdem die ursprüngliche Rente bereits in einem früheren Revisionsverfahren geändert worden ist (Erw. 4a).
A.- Monique Ingold bezog seit November 1975 bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Invalidenrente (Verfügung
BGE 109 V 262 S. 263
der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 21. Januar 1977), die anlässlich eines Revisionsverfahrens aufgrund einer Neubemessung der Invalidität (nunmehr 50%) auf eine halbe herabgesetzt wurde (Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn vom 24. Januar 1978; rechtskräftiger Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 18. September 1978). Mit Eingabe vom 17. Oktober 1978 ersuchte die Versicherte um erneute medizinische Abklärung und um Neuprüfung des Rentenanspruchs. Nach Einholen verschiedener Berichte beschloss die Invalidenversicherungs-Kommission Nichteintreten auf das Gesuch, da eine 50%ige Erwerbstätigkeit zumutbar sei und daher nach wie vor lediglich der Anspruch auf eine halbe Rente bestehe. Dies eröffnete die Ausgleichskasse der Versicherten mit Verfügung vom 23. September 1980.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher die Versicherte eine ganze Rente anbegehrte, hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn insofern gut, als es die Sache zu weitern Abklärungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an die Ausgleichskasse zurückwies.
C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.
Aus den Erwägungen:
1. Ändert sich der Grad der Invalidität eines Rentenbezügers in einer für den Anspruch erheblichen Weise, so ist die Rente für die Zukunft entsprechend zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben (Art. 41 IVG). Eine solche Rentenrevision erfolgt entweder von Amtes wegen oder auf Gesuch hin; dabei ist im Revisionsgesuch glaubhaft zu machen, dass sich der Grad der Invalidität des Versicherten in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hat ( Art. 87 Abs. 1 und 3 IVV ).
2. a) Die Verwaltung erledigte das Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 17. Oktober 1978 formell durch Nichteintreten. Aus den Akten ergibt sich indessen, dass die Verwaltung neue Abklärungen vornahm, indem sie bei Dr. T., Dr. M. sowie der Regionalstelle Berichte einholte, und dass sie den Anspruch auf eine ganze Rente neu prüfte und verneinte. Entgegen der im Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission und in der Kassenverfügung vom 23. September 1980 verwendeten Formulierung wurde demnach
BGE 109 V 262 S. 264
nicht eine Nichteintretensverfügung, sondern eine (abweisende) materielle Verfügung getroffen.b) Die Beschwerdegegnerin bezeichnete ihre Eingabe vom 17. Oktober 1978 als "Wiedererwägungsgesuch". Wie ihr Vertreter schon in der vorinstanzlichen Beschwerde mit Recht geltend machte und - in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Sozialversicherung - auch im letztinstanzlichen Verfahren ausführt, ist die erwähnte Eingabe als Revisionsgesuch im Sinne von Art. 41 IVG und Art. 87 Abs. 1 IVV zu betrachten.
3. Die Verwaltung ist stillschweigend davon ausgegangen, dass das Revisionsgesuch vom 17. Oktober 1978 samt beigelegtem Arztzeugnis den Anforderungen des Art. 87 Abs. 3 IVV genüge. Es fragt sich, ob der Richter diesen Punkt zu überprüfen hat.
In diesem Zusammenhang ist auf Art. 87 Abs. 4 IVV hinzuweisen. Er bezieht sich ausdrücklich auf Art. 87 Abs. 3 IVV und regelt den Fall einer Neuanmeldung nach vorangegangener Rentenverweigerung (was für die Beschwerdegegnerin insofern nicht zutrifft, als sie aufgrund der Verfügung vom 24. Januar 1978 eine halbe Rente bezog). Art. 87 Abs. 4 IVV beruht auf dem Grundgedanken, dass die Rechtskraft der früheren Verfügung einer neuen Prüfung so lange entgegensteht, als der seinerzeit beurteilte Sachverhalt sich in der Zwischenzeit nicht verändert hat. Es soll damit verhindert werden, dass sich die Verwaltung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine Veränderung des Sachverhalts darlegenden Rentengesuchen befassen muss. Nach Eingang einer Neuanmeldung ist sie daher zunächst zur Prüfung verpflichtet, ob die Vorbringen des Versicherten überhaupt glaubhaft sind; verneint sie dies, so erledigt sie das Gesuch ohne weitere Abklärungen durch Nichteintreten. Dabei wird sie u.a. zu berücksichtigen haben, ob die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliegt, und dementsprechend an die Glaubhaftmachung höhere oder weniger hohe Anforderungen stellen. Insofern steht ihr ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, den der Richter zu respektieren hat. Dieser prüft die Behandlung der Eintretensfrage durch die Verwaltung daher nur, wenn das Eintreten streitig ist, d.h. wenn die Verwaltung gestützt auf Art. 87 Abs. 4 IVV Nichteintreten beschlossen hat und der Versicherte deswegen Beschwerde führt; hingegen unterbleibt eine richterliche Beurteilung der Eintretensfrage, wenn die Verwaltung auf die Neuanmeldung eingetreten ist (BGE 109 V 108).
Diese Rechtsprechung ist in analoger Weise auch auf Revisionsgesuche
BGE 109 V 262 S. 265
anwendbar. Da die Verwaltung auf das Gesuch vom 17. Oktober 1978 eingetreten ist und es materiell geprüft hat, ist vom Eidg. Versicherungsgericht nicht zu beurteilen, ob die Verwaltung die Eintretensfrage richtig beantwortet hat.
4. a) Hingegen ist vorliegend zu prüfen, ob überhaupt eine gewisse Änderung des Invaliditätsgrades eingetreten ist seit der massgebenden Verfügung, ansonst eine Revision jener Verfügung im Sinne von Art. 41 IVG, welche Bestimmung eine seitherige Änderung des Invaliditätsgrades voraussetzt, zum vorneherein ausgeschlossen wäre. Nach der Rechtsprechung ist dabei als zeitliche Vergleichsbasis einerseits der Sachverhalt im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung und anderseits derjenige zur Zeit der streitigen Revisionsverfügung zu berücksichtigen (BGE 106 V 87 Erw. 1a, BGE 105 V 30); allerdings wird in BGE 105 V 30 beigefügt, dass einer Verfügung, welche die ursprüngliche Rentenverfügung bloss bestätigt, bei der Bestimmung der zeitlichen Vergleichsbasis keine Rechtserheblichkeit zukommt. Diese Umschreibung zielt insbesondere auf jene Fälle ab, wo die ursprüngliche Rentenverfügung in späteren Revisionsverfahren nicht geändert, sondern bloss bestätigt worden ist. Anderseits liegt der Sinn dieser Praxis darin, dass eine Revisionsverfügung dann als Vergleichsbasis gilt, wenn sie die ursprüngliche Rentenverfügung nicht bestätigt, sondern die laufende Rente aufgrund eines neu festgesetzten Invaliditätsgrades geändert hat.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Beschwerdegegnerin bezog zunächst aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100% ab November 1975 eine ganze Rente (Verfügung vom 21. Januar 1977). Sie wurde im ersten Revisionsverfahren nicht bestätigt, sondern bei einem neu auf 50% festgelegten Invaliditätsgrad auf eine halbe herabgesetzt (Verfügung vom 24. Januar 1978). Ob der Invaliditätsgrad in der Folge eine Änderung erfahren hat, beurteilt sich im Falle der Beschwerdegegnerin somit durch Vergleich des Sachverhalts, wie er zur Zeit der Revisionsverfügung vom 24. Januar 1978 bestanden hat, mit demjenigen, der bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Kassenverfügung (23. September 1980) eingetreten ist.