BGE 127 V 149
 
23. Auszug aus dem Urteil vom 14. Mai 2001 i. S. Eidg. Departement des Innern gegen Roche Pharma (Schweiz) AG und Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste
 
Regeste
Art. 103 lit. b OG; Art. 52 Abs. 1 lit. b, Art. 90 f. KVG: Legitimation des Bundesamtes für Sozialversicherung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste.
- Es ist entgegen BGE 124 V 300 Erw. 2 nicht überspitzt formalistisch zu verlangen, dass das Departement in eigenem Namen Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhebt, wobei es das Bundesamt mit der Prozessvertretung beauftragen kann (Änderung der Rechtsprechung).
 
Sachverhalt


BGE 127 V 149 (150):

A.- Seit 15. September 1989 ist das von der Firma Roche Pharma (Schweiz) AG (nachfolgend: Roche) vertriebene Virostatikum mit dem Wirkstoff Ganciclovir CYMEVENE 1Amp.500mg zum Preis von Fr. 91.90 (heute: Fr. 92.80) in der Spezialitätenliste des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) aufgeführt. Mit Verfügung vom 19. Juli 1995 lehnte das Bundesamt die Aufnahme von CYMEVENE in der peroralen galenischen Form zum Preis von 730 Franken für 84Caps.250mg (Indikation für die Erhaltungstherapie bei CMV-Retinitis) mangels Wirtschaftlichkeit ab. Nachdem die Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste auf Beschwerde hin mit Entscheid vom 16. Dezember 1996 die Sache zu neuer Beurteilung an das Bundesamt zurückgewiesen hatte, erliess dieses u.a. nach Einholung der Stellungnahme der Eidg. Arzneimittelkommission am 28. Juli 1997 erneut und mit Geltung auch für den von der Roche replikweise angebotenen Preis von 650 Franken eine ablehnende Verfügung.
B.- Die von der Roche hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste mit Entscheid vom 5. Februar 1999 gut und verpflichtete das BSV, CYMEVENE 84Caps.250mg zum Preis von 730 Franken in die Spezialitätenliste aufzunehmen.
C.- Das BSV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der Entscheid über die Aufnahme von CYMEVENE 84Caps.250mg zum Preis von 730 Franken in die Spezialitätenliste aufzuheben, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die Rekurskommission zurückzuweisen.
Die Roche stellt Antrag auf Nichteintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mangels Legitimation des BSV, welche einzig dem Eidg. Departement des Innern (EDI) zukomme, allenfalls Abweisung des Rechtsmittels.


BGE 127 V 149 (151):

D.- Mit seiner Stellungnahme zum Verfahrensantrag hat das Bundesamt eine von der Vorsteherin des EDI unterzeichnete Vollmacht (vom 21. September 1999) eingereicht, mit der es mit der Vertretung des Departementes in der vorliegenden Streitsache beauftragt wird. Darauf Bezug nehmend stellt das BSV sinngemäss den Eventualantrag, die in eigenem Namen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde als solche des EDI zu qualifizieren.
 
Aus den Erwägungen:
a) Gemäss Art. 103 OG (in Verbindung mit Art. 132 OG) ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde u.a. berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (lit. a), oder das in der Sache zuständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der Bundesverwaltung gegen die Verfügung u.a. einer eidg. Rekurskommission (lit. b).
b) Es ist unter den Verfahrensbeteiligten zu Recht unbestritten, dass sich die vom Bundesamt beanspruchte Berechtigung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht aus Art. 103 lit. a OG herleiten lässt. Weder die Stellung als verfügende Behörde noch die Teilnahme am Verfahren vor der Rekurskommission als Vorinstanz im Sinne von Art. 57 Abs. 1 VwVG (vgl. BGE 122 V 412 und Art. 20 Abs. 2 der Verordnung vom 3. Februar 1993 über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen [SR 173.31]) vermögen ein genügendes schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung des die Aufnahme von CYMEVENE in der peroralen galenischen Form zum Preis von 730 Franken für 84Caps.250mg in die Spezialitätenliste anordnenden Entscheides vom 5. Februar 1999 zu begründen. In diesem Sinne genügt das blosse (öffentliche) Interesse an der richtigen Durchführung des Bundesrechts nicht (vgl. BGE 125 II 194 Erw. 2a/aa, BGE 123 V 116 Erw. 5a, BGE 114 V 95 f. Erw. 2a und 100 Erw. 2e; ferner RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 245 Rz 1281 f., sowie BENOÎT BOVAY, Procédure administrative, Bern 2000, S. 491).


BGE 127 V 149 (152):

c) aa) Was den vom Bundesamt als Rechtsgrundlage für sein Beschwerderecht angerufenen Art. 103 lit. b OG anbetrifft, gibt es keine Bestimmung in Krankenversicherungsgesetz und -verordnung, welche das BSV ausdrücklich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste ermächtigte. Auch im übrigen Bundesrecht - in Betracht fallen neben der Verordnung über Organisation und Verfahren eidg. Rekurs- und Schiedskommissionen namentlich das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010) sowie die Verordnungen vom 9. Mai 1979 über die Aufgaben der Departemente, Gruppen und Ämter (SR 172.010.15) und vom 28. März 1990 über die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbstständigen Erledigung von Geschäften (Delegationsverordnung; SR 172.011) - findet sich keine entsprechende Vorschrift.
bb) Bei dieser Rechtslage kann sich einzig fragen, ob triftige Gründe für ein Abweichen vom eindeutigen Wortlaut des Art. 103 lit. b OG sprechen (BGE 124 II 199 Erw. 5a, BGE 124 V 189 Erw. 3a, je mit Hinweisen), welcher bezogen auf den vorliegenden Fall an sich verlangt, dass das Bundesrecht das BSV zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste vorsieht. Das Bundesamt bejaht diese Frage mit dem Hinweis auf Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG, wonach es für die Erstellung der Spezialitätenliste zuständig ist. Diese direkte Zuständigkeitserklärung durch den Gesetzgeber ist in der Tat insofern speziell, als im gesamten übrigen Bundessozialversicherungsrecht, soweit ersichtlich, eine gleiche oder ähnliche Regelung nicht besteht. Mit Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG werden indessen dem BSV rein materiellrechtliche Regelungsbefugnisse eingeräumt. Für die Annahme, dass ihm damit gleichzeitig auch das Beschwerderecht zukommen sollte, finden sich in den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte. Es kommt dazu, dass das EDI nach wie vor auch im Bereich der Spezialitätenliste als das in der Sache zuständige Departement im Sinne des Art. 103 lit. b OG zu betrachten ist, steht es doch gemäss Art. 75 KVV ihm zu, nähere, Gesetz und Verordnung konkretisierende Vorschriften über die Erstellung der Liste zu erlassen, was es in den Art. 30 ff. KLV denn auch getan hat. Es besteht somit kein Anlass, abweichend vom Gesetzeswortlaut die Berechtigung des BSV zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste zu

BGE 127 V 149 (153):

bejahen, was im Übrigen auch der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts entspricht (vgl. zu Art. 3 KVG BGE 124 V 298 Erw. 1: Streitigkeiten betreffend die Versicherungspflicht, Ausnahmen davon oder deren Ausdehnung auf Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz).
d) Entgegen der Auffassung des Bundesamtes stellt die fehlende Beschwerdelegitimation nicht einen durch Nachreichung einer Prozessführungsvollmacht des allein zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigten Departementes nach Ablauf der Beschwerdefrist heilbaren Mangel dar. Soweit sich BGE 124 V 300 Erw. 2 etwas anderes entnehmen lässt, kann daran nicht festgehalten werden. Indem aber dort - nach Verneinung der Beschwerdelegitimation des BSV im Sinne des Art. 103 lit. b OG in einem Streit betreffend die Ausnahme einer Person mit Wohnsitz in der Schweiz von der Versicherungspflicht - vorbehaltlos ausgeführt wurde, das Bundesamt könne sich auch nach Ablauf der Frist zur Einreichung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde als Prozessvertreterin des Departementes gehörig legitimieren, kann es ihm nach Treu und Glauben hier nicht zum Nachteil gereichen, dass es auf die erneute Zulässigkeit eines solchen Vorgehens vertraute. Daher ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzutreten.